Als dicke Frau soll man sich wahlweise für sein Aussehen schämen oder aber als Fetischobjekt herhalten? Schluss mit dem Bullshit.
„Zieh den Bauch ein!“
Meine erste Body-Shaming-Erfahrung machte ich mit ungefähr sechs. An der Hand meines Papas, der mir diesen Satz hektisch zuflüsterte wie ein dunkles Geheimnis. So schnell, dass es niemand mitbekam. Von da an hörte ich diesen Schwur jedes Mal, wenn wir ein Café, Restaurant oder sowas betraten. Und ich tat es. Ich verstand es. Ich war nicht OK. Nicht gut, nicht dünn genug. Einfach. Nicht. OK.
Ich war niemals in meinem Leben schlank. Und von Anfang an mit dem Stempel „Mängelexemplar“ auf der Stirn gekennzeichnet zum Abschuss freigegeben. Mitleidige Blicke, Rohkost, Diätlimo. Und je mehr alle an dir rumzerren, umso mehr futterst du. Auf einmal glaubst du dem düsteren Gefühl tief in dir. Es kriecht in dir hoch und flüstert: Nicht genug. Schade. Wird wohl nix mit dir. Leider verloren. Dann schau mal den anderen beim Glücklichsein zu.
Dicke Frauen sind nicht sexy, aber lustig?
Als Teenager fett zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Alle deine Freundinnen gehen zum Tanzkurz, knutschen mit Jungs … und du stehst wie das Michelinmännchen unter den Aschenputteln allein in der Ecke. Achso, und: Sportlehrer, die einen vor versammelter Mannschaft Bodenturnen vormachen lassen, sind keine große Hilfe. Danke dafür nochmal. Arschloch.
Gegen die schier endlos scheinende Warteschleife der vereinsamten Pubertät hilft auch als Dicke nur eins: Erwachsenwerden. Weniger (offensives) Mobbing, mehr Respekt. Sofern man Sprüche von Arbeitskollegen wie „Du bist ja nicht sexy, aber wenigstens bist du lustig!“ oder Facebook-Verlinkungen auf Memes wie „Deine Lippen glänzen so schön. Ist das Lipgloss?“ – „Nein, Chipsfett.“, respektvoll findet. Begleitet von mitleidigen Blicken, die neue stylische Outfits mit einem wortlosen „Ach guck mal, sie versucht, eine echte Frau zu sein … Sweet.“ belegen.
Dieser erbitterte Kampf um das Selbstwertgefühl
Wer wie ich mit einer hochsensiblen Seele ausgestattet durch diese ignorante Welt läuft, braucht ein dickes Fell. Das habe ich – körperlich wie emotional. Oder sagen wir, ich kann es faken. Maximal unbeeindruckt, zumindest nach außen. Man wird taub. Innerlich in tausend Teile zersprungen. Jedes Mal auf’s Neue. Nach 30 Jahren ist an der Stelle des Herzens, in die solche Äußerungen einschlagen, nur noch Narbengewebe. Da blutet nix mehr. Ab und zu sticht’s. Macht traurig. Sauer. Und vor allem eins: Müde. Der erbitterte innere Kampf um den eigenen Selbstwert kostet Kraft. Die zerstörerische Stimme im Kopf wird lauter und eindringlicher. Schön sein? Gerade eher nicht.
Was mich angeht, bin ich mit der in Stein meiner verkorksten Seele gemeißelten Gewissheit durchs Leben gegangen, ich sei „fett und hässlich“. Unvermittelbar. Das ewige Überbleibsel. Mich sexy, geschweige denn schön zu finden schien mir lange Zeit geradezu lachhaft unmöglich. Ein Mitleidsflirt, vielleicht. Wenn mich ein toller Mann anschaute, war der einzige Gedanke, den ich zuzulassen imstande war, „der lacht mich aus“. Harte Zeiten.
Ich will um Himmels Willen nicht jammern. Jeder hat seine Scheiße zu schleppen. Ich könnte ja auch einfach Points zählen, Nulldiät machen oder mir einen Bandwurm einsetzen lassen. „Selber schuld.“ Oder auch nicht.
Fette Frauen turnen dich an? Lass mich mit deinem Fetisch in Ruhe!
Unter einem Dickenwitz im Internet las ich vor ein paar Tagen den Kommentar: „Wenn sie es nicht aushält, ausgelacht zu werden, muss sie eben abnehmen.“ Am Arsch! Abnehmen is real. Darum geht’s bloß gar nicht. Es geht um Selbstbestimmung. Akzeptanz. Um mein Recht, eine schöne Frau zu sein – und so gesehen zu werden. No matter what. ICH muss mich also als Plus-Size-Frau ändern, weil ein Teil meiner Mitmenschen meint, sich in widerlichster Art über alles lustig machen zu müssen, das nicht der Norm entspricht?
Dass uns Dicke niemand sexy findet, ist Bullshit. Aber wo hört respektvoller Umgang mit allen Farben und Formen des menschlichen Daseins auf und wird zu Fetisch-Fantasien? „Schön weich, wie ein Wasserbett.“ Das hat mal ein One-Night-Stand zu mir gesagt. Irgendwie niedlich. Trottelig süß. Nicht so niedlich war der, der mir beim Fummeln schon nicht aufhören konnte zu erzählen, wie viel mehr ihn „fette Frauen“ anturnten und wie wild er darauf sei, meinen Speck schwabbeln zu sehen beim Sex. Wieder ein anderer sagte, ich hätte in meinem Online-Profil ja wohl „eindeutig gelogen, was mein Gewicht angeht“ – dem war ich nicht „Rubensfrau“ genug.
Geschlafen habe ich mit allen dreien. Geil ist anders, nur so nebenbei. Ich will keinen Sex und erst recht keine Liebe von einem Mann, der mich einzig meiner Fettheit wegen anziehend findet. Ehrlich gesagt will ich so einen genauso wenig wie einen, der mir permanent sagt, ich könne ja schon ein bisschen abspecken. Ich bin eine Frau. Haargenau die, die ich bin. End of story.
„Ich liebe meine Maßlosigkeit!“
Mir geht es nicht um „echte Frauen haben Kurven“ oder „the bigger the better“. Solche Aussagen sind Body-Shaming auf links gedreht. Ich will nur eins: akzeptiert, respektiert und in Ruhe gelassen werden mit bewusst verletzenden Äußerungen, die Männern das Ego polieren, die sich insgeheim unwohl mit sich selbst fühlen. Ich bin nicht eure Witzfigur! Ich nicht – und niemand anders. Klar, Schwache mit kleinem Selbstbewusstsein lachen immer. Über alles, was ansatzweise von der Norm abweicht. Und Body-Shaming macht anscheinend besonders viel Spaß. Denn Fette sind so maßlos! So undiszipliniert. Schwach.
Und wisst ihr was? Ja! Ich liebe meine Maßlosigkeit! Maßlos emotional, maßlos weiblich, maßlos hemmungslos. All das und alles drum herum macht mein Leben so unendlich intensiv. Und lässt mich beinahe Mitleid empfinden für diejenigen schmalspurigen Seelen, die über Frauen wie mich lachen. Sucht euch was, das euch ehrlich glücklich macht. Anderer Leute Lichter auszupusten, um das eigene heller leuchten zu lassen, wird niemals eine Alternative sein.
Es wird immer Dinge geben, die uns anziehen. Und Dinge, die uns abstoßen. Viele Männer schließen Sex, geschweige denn Liebe mit einer dicken Frau kategorisch aus. Kein Problem, gerne! Ich steh auch auf einen bestimmten Typ Mann. (Hatte den besten Sex meines Lebens aber mit einem, der diesem Muster null entsprach. So nebenbei.)
Ich bin schön und ich bin sexy
Viel hat sich mit den Jahren geändert. Mein Selbstbild ist liebevoller geworden und doch gibt es sie – die Tage, an denen ich mich fühle, als sei ich nichts wert. Keine Lust, keine Liebe. Nichts. Und nichts wert. Ein großer Klopps Emotionen mit Lippenstift und High Heels.
Heute weiß ich, das sind Sekunden. Momente. Gefühle. Erinnerungen. Die nichts zu tun haben mit der Realität. Löcher, in die ich falle. Und aus denen ich rausklettere. Immer wieder. Bis heute. Ich will mich begehrenswert und schön fühlen dürfen. Sexy und attraktiv. Ohne dumm grinsende Kerle und verwickelte Bübchen, die im Club „Ich schubse meinen Kumpel betrunken gegen dicke Frauen“ spielen. Ich verlange Mütter und Väter, die ihren Kindern Vorbild sind. Wie der Ehemann des amerikanischen Plus-Size-Models Tess Holliday, der vor ein paar Monaten das hier getwittert hat:
„I don’t love my wife because she’s fat. I don’t love her though she’s fat either. I just love her.“
Was mich angeht: Ich bin schön. Ich bin sexy. Und es gibt sie noch, die echten Männer. Die das in mir sehen, was ich bin. Und noch nie gesagt haben, ich fühle mich an wie ein Wasserbett. Vorlieben zu haben ist was Wunderbares. Ob sexuelle oder zwischenmenschliche. Jeder Mann und auch jede Frau darf sagen, nein danke. Aber respektlos und verachtend zu werden, könnt ihr euch schenken. If you don’t like my peaches, then don’t shake my tree. Aber tut mir den Gefallen und haltet einfach eure bösartige Fresse. Kauft euch einen Boxsack, aber lasst die Leute in Ruhe, die anders sind als ihr. Weitergehen, weitergehen – hier gibt’s nichts zu sehen. Außer einer dicken sexy Frau mit großen Brüsten. Viel Liebe. Und tonnenweise Lippenstift im Gepäck.
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