Raus mit dem Frust! Yasmin Azgal will einen Schreiraum in Wien eröffnen. Was das ist und warum das der ehemaligen Unternehmensberaterin am Herzen liegt, hat sie uns erzählt.
„Ich hatte so viel Wut und Frust in mir – das musste irgendwann raus“
Was macht man, wenn man so richtig wütend ist? Ganz einfach: Man frisst es in sich hinein oder schreit es raus. Wenn es zu Letzterem kommt, dann passiert das meist da, wo uns niemand sehen kann: in unserem Schutzraum, in unserem Zuhause. Und das könnte so schön sein, weil Wut und Frust eben einfach manchmal rausmüssen – wenn da nur nicht ständig Menschen wären, die man damit eigentlich eher ungern behelligen will.
Aber was jetzt, doch wieder alles in sich hineinfressen? Nein, sagt Yasmin Azgal – es muss einfach ein neuer Schutzraum her. Und genau deshalb will sie einen Schreiraum in Wien eröffnen, in dem Mütter, Job-Geplagte und alle anderen mal so richtig ungestört ausflippen können. Finanzieren will sie das Projekt über Crowdfunding. Was in diesem Schreiraum passiert und wie alles kam, das hat sie uns erzählt.
Yasmin, du willst einen Schreiraum in Wie eröffnen. Klingt erstmal ziemlich ungewöhnlich – wie kamst du darauf?
„Ich habe in den letzten Jahren einige tiefgehende persönliche Erfahrungen gemacht, die in mir das Fass zum Überlaufen brachten. Zum ersten Mal erlebte ich mich selbst beim Ausflippen, Herumbrüllen und dabei, mit Sachen zu werfen. Zuerst war ich vor allem überrascht, wie viel Wut und Frust ich da offensichtlich in mir angesammelt hatte, aber auch, was für eine Kraft ich entwickelte, als ich sie endlich herausließ. Davor hatte ich nie die Stimme erhoben, geschrien oder getobt.
Als ich die heilsame Wirkung des Schreiens und des Werfens von Tassen sowie Gläsern für mich entdeckt hatte, erzählte ich manchmal in Gesprächen mit anderen Menschen davon und bemerkte, dass sehr viele die Vorstellung wunderbar fanden, sich auch mal richtig austoben zu können – vor allem Frauen. Das brachte mich auf die Idee, einen Schreiraum zu eröffnen.“
Wieso sollten wir nicht einfach zuhause toben? Geht es da um Rücksicht auf andere oder darum, in einem neutralen Raum ausflippen zu dürfen?
„Es gibt vielerlei Gründe, warum Menschen nicht zu Hause toben: manche haben noch nie geschrien und glauben, sie können es gar nicht, andere tun sich schwer, den Zugang zu ihrer Wut zu finden und alles herauszulassen und dann gibt es Menschen, die in einer Beziehung oder einer Wohngemeinschaft leben und sich nicht trauen, vor dem Partner bzw. der Partnerin oder Mitbewohnern auszuflippen. Es gibt Eltern, vor allem Alleinerziehende, die nicht vor ihren Kindern schreien wollen oder können und es gibt die Nachbarn, die sich gestört fühlen und die Polizei rufen. Darüber hinaus werden Wut und deren Ausdruck in unserer Gesellschaft generell missbilligt. Wer laut wird, fällt negativ auf und wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, vor allem wenn es sich um eine Frau handelt, die dann allzu leicht als hysterisch dargestellt wird.
Der Schreiraum ist deshalb als wertfreier Raum gedacht, in dem du allein mit dir selbst bist und ohne schlechtes Gewissen oder Angst, jemanden zu stören, deiner Wut freien Lauf lassen kannst. Wer seine bzw. ihre Wut noch nicht gut aufspüren oder nicht schreien kann, der oder die kann es im Schreiraum – bei Bedarf mit meiner Hilfe – lernen.“
Wer gehört zu deiner Zielgruppe?
„Mit dem Schreiraum richte ich mich an alle gestressten Stadtmenschen, die in ihrem Alltag nicht die Möglichkeit haben, aufgestaute Wut und Frust loszuwerden. Das sind neben Karrierefrauen und gestressten Papas vor allem alleinerziehende Mamas und Mütter mehrerer Kinder, die meist alle Rollen auf einmal übernehmen, die es in unserer Gesellschaft gibt, und dadurch heillos überfordert sind.
Seien wir mal ehrlich: wie viele von uns haben in ihrem Hamsterrad-Alltag genug Zeit für sich selbst und nutzen diese meditierend, um nicht an Anspannungen und aufgestauten Emotionen zu leiden? Im Gegensatz zu Männern, die oft Ausgleich in Kampfsport oder anderen aktiven Sportarten finden, brauchen Frauen etwas, das der weiblichen Energie entspricht, also sanfter ist, sich nicht gegen etwas im Außen richtet und die intensive Beschäftigung mit sich selbst und den eigenen Gefühlen erlaubt. Nach dem Schreien dient der Schreiraum deshalb auch als Ruheraum mit einzigartiger Privatsphäre mitten in der Stadt.“
Du bist Mutter eines kleinen Kindes und hast als Unternehmensberaterin gearbeitet – beides kann ziemlich stressig sein. Hand aufs Herz, wie oft hättest du selbst in den letzten Wochen einen solchen Raum gebraucht?
„Schon sehr oft! Ich schreie zwar immer wieder bei mir zu Hause, möchte aber die Nachbarn des hellhörigen Altbaus nicht überstrapazieren. Schließlich hört man mich angeblich vom Hochparterre bis in den vierten Stock Gitarre spielen. Wie ist es dann erst, wenn ich herumbrülle? Ist meine Tochter bei mir, dann warne ich sie vor, und mittlerweile macht es ihr Spaß, mit mir mitzuschreien und ihren Frust herauszulassen!“
Wutausbrüche sind erstmal negativ besetzt – aber eigentlich auch ziemlich befreiend! Was sagst du jemandem, der sich dafür schämt, dass es aus ihm oder ihr manchmal rausbricht?
„Willst du leben oder gelebt werden? Wir haben aus unserer Kindheit noch so viele Schuldgefühle, die unsere Eltern uns weitergegeben haben. Mir wurde schon als Kleinkind vermittelt, ich sei unerwünscht, wenn ich meine Wut und Trauer zeigte. Doch was da ist, ist da, hat seine Daseinsberechtigung und will angeschaut werden. Anders wirst du deine Schatten nicht loswerden, sondern nur größer züchten.
Das Wort Täter ist in unserer Gesellschaft ausschließlich negativ besetzt. Das Gegenteil ist jedoch das Opfer. Wenn du dich selbst endlich als TäterIn – also im Sinne einer schöpferischen Kraft – in deinem eigenen Leben akzeptierst, egal, ob du gerade den Weihnachtsbaum geschmückt oder dein eigenes Kind furchtbar angebrüllt hast, dann beginnst du zu begreifen, wer du wirklich bist und welche Teile es gilt loszulassen, um frei zu sein.“
Wie meinst du das genau?
„Geh in dich. Spüre, welche Gefühle da in dir brodeln. Vielleicht möchtest du für dich die Situation wiederholen, in denen diese Gefühle hochkamen. Den Moment, in dem das passierte, was dich so traurig oder wütend machte. Vielleicht erinnerst du dich an eine Situation, die lange vor dieser hier lag, und in der du dich genauso gefühlt hast. Spüre das Gefühl in deinem Körper, bleib dran. Ich spüre Wut meist im Solarplexus und Trauer in der Brust, vielmehr noch im Hals. Wenn du dein Gefühl intensiv im Körper spürst, lass es ganz intuitiv heraus. Gib dich ganz dem Gefühl hin, beobachte, aber bewerte nicht. Dann setz oder leg dich ruhig hin, atme und spüre weiter in deinen Körper hinein. Müdigkeit und Erleichterung stellen sich ein.“
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