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Genetische Vorbelastung: Wenn Krebs plötzlich ganz nahe kommt

Krebs – eigentlich so weit entfernt und plötzlich doch nicht mehr: Mit 34 wurde bei unserer Community-Autorin das Lynch-Syndrom diagnostiziert, ein Gendefekt, der Ursache ist für ein erhöhtes Risiko für verschiedene Krebsarten – hier erzählt sie, wie sie damit umgeht.

 

Häufen sich die Schicksalsschläge?

Manchmal habe ich das Gefühl, je älter man wird, desto häufiger hört man von schlimmen Krankheiten oder anderen Schicksalsschlägen im Bekanntenkreis. In meinem 34 Jahre kurzen Leben hatte ich immer mal wieder von Verwandten und Bekannten gehört, die leider an irgendeiner Form von Krebs erkrankt waren. In meiner Familie hatten mein Opa und meine Tante immer wieder mit Hautkrebs zu kämpfen. Außerdem war mein Opa in jungen Jahren an Darmkrebs erkrankt, der glücklicherweise aber geheilt werden konnte. Und bei meiner Mutter wurde vor einigen Jahren ein Stimmbandkarzinom entdeckt. Es konnte entfernt werden und in den regelmäßigen Kontrolluntersuchung ist seit dem zum Glück keine Spur von Krebs mehr aufgetaucht.

Dann erkrankte eine Kusin zweiten Grades im Alter von 31 an Darmkrebs. Das machte die Ärzte stutzig, da das Durchschnittsalter bei der Erstdiagnose von Darmkrebs normalerweise bei 65 Jahren liegt. Nach diversen Tests stand fest: meine Cousine litt an HNPCC, auch Lynch-Syndrom genannt.

HNPCC (Abkürzung aus dem englischen „Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer“) ist ein vererbbares Krankheitsbild, das durch ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten von Krebserkrankungen gekennzeichnet ist.

Typisch ist das Auftreten von Darmkrebs in jungen Jahren, las ich. Doch es kann auch in anderen Geweben zur Tumorentstehung kommen. In das Tumorspektrum des Lynch-Syndroms gehören auch Krebserkrankungen der Gebärmutter, Eierstöcke, Magen, ableitende Harnwege, Leber, Galle, Haut und Gehirn. Uff!

Krebsarten

Die Erbkrankheit Lynch-Syndrom ist durch einen genetischen Defekt bedingt, den meine Kusine von einem Elternteil geerbt haben musste, das diesen wiederum auch von einem Elternteil geerbt hatte, und so weiter. Also wurden zunächst ihre Eltern auf den Gendefekt getestet. Dabei stellte sich heraus, dass ihre Mutter die Anlageträgerin ist und sie also diejenige war, die das Lynch-Syndrom weiter vererbt bekommen hatte. Da ihr bereits verstorbener Vater (also der Großvater meiner Kusine) auch an Darmkrebs erkrankt war, lag die Vermutung nahe, dass er auch Anlageträger war. Da er der Bruder meines ebenfalls bereits verstorbenen Opas war, der ja auch in jungen Jahren an Darmkrebs erkrankt war, war die Wahrscheinlichkeit plötzlich ziemlich hoch, dass das Lynch-Syndrom auch in unserem Zweig der Familie vertreten ist.

Will ich über mein Krebsrisiko Bescheid wissen?

Also ließ sich meine Mutter testen und wurde ebenfalls mit Lynch-Syndrom diagnostiziert. Somit standen die Chancen also 50:50, dass ich ebenfalls das Lynch-Syndrom geerbt hatte.

Um das herauszufinden, musste ich einen Beratungstermin bei einem Arzt für Humangenetik machen. Dieser Termin dient dazu, sich eigene Vorstellungen über eine mögliche erbliche Veranlagung machen zu können. Der beratende Arzt informiert über den Nutzen, den eine genetische Testung hat, aber auch welche möglichen Nachteile diese mit sich bringen kann.

Die Entscheidung für oder gegen eine genetische Untersuchung liegt bei einem selbst. Damit soll das Recht jedes Menschen auf „informationelle Selbstbestimmung“ gewahrt und geschützt werden. Das bedeutet, dass Betroffene selbst entscheiden können, was ihnen wichtiger ist: Das Bedürfnis nach genetischer Risikoabklärung oder das Bedürfnis, nicht genau über das eigene Krankheitsrisiko Bescheid wissen zu wollen.

Die Diagnose: ein Schock

Wir hatten uns in der Familie schon sehr viel mit dem Thema auseinandergesetzt und ich war mir sicher, auf jeden Fall wissen zu wollen, ob der Gendefekt auch bei mir vorliegt. In meinem Beratungsgespräch mit der Humangenetikerin ließ ich mir deshalb auch Blut für die genetische Testung abnehmen. Und wie ihr euch sicher schon denken könnt, wurde bei mir der Gendefekt auch festgestellt.

Für meine Familie und mich war die Diagnose erst einmal ein Schock.

Die meisten Krebsarten, für die ein erhöhtes Risiko besteht, bekommt man mit einer gezielten Früherkennung so weit in den Griff, dass sie gar nicht erst entstehen oder sich ausbreiten können. Also muss ich von nun an einmal jährlich diverse Untersuchungen machen lassen, inklusive Darmspiegelung, Magenspiegelung, Ultraschalluntersuchungen, Hautkrebsvorsorge und leider auch eine Gebärmutterspiegelung mit Biopsie der Gebärmutterschleimhaut. Frauen, die ihren Kinderwunsch bereits abgeschlossen haben, wird empfohlen, sich Gebärmutter und Eierstöcke sogar entfernen zu lassen.

Wie kriegt man die Angst in den Griff?

Vorsorge hin oder her, es ist trotzdem beängstigend zu wissen, dass diese Krebsarten ein erhöhtes Risiko haben, in meinem Körper aufzutreten. Doch genau diese Angst gilt es in den Griff zu bekommen.

Meiner Familie und mir ist das, nachdem wir den ersten Schock verarbeitet hatten, eigentlich ganz gut gelungen. Hier einige Tipps, die ich dazu habe:

– Wissen ist Macht – informiert euch gut über die Krankheit. Verlasst euch nicht darauf, dass euch die Ärzte von sich aus alles erzählen. Macht eigene Recherchen und stellt Fragen, wenn ihr euch nicht sicher seid.

– Vorsorge, Vorsorge, Vorsorge – macht alle empfohlenen Vorsorgetermine und geht regelmäßig jedes Jahr wieder hin. Damit könnt ihr sicherstellen, dass auch die kleinste Unauffälligkeit, die irgendwann einmal das Potential für Krebs haben könnte, entdeckt und entfernt oder behandelt werden kann. Darmkrebs gehört zu den „nettesten“ der ganzen Krebsarten. Ein Polyp im Dickdarm benötigt normalerweise zehn Jahre, um sich zu Krebs zu entwicklen. Mit Lynch-Syndrom ist diese Entwicklung stark beschleunigt und in etwa dreimal so schnell. Das sind dann aber immer noch drei Jahre, in denen das bei der jährlichen Vorsorge entdeckt und entfernt werden kann

– Lebt bewusst – ernährt euch gesund, bewegt euch, vermeidet negativen Stress. Das gehört auch mit zur Krebsvorsorge.

– Macht euch nicht verrückt! – bewahrt eine positive Einstellung! Krebs kann jederzeit bei jedem Menschen auftreten, auch ohne Gendefekt. Freut euch, dass ihr jetzt wisst, dass bei euch ein erhöhtes Risiko vorliegt und dass ihr dementsprechend Vorsorge betreiben könnt. Alles wird gut!

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