Wie ich doch noch zur Zentralasienexpertin wurde

Vor 20 Jahren hätten mich keine zehn Pferde in diese Region der Welt gebracht…heute fliege ich zum Reiten hin

 

An einem sonnigen Tag im Mai 2016 fragte ich eine Bekannte, wie ich zu einer Dozentur an der Sommer-Schule der Deutsch -Kasachischen Universität komme. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Zentralasien interessierte mich zwar seitdem ich in meiner ostdeutschen Jugend die Bücher von Tschingis Aitmatov gelesen hatte, aber im Job stellte ich mir etwas anderes vor .

Allerdings erschien mir in Lehrauftrag in Zentralasien im Sommer mit interessierten Studierenden eine gute Option zu sein. Die Alternative wäre eine Einführung in die VWL in einem zulassungsfreien Studiengang in Berlin im Winter, die mir eine Kollegin immer gern überlässt.

Hatte Herr A. doch noch recht? Ich erinnere mich noch genau an den sonnigen Mai vor zwanzig Jahren. Eine Gespräch mit einer Runde sehr netter überwiegend älterer Herren über entwicklungsökonomische Themen hinterliess einen bleibenden Eindruck bei mir. Nachdem ich ein halbes Jahr in einer Lagerhalle im Köllner Hafen in einer entwicklungspolitischen Consulting zugebracht hat, war ich froh wieder in Berlin zu sein.

Ich hatte mir ein halbes Jahr den Kopf zerbrochen, warum man denn meine Kollegen als Trainer dafür bezahlt, Leuten in Zentralasien unternehmerisches Denken beizubringen. Im Studium der Entwicklungsökonomie hatte ich mich fünf Jahre lang mit Wirtschaftspolitik beschäftigt. Mein Vater hat sein Unternehmen in Ostdeutschland auch ohne Training aufgemacht.

Der Schnee auf den Strassen in Köln, der mich wochenlang daran hinderte, mit dem Fahrrad in die Lagerhalle zu kommen, war mit den Erzählungen meiner Kollegen über ausfallende Heizung in den Hotels von Bishkek verknüpft. Nein, da wollte ich auf gar keinen Fall hin.

Herr A. offenbarte mir einige Monate nach dem Gespräch, dass das Gremium mich nicht wegen meiner wirtschaftspolitischen Kompetenz, sondern wegen meiner russischen Sprachkenntnisse und meiner Beschäftigung mit Zentralasien genommen hat. Ich war am Boden zerstört und zahlte noch lange den Kredit für die Ausbildung ab.

Vier Jahre später fand ich mich in einem Training für Evaluationen des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder., denn ich musste ja den Kredit abzahlen. Es werden dringend jüngere Evaluatorinnnen gebraucht. Das meinte ich auch und telefonierte in den folgenden beiden Jahren regelmäßig mit dem Referat.

Dann erhielt ich endlich die ersehnte Nachricht, dass für mich eine Evaluierung gefunden wurde. Zusammen mit zwei anderen netten Damen sollte es wohin gehen? Nach Usbekistan und Kirgistan. Zum Glück im Mai, so dass die Reise sehr schön wurde. Die eine Kollegin sprach Russisch und organisierte alles: Grünen Tee trinken in Taschkent, die Moscheen in Buchara von aussen anschauen und schliesslich in sogar in die Provinz von Kirgistan fliegen. Russisch musste ich auch nicht sprechen, denn eine Kollegin brauchte einen Dolmetscher. Besser ging es nicht. Unsere Pässe verschwanden allerdings auf dem Flughafen bei der Ausreise und wurden erst durch eine Zahlung von 70 US$ ohne Quittung wieder freigegeben. Soviel Bargeld hatten wir auf Anraten der Kollegin in der Tasche.

Ergebnis dieser Reise war auch, dass die russisch sprechende Kollegin bei mir anfragte, ob ich nicht eine Unterkunft für zwei kirgisische Mädchen hätte, die in Berlin anfangen wollten zu studieren. Hatte ich. Ich brauchte keine zwei Zimmer am Görlitzer Park, wo ich sowieso den ganzen Tag unterwegs war. Um es klar zu sagen in der X-Berger Szene versackt bin und noch gerade so meine Dissertation zu Ende brachte.

Danach suchte ich nach dem Sinn des Lebens und traf einen netten jungen Mann, der in Kasachstan arbeitete. Seine Geschichten klagen nicht so lustig von doppelt bezahlten Hotels oder kaputten Wasserleitungen. Er organisierte im Sommer für seine Freunde eine Trekkingtour von Kasachstan nach Kirgistan. Meine Freunde, mit denen ich in Europa wandern war, hatten längst andere Pläne, so dass ich gern die Einladung annahm. Teuer war es nicht. Nur dass man sich als Die Tour war anstrengend, weil dem örtlichen Personal die Ausrüstung und die Ausbildung im Umgang mit Touristen im Hochgebirge fehlten. Und es fehlte uns auch der Ausreisestempel aus Kasachstan, der die Wiedereinreise für den Rückflug deutlich erschwerte. Die beiden Mädchen, die bei mir gewohnt hatten, und nicht die Reiseleiterin brachten mich mit den Taxi über die Grenze zurück nach Kasachstan.Die Ausreise gestaltete sich wieder problematisch. Ein netter Herr in Uniform zog mich aus der Warteschlange am Flughafen und fragte mich nach dem Ausreisestempel und meiner Touristenkarte. Die Fragen konnte ich auch nicht beantworten und zahlte dann 50 EUR. Zentralasien war wieder ungefähr so interessant wie vor 10 Jahren.

Dem Lehrauftrag hechelte ich 18 Monate hinterher. Nein, so kann man das auch nicht sagen. Ich schrieb ein paar Mails und schliesslich ein Konzept. Die Vorbereitung lief völlig reibungslos. Nur das Bauchgefühl fand es komisch, dass ich kein Visum brauchte. Almaty empfing mich mit Sonnenschein und etlichen Cafés direkt vor der Haustür. Das Berliner Gefühl von Freiheit. Kein Päarchenzwang in den Restaurants ohne Angst nachts um 12 Uhr auf der Strasse…im Gegensatz zu Lateinamerika.

Die Damen aus der Uni-Verwaltung machten mir das Leben leichter und keine Vorschriften wie in Berlin. Die Ausflüge in die Umgebung waren gut organisiert. Die Hauptsache waren aber die Lehrveranstaltungen. Eigentlich erwartete ich, dass ich etwas über erneuerbare Energie in Deutschland erzählen sollte. Den Studierenden verkündete ich, dass ich nur alle 10 Jahre in Zentralasien arbeite. Das war mein Fehler, denn sie erwarteten einen Überblick über die Politik in Zentralasien. So schmiss ich mich zwei Wochen lang ins Zeug, bereitete Veranstaltungen zu Entwicklungsstrategien für Kasachstan und Kirgistan vor. Die Motivation zur Expo können wir jetzt genauso gut erklären wie Chinas Konzept für eine neue Seidenstrasse nach Europa. Und dass diese Seidenstrasse unbedingt grün sein muss. Die einheimischen Studierenden erzählten uns, dass ihre Eltern immer noch nicht wissen, wie sie durch die 90er Jahre gekommen sind.

Das letzte Wochenende verbrachte ich in Kirgistan bei einer Kollegin. Sie nahm mich mit auf einen Ausflug an den Song Kul, den zweitgrössten See, Kirgistans. Im Bergsee baden, in der Jurte übernachten – ich habe aufgegeben oder Zentralasien hat mich doch noch überzeugt. Den Flug für den Reiturlaub am See und ein paar Gespräche über Jobs habe ich schon gebucht. 

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