Remote Work, digitales Nomadentum: Frei und ungebunden, immer unterwegs sein. Ein Laptop, ein Smartphone und WLAN – ab geht die Post! Ein Traum, oder? Unsere Autorin ist da ganz anderer Meinung. Sie will endlich ankommen.
Kein Halt, keine Stabilität? Ein Albtraum!
Alles, was ich will, ist ankommen und bleiben. Ich suche einen Ort, an den ich gehöre, einen Ort, der sich anfühlt wie eine zweite Haut. Ein Ort, an dem ich Ruhe finden kann. Einen Ort, an den ich zurückkommen kann, wenn ich mal weg war. Macht ihr mal alle Remote Work. Ich bleibe derweil hier und versuche, Stabilität zu finden.
Hier ist wohl eine kurze Erklärung fällig. Das mit dem Nomadentum, das ist bei mir keine Entwicklung der Nullerjahre: Ich bin früher recht häufig umgezogen – ganz analog und mit Sack und Pack. Bis zu meinem 25. Lebensjahr habe ich 13 Mal ein neues „Zuhause“ bezogen, dabei dreimal den Kontinent und achtmal das Land gewechselt. Ich bin in Deutschland, Japan, Liechtenstein und den USA zur Schule gegangen, habe in England studiert und versuche seit zehn Jahren vergeblich, in Hamburg mein Nest zu bauen.
Obwohl – ein Nest habe ich – ein sehr schönes, noch dazu. Aber kaum hatte ich den Versuch gestartet, sesshaft zu werden, machte mir meine wankelmütige Seele einen Strich durch die Rechnung: Anstelle der Stadt, wechselte ich nach zwei Jahren den Job.
Der Status Quo
Jetzt bin ich 35. Immer noch in Hamburg. Auf meiner Bilanz als Job-Nomadin stehen drei Jobs bei zwei weiteren Arbeitgebern, ein Studienabschluss und wieder ein neuer Arbeitgeber. Immerhin, dort werde ich bleiben. Aber – ihr habt es geahnt, nach gut zwei Jahren bald in einer neuen Position.
Wäre man gnädig, könnte man behaupten, alle Zeichen stünden auf Go für meine neue Sesshaftigkeit … Und trotzdem gibt es außer einem Klingelschild und einem Arbeitsvertrag keinerlei Wurzeln, keinen Anker, kein Heimatgefühl. Nichts, das mir verläßlich sagt: Hier gehörst du hin.
Und jedes Mal, wenn ich diese Dinge sage, tut es mir sofort leid. Denn es kommt mir vor, wie eine Beleidigung an mein Leben. Ist es nicht. Noch nie war ich so nah dran! Das liegt an Hamburg, das liegt an meinen fantastischen Freunden und an den tollen Momenten, die wir erleben. Und trotzdem: mein Herz kann sich nicht niederlassen. Dauernd tanzt es aus der Reihe, sucht nach neuen Zielen, neuen Leidenschaften, neuen Impulsen. Immer weit weg, statt einfach genau hier.
Die Suche nach dem Glück
Hier gehörst du hin. Das ist ein Gedanke, den ich nur von Reisen kenne. Zum Beispiel wenn ich am Meer sitze, in Schweden, und plötzlich atmen kann. Wenn ich in Thailand aus dem Flugzeug steige, und die feucht-warme Luft mich umarmt. Wenn ich in Tokyo auf dem Markt bin und kein Wort im Stimmengewirr verstehe. Dann fühle ich mich richtig. Richtiger, als an jedem beliebigen Samstag Nachmittag in Hamburg. Hier bin ich ich. Unverfälscht, begeisterungsfähig und neugierig. Hier weiß ich genau, wer ich bin: die Fremde. Hier weiß ich, was ich bin: ein Gast. Nach dem Hier kommt wieder was Neues. Diese Gewissheit gibt mir Sicherheit und Ruhe.
Früher war ich mir sicher, dass mein Glück in der Ferne liegt. Mittlerweile schleichen sich da Zweifel ein. Was ist schon fern, wenn man kein Zuhause hat? Wie messe ich Distanz, wenn ich keine Ausgangspunkt habe? Deshalb ist es das Projekt meiner Dreißiger, mir diesen Ort zu schaffen. Bis dato ohne Erfolg.
Third Culture Kids
Es gibt einen Begriff, der Menschen wie mich beschreibt: Das Third Culture Kid. Third Kultur Kids (TCK) sind in einer anderen Kultur aufgewachsen als ihre Eltern. Check. Oder die in der Kindheit und Jugend oft umgezogen sind – auch in unbekannte Kulturen. Check. Viele TCKs stehen vor dem Problem, sich in vielen Kulturen zuhause zu fühlen, aber zu keiner wirklich zu gehören. CHECK. Eine Verbeugung mit gefalteten Händen ist die normalste Geste der Welt für mich. Ein Geste des Danks und Respekts, so normal, dass sie mir sogar am deutschen Kiosk manchmal passiert. Und nie wieder habe ich mich so fremd gefühlt, wie als ich mit 25 als junge Erwachsene nach aufregenden Jahren in Liverpool und London wieder nach Deutschland kam.
Müsste ich nicht reinpassen?
Ich war den Leuten suspekt: Sieht aus wie eine von uns, redet wie eine von uns, ist aber keine von uns. Keiner konnte mich einordnen. Aber viel schlimmer waren meine eigenen Gefühle: Alles war mir fremd, dabei sollte das alles doch mein Ureigenstes sein: Mitteleuropa, deutsch in ‘zigster Generation und so gut wie akzentfrei. Hätte ich nicht reinpassen müssen? Aber ein Pass schenkt noch lange keine Heimat. Ich hatte keinerlei Verständnis für die Beschaulichkeit, mit der Menschen meines Alters ihr Leben lebten. Partnerschaften mit Freunden aus dem Heimatdorf, Mitgliedschaften in Sportvereinen, Haustiere und Dinnerpartys. Nicht, wenn mein Hausrat noch in einen Kombi passte und ich kein einziges Möbelstück besaß, das nicht beliebig zerlegbar war. Nicht, wenn ich noch keine Ahnung hatte, was unbefristet eigentlich bedeutet. Klassischer Fall von Bindungsunfähigkeit, würde ich sagen. Und immer alleine ist auf Dauer halt doch sehr einsam.
Ich bin emotionale Nomadin
Ich habe es versucht. Ehrlich. Aber immer noch macht mich jedes Abo nervös. Wenn ich für kommenden Frühling zu einer Hochzeit eingeladen werde, kriege ich Schnappatmung. Ein neuer Mobilfunkanbieter? Das sind doch 24 Monate Vertragsbindung! Woher soll ich denn wissen, wo ich dann bin und wie es mir dann geht?
Ist das nicht paradox? Ich will nicht gehen, ich will nicht bleiben. Ich halte mir immer alle Türen offen und vergesse dabei, auch mal durch eine durchzugehen. Ich suche nach mir – in anderen Ländern und in anderen Jobs – und die einzige Konstante, die ich kenne, bin am Ende ich.
Ich weiß, wie gut ich es habe mit meinem Leben, ich durfte schon so viel erleben. Und trotzdem gibt es nach der ganzen Erfahrung da draußen immer noch Konzepte, die mir völlig fremd sind: Urvertrauen. Wurzeln. Beständigkeit.
Ich will erstmal ankommen – muss erstmal ankommen – um das Weggehen wieder genießen zu können. Ich bin eine emotionale Nomadin. Ich bin ein Third Culture Kid. Und ich führe eine Hassliebe mit meinem Leben. Nein, zieht ihr mal los und arbeitet von abroad. Ich bleibe derweil hier und suche weiter mein Zuhause.
Mehr bei EDITION F:
Ich bin eine Frau, die keine Heimat hat Weiterlesen
Abenteuer digitales Nomadentum Weiterlesen
Expat-Leben in den USA: Einsam unter Millionen von Menschen Weiterlesen