Die Journalistin Moira Donegan wollte, dass Kolleginnen in der Medienbranche sich untereinander vor übergriffigen und gewalttätigen Männern warnen konnten – jetzt gibt sie sich als Urheberin der anonymen „Shitty Media Men“-Liste zu erkennen und schildert, welche Konsequenzen die Aktion für ihr Leben hatte.
Ein Dokument statt Mund-zu-Mund-Botschaften
Moira Donegan wollte vor allem eins: Frauen in der Medienbranche sollten sich gegenseitig warnen können vor Männern, die sie sexuell belästigt hatten oder ihnen sexualisierte Gewalt angetan hatten. Um diese Warnungen zu bündeln und nicht nur auf zufällige Mund-zu-Mund-Informationen zurückgreifen zu können, erstellte sie im Oktober 2017, nachdem die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein die #Metoo-Debatte ins Rollen gebracht hatten, ein Google-Spread-Sheet mit dem Namen „Shitty Media Men“. Ihr ursprünglicher Plan war, eine anonyme Liste für ihre Kolleginnen zu erstellen. Eine verlässlichere Quelle als als die „Flüster-Netzwerke“, über die sich die Frauen der Branche bisher informiert und gegenseitig gewarnt hatten.
Doch das anonyme Dokument zirkulierte nur wenige Stunden, dann war es öffentlich: Zunächst berichtete Buzzfeed über die Existenz des Dokuments, kurz darauf wurde die Liste bei Reddit veröffentlicht.
In einem persönlichen Text bei The Cut hat sich die Journalistin und freie Autorin Moira Donegan nun als Urheberin der Liste zu erkennen gegeben – und schildert detailliert, wie sich ihr Leben seitdem verändert hat.
Mehr als 70 Anschuldigungen innerhalb weniger Stunden
Bis das Dokument veröffentlicht wurde, fanden sich bereits die Namen von 70 Männern aus der Medienbranche darauf – und die Schilderungen der Frauen klangen schockierend: Manche berichteten davon, unter Drogen gesetzt, misshandelt und vergewaltigt worden zu sein; manche berichteten, sie seien mit Waffen bedroht worden; viele berichteten von sexueller Belästigung im Büro, etwa dass Männer ihren Penis entblößt oder sie körperlich belästigt hätten.
Die Veröffentlichung des Dokuments schlug hohe Wellen in der amerikanischen Medienlandschaft – viele Kommentatoren verurteilten das Dokument, vor allem die Tatsache, dass sämtliche Anschuldigungen anonym geschehen waren; viele Kommentatoren, schreibt Donegan, hätten das Ziel des Dokuments, nämlich Frauen vor übergriffigen Männern zu warnen, begrüßt – die zu radikale Umsetzung aber kritisiert. Natürlich wurde auch Kritik laut, die Anschuldigungen seien besser bei zuständigen Stellen wie den Personalabteilungen der Unternehmen und der Polizei aufgehoben als in einem anonymen Google Spreadsheet. Manche Kollegen, schreibt Donegan, seien in die schwierige Situation geraten, Kollegen oder Freunde aus der Branche auf der Liste zu finden; mehrere Medienunternehmen hätten Untersuchungen eingeleitet; einige Männer, die auf der Liste aufgetaucht waren, schreibt Donegan, hätten ihre Jobs gekündigt oder seien entlassen worden.
Keine Angst vor Konsequenzen
In ihrem Essay für „The Cut“ verteidigt Donegan ihre Entscheidung für das Dokument – es sei ihr explizit darum gegangen, einen Raum für Frauen zu schaffen, in dem diese sich ganz praktisch gegenseitig warnen konnten, ohne Konsequenzen zu fürchten.
„Es ging nicht darum, auf Konsequenzen zu drängen, das Dokument sollte keine Waffe sein – doch sobald es öffentlich war, sahen es viele Leute als genau das.“
Donegan schreibt, junge, unerfahrene Frauen wie sie, neu in der Branche, seien besonders verletzlich und würden oft ein großes Risiko eingehen, wenn sie Vorfälle sexueller Belästigung oder sexuelle Übergriffe melden würden – und die Wahrscheinlichkeit, dass die Übergriffe geahndet würden, sei leider gering.
Die Anonymität des Dokuments sollte die Frauen schützen, schreibt Donegan weiter – und seine öffentliche Zugänglichkeit im Internet auch Frauen helfen, die ansonsten nicht durch ihr Netzwerk Zugang zu so genannten „Flüster-Netzwerken“ haben. „Das Dokument fragte die Frauen nicht danach, wie sie auf das unangemessene Verhalten der Männer reagiert hatten; es fragte sie nicht, was sie angehabt hatten, oder ob sie Alkohol getrunken hatten; stattdessen ging das Dokument von etwas aus, das bis heute scheinbar als radikal gilt: dass es die Männer sind, und nicht die Frauen, die für sexuelles Fehlverhalten von Männern verantwortlich sind“, schreibt Donegan. Bis heute könne sie es kaum fassen, in welchem Ausmaß sexuelles Fehlverhalten offenbar verbreitet sei, die Schilderungen im Dokument hätten ihre schlimmsten Erwartungen übertroffen.
Und sie sagt ganz deutlich: Ja, die ganze Sache sei ihr schnell über den Kopf gewachsen, habe ihr Angst gemacht: Sie habe bald realisiert, dass sie etwas geschaffen habe, was außer Kontrolle geraten sei. Sie sei überwältigt gewesen und habe Angst bekommen. In der Rückschau, schreibt sie, sei sie unglaublich naiv gewesen: Naiv zu glauben, das Dokument könne tatsächlich geheim bleiben, naiv zu glauben, dass man sich nach der Veröffentlichung des Dokuments auf die Inhalte konzentrieren werde und nicht auf das Dokument als solches.
„Was ich gelernt habe: Wer Frauen schützen will, kann nicht erwarten, dass er selbst geschützt wird.“
Donegan beschreibt, wie sich ihr eigenes Leben mit der Veröffentlichung der Liste verändert habe: Sie habe Freunde verloren und ihren Job.
„Die Angst, enttarnt zu werden, und die Angst vor den dann folgenden Schikanen, hat mein Leben seitdem überschattet“
Anfang der Woche hatten in den sozialen Medien Gerüchte die Runde gemacht, das Magazin Harper’s wolle in einer Geschichte Donegans Namen öffentlich machen. In den sozialen Netzwerken folgte ein Sturm der Entrüstung von Leuten, die um Donegans Sicherheit fürchteten, sollte die Story erscheinen. Harper’s ließ zwar verlauten, einen Text über die Liste zu bringen zu wollen, den Namen der Urheberin aber nicht nennen zu wollen – dennoch, schreibt Donegan, sei die Angst vor einem Fremd-Outing für sie der Auslöser für ihre Entscheidung gewesen, sich selbst als Urheberin der Liste zu erkennen zu geben.
„All das war beängstigend. Ich weiß immer noch nicht, was für eine Zukunft mich nun erwartet, nachdem ich aufgehört habe, mich zu verstecken.“
Donegan schildert, wie sie im vergangenen Jahr, als die #Metoo-Debatte ihren Anfang nahm, noch der Auffassung war, dass es nicht genug sei, wenn Frauen ihre bisherigen Erfahrungen offenbarten. Sie habe damals konkrete Maßnahmen, Verurteilungen gefordert, deutliche Zeichen, dass sich etwas ändert – in den vergangenen Wochen habe sie erkannt, dass es immer noch explosiv, radikal und gefährlich für Frauen sei, offen über Erlebtes zu sprechen.
So wie viele Feministinnen, schreibt sie, denke sie darüber nach, wie Frauen sich gegenseitig helfen könnten, wie sie die aktuellen Machtverhältnisse verschieben könnten, wie sie für mehr Gerechtigkeit sorgen könnten – aber dabei werde womöglich vergessen, wie die Frauen jene Macht benutzen könnten, die sie bereits haben – und ein mächtige Tool sei es eben, Erfahrungen miteinander zu teilen. Die Frauen, die ihr Spreadsheet nutzten, hätten genau das auf eine besondere Weise getan – und sie sei jeder einzelnen dafür dankbar.
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