Am 3. August kommt der Film „Die Göttliche Ordnung“ in die Kinos, der sich den Kampf um die Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz zum Thema gemacht hat. Wir haben mit Regisseurin Petra Volpe gesprochen.
Emanzipation fängt zuhause an!
Auf die Barrikaden für Frauenrechte? Das ist auch heute kein Spaziergang, doch in einem verschlafenenen, kleinbürgerlichen Appenzeller-Dorf in den 1970ern ist es fast undenkbar. Gut, dass sich die Hauptprotagonostin Nora, Mutter und brave Ehefrau, trotzdem nicht davon abhalten lässt. Auch nicht, als ihr Mann auf ihren Wunsch, arbeiten zu dürfen, mit der Scheidung droht – weil er Angst hat, vor seinen Kumpeln Gesicht verlieren, wenn seine Frau plötzlich auf eigenen Beinen steht.
Mit „Die göttliche Ordnung“ hat Regisseurin Petra Volpe einen sehr sehenswerten Film über die gesellschaftspolitische Lage jener Zeit kurz vor der Einführung des Frauenwahlrecht in der Schweiz gemacht, der ebenso für ungläubiges Kopfschütteln wie auch für herzhafte Lachanfälle sorgt. Wir haben mit ihr über die Entstehung des Films gesprochen, warum Feminimus nicht nur für Frauen ein Thema sein sollte und warum die Mechanismen von damals gerade (leider) wieder sehr aktuell sind.
Petra, dein Film spielt 1971 aber hat eine beeindruckende Aktualität. War dir das klar, als du mit der Recherche begonnen hast?
„Nein. Ich habe vor fünf Jahren mit dem Drehbuch für „Die göttliche Ordnung” angefangen. Gleichberechtigung war schon immer ein großes Thema für mich, aber der Film trifft gerade extrem den Nerv der Zeit. Seit zwei Jahren lebe ich in den USA und ich habe den Wahlkampf sehr genau mitverfolgt. Zwei Tage nach unserer Premiere in der Schweiz haben Frauen in Amerika beim Womens March die gleichen Plakate getragen wie im Film. Die werden gerade um Jahrzehnte zurückgeworfen. Deshalb kommt er wohl auch in den USA so gut an und startet dort im Oktober in den Kinos.“
Wie lange brannte dir das Thema schon unter den Nägeln?
„Ich habe schon mehrere Filme über Frauen gemacht, die sich befreien. Das ist eigentlich eins meiner Hauptmotive. Aber die Einführung des Schweizer Frauenstimmrechts, das war eigentlich die Idee meines Produzenten. Er hat das in einem Gespräch erwähnt und ich war sauer, dass mir das nicht selbst eingefallen ist. Denn es vereint alles, was mich als Filmemacherin, Frau, politischer Mensch interessiert.“
Regisseurin Pertra Volpe | Bild: Nadja Klier
In „Die göttliche Ordnung“ hat ein Einzahlungsschein eine zentrale Rolle gespielt. Erzähl mal.
„Eigentlich war es die Notiz auf einem Einzahlungsschein. Ich habe im Archiv von Martha Gosteli recherchiert. Sie war eine der wichtigsten Schweizer Frauenrechtlerinnen und hat immer beklagt, dass Frauen in der Geschichtsschreibung nicht existierten. Also hat sie die letzte Phase ihres Lebens damit verbracht, ein Frauenarchiv aufzubauen. Dort habe ich den Einzahlungsschein gefunden, der für Anti-Suffragetten gesammelt hat. Und eine Hausfrau hat darauf geschrieben, sie fände es ein Unding, dass Frauen dafür werben, Frauen das Wählen zu verbieten. Sie sei nie politisch gewesen, aber das ärgere sie so sehr, dass sie sich nun überlege, für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Das hat mich so bewegt und da wusste ich: Das ist meine Nora. Ich glaube, dass viele Frauen Veränderungen so erleben.“
Wie meinst du das?
„Ich glaube, dass das für viele Frauen der Weg ist. Sie spüren unbewusst, dass etwas nicht stimmt, aber können es nicht richtig fassen. Nora fühlt sich am Anfang nicht als Opfer, sie fühlt sich nicht unfrei und gefangen. Erst als ein Anstoss von außen kommt, fängt sie an, ihr Leben und ihre Rolle in Frage zu stellen. Viele Frauen sind sehr genügsam und haben sich ihr Leben gut eingerichtet. Sie sind sich oft lange nicht bewusst, dass da etwas in ihnen schwelt.“
Könnte man sagen, dass die Anti-Suffragetten von damals die heutigen Trump-Wählerinnen sind?
„Da kann man durchaus seine Parallelen ziehen. Allerdings haben in den USA sehr unterschiedliche Frauen Trump gewählt. Einerseits sehr wohlhabende und andererseits stark benachteiligte Frauen. Und die hatten, glaube ich, sehr unterschiedliche Beweggründe. Die Frauen, die damals gegen das Frauenwahlrecht gestimmt haben waren sehr privilegierte Frauen: Ärztinnen, Apothekerinnen, Juristinnen, die materiell und sozial sehr gut dastanden. Diese Frauen wollten ihre Macht und ihren Status genauso wenig teilen, wie die Männer. Ihren Schaffensraum zu verändern hätte suggeriert, dass ihre bisherige Stellung in der Gesellschaft nicht ausreichte. Eine völlig verdrehte Wahrnehmung.“
Im Film sehr schön dargestellt in der Rede von Dr. Charlotte Wipf vom „Aktionskomitee gegen die Vielpolitisierung der Frau“
„Ja. die ganze Rede stammt übrigens aus Propagandamaterial der Anti-Suffragetten: Die Emanzipation richte sich gegen die Frau. Die Frau in der Politik sei gegen die göttliche Ordnung. Die Frau bewege mit der Stimme des Herzens.
Dazu waren viele Frauen sehr nationalistisch, konservativ angetrieben. Sie waren stolz, dass die Schweiz ihre Eigenarten hatte und dazu gehörte, dass Frauen nicht wählen können. Geistige Landesverteidigung. Und mit Gott fährt man eh die schwersten Geschütze auf: Das Stimmrecht würde nicht nur die Männer, sondern auch noch Gott erzürnen!“
Quelle: Alamode Film
Der Film spielt in einem Schweizer Dorf, einer Idylle, einer Blase der Neutralität. Steht das Dorf stellvertretend für die Schweiz oder eher für ein gewisses Lebensmodell?
„Der Film ist sehr lokal erzählt, aber das Thema ist universell. Ich suche immer nach universellen Themen für meine Geschichten. Die Verwurzelung des Films in der Schweiz gibt ihm seine Authentizität. Aber die Geschichte ist eine über Demokratie, über Zivilcourage, über Befreiung. Das Dorf ist dabei eine Metapher für die Schweiz, aber auch für einen Ort, an dem die Zeit still steht. Ich glaube, weil der Film etwas sehr Fundamentales anspricht, wurde er international auch so gut verkauft. Er macht auf Dinge aufmerksam, die in den USA, in Polen, überall auf der Welt gerade aktuell sind.“
Insofern kommt er auch in Deutschland genau zum richtigen Zeitpunkt.
„Ja. Demokratie ist so wichtig! Ich sage immer und überall: Leute, geht wählen! Demokratie ist nichts Statisches, sie entwickelt sich weiter. Sie kann und muss immer neu gestaltet werden.“
Du hast einen unmissverständlich feministischen Film gedreht, aber auch die Männer kommen darin nicht zu kurz. Wie hast du dich den männlichen Figuren angenähert?
„Ich schreibe sehr gerne Männer. Ich wusste, ich würde keinen Film machen, in dem Männer die Täter und Frauen die Opfer sind. So einfach ist die Welt nicht. Der feministische Kampf ist ja kein Kampf zwischen den biologischen Geschlechtern, sondern ein Kampf gegen etablierte Kultur. Das patriarchalische System ist eine Kultur, die die Frau einengt.
Dabei verstehen viele Männer gar nicht, was der Feminismus eigentlich auch für den Mann erreicht hat. Männer stehen unter enormem sozialen Druck. Gerade in der Schweizer Region, in der wir gedreht haben, gibt es eine überdurchschnittlich hohe Suizidrate für Männer. Die Gegend ist bekannt dafür. Hier gehen Landwirte an dem gesellschaftlichen Druck kaputt, den sie verspüren. Diese Idee von Männlichkeit, der starke Versorger sein zu müssen, steckt ja auch Männer in ein Gefängnis. Der Feminismus ist eine soziale Grundidee, die auch das Leben der Männer besser macht.“
Weil er ihnen Verantwortung abnimmt …
„Ja, und mehr Möglichkeiten gibt. Die Welt der Männer wird durch Feminismus größer. Mehr Zeit mit den Kindern, keine Karriere machen, sich selbst verwirklichen – das wird alles möglich.“
Während Hans im Film sich völlig gefangen sieht. Als Nora ihn wiederholt darum bittet, arbeiten gehen zu dürfen, reagiert er mit: „Dann lassen wir uns halt scheiden!“ dazwischen existiert nichts.
„Er ist so verankert in seiner Zeit. Eine arbeitende Frau würde ihn als Mann in Frage stellen, ihn demütigen. Hans verliert auch sofort seinen Status, als er die Kontrolle über seine Frau verliert. Ich habe viel Empathie für Hans und seinen Bruder Werner, die auch in diesen Strukturen gefangen sind. Frauen konnten gegen den auferlegten Druck rebellieren, weil er offensichtlich war. Spürbar, und noch dazu im Gesetz verankert. Aber beim Mann kommt der Druck über den Vater, die Kollegen …“
Die beiden raufen sich wieder zusammen.
„Ich wollte die Liebe der beiden ernst nehmen. Es wäre doch zu einfach, ein Paar zu zeigen, das sich über den Konflikt trennt. Aber wenn man jemanden liebt und Kinder hat, entstehen Konflikte und dann muss man kämpfen, das fand ich interessanter. Ich weiß nicht, ob Nora und Hans zehn Jahre später noch zusammen wären, wer weiß, wie sie sich weiterentwickelt. Aber für den Moment wollte ich zeigen: sie können sich innerhalb der Beziehung verändern“
Neben der politischen Befreiung der Frau spielt die sexuelle Befreiung der Frau eine große Rolle. Gibt es Feminismus ohne sexuelle Befreiung?
„Für mich ist das untrennbar miteinander verbunden. Ich finde, es herrscht Krieg gegen den Körper der Frau. Ganz früh schon wird uns vermittelt, dass mit unserem Körper etwas nicht richtig ist. Frauen wird ein unerreichbares Ideal und damit ein negatives Körperbewusstsein vermittelt. Sie werden dazu erzogen, ihren Körper zu kritisieren. Ich glaube, wenn man sich befreien möchte, muss man sich mit seinem Körper versöhnen. Wer kein liebevolles Verhältnis zu seinem Körper hat, oder mit seiner Sexualität hadert, der bleibt im patriarchalischen System gefangen. Das muss gar nicht sexuell sein, aber wie sollst du Rebellin sein, wie sollt du überhaupt spüren, was du willst, wenn du in deinem eigenen Körper nicht zuhause bist? Wir brauchen Widerstand gegen diese fixe Idee, wie Frau auszusehen, zu riechen oder zu sein hat.“
Trotzdem sagst du, muss man Sex und Politik trennen.
„Vielleicht eher: Alltag und Sex sollte man voneinander trennen! Im Bett kann das Spiel mit Macht und Ohnmacht sehr lustvoll sein. Das bedeutet aber nicht, dass es im Alltag so weitergeht. Ich glaube, es ist für Männer und Frauen ein Problem, wenn sie die beiden Ebenen vermischen.
Viele Frauen kommen beim Begriff Feminismus in einen inneren Konflikt mit der Frau, die sie vielleicht sexuell sein wollen. Dadurch versagen sie sich entweder Dinge im Bett, oder sie verweigern sich einem offenen Feminismus. Und auch Männer können damit hadern. Aber was im Schlafzimmer und in der Küche oder dem Büro passiert, sind völlig unterschiedliche Sachen. Für beides muss Raum sein, es darf sich nicht gegenseitig ausschließen.“
Du schenkst der sexuellen Befreiung der Frau nicht nur eine Schlüsselszene im Film, sondern sogar die finale Szene.
„Oh, das war klar für mich! Das musste auf, mit einem Höhepunkt enden. Es ist Noras Moment der Befreiung. Sie erreicht nicht nur etwas für die Frau in der Gesellschaft, sondern auch für sich ganz persönlich. Ich wollte diesen humorvollen Moment, der auch zeigt, dass die beiden als Paar gewachsen sind.“
Bedeutet das, Emanzipation fängt zuhause an?
„Unbedingt. Sie fängt – wie vorhin beschrieben – nicht zwangsläufig im Ehebett an, aber definitiv am Küchentisch. Sie fängt damit an, das man sich den Abwasch teilt.“
Kurz und knapp: Was sollen Frauen aus deinem Film mitnehmen?
„Love your Vagina!“
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