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Trotz Mindestlohn: Vom Fluch, die ewige Praktikantin zu sein

Ein Praktikum reiht sich an das nächste, und außer blöden Sprüchen, Handlanger-Aufgaben und ein paar netten Worten zum Abschied ist nichts zu holen, schon gar nicht ein anschließendes Jobangebot? Was passieren muss, damit unsere Generation sich aus der Praktikantenfalle befreit.

 

Praktikanten als Ersatz für Festangestellte

Mein erster Karriereschritt schien ein Glücksgriff zu sein: Der Fachverlag lag unweit von meiner Uni entfernt, ich konnte eine Stelle neben dem Studium antreten, der Chef wirkte locker. Doch schon nach kurzer Zeit merkte ich, selbst als vollkommen Unerfahrene: Professionell geht anders. Die Belegschaft bestand außer besagtem Chef nämlich nur noch aus zwei Volontären und vier Praktikanten. Feste Mitarbeiter? Längst gekündigt. Die Volontäre bekamen etwa 500 Euro im Monat (je nach Lage auch weniger, in jedem Fall aber verlässlich Wochen zu spät), die Praktikanten gar nichts.

Nur das Klopapier war umsonst, dafür mussten wir es aber auch kaufen. Dem Chef Mittagessen oder Grüntee zu besorgen, gehörte ebenso zum Aufgabenfeld wie Telefondienst, Urlaubsvertretung während der Ferien und diverse andere Handlangerarbeiten, die selbst für einen überbezahlten persönlichen Assistenten anmaßend gewesen wären. Ansonsten lektorierten wir vor allem Bücher, die dann ohne weitere Kontrollinstanz in den Druck gingen. Meine Lernkurve ging gegen null, genau wie der Verkauf der Bücher (nehme ich an).

Ein Praktikum als Einstiegschance?

Bald hatte ich die Systematik durchschaut: Ein Praktikum ist eine bequeme und  billige Möglichkeit, reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen. Wir Praktikanten sind für den Arbeitgeber vor allem eins: Praktisch. Immer droht die Lücke im Lebenslauf, also stellen wir kaum Ansprüche – eine Mitpraktikantin sagte mal in vollem Ernst zu mir: So lange alle nett zu mir sind, ist das schon okay, dass ich anspruchslose Aufgaben habe. Wer hinterfragt, tut vor allem einer Person weh: sich selbst.

Meine nächste Station war ein Großkonzern, Unternehmenskommunikation. Ein weiteres „typisches“ Beschäftigungsfeld der Geisteswissenschaftler. Ich hatte gerade meinen Bachelor gemacht und erst mal genug von Hörsälen und Mittelhochdeutsch. Das Arbeitsklima war toll, man durfte in der Mittagspause joggen gehen, ich hatte viele Privilegien. Zu dem Zeitpunkt ahnte ich bereits: Besser als hier wird es nicht. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die aufrichtig traurige Bemerkung meiner Vorgesetzten, die bedauerte, nie nach oben weitergeben zu können, wenn man ein Talent gefunden hatte. Neue Stellen gab es einfach nicht, maximal Halbjahresverträge aufgrund von Schwangerschaftsvertretungen waren mit viel Glück zu haben. Die Milliardengewinne wurden eben in anderen Unternehmensbereichen erzielt.

„Das kann ja die Praktikantin machen!“

In einer anderen Unternehmenskommunikation war ich überrascht, wie wenig neue Trends auf dem Arbeitsmarkt Beachtung fanden: Alte Unternehmensstruktur trifft veraltete Denkweise. Work-Life-Blending? Fehlanzeige. Stattdessen Sitzkultur von nine-to-five, wer früher geht, weil er nichts zu tun hat, ist faul. Beschäftigt aussehen ist wichtiger als die erbrachte Leistung. Home Office gab es nur für langjährige Angestellte, dann wurde das Telefon – wie praktisch! – auf die „Praktis“ umgeleitet. Und auch sonst wurde alles auf uns abgewälzt, wozu man auf der höheren Karrierestufe keine Lust mehr hat.

Oft war mein Aufgabenprofil dem einer Sekretärin erschreckend ähnlich – was nicht heißen soll, dass Sekretärinnen keine anspruchsvolle Arbeit machen, im Gegenteil. Die wichtigsten Arbeitsanweisungen in Praktikum Nummer vier lauteten: Vorgesetzte bei wichtigen Mails immer in CC setzen, da sonst nach Praktikumsende alle wichtigen Infos verschwinden. Dokumente immer auf dem Server und nicht dem eigenen Desktop ablegen, damit die Bahn frei ist für den nächsten Durchreichungskandidat. Der Mensch als Arbeitskraft ist eben alles andere als unersetzlich: Praktikanten lernen Praktikanten ein, da die Vorgesetzten oft schon gar nicht mehr wissen, wie banale Dinge (Werkspost verschicken et cetera) in ihrem Unternehmen funktionieren. Die Konsequenz: Oft hatte ich nach der zweiten Woche bereits innerlich gekündigt. Dazu lustig gemeinte Sprüche von älteren Herren wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, wenn man mit einem schweren Paket an ihnen vorbeiläuft. Das war eines der Dinge, die mich am meisten störten, noch mehr als unverschämt niedrige Gehälter: Die Angewohnheit der anderen Angestellten, die Anstrengung der Praktikanten als Selbstverständlichkeit hinzunehmen.


Der Lohn wird komplett von der Miete geschluckt

Dass man inzwischen, um ein Praktikum zu bekommen, überqualifiziert sein muss, ist an einem Großteil der alteingesessenen Belegschaften offenbar vorübergegangen. Ich bin jetzt Mitte zwanzig und habe aufgehört, die Bewerbungen zu zählen. Es gab Phasen, in denen ich froh war, überhaupt eine Absage zu bekommen, manchmal kamen die Unterlagen erst Jahre später zurück. Vor meinem letzten Vorstellungsgespräch hatte ich panische Angst vor der Frage, ob ich mich nicht für überqualifiziert halten würde (was ich auch war). Die Angst vor der Lücke im Lebenslauf sitzt einem immer im Nacken. 

Meine Gehälter bewegten sich von vollkommen unbezahlt bis maximal 800 Euro (und das ist für einen Geisteswissenschaftler-Praktikant schon außergewöhnlich viel!). Als ich bei einem Magazin 40 Stunden pro Woche für 450 Euro im Monat arbeitete, ging mein Geld komplett für die Zimmermiete drauf – dass die für den Job unabdingbare Monatskarte vom Verlag übernommen wurde, wurde mir als besonderer Bonus verkauft. Hätten meine Eltern mich nicht unterstützt, ich hätte die Stelle gar nicht antreten können. Das krönende Finale war ein Abschlussgespräch eine halbe Stunde nach Dienstschluss, in dem man mir wohlwollend riet, mich etwas auffälliger zu kleiden: „Wenn du in der Branche etwas werden willst, musst du dich besser stylen.“ Dass ich monatelang fast druckfertige Texte geliefert und ganze Projekte allein übernommen hatte, blieb eine Randbemerkung. Für sich genommen sind solch kleinen Erlebnisse eigentlich echt lustig. Zusammengenommen frustrieren sie unglaublich.

Mindestlohn? Ja, aber…

Während meiner Praktikantenphase wurde der Mindestlohn eingeführt. Das änderte genau eine Sache: Nun musste ich oft schon bei der Bewerbung nachweisen, dass ich eingeschriebene Studentin war und das Praktikum bestenfalls als Pflichtpraktikum absolvieren wollte. Dann dürfen Unternehmen nämlich wieder das zahlen, was sie wollen, und das ist meistens: sehr sehr wenig. Über die finanzielle Zukunft – oder gar Rente – versucht meine Generation größtenteils gar nicht erst nachzudenken, ist wohl auch besser so.

Anfangs dachte ich noch, ein Praktikum könne eine Chance sein: Dazulernen, in verschiedene Bereiche reinschnuppern, Insiderwissen bekommen, Kontakte knüpfen. Das alles ist definitiv auch möglich. Nur eines hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert: Die Möglichkeit, in ein Unternehmen einzusteigen, ist es nur noch in den allerseltensten Fällen. In meinem Bekanntenkreis kenne ich keinen einzigen. Stattdessen hat man eine willige, engagierte Arbeitskuh zu sein, die monatelang gemolken und dann in die freie Wildbahn entlassen wird. Dort wartet dann: Das nächste Praktikum.

Als letztes Glied in der Kette ist es schwer, das System neu aufzurollen

Die Tatsache, dass es vielen anderen nicht besser geht: Inzwischen weiß ich nicht mehr, ob ich mich darüber freuen oder verzweifeln soll. Allein die Anzahl meiner Mitstreiter überraschte mich anfangs: Oft kam auf jede feste Stelle ein Praktikant, wenn nicht sogar mehrere. Über die Gesamtzahl der Praktikanten in Deutschland gibt es aber keine offizielle Zahlen.

Habe ich bei all dem auch etwas gewonnen? Natürlich. Lebenserfahrung. Fachwissen. Oft wurde ich wirklich gebraucht, bekam Lob für meine gute Arbeit. Ich habe tolle, interessante Menschen kennengelernt. Ich bin öfter über meinen Schatten gesprungen, als ich (angeborener Feigling) es je für möglich gehalten hätte: Ich habe als introvertierter Mensch für Straßenumfragen wildfremde Leute angesprochen. Ein ordentliches Zeugnis durchgesetzt, wenn man mich mit einem veralteten, unbrauchbaren Vordruck abspeisen wollte. Meine Zeit als Au-Pair hätte ich nie gehabt, wäre ich nach zwei Praktika übernommen worden. Diese winzigen Anfälle von sozialem Ungehorsam wirkten immer unglaublich befreiend auf mich. Für all das bin ich sehr dankbar. Trotzdem: viel zu oft habe ich mein Situation einfach hingenommen, weil ich mich ohnmächtig fühlte. Als letztes Glied in der Kette ist es schwer, das ganze System neu aufzurollen. 


Wir brauchen mehr Mut

Aber Jammern hilft ja bekanntlich nichts. Deshalb wünsche ich uns, der „Praktikantenhorde“, vor allem eins: Mehr Mut. Solange wir nicht anfangen, die kleine Revolution von unten anzuzetteln, wird sich nichts ändern. Die Unternehmen können nur so lange „richtige“ Stellen mit uns besetzen, solange wir sie annehmen. Und eigentlich zeigen aktuelle Entwicklungen auch nur allzu deutlich: Langfristig werden die guten Leute zu den Unternehmen gehen, bei denen sie sich wohlfühlen und die ein Mindestmaß an Sicherheit bieten. Ich habe für mich jedenfalls entschieden: Nach Praktikum Nummer fünf ist Schluss.

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