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Elternzeit für meinen Freund: Noch immer alles andere als selbstverständlich

Mein Freund will zwei Jahre in Elternzeit gehen. Aber wie verhält es sich eigentlich in der Praxis, wenn wir über Elternzeit reden? Haben wir wirklich schon Fortschritte gemacht oder stehen die guten Vorsätze, eine gleichberechtige Aufteilung der Kinderbetreuung zu übernehmen, nur auf dem Papier?

 

Schwangerschaft, Frausein, Elternzeit: Das alles hat auch mit Frustration zu tun

Es ist Sonntag Abend und mein Freund und ich beginnen einen
Unterhaltung über meine Frustrationen der letzten Tage. Immerwieder
werde ich mit einem Gefühl konfrontiert, welches ich nicht richtig
zuordnen kann. Und so diskutieren und betrachten wir eine Weile meine
Ansicht über Schwangerschaft, Muttersein, Frausein und Elternzeit.

Was dabei rauskam?

Oft fühle ich mich missverstanden, wenn es um meine Gefühle über
meinen aktuellen Lebenszustand geht. Es ist schwer zu beschreiben, sich
auf das kleine Wunder in meinem Bauch zu freuen und gleichzeitig wütend
auf die Umstände zu sein. Eine Schwangerschaft ist etwas Großartiges und
dennoch fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut.

Reaktionen auf seine Elternzeit: Ist das nicht zu anstrengend?

Wir nehmen uns die Zeit und schauen genauer hin. Ich versuche seit
längerem den Kern dieser Gefühlswelt zu fassen. Ich spüre, wie ich wütend
bin auf die Freiheit, die mein Partner hat und wie die Außenwelt auf ihn
reagiert, wenn er äußert, dass er in Elternzeit gehen wird. Erstaunt
über seine Entscheidung hinterfragen sie seinen Entschluss, ob er auch
sicher sei, denn es würde schließlich eine sehr anstrengende Zeit auf
ihn zukommen. Oder ich höre wie Männer äußern, dass sie sich lediglich
für zwei Monate Elternzeit entschieden haben, bis sich die Frau an die
neue Rolle gewöhnt hat. Dem angefügt begründen sie diese Tatsache mit
dem Argument, dass sie schließlich mit dem Neugeborenen in den ersten
Monaten noch nichts anfangen können
.

Und genau das, schockiert mich maßlos! Absolut fassungslos, könnte man es auch nennen! Denn was bitte, wollen sie damit sagen? Ist ihnen nicht klar welche Botschaft da mitschwingt?

Gilt noch immer: Frau wird als Mutter geboren, und Mann darf sich für das Vatersein entscheiden?

Heißt das, Frauen bleiben also ganz selbstverständlich zu Hause und
übernehmen ohne Wiederworte die Kinderbetreuung ungefragt ihrer
beruflichen Wünsche? Als würde man(n) davon ausgehen, das Frau
schließlich als Mutter geboren ist. Deshalb ist die Zeit nach der Geburt
für sie weniger neu und unbekannt. Ihre genetischen Grundlagen sind
darauf ausgelegt sich einfühlsam um das Kind kümmern zu können. Ihnen
fällt es leichter sich in ihrer neuen Rolle zurecht zu finden.

Was für ein Erwartungsdruck! Im Idealfall meistern sie noch den
Haushalt, sind schnell wieder körperlich fit und gehen Teilzeit
arbeiten. Alles in Allem sind das Vorstellungen, denen ich nicht gerecht
werden will und kann.

Und wieder wird deutlich in welchen alten Rollenvorstellungen wir
feststecken. Es kostet mich Kraft mich aus diesen zu befreien und meine
Position zu vertreten. Aber auch mein Freund fühlt sich unwohl in seiner
Rolle. Auch er kämpft gegen diese Erwartungen, die an ihn als Vater
versus Verdiener geknüpft werden. Und so müssen wir uns einer weiteren
bitteren Wahrheit stellen.

Arbeitgeber sind auf Männer in Elternzeit nicht eingestellt

Mein Freund hat in seiner Firma von meiner Schwangerschaft und
demzufolge auch seiner bevorstehenden Vaterschaft erzählt. Seine Chefs
waren also frühzeitig eingeweiht in seine verändernde Lebensituation und
konnten anfangen damit zu planen.

Doch, was stattdessen passierte?

Die Chefriege eines Weltkonzerns reagiert auf den zweijährigen
Elternzeitwunsch meines Freundes mit Vorwürfen. Sie zeigen sich wenig
begeistert und versuchen stattdessen Druck auf ihn auszuüben.
Gleichzeitig bringen sie an, dass sie ihn doch im nächsten Jahr ins
Ausland schicken wollen. Wie bitte? Haben die ihm nicht zugehört als er
meinte er wird Vater?

Ich habe diesem Weltkonzern modernere Denkweisen zugetraut.
Stattdessen entnehme ich ihrer Reaktion, dass auch sie davon ausgehen, dass
ich die Elternzeit übernehme
. Nach wie vor scheinen Unternehmen nicht
damit zu planen, dass ihr männliches Personal ein bis drei Jahre wegen
Elternzeit ausfallen könnte. Was sagt uns das? Wir hinken trotz neuer
Gesetze hinterher.

Ein Zustand, der mich wütend macht

In den letzten Wochen wurde mir noch mal sehr deutlich, dass an das
Mutter sowie Vater werden bestimmte Rollenvorstellungen geknüpft sind.
Und so hinterfragen mein Freund und ich am Ende sogar die
Begrifflichkeiten „Mutter” und „Vater”. Wir stellen fest, dass noch sehr
viele Vorstellungen und Zuschreibungen daran geknüpft und diese nicht
mehr zeitgemäß sind.

Je häufiger wir in unserer Gesellschaft mit diesen Rollenklischees
konfrontiert werden, desto selbstbewusster beginne ich meine Position zu
vertreten. Ich mache deutlich, dass ich als Frau lediglich das Kind
gebäre. Die Verantwortung tragen wir jedoch als Paar zusammen. Ich bin
der Überzeugung, dass wir Entscheidungen gemeinsam zu treffen haben, wie
wir in Zukunft unser Leben gestalten wollen und wer welche Aufgaben
übernimmt. So sollte jeder von uns gefragt werden, wie er oder sie sich
das Leben mit dem Kind vorstellt. Dabei ist es mir wichtig, meine
beruflichen Ziele nicht außer Acht zu lassen, nur weil in der Regel
Frauen in Elternzeit gehen. Leider sind Männer häufiger die besseren
Verdiener, weshalb sich junge Familie für eine klassische
Rollenverteilung entscheiden.

Dennoch bin ich der Ansicht, Männer müssen nicht mehr alleiniger
Ernährer der Familie sein. Elterngeld macht es heute möglich, wenn auch
vielleicht mit einigen finanziellen Abstrichen, sich die Elternzeit zu
teilen. Wir haben uns für dieses Modell entschieden und sind gespannt
was die Zukunft bringt. Es bleibt spannend für mich und meinen Freund,
der zwei Jahre in Elternzeit geht. Wir bleiben offen und neugierig.

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