Im Dezember 2016 erlebte Gerald Hensel einen Hate-Storm aus der rechten Ecke, nachdem die Aktion #KeinGeldfürRechts ins Leben gerufen hatte. Nun hat er eine NGO gegründet. Wir haben mit ihm gesprochen.
„Wenn man Zitronen bekommt, macht man besser Limonade draus”
Ende 2016 arbeitete Gerald Hensel noch für eine große deutsche Werbeagentur. Privat rief er die Initiative „KeinGeldfürRechts” ins Leben, mit der er Unternehmen darauf aufmerksam machen wollte, dass ihre Werbung auf rechten Medienseiten zu finden ist und sie damit indirekt diese Medien mitfinanzieren. Möglich ist das Ganze durch sogenanntes „Programmatic Advertising” bei dem die Unternehmen nicht mehr frei auswählen, auf welchen Seiten sie erscheinen, sondern die Werbung voll automatisch und individualisiert auf den jeweiligen Nutzer angepasst erscheint. Allerdings können Werbekunden Seiten blocken, auf denen keine Werbung erscheinen soll. Dazu rief Gerald Hensel mit #KeinGeldfürRechts auf. Und erlebte danach einen Hate-Storm durch rechte Medien und Trollen, der bis zu Morddrohungen reichte.
Der 41-Jährige erhielt aber auch sehr viel positives Feedback. Und entschied sich, dem Hass nicht nachzugeben, sondern ihm erneut etwas entgegenzusetzen. Sechs Monate später ist das Ergebnis ein Verein: Fearless Democracy, der es sich zur Aufgabe macht die Zivilgesellschaft im Umgang mit du Kampf gegen Hate Speech zu unterstützen. Im Interview hat uns Gerald Hensel erzählt, was eine Hate-Storm mit Menschen macht und wie genau sein Verein helfen will.
Anfang Dezember 2016 hast du noch bei einer großen Werbeagentur gearbeitet. Nun, nur sechs Monate später, hast du gerade deine eigene NGO gegründet. Magst du erzählen, wie es dazu kam?
„Ich bin seit 20 Jahren in der Werbung und fand es seltsam, dass bekannte Marken auf Websites werben. Websites, die im besten Fall rechtspopulistisches Agenda-Setting betreiben und im schlechtesten Fall radikal sind. Zwei Blogartikel und einige Tweets hab ich zu dem Thema geschrieben und eine private Aktion namens #KeinGeldFürRechts gestartet. Einige ,konservative Verleger’ haben daraus dann eine wilde Verschwörungstheorie gesponnen. Danach startete eine Hysterie-Welle gegen meinen Ex-Arbeitgeber, seine Kunden und mich. Da wurde auch täglich mit mehreren Artikeln nachgelegt. Nach ein paar tausend Anfeindungen, mehreren Dutzend Todesdrohungen gegen mich und Boykotten gegen meinen Arbeitgeber und dessen Kunden, musste ich einfach Druck rausnehmen.
An diesem Punkt gibt es für einen nur zwei Möglichkeiten: Den Mund halten und in den Urlaub fahren. Oder sich eingestehen, dass man auf einen sehr interessanten Punkt gestoßen ist, lernen und weitermachen. ,Wirkungstreffer’, haben das einige genannt. Dass ich seit einigen Monaten an meinem neuen Konzept ,Fearless Democracy’ arbeite und nicht am nächsten Tag in einer neuen Agentur angefangen habe, ist genau diese Entscheidung gewesen. ,Fearless Democracy’ ist mein Versuch, dem Ganzen etwas entgegenzusetzen.”
Und was genau habt ihr mit eurem Verein vor?
„Fearless Democracy ist ein Verein, der glaubt, dass Extremisten und Populisten einen ganz wesentlichen Teil ihrer Kraft aus ihrer Aggressivität und Vernetztheit im Netz ziehen. Die offene Demokratie ist hier halt noch sehr unbedarft – und sie darf aus gutem Grund bestimmte Standardtaktiken der Neuen Rechten nicht nutzen. Während sich Ministerien noch Fragen, ob sie nicht doch mal eine Facebook-Seite einrichten sollen, mobbt eine gut vernetzte rechte Filterblase im Wochentakt Politiker, Aktivisten und Intellektuelle durchs Netz. Das haben wir ja in den letzten Tagen gerade bei der Theologin Käßmann erleben müssen, deren Aussagen vom Kirchentag so kontextfrei und hetzerisch zitiert wurden, dass sie seit Tagen unter Dauerfeuer steht. Da haben wir uns zum Beispiel mal datenseitig angeschaut, wie so ein Sturm aussieht.
Unser Verein besteht nicht aus den üblichen Verdächtigen. Wir sind keine Aktivisten, Juristen oder Journalisten. Wir sind Werber, PR-Leute und Digital-Experten. Übrigens alle aus der Mitte der Gesellschaft. Wir interessieren uns besonders dafür, wie Populisten und Extremisten im Netz gegen die Zivilgesellschaft vorgehen. Das Unwort ,Fake-News’ ist dabei nur eine Taktik. Hatemobs, wie in meinem Fall, systematisches Framen von Menschen und Institutionen, Unmöglichmachen, Agenda-Setting – all das sind Taktiken, die diese Menschen nutzen. Das Ziel ist simpel: Geld und Macht durch den Aufbau eines Gegen-Narrativs, durch den Aufbau einer Alternativrealität. Wer sich das nicht vorstellen kann, dem empfehle ich mal den Blick in ein paar geschlossene AfD-nahe Gruppen.”
Was macht so ein Hass mit einem Menschen, der vorher nie in diesem Maße in der Öffentlichkeit stand?
„Die Idee einzelne Menschen so zu überlasten, dass sie nicht mehr können, ist an sich nicht neu. Sie wurde aber nicht zuletzt durch Social Media in den USA in rechten Kreisen perfektioniert. Es gibt keinen Menschen ohne PR-Beraterstab, der eine solche Kampagne, die rund um die Uhr mit Beleidigungen, Rufmord, Todesdrohungen und dem Unmöglichmachen des eigenen persönlichen Umfelds arbeitet, langfristig aushalten kann – in meinem Fall zusätzlich damals mit einem stressigen Vollzeitjob, den man erfüllen will. Die Methode Massenmobbing zieht immer. Es braucht unglaublich wenig Einsatz. Und es ist dafür unglaublich erfolgreich: die schmutzige Bombe der rechten Blase quasi. Derzeit stehe ich in gutem Kontakt mit Leuten, die ähnliches erlebt haben: die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor zum Beispiel. Oder der Aktivist Andreas Goerke. Beide sollten als Menschen zerstört werden. Sie sind komplett an ihre Grenzen gegangen, haben aber gerade durch die Solidarität ihres Umfelds den Entschluss gefasst, sich keinesfalls kleinkriegen zu lassen.
Daher gibt es für mich auch einen sehr guten Teil der Geschichte. Wenn man Zitronen bekommt, macht man besser Limonade draus. Einige meiner Freunde meinten, dass sie sich für mich freuen würden, dass ich unter anderem mit dem Verein einen neuen Weg einschlage, den ich selbst so extrem spannend finde. Und das stimmt. Ich habe nie daran gezweifelt, dass meine Intention von damals richtig ist und war. Rückblickend hätte ich einzelne Dinge sicher nochmal anders formuliert oder gesagt – wäre mehr ,Profi‘. Aber wie gesagt: Genau das war ich ja eben nicht. Ich war ein Privatmann und nicht der strippenziehende Werber, als der ich gezeichnet wurde. Jetzt gehe ich mit vielen alten und neuen Freunden mit ,Fearless Democracy’ den nächsten Schritt. Ehrlich: Fast müsste ich meinen Hatern dankbar sein.”
Hat das Internet ein „Hass-Problem”?
„Das ist wie zu fragen: ,Hat mein schönes neues Auto ein Abgasproblem?’ Klar, hat es das. Viel interessanter ist die Frage, warum es in der sichersten aller Zeiten, in der wir leben, so viel Hass gibt. Meine These: das systematische Befeuern von Angst und Unsicherheit bei ganz normalen Menschen schafft – meist digital – den Rohstoff, der Hass heißt. Unsicherheit ist legitim und normal. Nur das, was danach kommt, nicht. Hass hat dort eine Funktion: Hass zementiert Filterblasen, Meinungen und damit politische Macht oder Meinungshoheit.
Es klingt gerade von jemandem, der sein berufliches Leben auf dem Netz aufgebaut hat, ironisch. Aber nach den Hype-Jahren haben wir jetzt die Gebrauchsanweisung fürs Netz gefunden und stellen fest, dass das Web neben Food- und Katzenfotos noch ein paar andere Sachen kann. Jede tolle Innovation wurde am Anfang belächelt, dann skeptisch aufgenommen, dann als Heilsbringer umjubelt, bis dann die ersten Probleme aufgetaucht sind. Mit diesen Problemen müssen Gesellschaften lernen umzugehen. Und nach der Raketentechnik, der Atomkraft und Computerspielen stellen wir eben auch gerade beim Netz fest, wo für die Mehrheit der Gesellschaft ein Problem existiert oder existieren kann. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um technische Probleme. Aus Herausforderungen der vernetzten Gesellschaft erwachsen sehr grundsätzliche demokratietheoretische Probleme. Kommunikation ist ein wesentlicher Faktor dabei. Und nein, das ist nicht leicht zu lösen.”
Wie wollt ihr der Gesellschaft dabei helfen?
„Wir haben drei Schwerpunkte: Erstens glauben wir, dass sich die Gesellschaft mal vergegenwärtigen muss, mit welchen Methoden unter unseren Augen Realitäten geschaffen werden. Was heute oft im Umfeld der AfD auf Facebook und Twitter passiert, spottet an Rassismus und Menschenverachtung jeder Beschreibung. Daily Business in Deutschland heute. Ein Format haben wir zum Beispiel kürzlich mit Übermedien gestartet. So haben wir mal die rassistische digitale Hetze aus dem AfD-Umfeld während des BVB-Attentats nachvollziehbar gemacht. Mit ,The Wave’ stellen wir einen noch kleinen, aber sehr tollen, Populismus-Aggregator auf Facebook zur Verfügung. Und mit der Plattform ˛HateAid’ wollen wir Deutschlands erste Vernetzungs- und Unterstützungsplattform für die Menschen aufbauen, die digitalen politischen Hass durchstehen müssen. Für eine ganz junge Organisation ist das schon einiges. Ideen gibt es aber ganz viele. Jetzt suchen wir natürlich Unterstützer, die uns auch finanziell dabei helfen.”
Warum müssen wir alle jetzt Verantwortung übernehmen?
„Eigentlich mussten wir alle schon immer Verantwortung übernehmen. Die Frage ist in dieser Zeit des Umbruchs vielmehr: Welches Gemeinwesen wollen wir und was brauchen wir dafür? Mir ist dabei wichtig zu betonen, dass es hier nicht um das vielbeschworene ,linke Agenda-Setting’ geht. Wir sind keine Linken, sondern eine Gruppierung von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Wir glauben einfach daran, dass – obwohl es natürlich Probleme mit Flüchtlingen und Integration gibt und gab – wir als offene Gesellschaft grundsätzlich mit Offenheit richtig in die Zukunft steuern. Wir glauben an integrative Werte und die Würde des Menschen bei gleichzeitigem Schutz derer, die in diesem Land leben. Und bei allem Realismus: von Angstmachern sollten wir uns eben nicht unsere Werte diktieren lassen. Wenn man zuschaut, was für eine Rechtsverschiebung in den letzten Jahren gegeben hat, kann einem Angst und Bange werden. Ausgrenzung und das Zerstören all derer, die durchdachte Inklusion für einen grundsätzlich richtigen Weg halten, kann nicht die Lösung sein. So viel sollten wir gelernt haben. Nur eines ist sicher: Vater Staat alleine wird in Zeiten sozialer Medien nicht mehr alles für einen richten. Dazu hat das Netz doch zu viel verändert.”
Wie schaffen wir es, der Angst nicht nachzugeben?
„Indem wir uns psychisch Tools für den politischen Diskurs zurechtlegen. Einfaches Beispiel: Die US-Presse hat irgendwann gelernt, dass Donald Trump auch in Pressekonferenzen ziemlich viel frei erfundenen Blödsinn von sich gibt. Also fingen Reporter mit etwas Neuem an: Sie standen auf und konfrontierten den Präsidenten mit den echten Statistiken, die ihm eben nicht recht gaben. Das meine ich mit Tool.
Ein Tool kann sein, dass man als Teil der Öffentlichkeit akzeptiert, dass nicht jeder Shitstorm gegen ein Individuum faktenbasiert ist. Fake News werden regelmäßig über Menschen verbreitet. Öffentliches Framen, also das Stereotypisieren von Menschen, ist gerade im öffentlichen Raum an der Tagesordnung – das Beispiel Käßmann hatte ich neben meinem eigenen Beispiel ja genannt. Gleich wo man politisch steht: wenn man akzeptiert, dass Hass-Kampagnen im Netz heute völlig normal sind, man aber doch irgendwie an Dialog interessiert ist, dann kann das Gegenlesen der eigenen Position und das Auseinandersetzen mit dem wirklich Gesagten schon ein Tool sein. Ein Tool kann auch sein, dass man auf Menschen reagiert und sie eben nicht ignoriert, die ,Anti-Impf-Studien’ von anonymousnews.ru posten. Ein wesentlicher Teil der Arbeit findet aber auf institutioneller Ebene statt. Heißt: Derzeit könnte ich dich Tag und Nacht mit Morddrohungen auf Twitter überziehen und die Polizei könnte dennoch kaum etwas tun. Hier muss zusammen mit denen, die politische Gewalt erlebt haben, ein neues Bewusstsein dafür geschaffen werden, was im deutschen Netz tagtäglich los ist. Hier sind auch Google, Twitter und Facebook in der Pflicht, neue Lösungen für die Zusammenarbeit mit Behörden jenseits des #NetzDG anzubieten. Unsere Plattform HateAid will genau das tun.”
Und vielleicht zum Abschluss noch einmal aus deiner persönlichen Perspektive: Die Erfahrungen, die du nach deinem Aufruf im Dezember 2016 gemacht hast, waren sicherlich ganz schön krass. Es wäre verständlich gewesen, wenn du dich zurückgezogen hättest. Was gibt dir die Kraft, dich den Populisten so vehement entgegenzustellen?
„Wenn man mal durch diese Sache durch ist und man nicht aufgegeben hat, hat man idealer Weise gelernt. Von eigenen Fehlern und denen der anderen Seite. Ich habe nach #KeinGeldFürRechts klar gewusst, dass ich mir von diesen Leuten natürlich nicht den Mund verbieten lasse. Keinesfalls. Freunde waren hier die entscheidende Größe. Menschen, mit denen ich diskutieren, Argumentationen schärfen, Meinungen ausrichten und auch Fehler einsehen konnte. Am Ende kommt man da schlauer raus als vorher. Und man weiß, mit wem man es zu tun hat – in unserem Fall auch datengestützt. Was für mich aber auch sehr interessant war, war der Kontakt mit überraschend vielen Menschen, die was ähnliches erlebt haben, das hinter sich gebracht haben und zum selben Schluss wie ich gekommen sind. Keiner hat aufgehört. Warum sollte man sich von dieser lauten Minderheit auch den Mund verbieten lassen. Nur weil sie es wollen? Keinesfalls. All das war eine sehr gute Motivation weiterzumachen. Übrigens: eine weitere Erkenntnis kam dazu. Die Mitte der Gesellschaft mobbt nicht auf Twitter missliebige Individuen weg. Das machen nur bestimmte Menschen, die sich gerade stark fühlen. Und wenn wir sie darin bestärken, werden sie auch stark. Genau dafür braucht es eine Demokratie ohne Angst – eine Fearless Democracy.”
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