Foto: Madeleine Leitner

Madeleine Leitner: „Viele Jobs sind schlicht unerträglich und menschenverachtend“

Was macht man, wenn man im Job einfach nur noch unzufrieden ist? Wir haben eine gefragt, die es wissen muss: Karriereberaterin Madeleine Leitner.

 

Das Problem liegt oft im Detail

Viele von uns kennen das: Im einst so
geliebten Job fühlt man sich einfach nicht mehr zuhause. Und dann kommen Fragen
auf. Liegt das an mir? Liegt es am Unternehmen? Und was kann ich nun tun, außer
zu kündigen?

Und schon befinden wir uns mitten im
Fachgebiet von Berufscoach Madeleine Leitner, die sich der Beratung von
Menschen in dieser Situation bereits seit 20 Jahren widmet. Uns hat sie
erzählt, welche Fragen man sich in dieser Situation stellen sollte, ob ein
Jobwechsel wirklich hilft – und auch, wie sie einst zu ihrem Beruf kam.

Frau Leitner, Sie sind Berufscoach. Können Sie kurz etwas
zu Ihrem Werdegang erzählen?

„Ich hatte immer viele Interessen und Ideen,
was ich werden könnte – von der Astronautin über Ethnologin, Städteplanerin,
und so weiter. Schließlich habe ich Psychologie studiert. Ich war schon immer
Pionierin und habe damals meine Diplomarbeit über Kunsttherapie geschrieben –
lange, bevor dieser Ansatz in Deutschland bekannt war. Nach dem Diplom schlug
ich einen auch für Psychologen ungewöhnlichen Berufsweg ein. Dabei sammelte ich
in zwei unterschiedlichen Bereichen jeweils mehrere Jahre intensiv Berufserfahrung.

Wie sah dieser Weg denn aus?


„Zunächst war ich Psychotherapeutin in psychosomatischen Kliniken und erwarb
dort auch die Approbation als Psychologische Psychotherapeutin – das entspricht
dem Facharztstatus. Hier lernte ich sehr intensiv, wie Menschen ‚ticken’ und
warum sie werden, wie sie sind. Der Beruf machte mir daher lange sehr viel
Freude. Nachdem es nichts mehr zu entdecken gab, machte ich eine Art
‚Karrierewechsel’ und arbeitete in der Wirtschaft. Zunächst war ich mehrere
Jahre in der Führungsakademie der Telekom verantwortlich für deren Assessment Center
und habe in dieser Zeit etwa 500 Stellen besetzt; anschließend war ich
Personalberaterin und suchte Fach- und Führungskräfte für Unternehmen. Dabei lernte
ich die ‚andere Seite’ kennen: wie Firmen ticken und wie sie auswählen. Es ist
schon eine interessante Erfahrung, wenn man 800 Bewerbungsmappen selektieren
muss
.

Und wie kam es dann zu Ihrem heutigen Beruf?

„Nun, diese beiden Sichtweisen – die der Person
und die des Unternehmens – habe ich zu einem Beruf zusammengefügt, den es bis
dahin in Deutschland gar nicht gab und in dieser speziellen Kombination von
Kompetenzen wenn überhaupt bis heute selten gibt. Einen Teil von dem, was ich
heute tue, lernte ich vor etwa 20 Jahren von den weltweit führenden Experten in
den USA, Genf und London und brachte diese neuen Ansätze als Pionier in den 90er-Jahren nach
Deutschland und trat damit eine Welle los von allen mögliche Ansätzen in diesem
Bereich. Ich würde mich aber niemals selbst als ‚Coach’ bezeichnen, da mein Psychologiestudium und meine Berufserfahrung als Psychotherapeutin und als
Personalberaterin für das, was ich heute tue, eine herausragende Bedeutung
haben.

Mit welchem Wunsch oder welchen Fragen kommen
die meisten Klienten zu Ihnen?

„Zu mir kommen Einzelpersonen und
Selbstzahler. Ich arbeite nicht für Firmen, weil das, was ich tue, nicht zu dem
passt, was Firmen gerne hören. Es handelt sich meistens um Menschen, die
beruflich unzufrieden sind, manchmal auch solche, die beruflich Schiffbruch
erlitten haben
. Ich unterstütze sie vor
allem dabei, herauszufinden, was sie wirklich können und wollen.“

Wie wichtig ist denn eigentlich ein konkret
formulierter Wunsch, so dass Sie wirklich weiterhelfen können? Oder wird das erst erarbeitet?


„Oft ist es die Kunst herauszufinden, was die Fragestellung überhaupt ist.
Dafür führe ich auch Vorgespräche, bei denen ich mir erst einmal ein Bild mache
und viele Fragen stelle – eine Art Diagnose des bestehenden Problems.“

Kommen auch Berufsanfänger zu Ihnen, die gar
nicht wissen, wo es sie hinzieht? Falls ja, wie geht man an diese Sache ran?
Welche Fragen kann man sich stellen, oder auf was sollte man bei sich selbst
schauen, um ein Berufsbild für sich definieren zu können?

„Ich betreue eher selten Schüler und
Studenten. Dabei gehe ich genauso an die Sache heran wie bei berufserfahrenen
Klienten. Hier geht es vor allem um die Klärung der Talente und die Definition
möglicher Berufsbilder. Vor allem geht es auch darum, dass diese jungen
Klienten verstehen, dass ihre Vorstellungen von Berufen nicht identisch sein
müssen mit der Realität. Ich helfe ihnen, soweit das möglich ist, zumindest ein
Problembewusstsein zu schaffen für die Aspekte, die später einen Job zum Himmel
oder zur Hölle werden lassen könnten – zum Beispiel das gewünschte Gehalt, Arbeitszeiten,
und ähnliches. Es werden leider in dieser Hinsicht extrem viele vermeidbare
Fehler gemacht bei der Berufswahl und der Suche nach der richtigen Ausbildung
oder des richtigen Studiums.“

Viele kennen den Punkt, dass sie sich
irgendwann falsch in ihrem Job fühlen – meist ohne genau begründen zu können,
warum das nun so ist. Wie geht man da vor?

„Das ist sogar die Regel. Die größte Kunst
ist es, diese wirkliche und eigentlichen Ursachen herauszufinden, damit man
hinterher nicht das falsche Problem löst. Der beste Ansatz hilft nichts, wenn
das Problem eigentlich anders gelagert ist. Über die schon genannten
Rahmenbedingungen hinaus gibt es auch häufig psychologisch gelagerte Fragestellungen
– wenn (!) diese erkannt werden.“

Aus Ihrer Erfahrung: Wo liegt in diesem Fall
häufiger das „Problem“: in den Strukturen des Jobs oder bei den Arbeitnehmern
selbst?

„Viele Jobs sind meines Erachtens objektiv
betrachtet wirklich unerträglich und menschenverachtend. Es gibt natürlich auch
das Problem der mangelnden Passung. Im Idealfall passen die Person und der Job
so zusammen
, dass der Mensch in seinen Eigenheiten unterstützt wird – und nicht
so, dass er sich verbiegen muss. Sobald Menschen sich verbiegen, sind sie nicht
mehr gut.“

Viele haben auch das Problem, dass sie auf
einer Gehaltsstufe und/oder ihrer Position kleben bleiben – also nicht
aufsteigen, ohne zu wissen, was sie falsch machen. Liegt es daran, vielleicht
gerade bei Frauen, dass sie von ihren Chefs zu wenig verlangen oder ihren
Willen zum Aufstieg zu wenig zum Ausdruck bringen?

„Frauen sind in der Hinsicht vermeintlich zu ‚brav’.
Wenn das ein Problem für die Betreffenden ist, gibt es ja heutzutage zahlreiche
Ratgeber dafür.  Man muss aber die
jeweilige Person genau betrachten. Generell mag ich aber keine Klischees und
verfechte daher das Modell, dass man individuell schauen muss, wie Menschen
ticken und was für sie richtig ist. Nicht jeder will unbedingt aufsteigen – das
gilt übrigens auch für Männer! Es gibt auch Frauen, die aus ihrer eigenen
Historie heraus gerne Mütter sind und bewusst zu Hause bleiben möchten. Und das
sollte auch so akzeptiert sein. Man muss – ob als Mann oder Frau – aufpassen,
dass man nicht einem falschen Modell folgt, das für einen selbst nicht passt. Nicht
jeder sollte Führung übernehmen, nicht jeder kann und will mehr oder weniger Politik
betreiben. Ich habe einige erfolgreiche Vorstandsdamen betreut – ihre Jobs
waren meistens die Hölle, das gute Gehalt wirklich Schmerzensgeld!“

Auch das kennen viele: Der Tagtraum, sein
berufliches Leben komplett umzukrempeln. Also etwa von der Professorin zur
Gärtnerin. Wie oft kommt das im wahren Leben wirklich vor und wie glücklich
wurden diese Menschen damit? Kam mit dem radikalen Wechsel das Glück?

„Ich kenne sogar eine Professorin, die
bewusst mit 60 Jahren in den Ruhestand gegangen ist und jetzt ein Grundstück
bewirtschaftet, sich also vor allem als Gärtnerin betätigt.
Ich habe ja das Thema ‚Karrierewechsel’ Ende der 90er-Jahre nach Deutschland
gebracht  ­– mit einer Buchbearbeitung des
Weltbestsellers und einer bundesweiten Aktion in Kooperation mit der
Zeitschrift Marie Claire. Damals dachte ich noch, dass jeder Mensch, der
unzufrieden ist, auch etwas anderes machen muss. Über die Jahre hinweg habe ich
immer mehr festgestellt, dass bei den meisten Klienten das Problem eher im
Detail steckt. Ein wirklicher Karrierewechsel ist nur bei drei bis fünf von
hundert Klienten wirklich erforderlich. Ich kann das sagen, weil ich seit 18
Jahren mit Klienten hauptamtlich in diesem Bereich arbeite und über die vielen
Jahre hinweg mit hunderten intensiv Kontakt hatte.“

Haben Sie auch schon einmal zu Auszeiten
geraten?

„Auszeiten sollten die Möglichkeit bieten,
den Kopf frei zu bekommen und Dinge mit Abstand zu betrachten. Viele Klienten,
die selbst ein Sabbatical genommen hatten, haben mir aus ihrer Erfahrung
erzählt, dass eine reine Auszeit selten die Orientierungslosigkeit behoben hat.
Sie warteten am Ende immer noch auf die große Erleuchtung, leider vergebens.
Besser wäre es in der Regel gewesen, sich zumindest ansatzweise schon einmal
mit sich selbst zu beschäftigen und dann mit ein paar Vorgedanken die Dinge
reifen zu lassen. Ich habe einigen Klienten allerdings schon zu einer
Krankschreibung oder zu einer stationären Behandlung in einer psychosomatischen
Fachklinik geraten, wenn sie einfach so erschöpft waren, dass die beste
Beratung keinen Sinn gemacht hätte.“


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