Eine längere Pause vom Job nutzen viele Angestellte, um zu reisen, runterzukommen, sich selbst neu kennenzulernen. Doch was bleibt einige Monate später von dieser Erfahrung? Drei Leute erzählen.
Sorry, Chef*in, ich muss mal weg
Wer schon lange in einem Job festhängt, wem das Reisen an den klassischen Urlaubstagen zu kurz kommt oder, wer nochmal etwas Neues lernen möchte, liebäugelt über kurz oder lang mit einem Sabbatical, einer längeren Pause von der Arbeit. Das kann für drei Monate oder bis zu einem Jahr sein. Dass diese Zeit von tausenden Eindrücken und neuen Erfahrungen geprägt ist, steht außer Frage. Doch wie beeinflusst diese Zeit das Leben nicht nur kurz danach, sondern auch langfristig? Drei Leute erzählen, was sich seit ihrem Sabbatical verändert hat und von welchen Erkenntnissen sie immer noch zehren.
Tim, 31, Stuttgart – „Ich habe während des Sabbaticals meinen Job gekündigt”
Tim war neun Monate nur mit dem Rad unterwegs. Bild: privat
„Wenn ich vor einem halben Jahr kein Sabbatical gemacht hätte, würde ich heute wahrscheinlich noch in dem selben Unternehmen arbeiten, in dem ich 14 Jahre lang angestellt war. Direkt nach der Schule habe ich eine Ausbildung angefangen und einen Job in einer größeren Bank angenommen – und war immer neidisch auf die Leute, die ein Auslandssemester gemacht haben oder nach dem Studium verreist sind. Mit 30 habe ich schließlich gemerkt, dass mir die typischen zwei Wochen Urlaub, die man sich als Angestellter am Stück gönnt, nicht mehr ausreichen. Ich sehnte mich danach, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Das Sabbatical sollte mir dabei helfen, mich neu zu orientieren.
„Als ich ganz allein im Wald in Bulgarien unterwegs war, dachte ich mir: Wenn du das hier schaffst, dann wird’s ja wohl was Leichtes sein, eine neue Arbeit zu finden.“
Fahrradfahren habe ich schon immer geliebt – also habe ich meine Auszeit für eine große Fahrradtour quer durch Europa genutzt und bin von Sizilien bis ans Schwarze Meer und zurück über Amsterdam und Barcelona geradelt. Während der Fahrt ist mir immer klarer geworden, was mir wichtig ist. Zum Beispiel, dass mir die Bindung zum Job gar nicht so viel bedeutet, sondern bei mir Zeit mit Freundin und Familie viel höher rangieren. Ich habe gemerkt, dass es nicht mein Lebensziel ist, diesen Bankjob auszufüllen, dass ich außerdem ersetzbar bin. Ich wollte immer weniger in die alten Strukturen zurückkehren. Als ich ganz allein im Wald in Bulgarien unterwegs war, dachte ich mir: Wenn du das hier schaffst, dann wird’s ja wohl was Leichtes sein, eine neue Arbeit zu finden, die dich glücklicher macht – und habe nach drei Monaten gekündigt. Mein Chef war natürlich enttäuscht, aber ich habe ein Freiheitsgefühl gespürt, das ich bisher nicht kannte.
Um eine neue Stelle habe ich mich erst nach meiner Rückkehr gekümmert. Dabei war mir klar, dass ich nicht mehr nur eine Nummer in einem großen Konzern sein wollte. Mir schien ein kleineres Unternehmen, wo man viel bewegen kann, perfekt. Über Freunde habe ich dann einen Job in etwa derselben Branche gefunden. Im Nachhinein war das genau der richtige Schritt. Mein Fokus liegt jetzt eher auf der Familie, statt auf Geld und Karriere. Auch, wenn das Sabbatical kein Selbstfindungstrip sein sollte, weiß ich nicht, ob ich den Jobwechsel sonst hinbekommen hätte.“
Nina, 42, Hamburg – „Ich habe mehr Ruhe gefunden – und mache noch ein zweites Sabbatical“
Nina ist sechs Monate durch die Welt gereist. Bild: privat
„Ich bin eigentlich ein Workaholic. Ich arbeite als Social Media Managerin im Marketing einer großen Versicherung und liebe meinen Job. Ich bin ein super unruhiger Mensch, mache immer ganz viel auf einmal und bin ständig online. Vor meiner Reise vor zwei Jahren fiel es mir deshalb nicht leicht, den Arbeitsplatz so lange hinter mir zu lassen. Bei meinem Sabbatical wollte ich deshalb nicht nur neue Orte sehen, sondern auch lernen, mehr auf meinen Körper zu hören. Ich wollte in einen Ashram in Indien gehen und das totale Kontrastprogramm machen, schauen, wie ich mit Ruhe, Yoga und diesem ruhigen, strukturierten Leben klarkomme. Ich hätte es selbst nicht gedacht: überraschend gut! Mit jedem Tag fiel mir das Loslassen leichter und ich lernte, meinen Kopf, der sonst immer um tausend Themen gleichzeitig kreiste, mal nur mir selbst zu widmen. Danach bin ich noch durch verschiedene Länder gereist: Bali, Australien, Südostasien. Viele Leute denken ja, wenn man weit wegfährt, reist man auch von sich selbst weg, aber dem ist nicht so. Wenn du alleine unterwegs bist, bist du automatisch ganz viel mit dir beschäftigt und arbeitest an emotionalen Baustellen.
Ich würde sagen, nach meiner Rückkehr war ich kein komplett neuer Mensch, schließlich hatte ich schon öfter im Ausland gelebt und war nicht zum ersten Mal auf mich allein gestellt. Was sich aber verändert hatte: Ich höre mehr auf meine Bedürfnisse und lasse Fünf auch mal gerade sein. Ich merke jetzt zumindest, wenn ich Ruhe brauche. Ich nehme mir selbst häufiger den Druck raus, indem ich manche Sachen bis zum nächsten Tag liegen lasse. Das klappt natürlich nicht immer, aber deutlich besser als vorher. Wenn ich müde bin, sage ich auch mal eine Verabredung ab. Das kommt vielleicht sowieso, wenn man älter wird, aber durch das Alleinsein hat sich das noch verstärkt.
„Ich kann zwar nicht den Strand mit nach Hause nehmen, aber vielleicht kann ich Zeiten schaffen, in denen es nur um mich geht.“
Ich bin außerdem viel reflektierter geworden. Wenn ich etwa Streit mit einem Kollegen habe, will ich das nicht einfach nur klären, sondern etwas tiefer gucken. Welchen Anteil hatte ich, was ist da genau passiert? Von diesen Erkenntnissen über mich selbst profitiere ich selbst jetzt noch, zwei Jahre später. Ich rate jedem, der ein Sabbatical macht, sich gegen Ende der Auszeit zu fragen: Was sind die Sachen, die mich gerade glücklich machen und wie kann ich die in meinen Alltag in Deutschland integrieren? Ich kann zwar nicht den Strand mit nach Hause nehmen, aber vielleicht kann ich Zeiten schaffen, in denen es nur um mich geht. Jetzt steht mein zweites Sabbatical an. Wenn man einmal eine längere Reise macht und merkt, dass es noch ein Leben abseits von Zuhause gibt, kann man süchtig danach werden. Hier gehört jede Stunde dir selbst. Auch diese längere Pause wird wahrscheinlich nicht meine letzte sein.“
Emily, 37, Berlin – „Nach meiner Rückkehr musste ich mir eine neue Stelle suchen“
Emily hat drei Monate lang unterschiedliche Abenteuer erlebt. Bild: privat
„Wenn ich jetzt Bilder von vor einem Jahr sehe, kann ich kaum glauben, was ich während des Sabbaticals erlebt habe. Es ist, als ob ich die Fotos von jemand anderem anschaue. Denn im Vergleich zu dem Stress, der danach folgte, ist meine dreimonatige Auszeit völlig untergegangen. Aber von vorn: Das Unternehmen, in dem ich damals als Director of Global Workplace gearbeitet habe, bot allen Mitarbeitern, die schon länger als vier Jahre angestellt waren, eine Auszeit an. Das Sabbatical-Programm sollte vor allem diejenigen aufs Neue motivieren, die die Hochs und Tiefs der vergangenen Jahre mitgemacht hatten und sonst vielleicht gekündigt hätten. Ich dachte bis kurz davor gar nicht, dass ich die Pause bräuchte – am Ende habe ich doch darauf hingefiebert.
Drei Monate bin ich gereist: Neuseeland, Australien, Holland. Ich bin mit Delfinen geschwommen, mit dem Mountainbike Berge runtergefahren. Obwohl ich feststellen musste, wie gut es sich auch ohne Büroalltag lebt, hatte ich danach unglaubliche Energie, wieder arbeiten zu gehen. Ich habe meinen Job und die Leute dort geliebt. Es herrschte eine sehr familiäre Atmosphäre. Was ich während meiner Abwesenheit nicht mitbekommen hatte: Dem Unternehmen fehlten plötzlich Investoren. Ein paar Tage nach meiner Rückkehr ging die Kündigungswelle los. Ich hatte nur noch vier reguläre Arbeitstage und wurde dann freigestellt.
„Vielleicht hat es mir in dem Moment geholfen, dass ich durch das Sabbatical schon daran gewöhnt war, nicht zu arbeiten.“
Vielleicht hat es mir in dem Moment geholfen, dass ich durch das Sabbatical schon daran gewöhnt war, nicht zu arbeiten. Vielleicht hat mich diese Zeit, in der ich genauer auf mein Geld schauen musste, auch schon unbewusst darauf vorbereitet, dass ich auch mit weniger leben kann. Aber so oder so ist es schockierend, seinen Job zu verlieren. Es fühlt sich wie Schluss machen an, selbst wenn man sich länger nicht gesehen hat. Ich hatte schließlich wirklich Lust, wieder zur Arbeit zu gehen. Wenn man selbst entscheidet, eine Pause einzulegen, ist das etwas ganz anderes, als wenn dein Können auf einmal nicht mehr gefragt ist. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat uns dann dabei unterstützt, eine neue Stelle zu finden. Ich hatte direkt mehrere Bewerbungsgespräche. Am Ende habe ich mich für einen Job entschieden, bei dem ich in Berlin und in der Nähe meiner Freunde bleiben konnte. Denn auch das hatte ich während des Sabbaticals gelernt: Die Menschen um einen herum sind das Wichtigste. Es ist okay, ein bisschen Distanz zum Job zu haben. Das Leben ist das Leben.“
Der Originaltext von Milena Zwerenz ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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