Foto: Simon Knab

Maggie Coker: „Business-Strategie? Ich erfinde mich immer wieder von Neuem”

Wer sagt, dass nur innovative Produkte den Erfolg bringen? Maggie Coker hat sich auf Vintage-Kleidung, Wildblumen, Poesie und Schatzkarten spezialisiert und ist damit die Business-Queen von Neukölln.

 

In Berlin ist alles möglich!

Ein Blick in die Vintage-Boutique „Rag And Bone Man“ verrät auf einen Blick: Die in Berlin lebende Britin, Maggie Coker, ist ein echtes Multi-Talent. Neben dem Verkauf von Klamotten, hat sie sich auf den Vertrieb von Lyrik und Wildblumen spezialisiert und unterstützt mit ihrer „Neukölln-Schatzkarte“ die Nachbarschaft zwischen anderen Klein-Unternehmen. Klingt ungewöhnlich? In einem gemeinsamen Gespräch erzählt die junge Gründerin, woher sie ihre
kreativen Ideen schöpft.

Bild: Eva Paulsen

Mehr Platz für kreative Ideen

Als Maggie vor gut sechs Jahren nach Berlin kam, war es Liebe auf den ersten Blick. In ihrer Heimtatstadt London war die U-Bahn jeden Tag vollgepumt mit zu vielen Menschen, die sich alle nur für ihre eigenen Probleme interessierten. Berlin, mit seinen weiten Straßen und den hohen Altbau-Decken, gab ihr hingegen zum ersten Mal das Gefühl, wirklichen Freiraum zu haben und gleichzeitig Teil einer Nachbarschaft zu werden.

„I felt like I had gone back in time, because there were so many small businesses. And in every shop I went, I met the owner. This really felt like the imprint of my heart.”

Begeistert von den vielen kleinen Cafés und Läden in ihrer Nachbarschaft, beschloss Maggie ihren eigenen kleinen Vintage-Laden, den „Rag And Bone Man“,  in ihrem Lieblings-Kiez Neukölln zu eröffnen. Als wir uns in einem ihrer Lieblings-Café am Richardplatz treffen, verrät sie mir kichernd (wie ein Kind, das man bei einem Streich erwischt hätte), dass sie damals in London eigentlich Politik und Umweltwissenschaften studiert habe, was allerdings die reinste Zeitverschwendung gewesen sei. Im Grunde habe sie das Studium nur begonnen, weil das damals alle in ihrem Freundeskreis so gemacht
hätten. „So I gave in on peer pressure and did what everyone else was doing.” Mit dem, was sie heute macht, habe ihr damaliges Leben nicht das Geringste zu tun.

Mach dein Ding, egal was die anderen Sagen!

Bevor Maggie begann auf die Meinung der anderen zu pfeifen, wanderte die Idee eines eigenen Ladens schon eine Weile in ihrem Kopf herum. Seit sie auf einer Reise nach Lissabon durch Zufall eine Boutique entdeckte, in der man nicht nur Klamotten kaufen, sondern auch gleich die Haare geschnitten bekam.

„It was my first vision of a concept store and from that time on, I had this dream of starting something similar.“

Der „Rag And Bone Man“ hätte ursprünglich eine Mischung aus
einem Café und einem Vintage-Laden werden sollen, der neben Klamotten, auch eine Sammlung alter Vinylplatten im Angebot hatte. Als ihr Geschäftspartner jedoch für seine Musik-Karriere zurück nach Schweden ging, entstand mit ihrer neuen Partnerin an der Seite, der Plan, den Laden an Künstler und Designer unter zu vermieten, die einen Ort für ihre Vernissage oder den Launch einer neuen Kollektion suchten.

„My business strategy is to go left when everyone else is going straight.“

Inspiriert von den vielen kreativen Einflüssen, die sie umgaben, beschloss Maggie und ihre Partnerin Johanna Hagman („she`s my rock!“) bald darauf, ihre eigenen Events auf die Beine zu stellen. Wie sie mir mit einer lässig abtuenden Handbewegung erklärt, seien sie mitunter die ersten gewesen, bei denen man an Veranstaltungen wie Supper Clubs oder „Bitch and Bake“ teilnehmen konnte (einer kleinen Party, bei der die Leute mit ihren Leckereien zu ihnen in den Laden kamen, um beim gemeinsamen Schlemmen über ihre Alltags-Probleme zu lästern).

Die Events und das Vintage-Konzept seien zwar sehr gut bei dem jungen Neuköllner Publikum angekommen, mit der Zeit habe Maggie sich jedoch selbst in ihrem Laden gelangweilt. Die Idee versprühte einfach nicht mehr den selben Zauber, wie am Anfang. Also musste eine neuer Plan her wenn man das in Maggies Fall überhaupt so nennen kann. Maggie ist nämlich eine „Macherin“, keine Planerin. Es sei vor allem wichtig zu wissen, wann es Zeit für eine Veränderung sei und sich nicht davor fürchten, etwas Neues zu wagen.

Bild: Silvia Condo

Inzwischen zählen, neben dem Second-hand-Shop, der Versand von Wildblumen und Gedichten sowie die „Neukölln-Schatzkarte“ zu den
Haupt-Projekten der jungen Gründerin. Als ich sie schließlich doch frage, welche Business-Strategie sich hinter diesen, doch eher „altmodischen“, Konzepten verbirgt, erklärt sie, dass sie sich, ohne groß über die Erfolgschancen nachzudenken, einfach auf die Dinge konzentriert habe, die ihr selbst am Herzen liegen.

Was fehlt, sind Gesten die bleiben

Heutzutage führen wir all unsere Diskussionen, selbst tiefgründige Gespräche, über WhatsApp und schicken uns Emojis, um unsere Gefühle auszudrücken.

„This is a scary concept. I think, we are all losing touch. We are shopping for relationships online, just swiping. Where is the feeling?”

Mit „Poems and Posies“ wollen sie und ihre zweite Geschäftspartnerin Jasmin Lünstroth die Romantik zurück in den Alltag der Leute bringen. Die Sträuße aus Wildblumen binden sie selbst  bei sich im Laden und auch wenn (oder gerade weil) sie keine ausgebildeten Floristinnen sind, schätzen ihre Kunden die liebevollen Blumen-Gestecke und Makramee-Flechtereien ganz besonders. Zudem gewinnen sie mit dieser Idee nicht nur die Herzen ihres jungen Publikums. Gerade die älteren Leute freuen sich immer, wenn sie am Schaufenster des Ladens vorbeikommen, da es ihnen viel bedeute, dass junge Menschen ihre Traditionen wieder zum Leben erwecken.

Sag es mit einem Gedicht

Zu jedem Strauß gibt es ein Gedicht eines ihrer Lieblings-Autoren oder ein Zitat eines Songtexts von Bands oder Künstlern, wie Prince, langston hughes, Dr. Seuss und David Bowie. Und vielleicht werden sich eines Tages auch Maggies eigene Gedichte in Mitten eines der Sträuße befinden, bei so viel kreativem Potential. Doch sie wäre nicht die Maggie, die sie ist, wenn nicht in jedem ihrer Konzepte auch immer der Gedanke mitschwingen würde, anderen Kreativen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Ihre neuste Idee ist es daher, jeden Monat einen Gast-Autor aus der jungen Berliner Literaturszene zu sich einzuladen, dessen Gedichte mit ihren Blumen versandt werden. „What a nice way to have work
going out.“

Bild: Neukölln-Schatzkarte, Judith Carnaby

Mehr Aufmerksamkeit möchte sie darüber hinaus auch jenen bieten, die, wie sie, ein eigens unabhängiges Geschäft in Neukölln besitzen und häufig aufgrund ihrer versteckten Lage in Hinterhöfen und Seitenstraßen von Passanten übersehen werden. Über die Jahre haben sich immer mehr kleine Boutiquen

und Cafés im Kern des, damals eher schmuddeligen, Neuköllns gebildet. Wie
Maggie weiß, erfreuen sich nicht alle Berliner über die Veränderungen,
die auf einmal all die Hipsters in „ihren“ Kiez locken. In Maggies Augen sind
Veränderungen, wie diese, jedoch nicht aufzuhalten. „There is good change and bad change.“ Die Menschen müssen sich bloß darüber klarwerden, dass sie selbst Teil der Veränderung sind.

 „At the end of the day, I think that these small and independent businesses are the charme of our community, cause once we are gone, we will be replaced by chains like Star Bucks and then the people who were complaining realise, that it actually wasn`t so bad having these small cafés everywhere.”

Nachbarschaft verbindet

Ich möchte wissen, wonach sie entscheidet, welches der Cafés oder welcher Laden einen Platz auf ihrer Schatzkarte verdient hat, doch Maggie ist es im Grunde allein wichtig, dass die Besitzer nett sind und einen Sinn für Nachbarschaft haben. Das mag kitschig klingen, aber mit ihrer offenen Art und dem Vertrauen, das sie sowohl den neuen, als auch den skeptischen Alt-Berlinern entgegenbringt, hat sie wirklich einen großen Beitrag zum Nachbarschaftsgefühl ihrer Gemeinschaft geleistet.

„We help each other and we recommend the business of another person, if we don`t have the products our clients ask for. It`s a support-network.”

Ich finde es beeindruckend, dass Maggie, die selbst vor ein paar Jahren erst nach Berlin gekommen ist, sich mit solcher Hingabe und Engagement für ihre neugewonnene Gemeinschaft einsetzt. Sie selbst sieht sich als eine Art Mentorin
jemanden, der andere unterstützt und ihnen einen kleinen Schubs gibt, damit sie sehen, dass man seine Träume verwirklich und irgendwann tatsächlich davon leben kann. „This is my strong point, I’m a good mentor and supportive team player.”

Wie sie betont, habe sie all das, was sie sich aufgebaut hat, aber selbst nicht ohne Hilfe geschafft. Bei jeder neuen, verrückten Idee stand ihr immer eine tolle Partnerin zur Seite. I’m surrounded by strong, passionate and hardworking women.” Als ich sie frage, ob sie schon wieder etwas Neues geplant habe, grinst sie mich an. Natürlich. Sie sei bloß noch auf der der Suche einem passenden Investor.

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