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„Ich lebe polyamorös“ – so erzähle ich anderen von meinem Beziehungsmodell

Unsere Community-Autorin Juli lebt und liebt polyamorös. Hier teilt sie fünf Wege, wie sie Menschen in ihrem Umfeld davon erzählt.

Wem gegenüber oute ich mich?

Ich lebe in einer glücklichen, polyamorösen Beziehung, also einer Beziehung in der mein Partner und ich einander zugestehen, romantische und erotische Gefühle auch mit anderen teilen zu dürfen. Im Alltag ergeben sich immer wieder Situationen, in denen ich mich frage, ob ich meinem Gegenüber von unserem Beziehungsmodell erzählen kann oder sollte.

Je nachdem, ob es sich um Freund*innen, Kolleg*innen, Bekannte, Fremde oder die eigenen Eltern, Geschwister oder Kinder handelt: Meine Wünsche und Ängste unterscheiden sich stark – die Relevanz, mein Beziehungsmodell transparent zu machen, allerdings auch. In jedem Fall entscheide ich sehr bewusst, wen ich auf welche Weise ins Vertrauen ziehe. Das unterscheidet sich sehr von meinem früheren monogamen Leben, denn hier brauchte ich nie genau abzuwägen, wem ich von meinen Beziehungsmodell erzählte – da es damals als monogam und heterosexuell ohnehin dem gesellschaftlich erwarteten entsprach.

Ist ein Coming-out als Poly überhaupt nötig?

Die simple Antwort ist: Nein, es ist nicht nötig. Es gibt aber gute Gründe dafür, andere einzuweihen. Zum Beispiel folgende:

  • Ich möchte Familie und Freunden von den mir wichtigen Begegnungen und Beziehungen erzählen, auch wenn es mehr als eine romantische darunter gibt.
  • Ich möchte Beziehungsvielfalt und positiv gelebte Sexualität als Frau in unserer Gesellschaft voran bringen und Diskriminierungen verringern.
  • Ich möchte als Individuum, als ich, wirklich gesehen werden.
  • Ich möchte Gerüchte und Getratsche vermeiden.
  • Oder ganz banal: Ich habe sexuelles oder romantisches Interesse an einem Gegenüber, das evtl. weiß, dass ich in einer Beziehung lebe. Dann möchte ich Möglichkeiten und gegebenenfalls Grenzen transparent machen.

Doch wie sagt man es der Person, die einem gegenübersitzt am besten? Hier sind fünf mögliche Wege:

1. Das Bekenntnis

Obgleich es nicht meiner eigenen Erfahrung entspricht, stelle ich mir ein Coming-out prototypisch immer so vor: Als eindeutiges klares Bekenntnis, das niemand überhören kann – sei es im Zweiergespräch oder in größerer Runde.

Gewiss ist das die Form, die von mir am meisten Mut verlangt, die aber für mich auch am seltensten angebracht und nötig ist. Denn sie zwingt die Gegenüber zu einer Reaktion, sie fordert sie geradezu heraus – die positiven wie die negativen. Im Zweiergespräch mit einem Freund mag ein Coming-out mal so ablaufen, aber meist fühlt es sich für mich viel angenehmer an, ein Coming-out einzuflechten, als es so in den Mittelpunkt zu stellen.

2. Die Bemerkungen am Rand

Ich liebe diese Art des Outings, weil sie so variantenreich ist. Davon zu erzählen, in eine andere Stadt zum Date zu fahren oder am Rand zu erwähnen, dass mein Freund gerade bei seiner Freundin in Timbuktu weilt. Auf anzügliche Hinweise, ob mein Freund bei einer Konferenz wohl sexuell treu bliebe, zu antworten, dass ich das gar nicht erwarte. Zu teilen, dass ich gerade jemand furchtbar spannenden kennengelernt habe und deshalb nicht still sitzen kann. Zu erwähnen, dass ich gestern bei einem Poly-Stammtisch war und deshalb nicht ans Telefon ging.

Für mich ist das positive an dieser Art des Outings, dass es meine Beziehungen oder Sichtweisen in einen Zusammenhang stellt. Es macht sie zum Teil meines Lebens, denn Poly-Sein ist nicht mein ganzes Leben, sondern nur ein Teil davon. Und es ermöglicht meinen Gegenüber mehr Reaktionsmöglichkeiten als das Bekenntnis: Sie können es überhören, aber auch vorsichtig oder interessiert nachfragen oder sich begeistert einklinken, weil ich ein Poly-Gegenüber gefunden habe. Und das Gespräch kann auch beim vorigen Thema bleiben ohne mich direkt in den Mittelpunkt zu stellen. Vielleicht hakt auch jemand erst viel später nach, was genau ich da gemeint habe.

Solche Bemerkungen am Rande durchbrechen Erwartungen und irritieren, sie stellen das gesellschaftlich tief verankerte monogame Liebesideal in Frage. Sie sind Selbstoffenbarung und Einladung zum Gespräch – aber sie erzwingen das Gespräch nicht.

3. Das philosophische Gespräch

Bei einem Glas Wein oder Whisky über Beziehungsmodelle zu philosophieren – das genieße ich sehr. Dabei kann, aber muss nicht meine eigene Praxis zum Thema werden und dennoch bietet es wunderbare Möglichkeiten, Sichtweisen zu teilen und neue Horizonte anderer zu entdecken. Wenn die Wellenlänge stimmt, wird mein Gegenüber danach ahnen, dass ich nicht per se dem „klassischen“ monogamen Beziehungsmodell anhänge. Ich schätze diese Form des Outings besonders mit Freunden, an denen ich auch ein romantisches Interesse hege. So lassen sich Beziehungsvorstellungen und Kommunikationsfähigkeiten austesten, ohne dass ich gleich mit mir selber und dem anderen festlegen muss, wie genau mein Interesse an ihm eigentlich beschaffen ist.

Übrigens können solche Gespräche auch sehr kurz sein: Die Tochter meines Lebensgefährten fragte mich einmal in der Straßenbahn, ob ich traurig oder böse wäre, wenn mein Freund sich in jemand anderen verlieben würde. Ich überlegte kurz, verneinte und erklärte, dass ich traurig sei, wenn er mich nicht mehr lieben würde, aber dass das für mich nichts damit zu tun hat, ob er sich in jemanden anderen verliebt. Sie habe ja auch mehrere Freunde, die sie mögen würde. Sie nickte und wechselte das Thema – wie es mit ihr oft in philosophischen Kinder-Gesprächen geschieht. Ich bin dennoch überzeugt, dass solche kleinen Dialoge einen guten Boden dafür schufen, dass sie es leicht akzeptierte, als mein Freund ihr eines Tages von seiner zweiten Freundin erzählte.

4. Das Fragen stellen

Die Übergänge zum philosophischen Gespräch sind fließend, aber eine schöne Form des Outings kann auch das Fragenstellen sein. Was wenn ich, statt selber von meinem Modell zu erzählen, mein Gegenüber frage, was für ihn oder sie in Beziehungen wichtig ist, was es von Eifersucht hält, wie es Grenzen definiert oder schlicht, ob es monogam lebt und was das für ihn oder sie bedeutet und warum. Die Tatsache, dass ich nach so etwas frage, macht deutlich, dass ich mich aktiv für solche Fragen interessiere und Monogamie nicht für gesetzt halte. Und vielleicht wird mein Gegenüber mit Gegenfragen antworten, sofern es sich für mich und ähnliche Fragen interessiert.

Auch und gerade gegenüber Kindern können solche Fragen zu Tage fördern, was diese sich an Wissen und Erkenntnissen über Beziehungen und Sexualität schon so erschlossen haben und damit passende Anknüpfungspunkte für die Themen gefunden werden.

5. Aus Versehen

Manchmal oute ich mich aus Versehen: Weil ich von Bekannten gesehen werde oder mich verplappere oder jemand über mich etwas weitererzählt hat. Bisher empfand ich das noch nicht als unangenehm – aber ich kann mir gut Situationen vorstellen, in denen es das ist oder sogar zu kritischen Konsequenzen führen kann, zum Beispiel bei konservativen Arbeitgebern oder mitten in einem Sorgerechtsstreit. Wer nicht nur hinter verschlossenen Türen und mit Schweigegelübden der involvierten Freund*innen agieren will, sollte sich das bewusst machen und kann zumindest versuchen durch entsprechendes Verhalten die Gefahren von kritischen Outings zu vermindern.

Was es zu meiden gilt

Was ist gern bei meinen Outing vermeiden möchte, ist Übergriffigkeit. Gerade zu Beginn meiner polyamorösen Zeit war ich so begeistert von den Ideen, dass es mir manchmal schwer fiel, nicht zu missionieren und nicht die Lebensmodelle anderer zu kritisieren oder diesen Anschein zu erwecken. Mein Outing als Poly kann für viele Gegenüber eine ernste Herausforderung sein, da es für diese bisher undenkbare Optionen für ihre Lebensgestaltung aufwerfen kann. Doch die Entscheidung, solche Verunsicherungen aufzugreifen, soll immer bei meinem Gegenüber liegen.

Umgekehrt versuche ich, keine Anerkennung oder Applaus für mein Modell zu erwarten, wenngleich ich mir Akzeptanz gerade bei mir nahestehenden Menschen wünsche. Aber ich muss damit rechnen, dass dieser Wunsch nicht immer erfüllt wird und sorge daher gern für Settings, in denen ich die Chance habe, im Fall von Nicht-Akzeptanz gut für mich selbst zu sorgen. Und ich versuche mir immer wieder bewusst zu machen, dass pauschale Kritik an offenen Beziehungen meist mehr mit den Erfahrungen meines Gegenübers zu tun hat, als mit meinen. Solange ich mit meinen Lebensstil einig bin, gibt es keine Notwendigkeit, dass ich mich in irgendeiner Weise rechtfertige.

Zum Abschluss meine Bitte an alle Nicht-Polys

Auf welche Weise eine Person, sich euch gegenüber auch outet, bitte seid liebevoll und bleibt zugewandt. Seid großzügig, wenn wir über die Stränge schlagen und euch mit Themen bombardieren, die für euch keine Relevanz haben. Seid verständnisvoll, dass das Poly-Dasein in einer Gesellschaft, die romantische Monogamie zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Kultur, ihres Rechts- und Steuersystems gemacht hat, ziemliche Herausforderungen mit sich bringt. Fragt nach, wenn euch etwas interessiert, seid neugierig und offen – aber verwechselt Neugier nicht mir Voyeurismus. Bittet um einen Themenwechsel, wenn euch etwas unangenehm ist. Bleibt uns als Mensch verbunden. Danke!

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