Wir streben danach, die perfekte Mutter zu sein. Aber, warum eigentlich? Wir lernen doch jeden Tag etwas neues dazu.
Übung macht den Meister
Es gibt diese Aha-Momente im Leben, die man nicht vergisst. Vor sechs Jahren zum Beispiel, als ich mit meiner neugeborenen Tochter verschiedene Stillpositionen ausprobierte und nichts richtig funktionieren wollte – vor allem nicht schmerzfrei. Ich kam mir ungelenk vor, vor meinem inneren Auge die Mütter, die eben mal schnell die Brust rausholen, während sie im Restaurant essen oder einem Elternabend beiwohnen. Ich fragte meine Hebamme: „Wann wird man beim Stillen eigentlich so routiniert und nonchalant?“ Sie erwiderte trocken: „Beim vierten Kind.“
Oder diesen anderen Moment, letztes Jahr in Kyoto. Ich kniete auf einer Tatami in einem Haus mit Reispapierwänden. Vor mir wurde eine traditionelle Teezeremonie durchgeführt. Die millimetergenauen Handgriffe der Gastgeberin waren faszinierend. Später fragte ich sie, wie lange sie dafür geübt hat, was sie uns da vorgeführt hatte (ich sage nicht: so routiniert und nonchalant). Sie antwortete fröhlich, dass es vielleicht ein sehr japanischer Gedanke sei, aber sie lerne das ein Leben lang: „Bis man eine Teezeremonie durchführen kann, studiert man fünf Jahre.“ Aber sie empfinde es nicht so, als sei sie damit fertig. Ihre eigene Lehrerin sei jetzt siebzig und befinde sich immer noch auf dem Weg.
Wutanfälle und ein Wackelzahn
Als ich aus Japan zurückkam, brach bei meiner Tochter das Chaos aus. Inzwischen war sie fünf Jahre alt. Wutanfälle, bei denen sie heulend und schreiend auf dem Boden liegt, schienen an der Tagesordnung. Sie war
kratzbürstig und übermütig, wütend und unausgeglichen. Ich fragte mich, was ich falsch mache. Ich fragte meine Schwester, was ich falsch mache. Ich fragte andere Mütter, was ich falsch mache. Eines Vormittags kam meine Tochter aus dem Kindergarten und präsentierte mir ihren ersten Wackelzahn. Aha. Das war es also, was sie und ihren kleinen Körper gerade so geplagt hatte.
Ich habe damals gelernt: Die Übergänge sind für sie nicht leicht zu verkraften (klar, wie für uns alle). Diese Phase hätten wir also überstanden. Beim zweiten Zahn werde ich routiniert und nonchalant reagieren. Nur: Das nächste Chaos kommt bestimmt. Wäre es nicht schön, wenn wir uns klarmachen, dass nicht nur die Kinder eine Phase durchmachen, sondern wir mit ihnen? Also,
nicht nur: „Ach, die zahnt nur.“, sondern auch über uns selbst: „Ach, die ist
nur unsicher. Das geht vorbei.“
Was, wenn ich mal nicht versuche, das Problem zu lösen?
Was, wenn ich die Dinge, die mir passieren, mit einem „japanischen“ Blick betrachte? Was, wenn ich mitten im nächsten Alltagschaos mal nicht versuche, das Problem zu lösen, mich selbst als Mutter zu optimieren, die richtigen Dinge zu tun, damit meine Kinder glücklich werden? Was, wenn ich das Muttersein studiere? Wenn ich mich auf dem Weg befinde?
Leo Babauta von ZEN HABITS hat einen wundervollen Leitsatz: ”Replace opinions with curiosity.” Könnte ich das nächste Mal nicht einfach nicht nach dem besten Erziehungsrat suchen, sondern mich selbst beim Lernen beobachten? Keine Frage, das ist nicht einfach. Wenn ich erst lerne, in einer Situation angemessen zu reagieren, wo finde ich dann die Sicherheit, die ich ausstrahlen muss, um meinen Kinder eine gute Anführerin zu sein? Ganz bestimmt gehört eine große Portion Gelassenheit dazu, ein Wird-schon-werden, nicht so viel Angst.
Im Zen ist der DÔ, der Weg, das Wichtige, das, was man tut, um eine Kunst zu erlernen. Moment mal, ich bin ja schon Mutter! Allerdings hat mich die biologische Tatsache, dass ich in einer Februarnacht vor sechs Jahren den Kreißsaal mit einem gesunden Mädchen im Arm verlassen habe, keineswegs zum Experten gemacht. Aber routiniert und nonchalant, das gibt es wohl nur auf Instagram. Ein viel schöneres Ziel ist es doch, eine fröhliche Gastgeberin zu werden, die Wissen weitergibt und dabei selbst noch lernt.
Muttersein als Kunst
Mutter zu sein als Kunst, ist das nicht ein schöner Gedanke? Einige Dinge habe ich mir schon angeeignet. Ich kann nämlich sehr gut für meine Kinder da sein, wenn sie krank sind. Ich bin gut im Fragen beantworten. Ich habe ein trainiertes Herz und kann mit Liebe entscheiden. Wundervolle Kunstfertigkeiten, die mich auf meinem Weg weiterbringen.
Meine Tochter kommt im Herbst in die Schule – der nächste Übergang, der schon auf uns wartet. Sicher auch das nächste Chaos. Und ich? Ich studiere jetzt, die Kunst des gelassenen Mutterseins. Einen Abschluss werde ich wohl nie erhalten. Aber das macht nichts. Alles ist auf dem Weg. Ich bin Mutter. Und ich lerne gerade, Mutter zu sein.
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