„Bridge the Care Gap – Sorgearbeit fair-teilen!“ hieß das Panel, mit dem der FFF DAY in diesem Jahr startete. Die Expert*innen Alexandra Zykunov, Natascha Sagorski, Sebastian Tigges, Sandra Runge, Jutta Allmendinger und Yvonne Weiß sprachen über die klaffenden Lücken in der häuslichen Fürsorge- und Pflegearbeit.
Unbezahlte Arbeit, die in großen Teilen von Frauen und Müttern übernommen wird. Unbezahlte Arbeit, die dazu führt, dass Frauen im Vergleich zu Männern schlechtere berufliche Chancen haben, was sich mittel- und langfristig negativ auf ihre finanzielle Unabhängigkeit auswirkt. Unbezahlte Arbeit, die tief verankert in patriarchalen Strukturen ist. Strukturen, die es gilt, aufzubrechen. „Bridge the Care Gap“ behandelte Themen, die nicht wegzudenken sind, wenn wir über die Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Müttern und Vätern sprechen wollen.
Die anwesenden Expert*innen diskutierten über flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitverkürzung, gestaffelten Mutterschutz, ein kulturelles und gesellschaftliches Umdenken und Maßnahmen wie die Väterzeit, die zu einer gerechteren Verteilung der Care-Arbeit beitragen können. „Sorgearbeit fair-teilen“ – ein Paneltitel, der das offensichtliche Problem gekonnt zusammenfasste, aber weiterführende Themen, die mit der geschlechtsspezifischen Ungleichheit verbunden sind, erst mal außen vorließ. Denn, das fasste die international renommierte Soziologin Jutta Allmendinger zusammen, die Care-Gap, die Lücke in der Verteilung der Sorgearbeit, spielt rechten Kräften in die Karten. „Diese Themen, über die wir heute reden“, so Allmendinger, „sind schon so lange auf dem Tisch und wir haben keine Zeit mehr. Wir haben einfach keine Zeit mehr. Wenn wir nach Sachsen oder Hessen schauen, in Richtung der AfD, müssen wir jetzt handeln für Familienpolitik, bevor es zu spät ist.”
Weniger Arbeit, mehr Produktivität
In Zeiten der Rückkehr sogenannter „Tradwives“, Frauen der jungen Generation, die der Rolle der Hausfrau in den Sozialen Medien zu einer Renaissance verhelfen, können wir nicht oft genug über den Rattenschwanz negativer Auswirkungen auf die Errungenschaften des Feminismus sprechen. Darüber waren sich auch die Expert*innen einig, die in 45 Minuten all das aufbrachten, für dessen Umsetzung wir als Gesellschaft weiterhin Jahre brauchen werden: Die Anerkennung von Teilzeitarbeit, die laut Allmendinger bereits in Form einer 35-Stunden-Woche zu Produktivitätsgewinnen führe und nicht, wie von Kritiker*innen verbreitet, zum Rückgang von Arbeitsvolumen. Es sei an der Zeit, so die Expert*innen auf der Bühne, dass Väter- und Familienzeit genommen würde, und patriarchale, antidemokratische Strukturen, die hinter der Idealisierung der sorgenden, pflegenden Mutterrolle stünden, demaskiert werden.
„Ich glaube, es ist reiner Egoismus, dass ich unbedingt möchte, dass ich die Lorbeeren, die irgendwann für die feministische Arbeit kommen, ernten kann. Wenn wir Glück haben, passiert das vielleicht in den nächsten 40 Jahren. Das wäre toll. Ich würde das gerne noch erleben“, sagte Alexandra Zykunov –Autorin, Co-Erfinderin und Co-Redaktionsleiterin des Magazins Brigitte BE GREEN und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen – und fügte hinzu: „Wenn Frauen mehr verdienen als ihre Männer, wird ihnen der Rücken nicht freigehalten, oft passiert sogar das Gegenteil. Sind Frauen im Beruf erfolgreicher als ihre Männer, müssen sie nicht unbedingt weniger Care-Arbeit leisten, wie es umgekehrt bei erfolgreichen Männern der Fall ist, deren Frauen ihnen einen Großteil der Sorgearbeit abnehmen. Deshalb sind Frauen sehr viel Burnout-gefährdeter, wegen der Doppelbelastung aus Lohnarbeit und Care-Arbeit und wegen des Sexismus, der noch dazu kommt“.
Privilegien nicht nur für weiße Frauen
Außerdem, so Zykunov, könne man nicht nur Forderungen für weiße, privilegierte Frauen fordern. Um für alle Menschen ein besseres Leben zu schaffen, müsse man Diversitätsquoten einführen. Womit sich das Themenspektrum um weitere Unteraspekte erweiterte wie ein Farbfächer, der leider nur aus Grau- und Schwarztönen besteht: Die Care-Gap umfasst im Weiteren auch Sexismus, Rassismus und mentale Gesundheit. Der Applaus aus dem Publikumbestätigte diese Ansicht.
Sandra Runge, Fachanwältin für Arbeitsrecht, die seit zehn Jahren vor allem Mütter in Rechtsfragen berät, sprach ganz gezielt Politiker*innen an. „Wir brauchen Veränderung auf gesetzlicher Ebene. Was ist denn in dieser Legislaturperiode gesetzlich passiert für Care-Arbeit leistende Menschen, für Eltern?“, klagte sie an. „Wir haben keine Kindergrundsicherung, keine Familienstarzeit, es sind sehr viele Projekte, die in der aktuellen Legislaturperiode nicht umgesetzt wurden. Die Gesetze, die wir in diesem Land brauchen, stehen eigentlich im Koalitionsvertrag. Sie wurden aber nicht umgesetzt“.
Eine starke Demokratie und verantwortungsvolle Väter
Natascha Sagorski, die sich als Autorin, Politikwissenschaftlerin in PR-Beraterin für eine moderne Familienpolitik einsetzt, brachte ihre eigene schmerzliche Erfahrung nach einer Fehlgeburt mit in den Diskurs. „Ich war diese Woche im Bundestag. Wenn man Aufmerksamkeit für Frauenthemen bekommen möchte, muss man in die Trickkiste greifen, beispielsweise eine zwei Meter große Wiege vor den Bundestag stellen, um dafür zu kämpfen, dass eine Frau nach einer Fehlgeburt nicht direkt wieder arbeiten gehen muss.“ Das Klatschen im Saal, gleichzeitig zustimmend laut und respektvoll leise.
Es war schier unmöglich, in so kurzer Zeit all die Aspekte, die dazu führen, dass Frauen aufgrund der Care-Gap sozial, finanziell und professionell benachteiligt sind, in ihrer Gänze anzuführen. Und doch breitete sich im Kuppelsaal des bcc in Kürze gegenseitiges Verständnis dafür aus, wie Sorgearbeit endlich fair verteilt werden kann: mit einer starken Demokratie, finanzieller Anerkennung von Pflegearbeit und Arbeitgeber*innen, die endlich die gesamtgesellschaftlichen Vorteile von sich aktiv kümmernden und Verantwortung tragenden Vätern erkennen. Allesamt Themen, die nicht erst seit Kurzem in Expert*innenkreisen diskutiert und an Politiker*innen herangetragen werden. Oder, wie Alexandra Zykunov es auszudrücken wusste: „Es gab bereits 2014 Papiere von der SPD, dass Menschen, die Care-Arbeit leisten, bezahlt werden sollen. Diese Papiere verstauben in den Schubladen, schöne Grüße an Angela Merkel und die SPD.“