Warum fühlen sich viele Frauen mit einem Lebenspartner noch immer wertvoller als ohne? Damit sollte endlich Schluss sein: ein Plädoyer dafür, uns Frauen endlich zum Zentrum unseres eigenen Lebens zu machen.
„Viele Frauen glauben, sie seien emanzipiert“
Warum sind wir Frauen immer noch so versessen auf’s Heiraten? Vielleicht, weil wir an Weihnachten zu oft „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ gesehen haben?
Nüchtern betrachtet, war die Hochzeit der verwaisten Tochter mit dem Prinzen mit Sicherheit zumindest wirtschaftlich ein echter Aufschwung: Sie erhebt sich vom Linsen-Auslesen im Schmutz der Bauernküche direkt auf den Thron.
Aber dieser Aspekt rührt die Generationen von Frauen vor dem Fernseher nicht an. Sie träumen von dem schönen Kleid und der ewigen Liebe, sie wollen Prinzessin eines Prinzen sein. Viele junge Frauen halten sich für emanzipiert, glauben, sie hätten sich aus unserem Schattendasein gelöst und ihren Platz neben dem Mann eingenommen.
Ich sehe das anders. Wir streben noch immer nach dem Platz an der Seite eines Mannes, aber nicht auf ebenbürtige Art und Weise. Während meines Studiums arbeitete ich in einem Brautmodengeschäft, verkaufte dort Samstag für Samstag weiße und cremefarbene Kleider, mit und ohne Spitze. Für alle diese Frauen war ihre Hochzeit der Tag der Tage, DAS große Ereignis. Sie alle schienen diesen Tag als persönlichen Erfolg zu feiern. „Seht alle her, ich bin die Auserwählte! Ich habe einen heiratswilligen Mann ergattert!“
Wehe, man schafft es nicht rechtzeitig unter die Haube!
Nicht wenige von ihnen hatten das Objekt der Begierde über Monate und Jahre unermüdlich bearbeitet, um eines Tages den obligatorischen Kniefall zu erleben und den mit Diamanten besetzten Verlobungsring über den Finger zu streifen. Und, so der ganze Welt zu demonstrieren, dass dieser wichtige Punkt der weiblichen To-Do-Liste damit abgehakt ist.
Die ledige ältere Schwester wird zu dieser Gelegenheit übrigens an den Katzentisch verbannt – in der Hoffnung, dass sich hier vielleicht noch irgendein entfernter Freund der Familie erbarmt. Denn während George Clooney auch jenseits der 50 noch als begehrter Junggeselle galt, sucht man sein weibliches Pendant vergebens. Frauen, die es nicht rechtzeitig unter die Haube schaffen, haftet immer noch ein Stigma des Mangels an. Die weiblichen Gäste auf Ü35-Parties werde als „Restebuffet“ betitelt – abscheulich!
Warum definieren sich Frauen über ihre Beziehung?
Warum das so ist? Für mich ganz klar: Weil Frauen dazu erzogen wurden und werden, sich in großen Teilen über ihre Beziehung zu definieren. Ich wollte selbst nicht glaube, wie fest wir noch in unseren tradierten Rollenbildern verhaftet sind. Einen festen Lebenspartner finden und Kinder bekommen – für viele Frauen ist das immer noch das erklärte Lebensziel Nummer Eins. Wer jenseits dieser Norm lebt, muss mit der stetigen Aufforderung nach Rechtfertigung rechnen: „Wann werde ich denn Oma?“„Und du hast wirklich nie geheiratet?!“. Es sind unsere Mütter, unsere ehemaligen Klassenkameradinnen und Arbeitskolleginnen, die uns diese Fragen stellen.
Wir Frauen können aber doch heutzutage alles sein? Ja, das ist wahr, aber es ist unter ihresgleichen nicht geachtet. Nicht in dem Maße, wie es für Frauen als akzeptiertes Ziel gilt, verheiratet zu sein. Heute sollen wir nebenbei auch noch Karriere machen. Aber die Vorstandsvorsitzende ohne Kinder ist weniger wert als die mit Drillingen und Nanny zuhause. Denn wir definieren unseren Selbstwert immer noch über den Mann neben uns und das Kind im Buggy.
Außen Emanze, innen Prinzessin
Wir sind noch nicht ansatzweise hineingewachsen in die Infrastruktur, die uns die Emanzipationsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte in die Welt gestellt hat. Noch sind wir wandelnde Hüllen – außen Emanze, innen Prinzessin. Ab dreißig fallen wir zurück in unser altes, gelerntes Schema und die meisten summa cum laude-Abschlüsse hängen neben dem Wickeltisch achtlos an der Wand.
Wo der Mann schon seit der Erfindung von Werkzeug und Pflug eigene Werke schuf, ihnen mit Stolz beim Wachsen zusah und darin seine schöpferische Identität entdeckte, hat die Frau so viele Generationen Nachholbedarf, dass es ein Witz wäre, zu behaupten, die Emanzipation sei in dem Augenblick abgeschlossen, in dem wir ungehinderten Zugang zu Aufsichtsrat-Posten und Chef-Etage haben. Was fehlt, ist die innere Haltung.
Was ist mit der Freiheit unseres Geistes?
Gestern Abend im Bett las ich Virgina Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“. Im letzten Drittel des Buches beschreibt sie den Kern, der Geist und Schreibstil eines Mannes ausmache: Er „verriet so viel Freiheit des Geistes, soviel Freizügigkeit der Person, soviel Selbstvertrauen. Man hatte ein Gefühl physischen Wohlbefindens in der Gegenwart dieses wohlgenährten, wohlerzogenen, freien Geistes, dem niemals etwas in die Quere gekommen, dem niemals widersprochen worden war, sondern der von Geburt an die Freiheit gehabt hatte, sich zu strecken, wie immer er wollte.“
Die Freiheit sich zu strecken, wie immer er wollte… Dieses Strecken war ein Strecken nach Zielen, die ihn begeisterten, nach seinen Leidenschaften. Und ich glaube nicht, dass damit in erster Linie die Frauen gemeint sind.
Ich erinnere mich an den Bechdel-Test, der unter anderem untersucht, inwieweit Frauen in Kinofilmen miteinander über andere Themen sprechen, als über Männer. Wäre es nur für eine Sekunde denkbar, dass wir uns überwiegend Filme anschauen würden, in denen Männer nur über Frauen sprechen und sich in ihrem Leben sonst nicht besonders viel ereignet? Wohl kaum. Wieso akzeptieren und unterstützen wir dieses System für Frauen dann noch immer? Wieso fürchten wir uns nach wie vor davor, unseren Platz einzunehmen, uns den Raum zuzugestehen, den sich die Männer schon so lange für sich erobert haben?
Zu allererst: eine stabile Persönlichkeit bilden
Ich ließ mein Buch sinken und fragte meinen Mann, der neben mir im Bett seine Sport-Nachrichten las: „Kannst du dich erinnern, dass jemals das erste Gesprächsthema nach dem üblichen ,Hallo, wie geht es dir?‘ bei einem Treffen unter Männern die Liebe war? Jemals?“ „Natürlich nicht“, sagte er aus dem Bauch heraus. Und ich glaube es ihm. Außerdem glaube ich, dass man das getrost auf die Mehrzahl an Gesprächen unter Männern übertragen kann, denn Männern widmen sich in ihren Gesprächen vorrangig den Themen, über die sie sich selbst definieren: Ihre Arbeit. Ihre Begeisterung für Sport. Wirtschaft. Dann sicher irgendwann auch die Familie, aber vorher, da sind sie bereits jemand!
Bevor sie sich in ihre Beziehung zu anderen setzen, schöpfen sie ihre Kraft aus sich heraus, formen eine Persönlichkeit, die verdammt stabil da steht. Die eben nicht abhängig ist von der Zuneigung anderer Menschen.
Natürlich beschäftigen sich Männer durchaus auch mit ihrer Attraktivität für das andere Geschlecht, aber bei ihnen definiert sich diese Attraktivität über Inhalte, und nicht über Form. Wirtschaftlicher Erfolg erfordert immer ein Maß an Inhalt, während es der Frau leider Gottes immer noch rein über ihre Ausstrahlung als sexuelles Wesen möglich ist, einen geeigneten Partner zu finden.
Attraktiv bedeutet nicht nur „sexy“!
Eva Illouz schreibt in „Warum Liebe weh tut“, wie die Mitglieder moderner Gesellschaften in bisher nie dagewesener Form ihre Partner nach individuellen Vorlieben auswählen können. Außerdem, behauptet sie, gelte auf dem sogenannten Heiratsmarkt nach wie vor, dass die erwünschte Eigenschaft bei Frauen Attraktivität, bei Männern Status ist.
Für eine Frau reicht es, unglücklicher Weise, sexy und anpassungsfähig zu sein, ein komplettes eigenes Lebenskonstrukt braucht sie nicht. Und genau das wird ihr auch zum Verhängnis.
Frauen, die sich ein selbstbestimmtes Leben erschaffen, ein Haus kaufen, eine Firma gründen und zum Erfolg führen sowie sich einen überdurchschnittlichen finanziellen und sozialen Status erarbeiten, beklagen nicht selten, dass sie gerade dieser inhaltliche Erfolg als Heiratskandidatin disqualifiziert. Welcher Mann könnte das von sich behaupten?
Also, scheint auch die Versorger-Mentalität weitaus weniger aus unseren Köpfen verschwunden zu sein, als sich all die jungen Frauen vielleicht eingestehen wollen. Wenn es der Frau also bei ihrem vorrangigen Ziel, einen geeigneten Partner zu finden, hinderlich sein kann, ihrem Leben Inhalt zu geben, wird sie es nicht tun. Und dann ist es nur folgerichtig, dass sie das Nichtvorhandensein oder den plötzlichen Wegfall des Mannes als Mangel erlebt. Denn das Konstrukt „Partnerschaft“ muss eine immense Lücke füllen! Und zwar die einer nicht voll entfalteten Blüte, die einen Bewunderer braucht, um ihre eigene Vitalität und Strahlkraft zu sehen sowie anzuerkennen.
Wir müssen uns selbst als Zentrum definieren
Ja, angeblich haben wir uns weit über das Gestern erhoben, können studieren, dürfen jeden Beruf ergreifen, den wir wollen, uns stehen die Tore zur Welt offen.
Aber: Viele von uns spähen nur einmal hinaus, schnuppern kurz die Luft der Freiheit – und kehren dann wieder um. Weil der Wind da draußen verdammt scharf um die Ecke weht.
Es kann Angst machen, plötzlich um sich selbst zu kreisen, die Verantwortung für unsere Zufriedenheit, unseren gefüllten Kühlschrank und das Selbstbewusstsein nicht mehr länger im männlichen Spiegelbild zu suchen.
Was, wenn die Frauen dieser Welt nicht den Mann oder die Beziehung als Zentrum ihrer Selbstachtung sähen? Was, wenn sie wirklich, und ich meine wirklich haargenau so selbstverständlich wie der Mann, sich selbst als Zentrum definierten? Ich bin überzeugt, unsere Welt wäre eine andere. Ich glaube, dieser Umsturz wäre beträchtlich. Das Potential, das in den Frauen schlummert, ist ein unentdeckter Schatz, ein noch in weiten Teilen brachliegendes Feld, auf dem fruchtbarste Ernten eingefahren werden könnten.
Ein wenig Egoismus könnte nicht schaden
Vielen Frauen aber sind die Glaubenssätze ihrer Großmütter und Urgroßmütter derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie diese Vorstellung vermessen finden, dass sie sie ablehnen und ängstlich in eine Verteidigungshaltung schlüpfen. Egoismus, nein, das sei doch keine wünschenswerte Eigenschaft! Aber diese Abwehr aus dem Munde von all den weiblichen Geschöpfen, die noch immer zu Bescheidenheit, Anpassung und Selbstaufgabe erzogen werden, ist das ein wirklich ernstzunehmendes Argument?
Wir sind es nicht gewohnt, uns um uns selbst zu drehen. Es geht nicht um einen rüpelhaften Egoismus, es geht schlichtweg um die Akzeptanz des eigenen Wertes – unabhängig vom Mann, ihm ebenbürtig, auf Augenhöhe. Bis wir diese Augenhöhe erreicht haben – sei es im Beruf, bei Entscheidungen, wer wie lange die Kinder Zuhause betreut, sei es bei der Anzahl der Orgasmen, die wir uns vom Partner wünschen – können wir uns getrost noch eine ganze Menge Egoismus gut zu Gesicht stehen lassen.
Noch lange nicht sind wir gefühlskalte, berechnende Wesen, die nur auf den eigenen Profit aus sind. Denn das sind Männer auch nicht. Aber sie verfügen in vielen Fällen über eine gesunde Portion Egozentrik.
In einer Welt, in der wir Frauen uns aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit um andere Interessen drehen würden, als um Männer, Beziehungen und die Liebe – Was für Blogbuster würden wir sehen? Welche Bücher würden geschrieben von Frauen, die sich selbst als Zentrum begreifen, welche Firmen würden sie gründen?
Eines Tages … werden wir in voller Blüte stehen
Für mein Empfinden stehen wir am Anfang dieser Entwicklung, wir stehen an der Schwelle. Noch immer ist die Unterordnung und Anpassung der Frauen an den Mann in uns verankert. Wir blicken auf Jahrhunderte lange Traditionen zurück und, um es mit den Worten von Virginia Woolf zu sagen „(…) wir denken durch unsere Mütter zurück, wenn wir Frauen sind.“
Und es bedarf vermutlich einiger Jahrhunderte neuer Denkweisen, um das alte Muster dieser Selbstwertschöpfungskette zu durchbrechen. Dann werden wir uns eines Tages als alleinstehende Frau nicht weniger wertvoll fühlen, als mit Partner – weil es uns gelungen ist, unser Leben als ein Geschenk an uns selbst zu begreifen. Wir werden nicht mehr oder besser durch einen Mann an unserer Seite, wir sind auch vorher schon genug. Wir werden auch nicht mehr oder besser sein, als die Männer. Aber wir werden in voller Blüte stehen. Und, um es mit Jim Carreys Worten zu sagen, die er in einer Rede anlässlich einer studentischen Abschlussfeier gebrauchte: „Wir werden riskieren, gesehen zu werden in all unserer Pracht.“ Auch, und vor allem, von uns selbst!
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