Foto: Saksham Gangwar I Unsplash

Wie ticken Führungskräfte? Ein offener Brief an Mitarbeiter

Silke Wöhrmann trainiert Führungskräfte, ist selbst Führungskraft und schreibt bei uns darüber, was das bedeutet und was sich ändern muss.

 

Ihr gebt mir Rätsel auf

Liebe Mitarbeiter,

wir kennen uns nun schon länger – teilweise über viele, viele Jahre. Mein alter Chef sagte immer: „Ich kenne meine Pappenheimer“. Aber ich frage mich immer wieder: Kenne ich euch wirklich?

Ich stehe recht oft vor einem Rätsel. Zum Beispiel, was eure Motivation und Begeisterung für euren Job betrifft. Morgens, wenn ich reinkomme, mit einem noch dynamischen „Guten Morgen“, schaffen es ein paar von euch, den Kopf leicht zu heben und ein „Guten Morgen“ zurückzumurmeln. Und genau so geht es dann auch weiter: in den Telefonaten mit den Kunden, im Teammeeting – nur in der Pause, da beginnt die angeregte Kommunikation. Da erfahre ich, was ihr so in der Freizeit alles auf die Beine stellt. Da ist Herr W., ein zuverlässiger, konstanter aber auch nicht besonders engagierter Mitarbeiter der Iron Man, Frau F., leise, zurückhaltend und immer pünktlich im Feierabend, ist die ausgezeichnete Yoga-Lehrerin der Stadt.

Der Zeigefinger nach oben führt nicht nach oben

Ich höre jetzt schon: „Naja, kein Wunder, wenn die Chefin nicht informiert…nicht motiviert…wenn die Gehälter nicht steigen…wenn immer mehr Arbeit auf immer weniger Köpfe… was will man da erwarten?“ Was ich aber auch heraus höre ist mehr:  den Zeigefinger nach oben – sicherlich auch mal durchaus berechtigt. Aber eben auch nur mal.

Die Kluft wird immer größer

Ich habe das Gefühl, dass die Kluft zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“ (nicht meine Einstellung, aber ich übernehme jetzt mal einen geläufigen Wortlaut) immer größer wird: „Oben“ schiebt auf „Unten“, „Unten“ schiebt auf „Oben“. 

Wie wäre es denn mal mit einer gemeinsamen Richtung nach vorne, ohne immer zu schauen, wer wann an was Schuld ist? Wenn man sich gemeinsam hinsetzt und schaut, wie man zusammen das Ziel erreicht? Wenn auch ihr einmal kommt und Vorschläge macht, mitdenkt, querdenkt, positiv denkt?

Warum bin ich Führungskraft?

Ich bin Führungskraft geworden, weil ich ein Mensch bin, der durchaus Verantwortung übernehmen möchte und kann. Ich habe lange studiert und nachts meine Kohle im Supermarkt verdient. Ich lernte im Sommer zu Hause, während andere im Freibad chillten. Ich habe sukzessive Stück für Stück mein Wissen erweitert, und nicht nur mein Fachwissen, sondern auch meine Menschenkenntnis. 

Auch ich wurde und werde geführt, habe gute und schlechte Beispiele erlebt und habe mir vorgenommen, eine bessere Chefin zu werden, indem ich mir die positiven Verhaltensweisen aneigne: Zuhören, Lösungen finden, Talente entdecken, aber auch Leistung fordern. Ich habe meinen beruflichen Weg geplant und konsequent verfolgt, bin hingefallen, wieder aufgestanden, ich habe mich verliebt, geheiratet, Kinder bekommen und groß gezogen, Geld für meine Familie verdient. Ich motiviere mich jeden Tag neu, mag meinen Job, freue mich auf euch.

Ich frage mich oft, was ich falsch mache

Wenn ich morgens dann in das Büro komme und in eure Gesichter schaue, frage ich mich, was ich falsch mache. Motiviere ich nicht genug? Zum Beispiel: Wenn ich Mitarbeitergespräche führe und dabei auch auf Kompetenzen aufmerksam mache, die besser werden müssen, bekomme ich nur Antworten, die begründen, warum etwas nicht geht. Wenn ich Ziele vereinbare, höre ich, wie hoch doch diese Ziele sind und „die da oben“ doch wieder nur die Last „nach unten“ abladen. Wenn ich Schulungen ermögliche heißt es: „Oh nein, wieder ein Seminar – was gibt´s zu essen?“.

Wenn ich nachfrage, warum es zum sechsten Mal in diesem Jahr  genau der Montag war, an dem die Krankheit unbarmherzig zugeschlagen hat, steht fünf Minuten später der Betriebsrat vor der Tür. Ja, genau der, den ich versuche, seit zwei Wochen zu erreichen, weil ich eine meiner Stellen endlich besetzen möchte, um mein Team zu entlasten.

Also: motiviere ich nicht genug oder mache ich einfach meinen Job? Oder schließen sich Führen und Motivieren aus? Ist Motivation nicht auch eine Sache, die jeder für sich selbst verantwortet?

Uns geht es gut

An die letzte Frage denke ich, wenn ich so die Pausengespräche anhöre. Wer mit wem und dass das Outfit von Frau F. so gar nicht geht. Dass die Firma wohl wieder noch mehr spart und man noch mehr arbeiten muss. Dass man die Neuigkeiten nur noch über die Zeitung erfährt und einen keiner informiert. Und dass ohnehin alles den Bach runter geht. Ich kann dieses – sorry – Gejammer nicht mehr hören. Ich bin der Meinung, dass es uns wirklich gut geht. Wir bekommen regelmäßig ein Gehalt, vielleicht sogar auch Prämien und Weihnachtsgeld. Wir haben mindestens ein Auto, eine Wohnung oder ein Haus, fahren mindestens einmal im Jahr in den Urlaub. Wenn wir krank werden, dann werden wir versorgt. Unsere Kinder können Schulen besuchen und erhalten eine solide Ausbildung.

Leistung kann erwartet werden

Ist es wirklich zu viel verlangt, wenn man dafür auch etwas tut? Oder gehöre ich zu denjenigen old-fashioned abgehalfterten, leicht zu Bauchansatz neigenden, zukünftig an Herzinfarkt sterbenden Idioten, die der Meinung sind, dass ich nur durch Leistung auch eine Gegenleistung erwarten kann?

Hervorragende Mitarbeiter und Burn-Out Kandidaten

Bitte nicht falsch verstehen: Es gibt hervorragende Mitarbeiter. Menschen, die mitdenken, Mitarbeiter, die jeden Tag freundlich und engagiert sind, Mitarbeiter, die sich zur Arbeit schleppen, obwohl sie krank sind (und ich sie dann wieder nach Hause schicke). Ich sehe aber auch, dass sich viele auch auf diesen Kollegen ausruhen. „Ach, Frau D. macht das schon“. Und Frau D. kommt dann bald zu mir mit einem Burn-Out-Syndrom? Oder bricht vor mir zusammen, weil sie gemobbt wird („Die setzt hier Maßstäbe, die wir auf keinen Fall dulden können, die muss raus“)?

Führung und Mitarbeiter sind gegenseitig füreinander verantwortlich

Ich wünsche mir eine Einstellung, die lautet: Führungskraft und Mitarbeiter motivieren sich gegenseitig. Führungskraft und Mitarbeiter sind gegenseitig Vorbild und füreinander verantwortlich, weil sie ohne einander nicht können. Ich wünsche mir gegenseitigen Respekt und – ja, auch Leistungsbereitschaft, denn das ist, wofür wir bezahlt werden. Wenn wir nicht arbeiten, nimmt unsere Firma nix ein. Wenn sie nix einnimmt, verlieren wir unsere Arbeitsplätze. Eigentlich ganz simpel.

Führungskraft und Mitarbeiter sind ein Team, und das sage ich ohne verherrlichenden träumerischen Gesichtsausdruck, denn auch in einem Team muss es jemanden geben, der Entscheidungen trifft und dafür die Verantwortung übernimmt. Und das mache ich, wie gesagt, gerne. Auch für diesen Artikel.

Gebrauchsanleitung für diesen Artikel

Diese offenen Briefe sollen zum Nachdenken, zum Diskutieren anregen und ermöglichen, sich in die Sichtweise des „Anderen“ hinein zu versetzen, um daraus letztendlich für beide Seiten eine effektivere Form des Verstehens zu ermöglichen. Die gewählte „Ich-Form” der Briefe sind ein journalistisches Stilmittel und zeigen nicht meine privaten Lebenssituationen, aber durchaus meine persönlichen Werte.

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