Foto: Urban Zintel

Tijen Onaran: „Der Job kann morgen weg sein und was bleibt dann von mir?“

Wer erfolgreich sein will, muss sich selbst vermarkten, sagt die Unternehmerin Tijen Onaran. Im Interview erklärt sie, warum auch Pflegekräfte einen Markenkern brauchen.

Angenommen Sie haben zwei Programmierer*innen in Ihrem Bekanntenkreis. Beide sind gleich gut, aber eine der beiden taucht regelmäßig in Ihrem Social-Media-Feed auf, weil sie Artikel postet und kommentiert, während die andere Social Media nicht nutzt. An wen denken Sie wohl zuerst, wenn Sie mal eine Frage zum Programmieren habe? Die Unternehmerin Tijen Onaran erklärt in ihrem neuen Buch, warum Sichtbarkeit so wichtig ist. „Gerade introvertierten Menschen kann ein starker Markenkern helfen“, sagt sie im Interview, das zuerst bei unserer Kooperationspartnerin Zeit Online erschienen ist.

„Im Grunde werden wir ja alle von unseren Kollegen und Chefinnen gesehen. Doch die sehen in uns vielleicht jemanden, der wir gar nicht sein wollen. Ich musste diese Erfahrung früh machen. Ich war gerade 20 Jahre alt, noch mitten im Studium und habe mich bei der Landtagswahl von Baden-Württemberg 2006 als Kandidatin der FDP aufstellen lassen. Ich hatte mir noch nicht viele Gedanken darüber gemacht, wie und mit welchen Themen ich eigentlich wahrgenommen werden will. Also wurden sie mir von außen zugeschrieben und ich stand für Familie und Integration. Familie, weil ich eine Frau bin. Und Integration, weil meine Eltern aus der Türkei kommen. Dann stand ich da und hatte zwar zwei Themen, aber wenig Ahnung von Familienplanung und Islam. Dass ich meine Themen selbst bestimmen kann, musste ich erst lernen. Die eigene Sichtbarkeit selbst zu gestalten, hat für mich deshalb viel mit Unabhängigkeit zu tun.“

Wie findet man heraus, was die eigenen Themen sind?

„Erst mal sollte man sich selbst Fragen stellen und sie dann mit dem Umfeld abgleichen. Was interessiert mich? Was kann ich gut? Was sind meine Schwächen? So habe ich es letztlich auch gemacht. Ich habe in ganz verschiedenen Berufen gearbeitet, als Politikerin, in Verbänden und an einer privaten Hochschule. Das, was ich in diesen Berufen gut gemacht habe, war das Netzwerken. Ich würde sagen, dass ich empathisch bin und eine gute Menschenkenntnis habe. Dann habe ich meine Kolleginnen und Kollegen gefragt: Würdet ihr das bestätigen? Man gleicht die Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung ab und erhält so seinen Markenkern. Freunde und Familie sind dafür in der Regel zu voreingenommen“.

Markenkern und Personal Branding – diese zwei Begriffe, die Sie in Ihrem Buch immer wieder verwenden, klingen sehr berechnend und kapitalistisch. Muss man sich denn wirklich verkaufen, um sichtbar zu sein?

„Ich beobachte auch, dass der Begriff des Personal Brandings gerade in Deutschland sehr kritisch betrachtet wird. Das liegt sicherlich daran, dass es hier generell nicht so einen starken Personenkult gibt. Es geht nicht darum, sich zu verkaufen, sondern sich zu positionieren. Nur wenn andere verstehen, wofür ich stehe, werden sie mich kontaktieren oder mir einen Job anbieten. Und nur wenn ich selbst weiß, wofür ich stehe, kann ich auch gezielt auf Leute zugehen, die mich interessieren.“

Viele erfolgreiche Menschen, gerade im höheren Management, sind eher Generalisten. Muss man sich wirklich auf ein Thema festlegen?

„Man darf sein Umfeld nicht überfordern. Wenn ich heute leidenschaftlich über Klimawandel spreche, morgen über Bildung und am nächsten Tag über künstliche Intelligenz, kann sich mein Gegenüber kein klares Bild von mir machen. Janina Kugel, die bis vor Kurzem im Vorstand von Siemens war, ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es schaffen kann, Generalistin zu sein und trotzdem für ein Thema bekannt zu sein. Sie steht ganz eindeutig für Diversität und wird diese Inhalte in jedes neue Unternehmen oder jede neue Aufgabe mitbringen. Generalistin zu sein und sich einen Markenkern zu schaffen, schließt sich nicht aus. Der Job kann morgen weg sein, man sollte sich immer fragen: Was bleibt dann von mir?“

Verständlich, dass Politikerinnen oder Journalisten eine Marke brauchen, aber wieso sollten Krankenschwestern oder Lehrerinnen an ihrem Personal Branding arbeiten?

„Es ist egal, ob man als CEO in einem Konzern arbeitet oder als Pfleger in einem Krankenhaus. Denn auch im Krankenhaus will man vielleicht mal sein Gehalt verhandeln oder kommt an den Punkt, dass man sich umorientieren will. Entweder durch eine persönliche Krise oder eine globale, wie die jetzige Pandemie. Dann hilft es, sich mal die Fragen gestellt zu haben: Was kann ich wirklich richtig gut? Gibt es ein Thema, das mich auf meinem beruflichen Weg die ganze Zeit begleitet? Das kann bei einem Lehrer zum Beispiel die Digitalisierung sein. Noch besser ist es, wenn das Umfeld auch von diesen Interessen weiß. Denn nur dann schlägt man die Lehrerin mit dem Fokus auf Digitalisierung auch vor, wenn man von einer freien Stelle hört.“

Auf welchem Weg kann sich ein Krankenpfleger oder eine Lehrerin Sichtbarkeit verschaffen?

„Erst mal muss man sich fragen: Wen will ich überhaupt erreichen? Das kann bedeuten, dass ich das Gespräch mit einem Schulleiter persönlich suche. Will ich aber zum Beispiel Experten der Gesundheitsbranche auf mich aufmerksam machen, muss ich erst mal herausfinden, auf welchen Kanälen die unterwegs sind. Auf Twitter erreiche ich gut Journalisten und Pressesprecherinnen, auf Instagram Leute, die eine visuelle Sprache nutzen. Das müssen nicht nur Leute aus der Modebranche sein. Jüngst haben zum Beispiel auch viele Krankenpflegerinnen auf Instagram gepostet über ihre Arbeit. Das ist natürlich die höchste Form der inneren Unabhängigkeit, wenn man sich seinen Kanal selbst aussucht und damit viele Leute anspricht.“

Wo liegt der feine Unterschied zwischen selbstbestimmter Inszenierung und peinlicher Selfie-Show?

„Ich glaube, dass niemand, der sich diese Frage stellt, in der Gefahr steht, in die Peinlichkeit abzurutschen. Man sollte sich immer überlegen, welche Botschaft man transportieren will. Ich sage immer: Selfies sind in Ordnung, aber sie sollten einen Inhalt transportieren. Die Selfies der Krankenschwestern auf Instagram zum Beispiel haben ganz klar etwas über den Arbeitsplatz der Frauen erzählt. Schaut her, das ist ein harter Job.“

Oft sind Leute mit einer starken Onlinepräsenz sehr extrovertiert und polarisieren gern, wie zum Beispiel Donald Trump auf Twitter. Muss man eine Rampensau sein, um Erfolg zu haben?

„Ich würde sogar sagen, dass ein starker Markenkern gerade introvertierten Menschen helfen kann. Denn nur wer selbst genau weiß, wofür er steht, kann auch klar Nein zu anderen Anfragen oder Angeboten sagen. Je nach Typ kann man seine Kanäle und auch seine Form der Kommunikation wählen. Nicht alle müssen provozieren. Trotzdem muss man zugeben, dass Donald Trump auf Twitter sehr erfolgreich ist. Und ganz ohne Meinung geht es nicht. Man kann nicht einfach sagen ‚Digitalisierung ist gut‘, man muss schon sagen können, warum. Wer eine Meinung preisgibt, muss auch mit Kritik rechnen. Das muss man dann erst mal aushalten.“

Und wie macht man das?

„Erst mal sollte man sich mental darauf vorbereiten: Denn wenn man online aktiv ist, kommt der erste Shitstorm bestimmt. Ich habe für mich aber entschieden, auf diese oft irrationale Kritik in der Regel nicht einzugehen. Vor einiger Zeit habe ich in einem Twitter-Post Elon Musk kritisiert. Danach habe ich viele negative Kommentare von seinen Anhängern bekommen. Ich hatte aber den Eindruck, dazu inhaltlich schon alles gesagt zu haben, und habe dann nicht mehr reagiert.“

Gehen wir mal raus aus dem Internet. Wie hinterlässt man offline einen bleibenden Eindruck?

„Menschen wollen eine Geschichte hören. Das ist mir klar geworden, als ich mit einer internationalen Delegation zu Besuch in Amerika war. Als ich mich vorstellen sollte, habe ich gesagt, dass ich Gründerin eines Frauennetzwerks bin und ursprünglich aus der Politik komme. Das stimmt zwar, ist aber auch richtig langweilig. Natürlich erinnerte sich kein Mensch daran, was ich gesagt habe. Die anderen Frauen haben erzählt, wofür sie brennen und wofür sie kämpfen.“

Welche Geschichte erzählen Sie heute, wenn Sie sich vorstellen?

„Jetzt beginne ich meine Vorstellung damit zu sagen, dass ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, mehr Vielfalt in die Führungsetagen der Wirtschaft zu bringen. Weil ich fest daran glaube, dass ohne Diversität keine Digitalisierung möglich ist. Deswegen habe ich das Unternehmen Global Digital Women gegründet. Das klingt jetzt einfach, aber es hat lange gedauert, bis ich diese zwei Sätze gefunden habe. Je komplizierter die Aufgabe oder Position, desto schwieriger ist es, eine einfache Geschichte darüber zu erzählen.“

Auch mit der eigenen Kleidung kann man eine Geschichte erzählen. Manche übernehmen die Marke ihres Unternehmens gar im eigenen Outfit, so wie die ehemalige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, Sigrid Nikutta, die oft ein Halstuch in BVG-Farben trug. Ist das nötig?

„Ich finde das großartig. Grundsätzlich herrscht in Deutschland so eine triste Grau-Schwarz-Uniform, dominiert von den Anzügen der Männer. Auch ich trug lange Zeit zu professionellen Anlässen am liebsten Schwarz. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich in bunter Kleidung sehr viel wohler fühle, und bin der Überzeugung, dass man auch Sneakers tragen kann, wenn man das mag. Genauso gilt: Wenn Frauen High Heels tragen, schrumpft ihnen nicht das Gehirn. Dass diese Vielfalt noch nicht bei allen angekommen ist, musste ich vor einigen Wochen erfahren. Ich hatte auf einer digitalen Veranstaltung, dem Deutschen Wirtschaftsforum, über Diversität gesprochen. Als ich das Video meines Auftritts später postete, kommentierte jemand, dass es nicht angebracht sei, sich ‚im Business-Kontext das Gesicht bunt anzumalen‘. Gemeint war mein roter Lippenstift. Da war es mir wichtig zu reagieren, ich habe einen öffentlichen Eintrag auf LinkedIn dazu verfasst. Die Freiheit, sich so zu kleiden, wie man will, bedeutet Diversität. Unglaublich, dass manche Leute das nicht aushalten können. Da habe ich also eine Ausnahme gemacht und doch mal auf Kritik reagiert.“

Zur Person:
Tijen Onaran, 35 Jahre alt, ist Gründerin des Unternehmens Global Digital Women. Am 17. August 2020 erschien ihr zweites Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt: Werde deine eigene Marke und hol dir den Erfolg, den du verdienst“ im Goldmann Verlag. 

Der Originaltext von Luisa Jacobs ist bei unserer Kooperationspartnerin Zeit Online erschienen. Hier könnt ihr Zeit Online auf Facebook folgen.

  1. Puh, das liest sich mit gänsehaut aber nicht im positiven sinne. Auch nicht neu, solche ergüsse haben auch schon all die weißen männer von sich gegeben, von denen frau sich doch angeblich abgrenzen möchte. Wieder das immer gleiche, dass man sich nur anstrengen und vermarkten, inszenieren muss und alle können unternehmerIn sein. Als ob es das non plus ultra sei, als ob es der welt daran fehlt.

    Was ist mit menschen, die aus sehr guten gründen keine social media präsenz haben? Sollen diese dann den kürzeren ziehen, nicht mehr partizipieren? Sollen wir wirklich unser sein durchkonzipieren, danach ausrichten, was gerade trend ist, und uns in kategorien stecken und ja zu einem kapitalistischen vermarktungsobjekt machen (letzteres sind wir wohl schon lange)?! Bekomme ich meinen nächsten job also nur, wenn ich ein durchdesigntes social medium beackere und dreimal täglich darüber nachdenke, was ich sagen, fühlen, mitteilen sollte um geliket zu werden und als dies und jenes angestellt zu werden? Wie wäre es mit echten fähigkeiten? Klingt nach einem alptraum. Werden wir jetzt alle ein donald trump?
    Und dieser personenkult ist doch wirklich fragwürdig: hitler, jesus, mussolini, madonna, hollywood&co, hare krishna, stalin, marx usw.. personenkult – eine weitere droge fürs volk.

    1. okay. Sie hat ja recht: Sichtbarkeit und wissen wofür man steht/stehen will, ist wichtig. Und ja dabei kann die online präsenz helfen. Allerdings provoziert das Manager-Vokabular natürlich solche Kommentare wie der meines vorredners. und gerade das Krankenschwester-Beispiel zeigt die Grenzen dieses selbstvermarktungsansatzes. Wann verhandeln pflegekräfte schon mal über ihr gehalt? welche ihrer Tätigkeiten kann als besondere herausgehoben werden? welche Schwester sucht braucht Kontakt zu Experten der Gesundheitsbranche? und viele Arbeitgeber werden sich verbitten dass ihr angestellter über den Job öffentlich postet! Das kann schnell Abmahnung geben…
      Aber ok. Sichtbarkeit ist wichtig.

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