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Brauchen wir Wonder Woman als UN-Botschafterin? Ein Plädoyer für eine Heldin

Vor zwei Wochen haben die Vereinten Nationen die Comic-Heldin zur Ehrenbotschafterin ernannt, um das fünfte der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung durchzusetzen: Gleichberechtigung der Geschlechter und die Stärkung von Mädchen und Frauen weltweit. Doch die Begeisterung darüber hielt sich in Grenzen.

 

Wonder Woman wird zu ihrem 75. Geburtstag zur UN-Botschafterin gemacht

Meine jüngste Schwester ist gerade 18 geworden. Wann immer sie gefragt wird, ob sie sich verletzt habe, sie krank sei oder sie Hilfe brauche, lautet ihre Antwort: „Nein danke, ich bin Wonder Woman!” Außer es geht um Mathe, da ist ihr eigentlich auch nicht mehr zu helfen. Sie ist Wonder Woman, ich bin Supergirl. The hype is real!

Klar, denn seit einigen Jahren kommen im Viertel-Jahr-Takt neue Superhelden-Filme in die Kinos. Und wer nicht auf die Leinwand kommt, wird zu einer Serienfigur gemacht. Disney hat die Filme bis 2030 minutiös geplant. Doch nicht nur die Filmindustrie hat sich die weltweite Obsession mit Heldenfiguren zunutze gemacht: denn als hätten sie diese Obsession mit Heldenfiguren vernommen, sind nun auch die Vereinten Nationen auf den Trend angesprungen.

Richtig gelesen: Bürokratie wird jetzt von Superhelden übernommen, genauer von einer Superheldin: Wonder Woman. Die Superheldin soll für weltweite Gleichberechtigung und Frauenrechte einstehen. Außerdem erhofft sich UN-Untergeneralsekretärin Cristina Gallach, dass eine breitere Zielgruppe erreicht wird. Mit der Kampagne solle unter anderem gezeigt werden, dass auch die UN Teil der Popkultur sein kann. Doch vor allem stehe Wonder Woman für Gerechtigkeit, Frieden und Gleichheit, also genau das, was es braucht, um das fünfte der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Wonder Woman als Botschafterin? Der Aufschrei ist groß

Überzeugen konnte Gallach damit nicht alle. Zum einen sei Wonder Woman zu nackt, wie sich UN-Mitarbeiterin Shazia Rafi gegenüber der deutschen Presseagentur beschwerte.

„Wir haben den Punkt überschritten, an dem wir eine vollbusige, muskulöse Version von Barbie in kurz geschnittenen Hosen brauchen, um Gleichheit zu repräsentieren.” 

Rafi hatte unmittelbar vor der Veröffentlichung der Wonder Woman-Kampagne für die Wahl einer Frau zur UN-Generalsekretärin gekämpft – ohne Erfolg. Das ist ein weiterer Grund, weswegen sich viele der Mitarbeiter über die Kampagne echauffieren und die Petition, das Projekt fallen zu lassen, bislang von fast 2.000 UN-Beschäftigten unterzeichnet wurde: schlechtes Timing. Denn Generalsekretär wurde nicht, wie gewünscht, eine Frau, sondern der Portugiese António Guterres.

Auch die New York Times ist von der Entscheidung nicht gerade begeistert:

„Ist das wirklich die Botschaft, die wir unseren Töchtern über die Stärkung der Frauen in einer Ära senden wollen, in der es eine Reihe voll bekleideter, vor allem mächtiger weiblicher Rollenbilder gibt?”

Ich sage: Ja! Denn Wonder Woman ist nicht nur eine Frau. Sie verkörpert viele.

Who’s that girl?

Geschaffen wurde Wonder Woman 1941 von William Moulton Marston und seiner Frau Elizabeth Holloway Marston. Marston war ein vielseitig gebildeter Mann, Jurist und Psychologe. Als Beiratsmitglied des Comicverlages DC erschuf er aus seinem Interesse für die Mythologie, Soziologie und die gesellschaftliche Stellung von Frauen eine Serie von Abenteuern, die seine Theorien von Vorherrschaft und Unterwerfung zwischen den Geschlechtern verarbeitete. Und mit ihr, Wonder Woman. Es war das perfekte Timing: Oktober 1941, die USA waren kurz davor in den 2. Weltkrieg einzutreten. Viele Männer verließen für die Militärische Grundausbildung ihre Arbeitsplätze, wodurch Frauen in ganz neue Berufszweige einstiegen. Und obwohl DC sich den Fauxpas erlaubte, Wonder Woman zur Sekretärin zu machen, war sie ihren männlichen Heldenkollegen in jeder Hinsicht ebenbürtig. Mit ihren Accessoires, wie dem Lasso der Wahrheit, einem mentalen Radio, einem unsichtbaren Flugzeug und ihren Armreifen, an denen jede Kugel abprallt, überlebte sie als einzige von drei Superhelden den Nachkriegs-Kollaps des Genres.

Zurück ins Rampenlicht schaffte sie es in den 1960ern, als sie von Lydia Carter in einer eigenen Fernsehserie verkörpert wurde. Von Weltkriegsabenteuern bis zu Gegenwartsgeschichten spielte sie alles durch und begeisterte so ein breites Publikum. Darunter auch die Frauenrechtlerin Gloria Steinem, ihr wohl größter Fan, die sie zum Titelmotiv des ersten „Ms. Magazine” machte.

Nach mehreren gescheiterten Anläufen, die Heldin zurück auf die Bildschirme zu bringen, hat sie es dieses Jahr endlich wieder geschafft: Gal Gadot gab in „Batman v Superman: Dawn of Justice” durch einen Gastauftritt einen kleinen Vorgeschmack auf den 2017 erscheinenden Film „Wonder Woman”.

Die Figur ist eine Amazonenprinzessin, die vor dem männlichen Patriarchat flieht. Die ihre eigenen Wege geht, die Welt für sich entdeckt. Eine Beziehung führt, die ihrer Mutter gegen den Strich geht. Eine Ikone, die außergewöhnlichen Mut beweist, während sie sich ihr eigenes Leben aufbaut.

Warum keine „echte” Frau?

Nun lässt sich bezüglich der UN-Kampagne natürlich argumentieren, dass es eine ganze Reihe an Frauen gibt, die diese Rolle hätten übernehmen können. Lebendige, echte Frauen. Ich sage: Wonder Woman steht für diese Frauen. Mit Wonder Woman hat man sich nicht für eine und gegen viele andere Frauen als Vorbild für Gleichberechtigung entschieden; man hat sich für alle Frauen entschieden und gibt ihnen mit Wonder Woman ein Gesicht. Und genau das formuliert auch die UN:

„Die Frauen und Mädchen, die sich für eine bessere Welt stark machen und die Männer und Jungen, die sie unterstützen und mit ihnen stehen sind Superhelden für sich selbst!”

Die Diversität ist auf der Strecke geblieben…

Nun ist Wonder Woman weiß. Und Vollbusig. Und knapp bekleidet. Kurz: Wonder Woman scheint einem Stereotypen zu entsprechen, dem wir eigentlich schon vor Jahren den Rücken zugekehrt haben wollten. Stereotypen sind out, Diversität ist in.

Warum ich die Kampagne trotzdem okay finde? Weil es – verdammt nochmal – nicht um Äußerlichkeiten geht! Es geht hier um die Aussage, um die Botschaft, die die Comic-Heldin, stellvertretend für so viele fantastische, inspirierende Frauen, verbreiten soll.

Ich verstehe den Aufruhr um ihre Hautfarbe. Denn als Identifikationsfigur sollten sich doch alle Frauen mit ihr identifizieren können. Doch wir werden es nie allen recht machen können, da wir als Gesellschaft nun mal (glücklicherweise) viel zu divers sind. Und Wonder Woman ist nun einmal eine griechische Amazone. Hätte es eine bessere Lösung gegeben? Für eine Hautfarbe muss man sich entscheiden und ich frage mich, ob es diese Diskussion auch gegeben hätte, wenn eine „echte” Frau die Kampagne führen würde. Erneut möchte ich hier den Punkt betonen, dass ihre Taten im Vordergrund stehen sollen.

Und zu ihrem Outfit: Erstens zeigt das Bild der UN-Kampagne Wonder Woman nur im Porträt, ihre Schultern von einem Cape bedeckt. Zweitens ist doch genau das das Ziel: eine Frau darf sich anziehen, wie es ihr gefällt, ohne dafür verurteilt zu werden. Und drittens hat sich auch nie jemand über Superman’s Strumpfhosen beschwert, oder?

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