Von einer Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sind wir noch meilenweit entfernt, sagt Youtuberin Suzie Grime. Wir haben mit ihr über Hass im Netz und darüber gesprochen, wer sie in ihrem Leben besonders geprägt hat.
„Die Masse an Anti-Feministen und Trollen ist nicht langsam gestiegen, sondern nahezu explodiert“
Sie ist bunt, sie ist laut und sie schert sich nicht so sehr darum, was sie vermeintlich sollte und was nicht. Angesprochen wird einfach alles, was der Youtuberin Suzie Grime wichtig ist und sie beschäftigt – und genau deshalb ist Mode ebenso ein Thema, wie Kiffen, Period Shaming oder Sexismus. Mit ihren Videos, die vor allem Spaß beim Zusehen machen, aber durchaus auch nicht vor politischen Themen zurückschrecken, erreicht sie ziemlich viele junge Menschen, denen sie damit aus dem Herzen spricht – aber leider auch ganz viele Trolle.
Wir haben mit ihr über Hass im Netz, Probleme der Geschlechterdebatte und darüber gesprochen, warum der Werdegang ihrer Mutter sie selbst so stark geprägt hat. Auch warum sie die Female Future Force unterstützt, ist schnell erklärt: Es kann nur gut sein, wenn wir Frauen uns gegenseitig stark machen, denn in Sachen Gleichberechtigung liegt noch ein langer Weg vor uns.
Du bist jemand, der immer deutlich seine Meinung sagt – zumindest wirkt das so in den Videos, die im Netz von und mit dir zu finden sind. Würdest du dich selbst als mutig beschreiben? Und was macht Mut eigentlich aus?
„Mutig ist für mich, sich einer unangenehmen Sache zu stellen – zum Wohl der Allgemeinheit zum Beispiel. Von daher würde ich schon sagen, dass zu dem, was ich mache, Mut dazugehört. Ein Spaziergang ist Online-Aktivismus psychisch auf jeden Fall nicht.“
Und wann hast du zuletzt einen anderen Menschen dazu bewegt, mutig zu sein?
„Vor ein paar Tagen habe ich einen Freund dazu gebracht, eine für ihn sehr schwierige, aber wichtige E-Mail zu verfassen. Seitdem drücke ich die Daumen, dass positives Feedback kommt und es sich für ihn gelohnt hat, aus seiner Komfortzone zu kommen.“
„Ich hätte gerne früher den Zusammenhang zwischen meinem Geschlecht und persönlichen Angriffen auf mich verstanden.“
Wie gehst du mit negativem Feedback oder auch Hass im Netz um und was kann helfen, Trolle nicht zu sehr an sich heranzulassen?
„Am Anfang war es schwierig, weil die Masse an Anti-Feministen und Trollen nicht langsam gestiegen, sondern nahezu explodiert ist. Auch wenn gerne behauptet wird, unser Online-Leben wäre nicht das echte Leben, war das ein sehr, sehr traumatisches Erlebnis für mich. Ich bin erst mit dem Hass – egal, ob sexualisiert und direkt auf mein Geschlecht bezogen, oder als ‚objektive Kritik’ getarnt – klargekommen, als mir klar wurde, dass das kein individuelles Problem ist.
Viele Journalistinnen und Bloggerinnen, die öffentlich aktiv sind, befinden sich in ähnlichen Situationen. Dabei scheint egal zu sein, wie sie ihre politischen Inhalte kommunizieren – aggressiven Gegenwind, Misogynie und vermeintliche ‚Fakten’ gibt es immer als lautes Echo. Es sind Werkzeuge, um Frauen, die den Status Quo in Frage stellen, mundtot zu machen. Sich dessen bewusst zu werden, hat extrem geholfen. Es liegt nicht an mir.“
Was ist deine Super-Power?
„Ich bin überhaupt nicht nachtragend – was zur Hälfte an meinem Charakter und zur Hälfte an meinem schlechten Gedächtnis liegt (lacht). Außerdem kann ich regelmäßig Modetrends vorhersagen – das fühlt sich definitiv an wie eine Superkraft!“
„Meine Mutter hat mir vorgelebt, dass man als Frau alles im Leben erreichen kann, was man will.“
Du hast mir erzählt, deine Mutter hätte sich ohne Rücklagen oder großes Netzwerk ein Business aufgebaut – etwas, dass dich sehr geprägt hat, oder?
„Meine Mama ist als junges Mädchen aus Südafrika nach Deutschland gekommen, ohne die Sprache zu kennen. Mich hat sie bekommen, da war sie Kunststudentin und Anfang 20, die alleine von BAföG lebte. Auch wenn wir damals wenig hatten, hat sie durch kreative Problemlösung immer das Beste aus jeder Situation gemacht und dafür gesorgt, dass es mir gut geht. Gegründet hat sie, als ich fünf Jahre alt war – und sie selbst schon seit zwei Jahren alleinerziehende Mutter. Ihre Selbstständigkeit hat uns, bis ich ein Teenager war, viel gemeinsame Freizeit gekostet.
Retrospektiv erkenne ich, dass sie uns mit Schweiß, Blut und Tränen über Wasser gehalten und innerhalb von 20 Jahren einen Lebensstandard aufgebaut hat, der heute der ganzen Familie zugutekommt. Ihre Willensstärke und ihr Durchhaltevermögen sind bewundernswert. Dass sie dafür gesorgt hat, dass ich es mal besser haben werde, als sie es je hatte, zeugt von sehr, sehr tiefer, inniger Liebe. Sie ist eine Löwenmama und ich bin ihr unendlich dankbar. Nicht nur, weil sie immer an mich gedacht hat, sondern auch, weil sie mir vorgelebt hat, dass man als Frau alles im Leben erreichen kann, was man will.“
Welche entscheidende Sache hast du noch von deiner Mutter gelernt – und welche Person hat dich darüber hinaus auf deinem Weg inspiriert?
„Ich habe von ihr gelernt, dass man sich niemals, unter keinen Umständen, Bullshit gefallen lassen muss. Meine Mutter ist innerlich einfach ein Punk. Ich hoffe, ich werde mal so cool wie sie, wenn ich groß bin.
Mein Stief-Papa ist aber auch ziemlich spitze! Als die beiden sich kennengelernt haben, bin ich gerade in die Schule gekommen. Er hatte damals noch seinen eigenen Friseursalon. Im Gegensatz zu meiner Mum kann er auch sehr gut kochen. Das war schon immer sein Hobby – was ich extrem charmant finde. Starre Geschlechterrollen waren bei uns zu Hause einfach nie ein Thema. Ich glaube, das hat mich im Kern zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Es soll halt jeder machen, worauf er Bock hat.“
Was sind für dich derzeit die dringendsten Probleme in Sachen Gleichberechtigung?
„Es gibt noch so viel zu tun. Die gläserne Decke muss zerbrochen, der Gender Care- und Pay Gap geschlossen werden. Es braucht mehr Allgemeinbildung über Sexismus und strukturelle Benachteiligung und härtere Strafen bei sexualisierter Gewalt. Wir müssen Männlichkeit außerdem endlich neu definieren, auch wenn der Wachstumsschmerz gerade sehr unangenehm ist.“
„Ich habe für Erbsenzählerei in der Genderdebatte keine Zeit.“
Und was nervt dich an der Debatte zum Thema besonders?
„Es ist nervig, wenn Leute super penibel sind und erwarten, dass man die banalsten Dinge in allen möglichen Variationen gendert und aufzählt – nur, damit sich ja niemand auf diesem Planeten ausgeschlossen fühlt. Dabei verliert man durch Erbsenzählerei den Fokus auf die richtigen Probleme – deswegen habe ich keine Zeit für so einen Quatsch.“
Gibt es etwas, dass du deinem jüngeren Ich heute raten würdest oder du gerne schon früher verstanden oder gelernt hättest?
„Ich hätte gerne früher den Zusammenhang zwischen meinem Geschlecht und persönlichen Angriffen auf mich verstanden.“
Und was würdest du gerne noch lernen?
„Wie man mehr Jungs zu Feministen macht.“
Wie würdest du diesen Satz beenden?: Ich bin Feministin, weil …
„… es notwendig ist. Once you see it, you can’t unsee it.“
Mehr bei EDITION F
Jen Martens: „Lass dir von niemandem einreden, dass du etwas nicht kannst.“ Weiterlesen
Feminist Fight Club: „Wir müssen das Patriarchat bekämpfen – nicht uns gegenseitig.” Weiterlesen
Post-Feminismus? Oh nein, wir haben noch verdammt viel zu tun. Weiterlesen