Foto: Anke Kuhl | Klett Kinderbuch

„Krachen Elefanten dabei nicht zusammen?“ – Wie Tierbilder bei Aufklärungsgesprächen helfen

Im Gespräch verraten die Autorin Katharina von der Gathen und die Illustratorin Anke Kuhl uns, wie es zu ihrem Aufklärungsbuch „Das Liebesleben der Tiere“ kam und warum sich Aufklärungsunterricht für Eltern oft lohnen würde.

 

Schönes und Absurdes aus der Welt der Tiere

Schon vor drei Jahren mischten die Sexualpädagogin Katharina von der Gathen und die Illustratorin Anke Kuhl mit ihrem Erklärband „Klär mich auf“ den Markt der Aufklärungsbücher ordentlich auf. Damals ging es um Fragen, die Katharina von der Gathen bei ihrer Arbeit in Grundschulen gesammelt hatte. Ihr neues Projekt heißt „Das Liebesleben der Tiere“ und befasst sich, wie der Name schon verrät, mit Liebe, Sex und Knutschereien im Tierreich. 

Dabei wird unbeschönigt, aber kindgerecht erzählt, wie unterschiedliche Tierarten umeinander werben, Sex haben und ihre Kinder großziehen. Anke Kuhls humorvolle Illustrationen zeigen nicht nur den verrückten Balztanz der Paradiesvögel, sondern erklären in der Genitalien-Galerie, wie unterschiedliche Penisse und Vulven bei Enten, Koalas oder einer Webspinne aussehen oder zeigen die unterschiedlichen Entwicklungsstufen eines Fohlens im Mutterleib. 

Wir haben mit Autorin und Illustratorin über ihr Buch, Aufklärungsunterricht in Deutschland und Schamgefühle bei Eltern gesprochen.

Frau von der Gathen, ab wann war für Sie klar, dass Sie ein zweites Aufklärungsbuch schreiben wollten?

Katharina von der Gathen: „Die Idee gärte schon lange in mir, auch schon parallel zum ersten Buch. In dem beantworte ich Kinderfragen zum Thema Sexualität, die ich schon seit Jahren während meiner Aufklärungsprojekte sammle. Dabei habe ich festgestellt, dass die Kinder immer wieder nach Tieren fragen. Zum Beispiel: „Wie haben Schlangen Sex?“ oder „Krachen Elefanten dabei nicht zusammen?“ Daraufhin hab ich mir gedacht: Das ist auf jeden Fall ein eigenes Buch wert.“


War von Anfang an klar, dass sie wieder gemeinsam an dem Buch arbeiten würden?

Anke Kuhl: „Da unsere erste Zusammenarbeit sehr erfreulich war und uns viel Spaß gemacht hat, war schnell klar, dass darauf noch etwas folgen sollte.“

Katharina von der Gathen: „Es war von Anfang an mein großer Wunsch. Schon bevor ich angefangen habe zu schreiben, habe ich Anke gefragt, ob sie Lust hätte, nochmal ein Buch von mir zu illustrieren. Wir passen da einfach gut zusammen. Wir haben viele ähnliche Auffassungen und oft bringen die Illustrationen noch eine neue Ebene in meine Texte, die das Wort alleine gar nicht transportieren kann. Das bringt unheimlich viel Humor mit. Was mir besonders gefällt: Es gibt immer eine erwachsene und eine kindliche Ebene in den Zeichnungen.“

Wenn man sich das Buch so anschaut, dann muss es für Sie, Frau von der Gathen, eine sehr interessante und unterhaltsame Recherche gewesen sein.

Katharina von der Gathen: „Unterhaltsam und mühsam! Ich hab unglaublich viel dazugelernt. Ich habe stundenlang Tierdokumentationen geschaut und auch oft gedacht, dass man eigentlich über jedes einzelne Tier ein eigenes Buch machen könnte. Das war die eigentliche Schwierigkeit, all diese Informationen zu bündeln und runterzubrechen.“

Mich hat das Buch auf den ersten Blick an Janoschs „Mutter sag, wer macht die Kinder“ erinnert. Haben Sie als Kinder Aufklärungsbücher gelesen?

Anke Kuhl: „Ja, auf jeden Fall. Als Kind der Siebziger Jahre bin ich in einer Zeit aufgewachsen, in der völlig normal und gesellschaftlich anerkannt war, dass Kinder neugierig sind und ihre eigene Sexualität haben – wahrscheinlich sogar stärker als heute. Meine Eltern waren beide Lehrer, insofern lagen auch viele Unterlagen aus dem Aufklärungsunterricht bei uns zu Hause herum. Ich erinnere mich auch viel an Hörspielplatten oder Bücher, die zwar nicht ausschließlich von Sexualität handelten, aber in denen es immer auch solche Elemente gab.“

Warum ist es wichtig, mit Kinder offen über Sexualität zu sprechen?

Anke Kuhl: „Ich finde es ist wichtig, dass Kindern von Anfang an vermittelt wird, dass ihre Sexualität kein Tabuthema ist, sondern ein Thema, über das man reden und gerne auch lachen kann. Ich finde es wichtig, eine Balance zu finden. In meiner Kindheit habe ich manchmal eine gewisse Übergriffigkeit erlebt, wenn Erwachsene mit Kindern über Sexualität gesprochen habe. 

Ich wollte meinen Kindern immer auch die Möglichkeit bieten, sich zurückzuziehen. Das sind letztendlich Situationen, in denen man einfach bei jedem Kind, in jeder Lebensphase neu spüren muss: Womit kann es gerade umgehen, was will es wissen. Mir war es nur wichtig, in all diesen Phasen Körper und Sexualität als etwas Natürliches zu verstehen, für das man sich nicht schämen muss.“

Katharina von der Gathen: „Kinder leben mit ihren Körpern. Jede Person, die mit Kindern zu tun hat, möchte hoffentlich, dass die Kinder auch gut in ihren Körpern leben können. Sexualität ist einfach ein wichtiger Bestandteil ihrer Welt, ihres Lebens, ihrer Kommunikation. Wenn ich als Kind meinen Körper nicht kennenlernen darf oder man mir keine Begriffe gibt, um ihn zu benennen, dann habe ich früher oder später ein Problem dabei, darüber zu kommunizieren und vielleicht sogar mit meinem Körper selbst zu kommunizieren.“


Sie haben beide Kinder. Wie beeinflusst das ihre Arbeit?

Anke Kuhl: „Bei mir sind beide schon immer sehr eingebunden gewesen. Langsam wachsen sie nur leider aus meiner Zielgruppe raus. Mein Sohn ist 16, meine Tochter ist zwölf. Früher haben wir auch mal gemeinsam Manuskripte gelesen, um zu schauen, was sie davon halten. Sie kriegen beide viel von meiner Arbeit mit und ich bin froh, dass sie bisher auch immer alles gut fanden, was ich so gemacht habe. Wir sind immer viel im Dialog miteinander.“

Katharina von der Gathen: „Bei mir ist das etwas anders. Einerseits finden meine Kinder es natürlich unendlich peinlich, dass ich Sexualpädagogin bin und solche Bücher schreibe. Andererseits finden sie es auch cool und sind ein bisschen stolz darauf. Gerade beim ersten Buch waren sie sehr eingebunden in den Schaffensprozess und haben redigiert und kommentiert, was das Zeug hält. Ich merke aber auch, dass sie sich zum Beispiel vor ihren Freunden eher davon distanzieren, als dass sie es toll finden. Damit muss ich leben. Aber das ist in Ordnung. Ich weiß selber nicht, ob ich es mit 16 toll gefunden hätte, wenn meine Mutter das gemacht hätte, was ich jetzt mache. Wir haben auch die Abmachung, dass ich an ihren Schulen keine Aufklärung mache.“

Frau von der Gathen, beobachten Sie bei Ihrer Arbeit als Sexualpädagogin, dass Kinder durch das Internet heute aufgeklärter sind als früher?

Katharina von der Gathen: „Ja und nein. Was ich feststelle ist, dass sich die Fragen in den letzten Jahren deutlich verändert haben. Man merkt, dass viele Kinder durch das Internet häufiger mit Inhalten und Informationen konfrontiert werden, die eigentlich nicht kindgerecht sind. Dadurch kommen natürlich große Fragen auf. 

Einerseits ist das Bewusstsein für eine große Bandbreite an Dingen, die die Sexualität betreffen, da, andererseits fehlt das grundlegende Wissen trotzdem noch. Das ist die große Diskrepanz, in der sich Kinder befinden. Da sehe ich immer, dass wir als Eltern, Pädagogen, Lehrkräfte vor der großen Aufgabe stehen, die Kinder aufzufangen und ihnen zur Seite zur stehen, bei diesen – oft auch für Erwachsene – schwierigem Thema.“

Wie nehmen Sie Aufklärung heute in Schulen selbst wahr?

Anke Kuhl: „Ich glaube, das hängt ganz stark von der Lehrerin oder dem Lehrer ab. Bei meinen beiden Kindern habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht. Wichtig ist, sich eine gewisse Lockerheit zu bewahren und sensibel, aber offen mit den Kindern zu sprechen. Als unser erstes Buch ,Klär mich auf’ herauskam, war meine Tochter genau im richtigen Alter dafür und hat es sogar im Unterricht behandelt.“

Katharina von der Gathen: „Ich habe vor allem die Erfahrung gemacht, dass viele Lehrer versuchen, das Thema zu umschiffen. Natürlich gibt es einige, die darin aufblühen und viel Spaß daran haben, den Kindern dieses Wissen zu vermitteln, aber viele scheuen das Thema. Sexualität ist immer auch etwas sehr Persönliches und darüber mit einer Schulklasse zu sprechen, die wohlmöglich auch gerade pubertiert, birgt natürlich auch gewisse Risiken. So erfahre ich manchmal, dass das Thema Sexualaufklärung vorsorglich an das Ende des Schuljahres geschoben wird, wo zwischen Schulfesten und Ausflügen dann doch kaum Zeit bleibt.“


Anke Kuhl: „Man kann da im Moment eine Parallelität beobachten, in der es zum Teil sehr reaktionäre Vorstellungen gibt und in der Lehrer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, angesichts solcher Bücher, wie wir sie machen. Es gibt Eltern, die sich fürchterlich aufregen, dass Kinder im Unterricht überhaupt ein Kondom in die Hand nehmen dürfen oder Eltern-Initiativen, die sagten, Homosexualität dürfte in der dritten Klasse auf keinen Fall thematisiert werden, weil man damit die Kinder auf falsche Gedanken bringen könnte. Es ist erschreckend, wie verbreitet solche Gedanken noch immer sind. Meinem Gefühl nach nehmen solche Überzeugungen aktuell auch wieder zu. Das sind auf jeden Fall beunruhigende Entwicklungen.“

Haben Sie auch solche negativen Reaktionen auf Ihr Buch bekommen?

Anke Kuhl: „Eher nicht, bisher haben wir überwiegend positives Feedback bekommen. Es gab allerdings einen Vorfall in der Nähe von Köln, als wir auf einem Lesefest auftreten sollten. Damals haben sich die Schulen quergestellt und gesagt, dass man so eine Veranstaltung nur machen könne, wenn die Eltern aller Schüler und Schülerinnen sich schriftlich einverstanden erklären und dass das ein zu großer Aufwand wäre. Die Veranstaltung wurde letztendlich abgesagt, weil die Schulen dieses Risiko nicht eingehen wollten. Anscheinend kennen sie es schon, dass einige Eltern da auf die Barrikaden gehen.“

Wie stehen Sie Kritikern gegenüber, die Aufklärung mit frühkindlicher Sexualisierung gleichsetzen?

Katharina von der Gathen: „Zuerst mal: Sexualaufklärung kann man sich nicht entziehen. Von Geburt an kommunizieren wir mit unseren Kindern und erziehen sie dadurch. Manche Menschen meinen, Sexualaufklärung gehöre nicht in die Schulen, sondern sei Sache der Eltern. Aber letztendlich findet Sexualaufklärung sowieso zu großen Teilen im Alltag statt. Zeigen wir uns unseren Kindern als Erwachsene nackt? Wie wird über Gefühle gesprochen? Auch das zählt schon zu Sexualaufklärung.

„Wir können unseren Kindern nicht die Augen und Ohren zuhalten.“ 

Ich kann manchmal sogar diesen Impuls, dass man das Kind vor schlechten Einflüssen oder Überforderung bewahren möchte, ganz gut nachvollziehen. Aber letztendlich finde ich es viel wertvoller und wichtiger, mit Kindern auf Augenhöhe zu sprechen. Wir können ihnen nicht die Augen und Ohren zuhalten. Kinder sind wahnsinnig vielen Einflüssen und Medien ausgesetzt – der Werbung, dem Fernsehen, Inhalten auf Youtube. Daher denke ich, es ist unsere Verantwortung und unsere Pflicht, Kindern anzubieten, uns gemeinsam mit ihnen damit auseinanderzusetzen und nach Antworten zu suchen. Das kann auch wahnsinnig viel Spaß machen, wenn Kinder ihre eigene Sicht auf Sexualität mit einem teilen.“

Woher kommen Angst und Scham bei Erwachsenen, die nicht mit ihren Kindern über Sexualität sprechen wollen?

Katharina von der Gathen: „Ich glaube, Sexualität ist immer auch Teil der eigenen Biografie. Oft kommt einiges zum Klingen, was viel mit einem selbst zu tun hat: Gibt es Probleme in der Partnerschaft, wie ist die Beziehung zum eigenen Körper? Das schwingt immer mit. Viele von uns sind mit diesen Tabuzonen groß geworden. Es gibt aber genauso auch Eltern, die etwas überambitioniert ihren Kindern viel mehr erklären, als sie in dem Moment wissen wollten – einfach aus dem Wunsch heraus, dem Kind nichts vorzuenthalten.“

Anke Kuhl: „Solche Situationen gab es bei uns Zuhause auch. Meine Kinder dürfen alles fragen, was sie wollen, aber sie sollen auch immer einen persönlichen Schutzraum haben, wenn es ihnen doch mal zu viel wird. Es gab Phasen, in denen sie sich auf gar keinen Fall nackt zeigen wollten, das war auch in Ordnung. Ich erinnere mich an eine Situation, in der mein Sohn mir eine Frage stellte und ich aufklärerisch aus den Vollen schöpfen wollte, um ihm alles genau zu erklären. Er hat mich unterbrochen und gesagt: ‚Ich glaube, ich mach mir jetzt ein Brot.‘ Da war ich wohl auch etwas über das Ziel hinausgeschossen.“

Katharina von der Gathen: „Auch sowas darf passieren. Ich finde generell, dass man eine offene Kommunikation mit Kindern mit der Zeit lernen kann. Im Zweifelsfall ist es viel besser einzugestehen, dass man gerade nicht die richtigen Worte findet, als dem Kind zu vermitteln, dass bestimmte Themen nicht besprochen werden sollten.“

Brauchen wir dann vielleicht eher Aufklärungsunterricht für Eltern?

Katharina von der Gathen: „Ich glaube, dass viele Eltern so ein Angebot gerne in Anspruch nehmen würden. Auf Elternabenden merkt man, wie groß die Scheu ist und wie schnell die Leute zu machen. Das Thema ist ein besonderes. Aber wenn man offen ist und versucht, einen Raum zu schaffen, in dem ein Gespräch entstehen kann – auch unter den Eltern selbst – dann merkt man, wie groß der Bedarf ist, sich auszutauschen.“

Inwieweit können dann Bücher wie „Das Liebesleben der Tiere“ dabei helfen, einen spielerischen Zugang zu dem Thema zu liefern?

Katharina von der Gathen: „Bilder sind immer gut, um die Kommunikation mit Kindern zu erleichtern. Man kann gemeinsam und wortwörtlich auf eine Ebene schauen, ohne dass es direkt wird. „Das Liebesleben der Tiere“ ist immer auch Aufklärung durch die Hintertür. Man liest vieles, was lustig und interessant ist, während sich immer die Frage auftut, wo es Ähnlichkeiten zu uns Menschen gibt. 

Mich haben zum Beispiel diese ganzen Familienkonzepte sehr an uns Menschen erinnert – Wohngemeinschaften, Großfamilien, Einzelgänger, Regenbogenfamilien – das gibt es alles auch in der Tierwelt. Als ich das Kapitel über Balzrituale geschrieben habe, musste ich viel an meine Teenager-Kinder denken, wie sie sich zurechtmachen, bevor sie in die Disko gehen. Das ist letztendlich genau das gleiche.“

„Man gibt Kindern etwas an die Hand, mit dem sie selbstständig entscheiden können, wie viel sie interessiert.“

Anke Kuhl: „Das Schöne ist, dass unser Buch nicht versucht, etwas von vorne bis hinten didaktisch zu erklären, sondern dass man immer mal reinschauen und einige Seiten lesen kann – sogar ohne Erwachsene. Man gibt Kindern etwas an die Hand, mit dem sie selbstständig entscheiden können, wie viel sie interessiert.“

Gibt es in dem Buch eine Zeichnung, die ihnen besonders am Herzen liegt?

Anke Kuhl: „Oh, das ist schwierig, es sind ja so viele! Ich mag die homosexuelle Tierparade sehr gerne und die Bonobos, die sich bei Konflikten küssen und Sex haben, anstatt zu kämpfen.“

Katharina von der Gathen: „Ich liebe die Fregattenvögel, die sich bei der Balz so wahnsinnig aufplustern. Die Bonobos liebe ich auch sehr. Ich habe so viele Dokumentationen über sie gesehen und bin immer ein bisschen gerührt, wenn ich das Bild sehe.“

Alle Illustrationen stammen von Anke Kuhl, mit freundlicher Genehmigung von Klett Kinderbuch. „Das Liebesleben der Tiere“ ist nach „Klär mich auf: 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema“ die zweite Veröffentlichung von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl.

Bild: Privat

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