Das Coachella-Festival ist das Social-Happening des Jahres – zumindest auf Instagram. Blogger aus der ganzen Welt posieren vor der Kamera und feiern vor allem sich selbst, sowie eine langweilige, geschönte Realität, die doch eigentlich niemand mehr sehen will. Ein Kommentar.
Auf der Suche nach dem nächsten Insta-Spot
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber seit dem letzten Wochenende ist mein Instagram-Feed nicht mehr sonderlich abwechslungsreich. Kein Wunder: In den USA wird mal wieder das Coachella-Festival zelebriert. Zwei Autostunden von Los Angeles entfernt, finden sich bekannte Musiker*innen, Schauspieler*innen und Blogger*innen aus der ganzen Welt zusammen, um – ja, was eigentlich? Vor allem sich in ihren schönsten Boho-Outfits zu präsentieren. Um Musik geht es hier ja schon lange nicht mehr.
Vor der weitwinkeltauglichen Fotokulisse des Coachella Valleys, räkeln sich also die (vermeintlich) Schönen und Reichen in der kalifornischen Abendsonne und bewegen sich scheinbar nur noch auf der Suche nach dem nächsten Insta-Spot – oder tanzen, um dabei vielleicht von anderen dabei abgelichtet zu werden. All das wird dann natürlich sofort online – was nicht festgehalten wird, ist schließlich nie passiert. Und ich bleibe durch dieser jährlichen Allmacht in meiner Social-Media-Blase ein Stück weit mit dem Gefühl zurück, etwas verpasst zu haben. Dabei weiß ich ja eigentlich, es ist mehr Schein als Sein – oder wie Jan Böhmermann so schön sagte: „Das ist nur leere Scheiße. Alle wirken als würden sie auf etwas Bedeutendes, Größeres warten, was aber nicht kommt. Noch nicht. Selbstbesoffenes Abgefeiere – von was?“
Quelle: Twitter | Jan Böhmermann | @janboehm
Wenn auch etwas harsch ausgedrückt, ist dieses Statement doch ganz treffend. Die meisten Fotos vom Coachella zeigen nicht viel mehr als die langweilig geschönte Wirklichkeit, die man von fast allen Instagram-Accounts kennt und die es letztlich egal macht, ob man sich in Stuttgart oder in LA inszeniert. Mit authentischen Momenten oder Schnappschüssen aus dem Leben, die den Sinn haben, einen guten Moment festzuhalten, ohne ihn digital aufhübschen zu müssen, haben die Bilder vom Festival jedenfalls herzlich wenig zu tun. Online sowie offline, jeder Blogger will seine Follower mit einem ganz individuellen Coachella-Look begeistern – mehr aber dann auch nicht. Selbstinszenierung als Unterhaltungswert?
Und was daran hat eigentlich noch mit einem klassischen Festival zu tun? Modetechnisch erinnert das Ganze zwar noch etwas an die Woodstock-Ära, die man wahrscheinlich nachahmen wollte: Bunte Farben, wilde Ethno-Muster, Fransen und Spitzendetails. Darüber hinaus kann man aber kaum Gemeinsamkeit mit dem Open-Air aus den 60er-Jahren, oder einem anderen erkennen – denn die Musik, die Festivals nun mal in der Regel maßgeblich bestimmt, ist bei Veranstaltungen wie dem Coachella längst in den Hintergrund getreten, ist nur noch leise Begleitmusik für den Imagefilm, den jeder hier zu produzieren versucht.
Es geht nicht mehr um die Musik – es geht um Performance
Manche Menschen werden mir jetzt vielleicht vorwerfen, ich wäre bloß neidisch. Zu einem gewissen Grad stimmt das, denn ich würde nicht nein dazu sagen, mit meinen Freunden aufs Coachella fahren zu können. Allerdings würde ich dort wahrscheinlich auch für etwas mehr Realität sorgen und das Festivalfeeling inklusive zwei Tage ohne Dusche, Dosen-Ravioli und Gummistiefeln genießen, statt mir Gedanken darum zu machen, ob die Federn in meiner Frisur noch sitzen. Und Fotos würde ich vor allem machen, um sie als Erinnerung für mich zu behalten und später mit meinen Liebsten zu teilen – wieso sollte ich an einem solchen Ort auch meine Zeit damit verbringen, die perfekte Fotogalerie aufzubauen? Ich wäre schließlich da, um etwas zu erleben! Und das ist wahrscheinlich der springende Punkt, der mich so wahnsinnig macht: Dieses Gefühl, dass viele Bloggerinnen und Blogger inzwischen mehr Wert auf die Fotos legen, die sie mit ihren Followern teilen können als wirklich wahrzunehmen, zu leben, was gerade um sie herum passiert.
Keine Zeit für ausgelassenes Tanzen, Freiheit, Bass und Musik. Was zählt sind Kooperationen, Likes und Shoutouts – die Statussymbole eines jeden Influencers. Und auch auf dem Festivalgelände ist nicht Schluss damit. Der absurde Wettbewerb um das beste Foto lässt die gesamte Instagram-Community wortwörtlich am Rad drehen: Wer macht heute das schönste Foto vor dem Riesenrad?
Flatternd schöne Insta-Welt
Vielleicht übertreibe ich ja auch, und der Selbstdarstellungswahn bei Festivals wie dem Coachella ist einfach nur ein Eindruck, der in meiner persönlichen Blase entsteht. Aber trotzdem muss ich sagen: Ich vermisse die Zeit, in der Influencer noch ein Fremdwort waren und man auf den Festivals noch ganz entspannt ohne Selfiesticks, Powerbanks und Fotolinsen um sich herum feiern konnte.
Klar, kann und sollte mir wahrscheinlich egal sein, was andere Menschen tun und wie sie ein Festival verbringen. Allerdings finde ich auch, dass manche Blogger mit ihrem fast schon narzisstischen Selfie-Zwang zunehmend das Festivalfeeling prägen. Wie wäre es also, wenn wir einfach mal die Musik genießen, im Hier und Jetzt leben und auch mal ein paar Dosenbier trinken? Das sieht vielleicht nicht unbedingt schick aus, wird aber garantiert für sehr viel mehr lustige Momente sorgen.
Titelbild: Flickr | Jason Persse | CC BY-SA 2.0
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