Es kann zermürbend sein, mit Menschen zu verkehren, für die das Glas ständig halb leer ist. Ihnen das ins Gesicht zu sagen, ist aber der falsche Weg.
Alles ist ganz furchtbar
„Jetzt sei halt nicht immer so negativ.“
Hier kommt ein kleines Geheimnis: Dieser Satz macht alles noch viel schlimmer. Und er bringt Menschen, die alles gerade ganz furchtbar negativ sehen, ganz sicher nicht dazu, die Dinge plötzlich positiver zu sehen.
Aber es gibt einen simplen Trick, wie es wirklich gelingt, seine Mitmenschen vom chronischen Pessimismus abzubringen. Das hat etwas mit unserem Selbstverständnis zu tun.
Unser Gehirn begünstigt negatives Denken
Unser Gehirn ist grundsätzlich darauf gepolt, eher Probleme zu sehen als positive Dinge. Das ist ein evolutionäres Überbleibsel: Wir müssen überleben, also müssen wir achtsam gegenüber Problemfaktoren sein.
„Wir gewöhnen uns zudem sehr schnell an Dinge, weshalb wir kleine, schöne Dinge viel schneller aus den Augen verlieren als negative“, sagt die Psychologin und Autorin Ilona Bürgel. Ein leckeres Abendessen ist am nächsten Morgen wieder vergessen. Und ein schöner Moment verliert bald an Bedeutung. Aber ein beruflicher Rückschlag etwa hängt uns teils noch wochenlang nach.
Was tun mit Pessimisten?
Wer sich darauf eingeschossen hat, dass gerade alles scheiße läuft, für den wird auch alles scheiße laufen, weil er sich nur auf negative Aspekte konzentriert. Aber was tun wir mit Mitmenschen, die dem Leben ständig pessimistisch gegenüber stehen? Kolleginnen, die uns immer wieder volljammern, wie schrecklich alles ist? Familienmitglieder, für die das Glas ständig halb leer zu sein scheint?
Zunächst gilt laut Bürgel: „Wir sollten uns grundsätzlich nicht einmischen.“ Jeder Mensch ist, wie er ist und will nicht umgemodelt werden – es sei denn, er fragt gezielt nach Hilfe. In der Therapie gebe es etwa die Regel „Kein Coaching ohne Auftrag“.
Nehmen wir an, eine Person sieht gerade mal wieder alles schwarz und lässt uns ungefragt daran teilhaben. Reaktionen á la „Jetzt reiß dich mal zusammen, so schlimm ist das alles doch gar nicht“ wirken in solchen Situationen wie Rechthaberei und führen nicht selten zu Streit. Für unser Gegenüber wirkt das jeweilige Problem in diesem Moment omnipräsent und überschattet alles. Auch wenn das für uns noch so unverständlich ist und nervt. Womöglich steckt er*sie gerade in einer Lebensphase, in der es gefühlt wenig Gutes gibt und das Negative überwiegt. Nicht vergessen: Unser Hirn begünstigt das.
Aber das Hirn lässt sich glücklicherweise austricksen
Die große Kunst ist es, den Schwarzmaler zu zeigen, dass das vermeintlich wenige Gute umso wertvoller ist. Das gelingt aber nicht durch verbales Eindreschen, sondern indem wir unser Gegenüber subtil auf Positives im Leben aufmerksam machen. Indem wir zunächst zuhören, uns zurückhalten und im richtigen Moment einen Perspektivwechsel ermöglichen.
Wenn der Partner beispielsweise unaufhörlich über Probleme im Job schimpft, nur noch über grausige Chefinnen klagt, und irgendwann sagt „Ich brauche ernsthaft dringend Urlaub“, könnte genau das unser unser Stichwort sein, einzuhaken, sagt Bürgel. Dabei könnte man dem Gespräch gut einen positiveren Drall verpassen: „Ja, das ist eine gute Idee. Wohin? Berge, Wasser oder Städtetrip?“
Punktiertes Nachfragen
Durch punktiertes Nachfragen könne man zudem gut relativieren und einen neuen Gesprächsschwerpunkt setzen, sagt Bürgel. Noch ein Beispiel, bleiben wir bei Urlaub: Wir reisen mit einem Freund auf Sri Lanka. Uns gefällt es hier, aber für ihn*sie ist gerade alles beschissen. Essen beschissen, Wetter beschissen, Umgebung beschissen. Er steckt uns fast mit dieser destruktiven Stimmung an, macht, dass wir den Urlaub nicht genießen können.
Wir haben jetzt zwei Optionen: Entweder wir lassen es zum Streit und dadurch zum Bruch kommen. Oder wir versuchen, die Aufmerksamkeit durch eine Nachfrage auf etwas Positives zu lenken. „Jo, ich verstehe schon … aber hey, kurz was anderes, muss gerade an die Zugfahrt durch den Dschungel gestern denken. Du hast doch gemeint, die hat dir gefallen. Was fandest du am beeindruckendsten? Die Passage am Wasserfall?“ Wenn er einlenkt, haben wir ihn gewonnen und können bei dieser positiven Erinnerung bleiben – und sie durch Wiederholung verstärken.
Alles awesome?
Aber: Nichts mit alles awesome, nichts mit alles so toll, alle haben sich lieb, nichts mit Übertreibungen. „Nur authentisch positives Denken ist angebracht“, sagt Bürgel. „Wir müssen dieses Signal senden: Schlechtes sehen, aber eben auch, was sonst noch so da ist.“
Oft merkten Menschen, die häufig jammern, gar nicht, wie belastend das für die Gesamtstimmung sei. Vergessen dürften wir aber nicht, dass hinter unserem Bestreben, sie zu bekehren, meistens steckt, dass wir selbst gestresst davon sind, die Situation uns belastet. „Wenn etwa die Eltern zum zehnten Mal dieselbe negative Geschichte herauskramen, kann man natürlich auch einfach mal Stop sagen“, sagt Bürgel. Wir könnten ihnen erklären, dass wir gerade schlicht nicht in der Verfassung für dieses Thema sind und ihnen ein Alternativangebot machen: „Lasst uns doch bitte morgen am Telefon darüber sprechen.“ Das habe auch etwas mit Selbstverantwortung zu tun.
Wer spielerischer mit dem Leben umgeht, inspiriert andere
Apropos Selbstverantwortung: Die allerbeste Methode, sich nicht von Negativdenkenden runterziehen zu lassen, ist es, selbst ein Vorbild zu sein, sagt Bürgel. „Wenn jemand ein Lied anstimmt, findet sich immer jemand, der mitsingen wird.“ Ebenso würden gute Laune und ein aufrichtiges Lächeln ansteckend auf andere Menschen wirken.
„Wer selbst sehr offen für positive Erfahrungen ist, strahlt das nach außen aus.“
Wir alle kennen diesen einen Menschen im Bekanntenkreis, der immer beschwingt durchs Leben geht, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, mit dem sich ganz entspannt umgehen lässt: Wer spielerischer mit dem Leben umgeht, inspiriert andere – ganz ohne Worte.
Optimisten sind gesünder
Die US-amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson fand dazu heraus, dass eine positive Haltung das Leben dauerhaft verändert, auch gesundheitlich. Speichere man sich die sogenannte positiven Mikromomente, wie Fredrickson sie nennt, bewusst ein – das nette Gespräch in der Mittagspause, das Kompliment einer*s Bekannten – führe das generell zu mehr Wohlbefinden.
Fredrickson gilt als Triebmotor der positiven Psychologie und wurde für ihre wissenschaftlichen Leistungen mit einigen Preisen ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Werk Love 2.0 schreibt sie, dass geteilte Positivität – zwei Menschen, die dasselbe gute Gefühl teilen – einen größeren Einfluss auf die Gesundheit habe, als wenn jemand diese Positivität alleine erlebt. Dazu gehöre, einen Film mit jemandem zu sehen, der den gleichen Filmgeschmack teilt, gute Nachrichten oder Witze zu teilen oder witzige Zwischenfälle zu erleben. Das resultiere darin, sich am Ende des Tages mehr im Einklang mit anderen Menschen zu fühlen.
Die Menschen müssen selbst auf den Trichter kommen
Man sollte nicht erwarten, aus Pessimist*innen per Schnipsen Optimist*innen zu machen. Und wenn auch das vorsichtige Einwirken nichts bringt, bedürfe es manchmal eines radikalen Schritts, sagt Bürgel: „Das Bestreben, dass alles immer gut zu sein hat und wir uns immer mit anderen verstehen müssen, ist schön, aber unrealistisch.“ Kommt man partout nicht zusammen und fühlt sich unter Druck, sollte man sich womöglich andere Freund*innen suchen, meint die Expertin.
Fragt man Bürgel, was für sie die häufigste und fatalste Art des Negativdenkens sei, sagt sie: „Grübeln.“ Ständiges Warum, warum, warum; das ist eine Spirale, die nur schwer zu durchbrechen ist und sich auf viele Bereiche des Lebens überträgt. Bürgel erforscht, wie Menschen da rauskommen.
Es gibt auch positives im Leben
Laut ihr müssen Menschen erstmal selbst merken, dass die Waage schief hängt. So wie Drogenabhängige erstmal sich selbst eingestehen müssen, dass sie abhängig sind. „Sie müssen sich eingestehen, dass sie ständig nur negative Gedanken wiederkäuen“, sagt sie. Dann sei der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zu einem gesunden Optimismus gemacht. So könne man künftig mehr an Möglichkeiten denken, statt an Verluste.
Das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht mal negativ sein dürfen, gefrustet, traurig oder angepisst. Das alles dürfen und müssen wir. Wir sollten dabei nur nicht vergessen, dass es mit Sicherheit auch Schönes in unserem Leben gibt. Und das gilt es umso mehr zu genießen.
Der Originaltext von Till Eckert ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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