Foto: Constantin Timm

Svenja Gräfen: „Manchmal will man so unbedingt aneinander festhalten, dass man die Unmöglichkeit der Liebe einfach nicht sieht”

Svenja Gräfen hat mit gerade einmal Mitte 20 ihren ersten Roman geschrieben.Wir haben mit ihr über ihr Debüt gesprochen.

 

Der Nachwuchs kann sich sehen lassen  

Svenja Gräfen schreibt und bloggt im Internet (auch bei EDITION F) vor allem über politische Themen und Feminismus. Das ist ihre Form des Aktivismus. Am 7. April erscheint nun ihr erster Roman: „Das Rauschen in unseren Köpfen” – eine Erzählung über ein junges Paar, dass die Beziehung zueinander aus ganz unterschiedlichen Gründen eingeht, sich gemeinsam in der Liebe verliert und an der Vergangenheit scheitert. Svenja liebt das Spiel mit der Sprache, sie will Geschichten schreiben, in die man sich einfühlen kann. Das ist ihr mit „Das Rauschen in unseren Köpfen“ auf jeden Fall gelungen. Wir haben mit ihr über ihre beiden Protagonisten, die Grenzen der Liebe und die feministische Perspektive in ihrem Roman gesprochen. 

In deinem Debüt-Roman geht es um die Liebe zwischen Lene und Hendrik. Die beiden sind Anfang, Mitte 20 und verlieben sich ziemlich Hals über Kopf ineinander. Schnell verbringen sie jede freie Minute miteinander. Der Roman ist aus Lenes Sicht geschrieben. Gibt sie sich selbst für die Beziehung auf? 

„Sie stürzt sich auf jeden Fall kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste in die Beziehung hinein, ja. Es ist ja oft so, dass der Freund_innenkreis erstmal vernachlässigt wird, wenn ein Paar frisch zusammen und am liebsten nur zu zweit ist. Für Lene wird das zunehmend zum Verhängnis. Wo sie zuvor viel Zeit mit Freund_innen und Familie verbracht und ihr eigenes Ding gemacht hat, nehmen Hendrik und vor allem seine Vergangenheit immer mehr Raum ein, sowohl innerhalb ihrer Beziehung als auch generell in Lenes Leben. Sie kapselt sich von ihrer Umwelt ab und parallel dazu verändert sich Hendrik, die beiden werden immer abhängiger voneinander. Ab einem gewissen Punkt kann man sicher auch von Selbstaufgabe sprechen: Es ist dann so, als hätte sich Lene dazu verpflichtet, die Verantwortung für Hendrik zu übernehmen, ihn über Wasser zu halten, und da bleibt dann nicht mehr viel Energie für anderes übrig.” 

Was finden die beiden beieinander? 

„Hendrik findet bei Lene etwas, das man als Normalität bezeichnen könnte, und gewissermaßen eine bilderbuchartige, heile Welt. Ein so ‚geordnetes‘ Leben und die Stabilität, die für sie ganz selbstverständlich ist, kannte Hendrik bisher nicht. Für ihn ist Lene eine Rettung, er fühlt sich erst einmal sicher mit ihr. Und für Lene ist er die erste richtig große Liebe, deswegen stürzt sie sich auch so bedingungslos in die Beziehung. Sie hat durch und mit ihm so ein Gefühl des Angekommenseins, er komplettiert ihre Idee vom Leben und sie plant eine Zukunft mit ihm.” 

Irgendwann holt Hendriks Vergangenheit die Beiden ein. Wie unbelastet können Beziehungen in unserem Alter eigentlich noch sein? 

„Im Zweifelsfall überhaupt gar nicht! Selbst, wenn eine_r mit Mitte zwanzig die allererste feste Beziehung eingeht, hat er_sie ja trotzdem eine Vergangenheit und verschiedenste schöne und unschöne Dinge erlebt. Es sind  nicht nur die Liebes- oder Paarbeziehungen, egal ob harmonisch oder dysfunktional, die eine_n prägen, sondern auch Freund_innenschaften oder das familiäre Umfeld, dazu kommen eventuell noch Krankheiten, Schicksalsschläge, das ganze Programm. Und dann ist es natürlich noch sehr individuell, wie man mit alldem umgeht und was für Erwartungen man an Partner_innen  hat. Vielleicht lässt sich sagen, dass keine Beziehung komplett unvorbelastet sein kann, weil kaum ein Mensch das ist, bloß der Umgang damit ist eben total verschieden.” 

Hendrik leidet unter Angstzuständen und vielleicht sogar Depressionen. Ist „das Rauschen in unseren Köpfen” auch ein Roman darüber, wie es ist mit einer psychisch kranken Person zusammen zu sein? Über die Ohnmacht, wenn man begreift, dass die Liebe, die man gibt, nicht reicht, um den Menschen zu retten? 

„Es ist mir wirklich wichtig zu sagen, dass es kein Roman über Depressionen ist beziehungsweise sein soll – aber dein letzter Satz trifft es total gut: Ja, es geht um diese Ohnmacht und auch noch um den Moment zuvor – wenn man genau das nämlich noch nicht begreift oder begreifen will. Das gilt für beide Seiten: Sowohl Hendrik als auch Lene wollen so unbedingt aneinander festhalten, dass sie die Unmöglichkeit ihrer Liebe einfach nicht bemerken. Damit meine ich nicht, dass sie nicht zusammenpassen würden oder dass eine psychische Erkrankung einer Beziehung grundsätzlich im Weg steht, denn das tut sie natürlich nicht. Aber an den Punkten, an denen sich beide befinden, tun sie sich schlicht nicht gut. Sich das einzugestehen und auch zu begreifen, woran es liegt und wie tief es wurzelt, ist ein harter Prozess.” 

Bisher hast du auch viel über Feminismus geschrieben. In deinem ersten Roman ist die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen allerdings offenkundig gar kein Thema. Hast du bewusst darauf verzichtet oder findet man den Feminismus vielleicht gerade darin, dass in der Beziehung von Lene und Hendrik keine klassischen Geschlechterklischees thematisiert werden? Darin, dass es um eine Beziehung zwischen zwei Menschen geht, die eben zufällig Mann und Frau sind? 

„Ich finde es einerseits schwer, andererseits leicht, feministische Themen in belletristischen Texten zu verpacken. Schwer, weil ich in dem Fall nicht belehrend schreiben möchte, nicht sachbuchartig – da gibt es ja außerdem schon so viel großartige Literatur zu. Und leicht, weil ich gerade in solchen Texten super gern mit Klischees breche oder leider noch immer Ungewohntes als ganz selbstverständlich etabliere, zum Beispiel queere Figuren. Und ja, es ist tatsächlich Zufall, dass Hendrik und Lene Mann und Frau sind, oder anders gesagt: es spielt für die Geschichte keine Rolle, dass es sich um eine Hetero-Beziehung handelt. Sie könnten genauso gut ein queeres Paar sein. 

Davon ab beschäftige ich mich mit feministischen Inhalten ja auch nicht, weil ich es so furchtbar spaßig finde, sondern weil es für mich eine logische Konsequenz unserer Lebensrealität ist – auch deswegen, also um mich mal nicht primär damit zu beschäftigen, lag der Fokus beim Schreiben des Romans nicht im politischen, sondern im sprachlichen Bereich.” 

Ist es ein Roman über das Erwachsenwerden? 

„Jein. Einerseits ist es, finde ich, keine klassische Coming-of-age-Geschichte. Die beiden Hauptfiguren sind schon erwachsen, als sie sich kennenlernen ­– zumindest leben sie einigermaßen selbstständig, haben Jobs oder studieren. Die Episoden aus ihrer jeweiligen Kindheit und Jugend sind da, um nachvollziehen zu können, warum sie in der Gegenwart, also als junge Erwachsene, so agieren und denken, wie sie es tun. Andererseits machen beide eine Entwicklung durch, die auf negativen Erlebnissen beruht – was wiederum sehr classy Erwachsenwerden-mäßig ist: Lene erfährt zum ersten Mal etwas wirklich Schlimmes, Existenzielles. Die Beziehung mit Hendrik, so harmonisch sie auch beginnt, bedeutet für sie das Ende der Zeit, in der sie behütet in einer Blase lebte, in der nichts wirklich bedrohlich war. Und für Hendrik hoffe ich zumindest, dass er versteht, dass er sich Hilfe suchen muss und nicht einfach so weitermachen kann. Vielleicht bin ich als Autorin aber auch die Falsche, um die Frage zu beantworten.” (lacht) 

 

Am 10. April liest Svenja Gräfen im Grünen Salon in Berlin das erste Mal aus ihrem Debüt.  

Svenja Gräfen: „Das Rauschen in unseren Köpfen”, Ullstein Verlag, April 2017, 240 Seiten, 16,00 Euro.

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