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Arbeiten in einer Männerdomäne: „Ich wurde ständig für die Sekretärin gehalten“

Erfolg im Anwaltsberuf ist kein Zufall, doch ist es immer nur das Ergebnis harter Arbeit? Oder kommt es auch darauf an, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun? Eine Rechtsanwältin erzählt davon, was ihre berufliche Laufbahn beeinflusst hat.

 

„Ich wusste vom ersten Tag an, dass das eine absolute Männerdomäne ist“

Was ist das Geheimnis erfolgreicher Juristin und worauf sollte man von Anfang an achten? Davon erzählt eine deutsche Rechtsanwältin mit türkischen Wurzeln, Partnerin einer mittelständischen norddeutschen Kanzlei, die anonym bleiben möchte:

„Ich bin Rechtsanwältin. Rechtsanwältin, die in Deutschland geboren wurde und türkischer Abstammung ist. Ich bin selbstständig und arbeite seit einigen Jahren mit einem älteren deutschen Kollegen zusammen und das sehr gerne. Aber die Arbeit als deutsche Rechtsanwältin, hier geboren und aufgewachsen und ohne hörbaren Akzent, hat sich verändert in der letzten Zeit. Leider.

Als ich begann in diesem Beruf zu arbeiten, landete ich zunächst in einer jungen, mittelständischen Kanzlei. Schnell stellte ich fest, dass weder das Studium noch das Referendariat einen auf die praktische Tätigkeit als Rechtsanwältin vorbereiten. Dabei half es auch nicht, dass das Credo der Geschäftsführer der Kanzlei gewesen ist, junge, günstige, unerfahrene Rechtsanwälte direkt nach dem Examen aufzulesen und ohne Hilfestellung für sich arbeiten zu lassen, frei nach dem Motto: „learning by doing“.

Ich hatte das Glück, dass ich Kolleginnen hatte, die sich bereit erklärten, mit viel Geduld all meine Fragen zu beantworten. Dadurch lernte ich auch früh die Tätigkeiten einer Rechtsanwaltsfachangestellten – ich kann mich nicht entsinnen, im Studium oder Referendariat gelernt zu haben, wie man ein Anwaltsprogramm bedient, wieviele Kopien man ans Gericht schickt, wie man Rechnungen schreibt oder beispielsweise Mahnbescheide beantragt etc.. und das war wiederum eine gute Basis, um mich ein Jahr später selbständig zu machen.

Selbstständig in einer Männerdomäne

Ich wusste vom ersten Tag an, dass ich mich in einer absoluten Männerdomäne befinde. Das ist für mich aber noch nie ein Hindernis gewesen, meinen Beruf mit der notwendigen Leidenschaft auszuüben. Jeder Mensch hat seine Vorzüge und dementsprechend auch Stärken, man muss nur wissen wie man sie einsetzt. Ich freue mich, wenn meine Mandanten mir zu verstehen geben, dass sie mich als Person schätzen, weil ich Einfühlungsvermögen habe und ihnen das Gefühl geben kann, dass ich sie als Person ernst nehme. Und ich freue mich vor allem darüber, wenn meine Mandanten nicht thematisieren, dass ich eine Frau bin und dann auch noch mit ‚Migrationshintergrund‘. Denn klar ist auch: Bevor ich Anwältin wurde, musste ich mir zu keinem Zeitpunkt Gedanken darüber machen, dass ich eine Frau und außerdem in zwei Kulturen aufgewachsen bin.

Anfangs war es schwierig, sich daran zu gewöhnen und vor allem damit klarzukommen, dass Mandanten einen Unterschied zwischen Anwälten und Anwältinnen machen. Deutlich wurde mir das vor allem, als ich mit einem älteren, erfahrenen, deutschen Rechtsanwalt eine Sozietät gründete. Im Gegensatz zu meinem Partner musste ich mich doppelt und dreifach behaupten – ständig wurde ich für die Sekretärin meines Partners gehalten. Mandanten überschritten Grenzen, fragten mich wiederholt nach privaten Dingen oder machten mir sogar Heiratsanträge. Immer wieder wollten mich Mandanten zum Essen ausführen oder mit anderen Gefälligkeiten bezahlen.

Das Erstaunliche daran: Mein Partner war und ist schockiert über meine Erlebnisse, da er selbst in all den 40 Jahren seiner Berufstätigkeit als Rechtsanwalt solche Erfahrungen nie machen musste. Keiner habe ihn heiraten oder auch nur zum Essen ausführen wollen. Keiner habe bei ihm die Grenze zum Privaten überschritten und immer das Anwalt-Mandanten-Verhältnis gewahrt. Auch bei Honorarverhandlungen erleben wir regelmäßig, dass die Mandanten mit mir als Frau eher diskutieren als mit meinem Partner.

Ich wollte unabhängig von meiner türkischen Abstammung wahrgenommen werden

In den ersten Jahren meiner Selbständigkeit wurde mir oft dazu geraten, meine Zweisprachigkeit im beruflichen zu nutzen. Anfangs habe ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, meinen Fokus auf Mandanten mit türkischer Abstammung zu legen. Ich wollte keine Klischees erfüllen und als eine der vielen türkischen Rechtsanwältinnen gelten, die „nur“ Teil der türkischen Community ist. Ich wollte unabhängig sein und vor allem unabhängig von meiner türkischen Abstammung wahrgenommen werden.

Aber als junge Anwältin musste ich mir doch ab einem gewissen Punkt die Frage stellen: sollte man nicht all seine Fähigkeiten dazu nutzen, Geld zu verdienen? Das führte dazu, dass ich anfing vermehrt auch Mandanten türkischer Abstammung zu betreuen.

Ich sehe es als Vorteil, Teil einer anderen Kultur zu sein und das auch über mein Verständnis im Umgang mit Mandanten aus dem gleichen Kulturkreis zeigen zu können. So ist es für mich beispielsweise selbstverständlich, dass ich ältere türkische Mandanten mit dem nötigen Respekt anspreche und ihnen das Gefühl gebe – wie es in der türkischen Kultur eben Brauch ist – dass sie das Sagen haben. Auch weiß ich, wem ich die Hand reichen kann und wem nicht. Wenn jemand mit Kopftuch vor mir sitzt, ist mir das egal. Von Kollegen weiß ich aber, dass sie sich dadurch häufig gestört fühlen und den Mandanten bzw. die Mandantin, nicht richtig ernst nehmen können.

Es hat sich vieles geändert – nicht zum Guten

Der Unterschied im Umgang von deutschen oder ausländischen Mandanten war dabei für mich immer schon spürbar. Trotzdem habe ich – ganz selbstverständlich! – meine Kanzlei bisher nicht als Ort für politische Statements angesehen.

Allerdings muss ich nun seit über einem Jahr feststellen, dass ich das erste Mal in meinem Leben von der gegenwärtigen Politik betroffen bin, als Person und ganz unmittelbar in meiner Arbeit. Noch nie zuvor habe ich dies am eigenen Leib so zu spüren bekommen, wie in den vergangenen Monaten. Während ich mich früher versuchte von der türkischen Gesellschaft abzugrenzen oder mich zumindest neutral zu halten, werde ich seit der sogennanten Flüchtlingskrise immer mehr dazu genötigt, Stellung zu beziehen. Und ich musste mehrfach die Erfahrung machen, dass neue deutsche Mandanten eine Vertretung durch mich ausdrücklich ablehnen und das allein vor dem Hintergrund, dass ich einen ausländischen Namen habe und ausländisch aussehe.

Als ich das erste Mal einen Mandanten vor mir sitzen hatte, der mich entgeistert anguckte und fragte, wie ausgerechnet ich es geschafft habe in Deutschland Anwältin zu werden und es wagen wolle sein Mandat zu betreuen, war ich im ersten Moment sprachlos. Aus meinen Erfahrungen heraus, dass manche Mandanten lieber von meinem männlichen Kollegen betreut werden wollen, weil er ein Mann ist, hätte ich gedacht, ich bin diese direkte Ablehnung mittlerweile gewohnt. Aber so war es nicht. Es kam für mich überraschend und tat weh. Ich tat verständnisvoll und verwies den Mandanten an meinen Kollegen, der das Mandat auch gerne übernahm. Innerlich war ich jedoch entsetzt, weil ich feststellen musste, dass sich jetzt noch eine weitere Hürde auftat: zusätzlich zur Hürde ‚weiblich und jung‘ kommt nun die Hürde: ausländisch klingender Name.

Mit Änderungen umgehen lernen

Die Folge von all dem ist an der Statistik meiner Mandate relativ leicht abzulesen: Während ich zuvor ca. 70 Prozent deutsche Mandanten und 30 Prozent ausländische Mandanten betreut habe, hat sich das Verhältnis nun deutlich in gegensätzlicher Richtung entwickelt. Ein Zufall? Man mag kaum daran glauben…

Dabei darf man nicht vergessen: ich bin türkischer Abstammung. Der politische Konflikt in der Türkei ist für türkischstämmige Deutsche – politisch korrekt ausgedrückt! – hier in Deutschland deutlich spürbar. Ich muss mich neben dem Problem als Frau mit ausländischen Wurzeln auch dem Problem stellen, dass gerade die türkische Gesellschaft in Deutschland derzeit oft Position zu innerpolitischen Themen in der Türkei bezieht, in die eine und die andere Richtung. Das führt dazu, dass ich wie auf heißen Kohlen laufe, wenn ich nicht einschätzen kann, ob ein neuer Mandant ein Problem mit mir als Frau, als Frau mit Migrationshintergrund oder als Frau mit türkischem Background ohne politische Äußerungen hat. Meinen Beruf auszuüben wird in letzter Zeit so mehr und mehr zu einem ‚Eiertanz‘ im schlechtesten Sinne.

Hätte mir vor sieben Jahren jemand gesagt, dass das auf mich zukommt, was gerade passiert, so muss ich ehrlich gestehen: ich hätte wohl ein ‚anonymes‘ Angestelltenverhältnis bevorzugt…

Was tun? Kneifen gilt nicht!

Seit der Flüchtlingskrise geht es stetig bergab. Die Mandanten bleiben weg. Die Geschäfte laufen schlechter denn je und als einzige Erklärung kommt nur der ausländische Name im Betracht. Wir finden keinen anderen Anhaltspunkt als Erklärung, gerade vor dem Hintergrund, dass wir aus Gesichtspunkten des Marketings gut aufgestellt sind und einen festen Mandantenstamm haben.

Man hört aus dem Bekanntenkreis, dass Reaktionen auf Berichte über meine Geschichte die Frage auslösen: ‚Würdest Du etwa zu einem türkischen Anwalt gehen?‘ – Es ist nicht nur meine subjektive Wahrnehmung und eine billige Entschuldigung dafür, dass es nicht besser läuft als es tut. Und glauben Sie mir, es wird einem mulmig, wenn einem als selbständiger Anwalt die Mandanten wegbleiben.

Ein Grund zum Aufgeben? Nein! Wenn ich etwas begonnen habe, dann ziehe ich das durch – wider alle Hindernisse. Ich bin in diesem Land geboren und aufgewachsen. Ich spreche besser Deutsch als Türkisch und nicht selten besser Deutsch als so manch Deutscher – sagt man mir.

Ich bin aufgewachsen in zwei Kulturen und lebe diese auch entsprechend. Ich habe Mandanten, die mir genau aus diesem Grunde treu zur Seite stehen und Mut machen, dass es noch mehr von ihnen gibt.“

Hinweis: Dieser Text ist zuerst auf www.coachingforlegals.com erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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