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Nach der Trump-Wahl ist vor der nächsten Wahl: Warum wir jetzt handeln müssen

Als Reaktion auf das Wahlergebnis der USA ging eine Welle der Empörung durch die Welt. Zu befürchten ist, dass es nur eine Welle war, die von einem Beben ausging, dass uns schon lange in Atem hält. Es ist Zeit endlich darauf zu reagieren!

 

Was sagt die Wahl Donald Trumps über den Zustand unserer Welt?

Am Tag nach der Trump-Wahl twitterte Zeit Online, die Welt sei nun eine andere. Eine CNN Reporterin sprach von einer neuen Weltordnung. 

In Paris ist es regnerisch, ein stetiger Wind weht die Blätter durch die Straßen. Bald werden die Bäume nackt dastehen. Das Laub sammelt sich auf dem Asphalt und bleibt an den Schuhen kleben. Irgendjemand wird kommen, um das Blattwerk wegzuräumen, denn so ist es immer. Aber niemand wird kommen, um diesen Trump aus dem Weg zu räumen.

Kein Superman wird aus den Wolken brechen, um Donald vom Hebel zu nehmen, an dem er jetzt für die nächsten vier Jahre sitzen wird. Kein Han Solo wird mit dem Millennium Falken angeflogen kommen, um uns aus dieser Scheiße zu holen. Das müssen wir jetzt selber machen.

Aufstehen und weitergehen 

Wir müssen aufhören zu beten und zu hoffen. Wir müssen nicht mehr nach oben schauen, sondern nach vorn. Und wir müssen vor allem eins: Aufstehen und weitergehen. Jetzt! Aber das machen wir doch – oder nicht? Niemand hier in Paris, wo ich lebe, oder sonst wo in Europa steht und starrt in den Himmel. Alle laufen, eilen, von einem Termin zum nächsten, wir sind ständig unterwegs. Nur solche Ereignisse wie diese Trump-Wahl jetzt, die bringen uns ins Straucheln. Und dann stehen wir, wie Kleinkinder, die ihre ersten Schritte tun und noch mit dem Gleichgewicht kämpfen, wankend, nach Halt suchend. Wenn wir einfach weiter laufen, gibt uns das dann vielleicht Sicherheit?

„Mit diesem Ergebnis habe ich auch nicht gerechnet“, sagt der Verkäufer, bei dem ich die Winterjacken für meine Kinder kaufe. Es ist kalt geworden, nicht nur bei uns. Der Mann hinter dem Tresen reibt sich die Augen, er sei plötzlich um vier Uhr morgens hell wach gewesen und habe den Fernseher angemacht, um die Wahlergebnisse zu verfolgen. „Das ist was“, sagt er und schüttelt den Kopf, „aber wir werden sehen. Wir werden sehen.“ Dann sprechen wir noch kurz über die bevorstehende Wahl hier bei uns in Frankreich und die dunklen, und jetzt noch realistischer scheinenden Möglichkeiten. Als ich ihm meine Geldkarte reiche, zeigt sich der Verkäufer allerdings optimistisch: „Das wird schon so ausgehen, wie damals 2002 mit Chirac. Dann gehen halt mal alle zur zweiten Wahl.“ Die Kasse klingelt und ich überlege kurz, ob die Tatsache, dass er hier seinen alltäglichen Geschäften nachgeht, dem Verkäufer wohl Sicherheit gibt?Das Leben geht weiter, auch mit Trump. Und ob diese Sicherheit ausreichen wird, in ein paar Tagen wieder ruhig zu schlafen und einfach nur zu denken: „Das war was, das mit Trump“?

Auf der Straße bin ich allein, die meisten Menschen sitzen in Autos, jagen darin schnell an mir vorüber. Als in der Ferne eine Sirene ertönt, zucke ich zusammen. Warte, lausche, ob andere folgen, laufe dann weiter und stelle erleichtert fest, dass die Einsatzfahrzeuge nicht dieselbe Richtung nehmen wie ich – zu der Schule meiner Kinder. Sicherheit aber gibt mir die Erleichterung nicht. Denn die Panik wird wieder kommen, wie jedes Mal, wenn ich den Ton von Sirenen höre. Manchmal ertappe ich mich, wie erleichtert ich bin, wenn ich auf meinem Smartphone die Info-Seite öffne und es keine tragischen Nachrichten gibt – das war nicht immer so.

Irgendetwas hat sich geändert

Das war nicht so, nach dem Genozid 1994 in Ruanda, denn der war weit weg und in einem Land, das noch keine Demokratie kannte wie bei uns. Glaubte ich. Es war auch nicht so nach dem Serbien-Krieg Ende der Neunziger, denn das waren doch nur die Nachbeben des kalten Kriegs, hoffte ich.

Das kollektive Gedächtnis ist groß. Meines ist von einer antitotalitären Erziehung geprägt, indem philosophische Dogmen wie „Nie wieder Auschwitz“ eine Basis sind. In der Schule lasen wir Bücher wie „Damals war es Friedrich“, das Händchenhalten von Kohl und Mitterand machten wir beim Schüleraustausch gerne mit feschen Franzosen nach und der Fall der Mauer läutete für uns nicht nur das Ende des Jahrhunderts, sondern vor allem einer dunklen menschlichen Epoche ein. Menschen bekriegten sich nicht mehr. Sie schritten gemeinsam voran. Von deutschem Boden würde nie wieder Krieg ausgehen. Und Deutschland, das war doch mitten in Europa und die USA unsere großen Freunde, oder nicht? Es gab sie schon, die Momente des Zweifelns. Da war das Scheitern des Friedensprozesses im Nahen Osten, da war der 11. September. Alles hing irgendwie zusammen, und doch gelang es mir
immer wieder mich zu beruhigen: „Das war was!“. Und weiter ging es.

Dann kam der Moment an dem mein kollektives Gedächtnis plötzlich aussetzte und die Welt von einer Sekunde auf die andere eine andere war, ganz individuell. Für mich ist das jetzt vier Jahre her: 2012, Obama hatte gerade gegen Mitt Romney die Wahl gewonnen. Eigentlich kein Grund, sich nicht in Sicherheit zu fühlen. Und doch war da jener Tag im Dezember, an dem, so wie jetzt, meine Kinder in der Schule waren und ich noch ein wenig Zeit hatte, bis ich sie abholen musste. Da war dieser Moment, als ich über die Nachrichtenseite scrollte und von einem Amoklauf in den USA las. Wenn ich an diesen Moment denke, ist es mir, als säße ich wieder vor meinem Kaffee. Hinter den Glasscheiben standen dieselben Bäume, wie die, zwischen denen ich jetzt durch die Straßen laufe. Und alles, aber auch alles erstarrte für mich in diesem Moment. 

Plötzlich ergreift mich ein Grauen, das ich früher nicht kannte 

Dabei war das nicht der erste Amoklauf an einer Schule in den USA. Und auch nicht der erste, seitdem ich Kinder habe. Bei dem Amoklauf in Erfurt 2002 war mein erstes Kind gerade eingeschult worden. Damals lebten wir noch in Deutschland, das Grauen war viel näher. Aber es griff nicht mich.

Bei dem Sandy Hook Amoklauf 2012 wurden sieben Frauen und zwanzig Kinder in einer Grundschule getötet. Das waren die Opfer: Frauen und kleine Kinder. Und das war das Motiv: keines. Das war der Täter: ein zwanzig-jähriger Waffenfanatiker. Der Täter wurde nicht gemobbt, nicht von anderen beeinflusst, er gehörte keiner marginalisierten Bevölkerungsgruppe an. Er war jung, reich und wusste nichts Besseres mit seinem Leben anzufangen, als möglichst viele Menschen zu erschießen. Frauen und Kinder. Je mehr ich über die Tat las, umso schockierter wurde ich. Ein Mensch, weiß, jung und männlich, vermutlich psychisch krank, aber nicht behandelt, dafür mit allem ausgestattet, was er sich so wünschte, vor allem mit Waffen. Dieser westlich verwöhnte Mensch massakrierte unvermittelt Frauen und Kinder? Wenn das in der westlichen Welt, in unserer Welt möglich war, dann stimmte hier etwas nicht.

Das war mein Turning-Point, nicht der Arabische Frühling, nicht die Flüchtlingskrise, oder der nicht enden wollenden Krieg in Syrien, nicht die Attentate in den letzten zwei Jahren in Frankreich. Das alles war für mich nur die Folge einer schrecklichen Erkenntnis: etwas stimmt nicht in unserem Weltkonzept, unserem westlichen Konzept, auf das wir uns doch so viel einbilden und mit dem wir vor allem kriegerische Übergriffe auf andere Staaten legitimieren.

„Jedes Mal, wenn ich an diese Kinder denke…“

Ich überquere den großen Boulevard, hinter dem die Schule meiner Kinder liegt. Ein leichter Nieselregen hat eingesetzt. Auf dem Fußgängerweg steht derselbe Polizist wie immer um diese Zeit. Er regelt den Verkehr zu Schulbeginn und Schulende, denn ohne seine schützende Hand, würden wohl manche Kinder nicht heil durch den Pariser Verkehr kommen.

Sicher hat Obama versucht das Waffengesetz zu ändern. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde 2013 vom Kongress, in dem mehrheitlich Republikaner saßen, abgelehnt. Hillary Clinton wollte nach ihrer Wahl die Waffengesetze verschärfen. „Jedes Mal, wenn ich an diese Kinder denke“, sagte Obama noch im Januar 2016, „werde ich verrückt“. Ich auch. Und ich denke oft an sie. Jetzt auch, als meine Kinder aus dem Schulgebäude aufgeregt durch den Regen auf mich zu laufen.

Denn das Schicksal der Frauen und Kinder von Sandy Hook kann jeden von uns treffen, je weiter sich die Welt diesem einem Abgrund nähert. Diesem Abgrund aus Waffengewalt und Waffenhandel, an dessen Rand sie selbst tanzt. Die Menschen aus Ländern wie Syrien oder Libyen fliehen vor dem Tod, vor Waffen, die hauptsächlich von unserer Welt finanziert und produziert werden. Nicht nur die USA bezieht einen großen Teil ihres Reichtums aus dem Waffenhandel. Auch europäische Staaten. Auch wir. Und auch bei uns werden Stimmen laut, die einen unkomplizierten Umgang mit Waffen verlangen. Sie werden sogar gewählt. Das sollte uns wachsam und aufrecht halten und zwar genau jetzt, nicht später. Nicht dann, wenn es zu spät ist. Wir müssen handeln, nicht mehr warten. Jetzt!


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