Foto: Sandis Helvigs | Unsplash

Depressionen, Burnout, essgestört – wie die Leistungsgesellschaft eine ganze Generation krank macht

Die Folge des steten Leistungs- und Optimierungsdrucks: Depressionen, Burnout, Essstörungen oder andere Arten (psychischer) Erkrankung nehmen rapide zu. Und das in allen Altersklassen. Ist das nun das neue Normal?

 

Eine kranke Generation: kommt unsere Seele nicht mehr hinterher?

Fast jeder kennt einen Menschen in seinem Umfeld, der oder die mit einem Burnout, Depressionen oder Esstörungen zu kämpfen hat oder hatte – und das oft schon in jungen Jahren. Jetzt frage ich mich, ob das schon immer so war oder ob die Leute heutzutage einfach offener damit umgehen. Täuscht der Eindruck, dass durch den gesellschaftlichen Leistungsdruck und die extreme Schnelllebigkeit die Seele nicht mehr hinterher kommt und die Anzahl der Erkrankungen steigt? Vielleicht ist es auch eine Mischung aus beiden Faktoren. Die Schnelllebigkeit unserer Welt macht krank, der Leistungsdruck macht noch kränker. Ständig ist das Handy in der Nähe. Statt persönlichen Gesprächen und Erlebnissen werden Sprachnachrichten und statt Erzählungen Screenshots geschickt.

Für jedes Ziel und Bedürfnis gibt es Seminare, To-Do-Listen und Coachings. Und hey, du kannst alles schaffen, was du nur möchtest. Du musst es dir nur fest genug vom Universum wünschen. Es klappt nicht? Sorry, dann hast du dich nicht genug angestrengt mit der schnellen Selbstoptimierung – dabei gab es doch die perfekte Anleitung im Netz. Wann haben wir das zu unserer Wahrheit gemacht? Dass Erfolg viel mit Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und auch immer einem Quentchen Glück zu tun hat, das sehen viele nicht mehr.

Uns wird vermittelt: Wer keinen Erfolg hat, hat sich nicht genug angestrengt

Sicher ist schon einmal: Die sichere Anleitung zum persönlichen Glück wird dich auf jeden Fall finden – denn da draußen wollen uns viele glauben machen, dass sie sie gefunden haben und die teilen ihr Wissen nur allzu bereitwillig mit allen anderen. Schön und gut, aber wenn ich an all diesen Coachings teilnehme und meine Listen brav abhake, doch mein gewünschtes Ergebnis sich nicht einstellen will, habe ich mich dann wirklich nur nicht genug angestrengt? Das Problem mit diesen Instant-Anleitungen ist doch, dass sie alle den Eindruck vermitteln, dass alles über Nacht möglich und erreichbar ist. Das ist jedoch ein absoluter Trugschluss.

Rome wasn’t build in a day. Ausdauer, Durchhaltevermögen, Disziplin und Hingabe führen zum Ziel. Die Fähigkeit Durstrecken auszuhalten und hinzunehmen und die Fähigkeit, sich durchbeißen zu können. Wie sollte eine Anleitung aus dem Internet es leisten können, uns das an die Hand zu geben? Und wie steht es eigentlich neben dem Erfolgs- und Leistungsdruck um traditionelle Werte? Werden die noch vermittelt? Oder ist das alles Quatsch und ich bin als 1983-Jahrgang zu alt, um diese Entwicklung nachvollziehen zu können? Tell me. Es kann halt nicht jede eine Businessfrau, ein Model, ein Stylist, eine Wahrsagerin sein, oder was auch immer – auch wenn Dir Deine Lieblingsapp etwas anderes erzählt. Es gibt Dinge, die kann man nicht lernen. Selbstüberschätzung wird zur Grube, in die viele fallen ohne es zu merken. Sich selbst gut zu kennen wird zur Lebensversicherung deluxe.

Status quo: Everybody will be famous für 15 minutes

Andy Warhol hatte recht. Damals, in den achtziger Jahren sagte die Pop-Art Ikone mit diesen berühmten Satz unsere Zukunft voraus. Irgendwie schreibt jeder heutzutage einen Blog, hat einen YouTube-Account oder ist selbsternannter Experte auf irgendeinem Gebiet. So weit so gut. Das Internet ist demokratisch. Es hat aus Modefans Modeblogger und aus kleinen Stories gute Unterhaltung für die Weltöffentlichkeit gemacht. Doch irgendwie bezahlen wir gleichzeitig einen sehr hohen Preis für diese Demokratie. Den Preis der Verwirrung, den Preis der unendlichen Auswahl, den Preis der Überflutung. Und jetzt, nach über zehn Jahren in der digitalen Welt, schaue ich in die Gesichter der Menschen. Und ich sehe Zerstreuung, Unsicherheit, Bindungsunfähigkeit, Zerrissenheit, Überforderung. Schöne nicht mehr neue digitale Welt, dein Schatten ist lang. Und die Sonne scheint nicht mehr so hell wie in den ersten Tagen.

Mich interessiert eure Hipster-Scheiße nicht

Applikationen wie Instagram gaukeln perfekte Leben, Modeblogs das perfekte Sein vor. Perfekte Körper, die richtige Handtasche, den richtigen Studiengang, den richtigen, perfekten Freund. Ihr werdet auf meinem Blog nie so etwas sehen. Ich zeige prinzipiell keine teuren Designersachen. Ich möchte authentisch und echt sein. Die, die man bei großen Ketten und im Second-Hand-Laden trifft. Wer will schon die tausendste „Drew Bag“ sehen? Nennt ihr das individuell? Na dann. Findet ihr ernsthaft, Stil zu haben bedeutet hunderte von Euro in eine dumme Tasche zu stecken, die dann auch noch jeder zweite Bloggerin besitzt? Where have we gone? Modeblog, Street-Style, das sind für mich Seiten wie der finnische Tumblr Hel Looks. Damit hat alles angefangen. Damit identifiziere ich mich. Echte Menschen auf dreckigen Straßen, die wir so sehen wie sie in diesem Moment WIRKLICH sind. Ich will ich sein. Mich nicht vereinnahmen lassen. Ich ignoriere den digitalen und gesellschaftlichen Druck der ständigen Selbstoptimierung. Ich mache mein Ding. So wie ich das mag. In meinem Tempo. Egal ob das jemandem gefällt oder nicht. Unabhängig von Frau- oder Mannsein bin ich der Mensch, der ich sein will. Lieber Kate Moss als Claudia Schiffer, ihr wisst schon.

Überall herrscht der Widerspruch

In der Gesellschaft brodelt es. Zugefrorene Seen schmelzen, manchmal brechen wir auch gleich ein. Schock, Schmerz, Neubewertung machen sich breit. Bist du bereit für das Neue? Bist du bereit, dir selbst neu zu begegnen? Ich meine, so wirklich? Aus dir selbst heraus und nicht, weil jemand meint, das wäre gerade jetzt nötig? Oder willst du immer noch die sein, die du schon einmal und gar immer warst? Wo sind unsere Nietzsches, Schopenhauers, Goethes und Bachmanns hin?

“Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein”.

(Zitat: Krishnamurti)

Ja, es gibt mehr Fragen als Antworten – aber das ist nichts Schlechtes. Denn manchmal ist es wichtiger, die Frage zu kennen als die vermeintlich einzige richtige Antwort, nach der wir immer suchen. Das sind die Gedanken, die durch meinem Kopf schwirren. Wir alle suchen Orientierung und Sicherheit, doch gleichzeitig wollen wir nicht eingeengt werden und wehe, es wird langweilig. Wir suchen die Quadratur des Kreises. Wer von uns wird es wirklich schaffen, Gegensätze miteinander zu verbinden? Geht das? Ja, ich denke, das funktioniert. Indem man es einfach macht. Ohne Anleitung, einfach so frei Schnauze. Und ohne die einzig richtige Antwort. Und wenn wir das machen, dann kann vielleicht auch unsere Seele wieder mit uns mithalten.

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