Ein Meeting mit dem Chef, eine wichtige Klausur oder ein Kundengespräch: Ständig kommen wir in Situationen, in denen wir etwas leisten müssen. Der Autor Jan Mayer zeigt uns in seinem Buch „Wenn’s drauf ankommt“, welche Strategien aus dem Spitzensport dabei helfen können, außergewöhnliche Anforderungen im Alltag zu meistern.
Warum funktionieren wir in Stresssituationen anders?
Das Gefühl von Überforderung ist in der heutigen Arbeitswelt weit verbreitet. Tag für Tag müssen wir Bestleistungen abrufen, wenn sie gefordert sind – und das teilweise unter Stress und Anspannung. Autor und Sportpsychologe Jan Mayer erklärt, warum wir in solchen Situationen, wenn’s drauf ankommt, anders funktionieren. Er stellt wissenschaftliche Methoden, Strategien und Übungen aus der Sportpsychologie vor, denn was für Erfolge im Spitzensport gilt, trifft ebenso für die Herausforderungen im Beruf und Alltag zu. Schritt für Schritt erklärt Jan Mayer, wie jede und jeder von uns die Erkenntnisse aus dem Spitzensport für sich nutzen kann – egal ob bei Prüfungsangst, Vorstellungsgesprächen oder Präsentationen. Ein Buch für alle, die ihre Ängste und Selbstzweifel überwunden möchten. Wir stellen euch einen Auszug daraus vor:
Akku? Geladen!
(…) Es hört sich vielleicht seltsam an, aber um im entscheidenden Moment nicht mit bewusstem Denken in den antrainierten und automatisierten Bewegungsablauf einzugreifen, ist tatsächlich Energie und Aufwand nötig. Das bewusste Denken muss aktiv beschäftigt werden. Man kann es in solchen Situationen nicht einfach abschalten – man muss es steuern und kanalisieren können. Denn das bewusste Denken soll unterstützen und nicht stören. Doch dazu benötigt man nicht zuletzt Energie, einen vollen Akku.
Daher ist ein situationsangemessener Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung eine essenzielle Fertigkeit, um Topleistung zu erbringen:
Die Mobilisierung, wenn’s drauf ankommt, sollte gezielt angesteuert werden
können – genauso wie Regeneration und Erholung in den Pausen. Denn auch der Zustand der Kompetenzüberzeugung stellt sich eher ein, wenn man das Gefühl hat, entsprechend gut regeneriert zu sein und im entscheidenden Moment adäquat Spannung aufbauen zu können.
Wie kann das gelingen? Welche Strategien nutzt man im Spitzensport, um den Sportler optimal regeneriert in den Wettkampf zu schicken? Eine einfache Möglichkeit zur Umsetzung dieser Fertigkeit ist das Erstellen eines Tages- und Wochenplans, in dem die Zeiträume für Mobilisation und Regeneration festgehalten werden: „Wann ist mein Wettkampf? Wann ist Zeit für eine Pause?“
Meist sind die Zeiten für die „Wettkämpfe“ von außen vorgegeben. Daher ist es
entscheidend, sich bewusst Zeit für die Erholung einzuräumen. Wenn also nach
einem langen Arbeitstag abends um 19 Uhr noch ein wichtiges Teammeeting
ansteht, sollte unmittelbar vor dieser Sitzung noch eine kurze, aber intensive
Erholungspause eingeplant werden.
Pausen sind wichtig
Um Erholungsphasen möglichst effektiv zu gestalten, sind
verschiedene Verfahren entwickelt worden, zum Beispiel Atementspannung oder progressive Muskelentspannung. Prinzipiell wirken Entspannungsverfahren auf zwei verschiedene Weisen: eine sensorische, körperliche Stimulation oder eine kognitive, vorstellungsbezogene Stimulation. In der Kombination solcher Elemente liegt der Erfolg effektiver und schnell erlernbarer Entspannungsmethoden. Ziemlich effektiv ist eine Kombination aus Atementspannung und Fantasiereise mit Unterstützung von Musik.
Eine angenehme Sitz- oder Liegeposition einnehmen. Auf die Atmung achten (tief in den Bauch einatmen, auf die Atempause achten). Sich an angenehme Erlebnisse (Urlaub etc.) erinnern und sich in der Vorstellung dorthin begeben (hilfreich hierfür ist auch ein schönes Foto aus dem letzten gelungenen Urlaub, das man vorsorglich bei sich haben sollte). Zudem ist das Hören von Musik (auch über Kopfhörer) eine sehr gute, ergänzende Entspannungsmethode.
Die Musik sollte allerdings ruhig sein, was sich auf die BPM (Beats per Minute) bezieht. Der Organismus (Herzschlag) passt sich diesen BPM an. Insofern sollten die gehörten Stücke weniger als 60 BPM aufweisen. Schon nach wenigen Minuten sollte sich eine merkliche Entspannung einstellen; zur Kontrolle kann man über eine Pulsuhr die eingetretene Entspannung am beruhigten Puls feststellen. Aber auch der kurze Gang um den Block, das Zubereiten einer Tasse Tee oder ein Plausch mit Kollegen hat einen entspannenden Effekt und sollte systematisch in den Tagesablauf eingeplant werden. Pausen zu machen ist eine professionelle Vorbereitung auf die nächste Hochleistungsphase. Eine Pause sollte kein schlechtes Gewissen hinterlassen. Ein Durcharbeiten ohne Pause ist möglich – aber nicht auf hohem Niveau.
Die Gegenwelt zum Beruf
Neben diesen akuten Erholungsmethoden sollten auch längere Regenerationsphasen eingesetzt werden, um die langfristige Leistungsfähigkeit
zu erhalten. Allerdings hat einer Studie zufolge Urlaub nur einen begrenzten
Nutzen, denn die positiven Auswirkungen auf die Erholung sind im Schnitt
bereits nach rund zwei Wochen wieder verschwunden. Also sind neben dem Urlaub noch zusätzliche Auszeiten nötig.
Hans Eberspächer nennt diese regelmäßigen, größeren Auszeiten „Gegenwelt“. Eine Gegenwelt ist der Gegensatz zur Berufswelt – hier gelten andere Normen und Werte. In der Gegenwelt muss man nicht den beruflichen Anforderungen entsprechend konform gekleidet sein, sich entsprechend verhalten und Ergebnisse liefern, sondern sie dient als Ladestation: Hier wird Energie getankt und der „Akku“ wieder aufgeladen. Wichtig ist die Regelmäßigkeit, mit der man sich seiner Gegenwelt widmet. Als grobe Faustregel sollten es mehrere Stunden in der Woche sein. Welche Gegenwelt einen am besten unterstützt, muss jeder für sich selbst herausfinden. Es kommt ganz darauf an, was einen abseits des Berufsalltags glücklich und zufrieden macht. Egal, ob es nun Wandern, Motorradfahren, Kochen oder das Haustier ist, folgende Merkmale kennzeichnen eine Gegenwelt:
Die Freude am Tun steht im Mittelpunkt, nicht das Erreichen eines bestimmten Ziels.
Man ist sein eigener Herr und bestimmt selbst, wann und warum man etwas tut.
Es herrscht das Prinzip der Freiwilligkeit und es gibt keine Verpflichtungen.
Häufig meint man, dass für die Gegenwelt keine Zeit mehr übrig sei, oder es stellt sich sogar ein schlechtes Gewissen ein, wenn man die Gegenwelt aufsucht. Doch ein Blick auf die oben genannten Kriterien zeigt, dass die Gegenwelt wesentlich mehr ist als nur Freizeit. Sie unterstützt die psychische Leistungsfähigkeit, wenn man sie bewusst und regelmäßig zur Regeneration
aufsucht. Vielmehr zeugt es von Professionalität, die Gegenwelt als Maßnahme
zur Vorbereitung auf eine Anforderungssituation systematisch einzusetzen. Um in der Wettkampfsituation zu verhindern, dass das langsame Denken in den
vorhandenen Automatismus eingreift, benötigt man Energie. Ein voller Akku ist
dann eine wichtige Voraussetzung für den Moment, wenn’s drauf ankommt. In
vielen Fällen ist es deshalb hilfreich, sich den eigenen Beanspruchungszustand
durch ein regelmäßiges Monitoring vor Augen zu führen. Das regelmäßige Abfragen (zum Beispiel auf einer Skala von 1 bis 10) von Schlafqualität, körperlicher und mentaler Befindlichkeit und die regelmäßige Aufzeichnung dieser Daten im Verlauf, Tag für Tag, kann helfen, rechtzeitig mit passender Pausengestaltung darauf zu reagieren und somit einem Erschöpfungszustand vorzubeugen beziehungsweise dann fit zu sein, wenn Wettkampf ist.
Man sollte für sich die Frage beantworten können, wann Wettkampf und somit Höchstleistung erforderlich ist. Wenn der Leistungszeitpunkt bekannt ist, kann man durch Pausengestaltung und eine Gegenwelt aktiv die Aktivierung so regulieren, dass der Akku voll ist, wenn’s drauf ankommt.
aus: „Wenn’s drauf ankommt: Schnell denken, maximale Leistung abrufen, Stresssituationen meistern“, Verlagsgruppe Random House GmbH, 10. April 2018, 177 Seiten, 18 Euro
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