Foto: Ich seh Ich seh | Promo

Ein österreichisches Spielfilmdebüt:„Täter und Opfer stecken in jedem von uns“

Die beiden österreichischen Regisseure Veronika Franz und Severin Fiala haben mit „Ich seh Ich seh“ ihr Spielfilmdebüt herausgebracht. Ein Film, der mit Urängsten spielt, das herrschende Mutterbild in Frage stellt und die Frage nach Opfer und Täter offen lässt.

 

„Du bist nicht unsere Mami!“

Wenn zwei Kinder auf einmal ihre Mutter nicht mehr erkennen und das was wahr und klar schien, auf einmal immer diffuser wird, dann
entstehen Ängste, die ganz tief innen wirken. Das österreichische
Regisseur-Duo Veronika Franz und Serverin haben mit „Ich seh Ich seh“ (englischer
Titel: „Goodnight Mommy“) einen auch international viel besprochenes Spielfilmdebüt herausgebracht, das sich irgendwo zwischen Horror- und Thriller
einpendelt, und den Zuschauer erstmal sprachlos zurücklässt.

Kein Wunder, dass sich nun
auch Hollywood für das Schaffen der beiden interessiert. Wir haben mit ihnen
über Urängste gesprochen, warum das herrschende Mutterbild dringend neu gedacht
werden sollte und auch über die ganz eigene Art der Österreicher, miteinander
zu kommunizieren.

Ich las über „Ich seh Ich seh“ als Horrorfilm. Nachdem ich
ihn selbst gesehen habe, würde ich ihn dort nicht mehr unbedingt einordnen.
Vielleicht könnte man ihn als sehr ästhetischen Psychothriller beschreiben?

„Wir denken nicht in strengen Genre-Schubladen. Wir wollten einfach
einen Film machen, den wir selber gern im Kino sehen wollten. Deshalb
liegt er wohl zwischen Arthaus-Film, Psychothriller und Horror. Wir selbst
lieben den Horrorfilm, obwohl er in manchen Kreisen immer noch unter schlechtem
Ruf leidet: Wir aber finden, dass gutes Horrorkino wie kaum ein anderes an
Tabus rüttelt und sich mit existenziellen Themen auseinandersetzt – ohne dabei
die Spannung aus den Augen zu verlieren. Ein Journalist hat „Ich seh Ich seh“
übrigens einmal als Psychoterrorkammerspiel bezeichnet. Das gefällt uns!“

Veronika Franz und Severin Fiala

Wann war Ihnen klar, dass Sie mit
einem solchen Thema debütieren wollen?

„Der Film ist unser Spielfilmdebüt, davor haben wir aber schon
gemeinsam einen Dokumentarfilm gemacht, über den Schauspieler und Regisseur
Peter Kern. Während der Dreharbeiten zu dieser Doku hatten wir bereits die Idee
zu ‚Ich seh Ich seh’ und haben zu schreiben begonnen. Es gab also keine
strategische Entscheidung wie ‚Dieser Film soll unser Debüt werden’. Am Anfang
stand einfach eine Idee zu einer Geschichte, die uns interessiert hat.
Inspirationsquelle war dabei die deutsche Dokusoap ‚Extrem Schön’, in der sich
Frauen durchoperieren lassen und am Ende von ihren Familien kaum erkannt
werden. Von diesem Startpunkt aus haben wir eine Geschichte entwickelt und mit
ihr gespielt. Überhaupt ist uns der spielerische Aspekt bei der Arbeit ein sehr
wichtiger.“

Woher kommt eigentlich die Faszination am Schaurigen beziehungsweise an
Themen, die einen innerlich angreifen?

Franz/Fiala: „Das ist schwer zu beantworten. Wir mögen es einfach, uns
mit Ängsten, auch Urängsten und existentiellen Fragen zu konfrontieren, vielleicht
um so das Leben und uns selbst besser verstehen zu lernen.“

Eine Mutter kommt von einer Operation nach Hause und ihre
beiden Kinder erkennen sie nicht. Der Horror, der in dem Film herrscht, entsteht
gewissermaßen aus Grundängsten, aus etwas, dass für jeden real werden
könnte. Macht das den eigentlichen Grusel des Filmes aus?

„Was wir wollten, war, dass der Grusel in der Realität
wurzelt, in einer Form des Alltags und der Familie, wie man sie kennt oder zu
kennen glaubt.“

Der Film findet auch international viel Beachtung. Ist es
diese Urangst, die ihn quasi global verständlich macht?

„Vielleicht. Wir waren selber überrascht über den großen
Erfolg. In zwei Wochen kommt der Film ja sogar in den USA heraus, der Verleiher
heißt Harvey Weinstein und gilt als einer der besten Vertriebe in den USA.
Sowas ist natürlich auch ein Glücksfall und kann nicht geplant werden. In den
USA hat man jetzt einen Trailer für den Film gemacht, der bereits über
fünfeinhalb Millionen Aufrufe hatte. Das staunt man natürlich als Österreicher,
die sich schon über 150 Klicks freuen.“

„Als Österreicher, kann man sich eigentlich schon über 150 Klicks freuen“

Es ist schwer, eine finale Entscheidung über den „wahren
Täter“ und das „wahre Opfer“ zu fällen. Absicht?

„Ja, das freut uns, wenn Sie das so sehen. Jeder soll als
der, der er ist, seinen eigenen Film sehen können. Und Täter und Opfer stecken
ohnehin beide jederzeit in jedem von uns.“

Oft möchte man der Mutter entgegen schreien: Sprich doch
endlich mit deinen Kindern. Ist das am Ende das eigentliche Problem?

„Ja, es geht in unserem Film auch um fehlende Kommunikation.
Ein Thema, das sich ja durch viele österreichische Filme zieht. Es dürfte sich
dabei tatsächlich um etwas speziell Österreichisches handeln. Zumindest sind
wir international oft darauf angesprochen worden. Österreicher tun alles, um
Dinge nicht direkt aussprechen zu müssen. Viel lieber ist es ihnen oft ‚hintenherum’ durch die Blume etwas zu sagen. Sie setzen eine freundliche Miene auf, sagten etwas
Höfliches … was wirklich dahinter steckt, weiß niemand. Bei dieser Art zu
kommunizieren bleibt die Wahrheit halt oft im Verborgenen.“

Spielt der Film auch mit der Vorstellung, wie eine Mutter zu
sein haben soll? Wollten Sie das gängige Mutterbild in
Frage stellen?

„Die Mutter ist groteskerweise so etwas wie ein Tabu. In
vielerlei Hinsicht. Einerseits muss man Muttersein einfach können. Man ist als
Mutter angehalten zu jedem Zeitpunkt zu wissen, wo es lang gehen soll mit der
Erziehung und den Kindern. Aber in Wahrheit weiß man das nicht immer. In
Wahrheit hat man oft nicht die Zügel in der Hand. Oft fühlt man sich von der
Last der Familie geradezu erdrückt, erschlagen und ans Bett gefesselt. Andererseits
kann es auch sein, dass man Mutter wird und mit seinen Kindern nichts anfangen
kann, sie nicht versteht, so wie man das vielleicht ursprünglich erwartet hat.
Oder aber die Kinder mögen ihre Eltern nicht. Auch das ist ja möglich. Es gibt
da noch vieles, worüber man sprechen muss und in unserer Gesellschaft nicht
sprechen darf. Von der Erziehung, dem Bild von Familie und seinem Klischee.“

„Die Mutter ist in vielerlei Hinsicht so etwas wie ein Tabu.“

Spielen in diese Thematik auch die im Film viel verwendeten Masken mit hinein?
Geht es um die Maske, die wir uns selbst manchmal für die Gesellschaft
aufsetzen?

„Die Maske ist ein Symbol, das wir sehr passend finden. Man
verbirgt sich dahinter und enthüllt gleichzeitig etwas, was man sonst verbergen
würde. In unserem Film geht es auch um Oberflächen und was sich darunter oder
dahinter verbirgt: die Abgründe.“

Die Gewaltszenen sind teilweise sehr drastisch. Wie sind die
Kinder damit beim Dreh umgegangen? Fiel ihnen das leicht, weil eine Art Spiel
oder ist das etwas, worüber vorher und hinterher viel geredet werden muss?

„Einen Film herzustellen ist eine ganz anderer Prozess als
den fertigen Film anzuschauen. Das Herstellen ist oft sehr technisch, eher
lächerlich und wenig gruselig. Da besteht die Herausforderung eher darin,
Darstellern die entsprechenden Emotionen zu entlocken. Aber ja, wenn man mit
Kindern dreht, kann man das unserer Meinung nach nur spielerisch tun, wenn man
will, dass sie gut und echt agieren vor der Kamera. Sie müssen ja auch viele
Wochen durchhalten und das geht nur, wenn sie Spaß haben. Insofern haben wir
viel Spaß gehabt und viel gespielt.“

Ein anderes Thema: Derzeit wird immer wieder davon
gesprochen, dass der deutsche Genrefilm nicht mit dem österreichischem
mithalten kann. Wie sehen Sie das? Warum fallen gerade so viele spannende
österreichische Filmer auf? Sind die Österreicher einfach mutiger als die Deutschen?

„Das glauben wir nicht. Wir haben das wohl eher dem System
der österreichischen Filmförderung zu verdanken, das anders als in Deutschland
nicht nur nach kommerziellen Gesichtspunkten Filme fördert, sondern auch
Risiken eingeht, an Autoren und spezielle Visionen vom Kino glaubt. Man wird
aufgefordert mutig zu sein und nicht dafür verdammt.“

Alle Artikelbilder: Veronika Franz / Serverin Fiala / Ich seh Ich seh

Mehr bei EDITION F

Wenn Mütter ihre Kinder umbringen. Weiterlesen

Janna Nandzik, die Frau, die das Fernsehen verändern will. Weiterlesen

Die Bedürfnisse einer alleinerziehenden Mutter. Weiterlesen

Anzeige