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Jana Pareigis: „In Deutschland wird zu wenig über das Thema Rassismus geredet”

Die Journalistin und Moderatorin Jana Pareigis muss sich in ihrem Alltag immer wieder mit rassistischen Ressentiments rumschlagen. Über die Erlebnisse von schwarzen Menschen in Deutschland hat sie eine Dokumentation gedreht.

Rassismus ist ein alltägliches Phänomen

Rund 16,5 Millionen Deutsche haben mittlerweile einen Migrationshintergrund – in den Medien, in der Politik und in vielen Berufen sind sie allerdings trotzdem immer noch unterrepräsentiert. Rechtsextreme Gewalttaten steigen an, AfD-Politiker sitzen in fast jeder politischen Talkshow und der NSU konnte noch vor wenigen Jahren unbeobachtet morden. Aber immer noch verschließen wir als Gesellschaft die Augen davor, dass Deutschland 2017 ein Rassismus-Problem hat.

Die Menschen aber, die von Rassismus direkt betroffen sind, die haben keine Möglichkeit wegzuschauen. Sie sind jeden Tag mit unseren rassistischen Ressentiments konfrontiert. Der Autor Mohamed Amjahid hat gerade ein Buch darüber geschrieben: „Unter Weißen. Was es heißt privilegiert zu sein” beschreibt unter anderem den Alltagsrassismus, dem nicht-weiße Menschen in Deutschland täglich ausgesetzt sind. Rassistische Erfahrungen macht auch die Journalistin und Moderatorin Jana Pareigis immer wieder. Die Frage: „Woher kommst du?” begleitet sie seit ihrer frühen Kindheit. Und vor ein paar Wochen erst, musste sie vor laufender Kamera mit anhören, wie ein Studiogast schwarze Menschen in Südafrika zu Dieben stigmatisierte.

Auch deshalb ist ihr die Dokumentation: „Afro.Deutschland”, bei der sie gemeinsam mit Adama Ulrich und Susanne Lenz-Gleißner Regie führte. Ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen, reist Jana Pareigis durch Deutschland, um sich mit anderen schwarzen Menschen, darunter der Rapper Samy Deluxe, der NS-Zeitzeuge Theodor Wonja Michael und die Magazin-Gründerin Esther Donkor, in Deutschland auszutauschen.

Die Theaterintendantin Shermin Langhoff hat vor Kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift „Theater der Zeit” gesagt: „Wir erkennen uns heute zwar als Einwanderungsland an, aber unsere Narrationen hinken dem hinterher. Auch unsere Institutionen, die gesamte politische und künstlerische Praxis.” Genau diese Problematik greift auch Jana Pareigis mit ihrer Arbeit auf und trägt damit einen wichtigen Schritt dazu bei, dass mit dem Mythos, Deutschland sei ein weißes Land, endlich gebrochen wird. Wir haben die gebürtige Hamburgerin in Berlin getroffen, um mit ihr über ihre Dokumentation, Alltagsrassismus und Empowerment zu sprechen.

Frau Pareigis, wenn man in Deutschland über Alltagsrassismus sprechen will, wird das Verhalten oft verharmlost und die Diskussion abgetan, weil es in Deutschland kein Rassismus-Problem mehr gäbe. Warum braucht es eine Dokumentation wie „Afro.Deutschland” ausgerechnet jetzt?

„Ich erlebe relativ oft, dass die Benennung von Rassismus oder rassistischen Verhaltens abgebügelt und verharmlost wird. Zurzeit herrscht eine aufgeheizte Stimmung in Deutschland vor. Gerade in den sozialen Medien finden wir eine Verrohung der Sprache. Es gibt eine sehr laute rechtspopulistische Minderheit, der es gelungen ist, den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben. Es ist interessant, wir leben im Jahr 2017, Deutschland ist ja nicht erst seit gestern Einwanderungsland. Migration gab es schon immer. Schwarze Menschen leben zum Beispiel seit mehr als 400 Jahren in Deutschland. Trotzdem wird Deutschland von einigen noch als ,weiß’ imaginiert. Mittlerweile haben über 20 Prozent der Deutschen einen sogenannten Migrationshintergrund. Deswegen brauchen wir auch Perspektivwechsel und deshalb habe ich die Doku gemacht, um gemeinsam mit den anderen Protagonisten zu zeigen: ,Wir als Schwarze Menschen in Deutschlanderleben Rassismus, auch wenn er von Außenstehenden vielleicht oft nicht als solcher wahrgenommen wird.”

Auf der anderen Seite gibt es in Deutschland aber auch einen selbstverständlicheren Umgang mit Vielfalt. Ein kleines persönliches Beispiel: in den neunziger Jahren wurde mir öfter mal gesagt: ‚Sie sprechen aber gut deutsch…‘ Heute höre ich das eigentlich gar nicht mehr. Und es gibt in Deutschland ja auch ein sehr großes ehrenamtliches Engagement. Viele Menschen, die sich für den Zusammenhalt in der Gesellschaft einsetzen.

Wie haben sie die Auswahl ihrer Gesprächspartner getroffen?

„Mir war ziemlich schnell klar, wen ich treffen wollte. Ich berichte ja aus meiner Perspektive, das heißt, es sind Menschen, die in irgendeiner Form einen Bezug zu mir haben. Den Rapper Samy Deluxe zum Bespiel kenne ich aus meiner Jugend in Hamburg, den 92-jährigen Theodor Wonja Michael, der als Kind in Völkerschauen auftreten musste und in der NS-Zeit in Kolonialfilmen mitgespielt hat, weil das damals für Schwarze die einzige Möglichkeit des Broterwerbs war, habe ich vor Jahren einmal interviewt und seine Schilderungen haben mich schon damals sehr berührt. Das Thema Haare beschäftigt mich auch aus meiner eigenen Erfahrung heraus und weil die Haare bei Schwarzen so oft politisiert werden. Deshalb war klar, dass ich Esther Donkor, die Gründerin des Magazins „KrauseLocke.de” interviewen wollte. Rechte Gewalt hat mich durch die Pogrome in den frühen 1990er Jahren schon als Kind geprägt und ist heute, mit dem Anstieg von rechten Gewalttaten, leider immer noch wahnsinnig präsent. Daher wollte ich das Thema auch mit in ,Afro.Deutschland‘ reinnehmen. Ich treffe in der Doku Issa Barra, einen Geflüchteten aus Burkina Faso, der in einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt lebt und dort von einem Rechten zusammengeschlagen wurde. Unsere Gesellschaft wird vielfältiger – und gleichzeitig nehmen rassistisch motivierte Übergriffe zu. Und nur ein geringer Teil der Straftaten wird überhaupt aufgeklärt. Das muss thematisiert werden.”

Machen wir es uns als deutsche Gesellschaft zu bequem?

„In Deutschland wird zu wenig über das Thema Rassismus geredet. Rassismus hat dabei viele Facetten: Die schlimmste Ausprägung sind sicherlich die rechtsextremen Gewalttaten, aber es geht eben auch um vermeintliche Kleinigkeiten, sogenannter Alltagsrassismus, der trotzdem für etwas steht. Die Frage: ,Wo kommst du her?’ ist zum Beispiel nicht per se rassistisch. Wenn ich dann aber darauf antworte: , Aus Hamburg’ und diese Antwort nicht akzeptiert wird, sondern mit einem: ,Nee, wo kommst du wirklich her? Wo kommt deine Farbe her?’ geantwortet wird, dann wird nicht akzeptiert, dass ich aus Deutschland komme, obwohl ich in Hamburg geboren und aufgewachsen bin. Nicht jede Person, die so reagiert, ist ein Rassist, aber so zu fragen, ist rassistisch. Und das müssen wir dringend deutlich machen.”

Wie viel Offenheit gibt es für die Debatte?

„In Deutschland herrscht, glaube ich, bei manchen die Vorstellung vor, der Rassismus sei mit Ende des Nationalsozialismus ebenfalls beendet worden. Das ist ein Problem, denn Rassismus gibt es noch. Die Vehemenz mit der die Kinderbuchdebatte vor einigen Jahren geführt wurde, war für mich sehr befremdlich. Wir wissen doch, dass Sprache sich ändert. Wer hätte vor 30 Jahren zum Beispiel gedacht, dass wir mal etwas ,googlen‘.

Warum bestehen Leute darauf, bestimmte Begriff weiter zu verwenden, wenn sie wissen, dass diese rassistisch und verletzend sind? Wieso ist das so schwierig, diese Wörter nicht zu benutzen? Ich glaube, das hat viel mit Macht zu tun: Man will die Macht nicht aufgeben, Leute so zu benennen, wie man das gerne möchte oder gewohnt ist. Da lässt sich auch eine Angst vor einem Privilegienverlust erkennen. Zum Beispiel bin ich es als Schwarze Person gewohnt als schwarz bezeichnet zu werden, die meisten weißen Personen sind es aber nicht gewohnt, als weiß bezeichnet zu werden.”

Welche Erfahrungen haben Sie selbst im Laufe ihrer journalistischen Karriere gemacht?

„Bei meinen Arbeitgebern hatte ich immer Glück, dort hat es nie eine Rolle gespielt. Aber in der Arbeit als Journalistin ist es mir schon passiert, dass ich nicht als Journalistin wahrgenommen wurde. Leute denken tatsächlich, dass ich, weil ich „die Schwarze” bin, nicht die Journalistin sein kann. Ein anderes Beispiel: Eine afrodeutsche Freundin von mir ist Ärztin im Krankenhaus. Bei ihr denken Menschen oft, sie sei die Krankenschwester. Es passt nicht in die rassistische Klischee-Vorstellung, dass sie die Ärztin ist. Uns werden diese Jobs von einigen nicht zugetraut.

Andersherum wurde mir vor allem in meiner Jugend oft gesagt: ,Du kannst bestimmt total gut singen und tanzen!’– Dabei bin ich der lebende Beweis dafür, dass eben auch das nur ein Klischee über Schwarze Menschen ist.” (lacht)

Wie divers ist unsere Medienlandschaft?

„Eigentlich kaum. Das zeigen schließlich auch die Zahlen: Über 20 Prozent der Deutschen haben mittlerweile einen sogenannten Migrationshintergrund, aber nur zwei bis drei Prozent der Journalisten in deutschen Redaktionen. Ich bin nicht mit schwarzen Moderatoren bei den Nachrichten aufgewachsen. Es war ja schon eine Sensation als Linda Zervakis und Dunja Hayali prominent auf den Schirm traten – und das ist jetzt auch erst einige Jahre her. In den USA oder in England ist das ja zum Beispiel anders. Es gibt aber Versuche das zu ändern. In den Redaktionen tut sich was. Die Neuen Deutschen Medienmacher, bei denen auch ich mitmache, zum Beispiel, setzen sich für mehr Vielfalt in den Medien ein.”

Was bedeutet „deutsch sein” für Sie?

Ich bin Deutsche, aber eigentlich denke ich darüber nicht so viel nach. Ich fühle mich als Hamburgerin. Habe aber auch eine Verbindung zu Simbabwe und zu Schweden. Alleine der deutsche Pass hat ja aber natürlich viele Privilegien, zum Beispiel beim Reisen.

In der Doku haben einige Protagonisten ja auch keinen deutschen Pass, trotzdem gehören sie zu Deutschland. Am besten wäre es natürlich, wenn diese Kategorien – Pass, Nationalität, Herkunft – gar nicht mehr so eine große Rolle spielen würden. Eigentlich ist unser Verständnis von Zugehörigkeit mittlerweile ja viel fluider, oder? Ich weiß zum Beispiel gar nicht, ob mich als Norddeutsche eigentlich manchmal mehr mit einem Bayern als mit einem Dänen verbindet.”

Sie sagen in ihrer Dokumentation: „Deutschland ist ein vielfältiges Land.” Was muss sich ändern, damit es sich auch als dieses zeigt?

„Ich glaube, es ist total wichtig, dass die verschiedenen Berufszweige endlich auch die Bevölkerungsstruktur widerspiegeln. Im Bundestag sitzen zum Beispiel nur zwei Schwarze Abgeordnete. Aber auch in Kindergärten, Kliniken, Universitäten brauchen wir mehr Diversität. Dann gehört es für die nächste Generation nämlich einfach schon zum Selbstverständnis. Bei Vielfältigkeit geht es übrigens nicht nur um die Hautfarbe. Auch Menschen mit zum Beispiel einer anderen sexuellen Orientierung müssen repräsentiert werden.

Vielfalt sollte nicht nur problembezogen diskutiert werden. Ich hab zum Beispiel schon erlebt, dass mir gesagt wird: ,Ja, du bist ja super integriert‘ – Was soll das bedeuten? Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen. Außerdem wird Integration oftmals mit Erfolg gleichgesetzt. Nur wer erfolgreich ist, gilt als gut integriert. Das kann nicht sein. Vielfalt muss als Realität, nicht als Utopie anerkannt werden.”

In Berlin gibt es immer noch eine Straße, die den Namen: „Mohrenstraße” trägt. Die Dokumentation bietet auch einen Einblick in die kolonialen Spuren Deutschlands, die hier immer noch ganz selbstverständlich ins Stadtbild integriert sind. Was wird dagegen unternommen?

„,Mohr‘ ist einer der ältesten deutschen Begriffe für Schwarze Menschen und bedeutet unter anderem töricht, einfältig. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zum Beispiel, die ja auch in der Dokumentation vorgestellt wird, setzt sich dafür ein, diese kolonialen Orte überall in Deutschland zu thematisieren, sich öffentlich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen und zum Beispiel rassistische Bezeichnungen umzubenennen. In der Doku geht es eben auch ganz stark um Empowerment. Es soll zeigen, dass wir nicht nur Opfer von Rassismus sind, sondern dass wir auch aktiv etwas ändern können. Wir können uns austauschen, informieren, solidarisieren, organisieren. Wir sind nicht alleine, das ist super wichtig. Wir brauchen eine Debatte. Und wir können sie anstoßen und gestalten.”

Warum braucht es Organisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland?

„Ich glaube, solche Organisationen sind vor allem so wichtig, weil sie Missstände thematisieren, die sonst manchmal untergehen. Sie legen an den richtigen Stellen den Finger in die Wunde und prangern zum Beispiel Racial-Profiling, rassistische Strukturen und Unterrepräsentation von Minderheiten an. Sie treten als Interessenvertretung für Menschen auf. Sie starten einen Dialog.”

Und was können wir als Gesellschaft insgesamt tun?

„Das geht schon im Kleinen los. Eine Sache, die ich immer wieder betone: Wenn man sich unsicher ist, welche Begriffe man verwenden sollte, kann man am besten einfach nachfragen. Das ist ein guter erster Schritt. Ich erkläre dann zum Beispiel, warum ich nicht als „farbig“ bezeichnet werden möchte. Aber „Schwarz“ und „Afrodeutsch“ total okay finde. Wir sollten unser Verhalten und unsere Umgebung reflektieren und Gewohntes hinterfragen, mal Perspektivwechsel wagen. Die Kinderbuchdebatte ist auch hierfür ein gutes Beispiel. Vielleicht sollten wir uns einfach mal in die Schwarzen Kinder hineinversetzen, die in diesen Kinderbüchern damit konfrontiert sind, dass Schwarze als dumm und einfältig, grotesk überzeichnet und als Diener dargestellt werden. Kann man wirklich noch so vehement an solchen Begriffen und Darstellungen hängen, wenn man sich klarmacht, wie verletzend das ist, welche Spuren das hinterlassen kann?

Wir müssen uns unbequeme Fragen stellen: Wie kann es sein, dass Menschen immer noch auf Grund ihrer Hautfarbe oder ihres Nachnamens zum Beispiel bei der Wohnungssuche diskriminiert werden? Warum werden Menschen mit Migrationshintergrund seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen? Warum werden Menschen, mit einer nicht normkonformen sexuellen Orientierung in so vielen Bereichen des Lebens diskriminiert? Und bei rechtsextremer Gewalt muss hingeschaut werden. Strukturen, die die Opfer unterstützen müssen gestärkt und neu geschaffen werden.”

Viele Geschichten in der Dokumentation machen traurig. Trotzdem schließen sie sehr positiv. Was gibt Ihnen die Kraft für so ein bestärkendes Fazit?

„Der Austausch mit anderen über Rassismus hat mich auf jeden Fall gestärkt. Ja, es gab Momente, in denen ich mich als Kind geschämt habe, wenn Leute sich mir gegenüber rassistisch Verhalten haben. Das ist ja eigentlich absurd, dass mir das unangenehm war und nicht denjenigen, die etwas Rassistisches gesagt haben. Also Kind wollte ich auch manchmal weiß sein, weil mich die Exotisierungen so angestrengt haben. Und ja viele Geschichten in der Dokumentation sind sehr berührend, machen traurig und sogar wütend. Die Menschen, die diese Geschichten erzählen, sind trotzdem total starke Persönlichkeiten. Und das hat mich wiederum stärker gemacht. Es geht also auch um das Gefühl zu merken, nicht allein zu sein. Das hilft. Ich fühle mich mit meiner Hautfarbe wohl. Und würde sie auch für nichts in der Welt ändern wollen.

Darüber hinaus wird die Vielfalt Deutschlands sichtbarer. Es hat sich schon viel getan – aber eben noch nicht genug. Und genau deshalb müssen wir alle noch viel mehr tun, denn Toleranz und Gerechtigkeit kommen nicht von alleine.”

Die sehr sehenswerte Dokumentation ist online bei der Deutschen Welle zu finden.

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