Gebrauchte Kleidung ist ein Trend. Und ein Milliardengeschäft. Ein Blick auf die Branche zeigt: Sie nachhaltig und fair zu nennen, zeichnet ein falsches Bild.
Secondhand-Mode steht seit ein paar Jahren für das Ideal des nachhaltigen Konsums, ist die stoffgewordene Prämie für ein bewusstes Leben, das Ausstiegsversprechen aus der Konsumgesellschaft, wie wir sie kennen. Bis heute.
Der Boom der vergangenen Jahre hat den Markt beflügelt. Der Preis für gebrauchte Kleidung steigt und steigt, während Fast Fashion weiterhin spottbillig ist und kaum lange genug hält, um für einen zweiten Anlauf wieder an der Kleiderstange oder auf dem Wühltisch zu landen. Die Gleichung Secondhand-Mode = preiswerter und nachhaltiger Konsum geht nicht mehr auf, nicht für alle.
Das ganz große Geschäft
Fast ein Drittel der Deutschen kauft regelmäßig Secondhand-Kleidung und die Zahlen steigen weltweit. Das Business mit der gebrauchten Kleidung ist zu einem Milliardengeschäft geworden mit weltweiten Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich. Thrifting, also in Secondhand-Läden nach Kleidung stöbern, gilt mittlerweile als Freizeitbeschäftigung. Was für die einen wie ein Versprechen für eine nachhaltige Konsumbewegung klingt, ist eine Hiobsbotschaft für all diejenigen, die Secondhand-Kleidung vor allem aus einem Grund kaufen: weil sie günstig ist.
Das Stichwort lautet Gentrifizierung. Auf dem Wohnungsmarkt werden unter diesem Schlachtruf ganze Stadtteile durch Sanierung oder Umbau „aufgewertet“ – mit der Folge, dass Menschen mit weniger Geld durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt werden. Auch Secondhand-Kleidung wurde saniert, hat ihr muffiges oder schambehaftetes Image abgelegt und wird heute in Boutiquen statt auf Wühltischen präsentiert – zu weitaus höheren Preisen.
Auch diese Entwicklung steht für Verdrängung. Was die Menschen am Rand der Modebranche erwartet, die sich keine Secondhand-Mode mehr leisten können, sind Fast-Fashion-Konzerne wie Primark, H&M oder Kik, die auch in kleineren Städten und abgelegenen Orten sehr preiswerte Mode anbieten – Konsumscham im Preis inbegriffen.
Knappheit im Überschuss
Aufgrund dieser Verdrängung von einer Knappheit an Seconhandmode zu sprechen, klingt angesichts des übersättigten Textilmarkts wie ein schlechter Witz. Und es gibt eine Pointe: Wir ersticken in den Bergen an Kleidung und gleichzeitig gibt es zu wenig Kleidung für einen fairen Secondhandmarkt für alle. Die Produktion von Textilien hat sich zwischen 2000 und 2015 mehr als verdoppelt – und die Tragedauer halbiert. Müsste nicht also genug ausrangierte Kleidung für alle übrig bleiben? Ja, das Problem ist nur: Die Qualität der Kleidung ist so schlecht, dass es oft gar nicht möglich ist, sie als etwas anderes als einen Putzlappen oder Dämmstoff zu verwerten. Rund die Hälfte der Kleidungsstücke ist zum weiteren Tragen unbrauchbar; sie landet bei Recyclingfirmen. Ungefähr 40 Prozent der Textilien geht als Handelsware an osteuropäische oder afrikanische Länder. Was übrig bleibt, sind knapp zehn Prozent. Diese Kleidung wird an Bedürftige weitergegeben oder als Secondhand-Ware weiterverkauft.
Zeugen dieser Knappheit im absoluten Überschuss sind auch Sozialkaufhäuser, wie es das Fairkaufhaus in Berlin ist. Dort arbeiten Menschen, die aufgrund von psychischen Erkrankungen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. „Wir bekommen zeitweise so viele Spenden, dass die Masse manchmal von unseren Leuten gar nicht zu bewältigen ist. Aber das Hauptproblem ist: Die Qualität der Kleidung wird immer schlechter“, sagt Rüdiger Pfarr, Geschäftsführer des Fairkaufhauses in Berlin-Spandau, am Telefon. Maximal zehn Prozent der gespendeten Textilien können im Laden weiterverkauft werden. Der Rest geht an das Deutsche Rote Kreuz oder an Recyclinghöfe, am Ende soll möglichst wenig Kleidung zu Müll werden, um der Umwelt gegenüber fair zu sein.
Und genauso fair sollen auch die Preise sein; ein T-Shirt kostet fünf bis sieben Euro. Im Schlussverkauf auch mal nur drei oder einen. Damit Secondhand-Mode trotz steigender Nachfrage für alle zugänglich ist, bleiben die Preise konstant niedrig, auch bei höherer Nachfrage. Menschen mit weniger Geld bekommen außerdem eine Fairkaufcard und damit 30 Prozent Rabatt auf alle Artikel: „So eine Fairkaufcard hat kaum etwas Stigmatisierendes, denn Kund*innenkarten sind Menschen auch aus anderen Zusammenhängen gewohnt“, sagt Rüdiger Pfarr.
Falsche Geschäfte
Das Fairkaufhaus hat kein wirtschaftliches Interesse, Pfarr bezeichnet es als „Mittel zum Zweck“, um sinnvolle Arbeit und Beschäftigung für psychisch kranke Menschen zu schaffen und andere günstig mit gebrauchter Kleidung oder Möbeln zu versorgen. Doch die niedrigen Preise locken auch die Menschen an, die mit der gebrauchten Kleidung Geschäfte machen. Immer wieder beobachtet Pfarr kommerzielle Händler*innen, die günstige Ware bei ihnen einkaufen, um sie dann in anderen Secondhandläden teurer zu verkaufen. Dagegen sind Pfarr und sein Team machtlos. Was im Sozialkaufhaus ursprünglich für mehr Menschen zugänglich, gewaschen und aufgebügelt auf der Kleiderstange hängt, wird nicht selten als „preloved“ oder „Vintage“ anschließend hübsch inszeniert zu Kilopreisen in hippen Secondhandläden verkauft.
Dort wird die Kleidung zu einem Statussymbol für die Menschen, für die günstigere Preise allein kein Kaufanreiz sind, Individualität und ein vermeintlich nachhaltiger Konsum aber schon. Doch sobald der Preis von Hosen und Co. über ihr Gewicht bestimmt wird, entwertet das fast zwangsläufig das Verständnis für die Qualität von Kleidung. Und auch den Wert der Arbeit, die hinter der Kleidung steckt – auch hinter der gebrauchten. Denn wer denkt, ein Kleidungsstück, das einmal produziert wurde, kann nicht ein zweites Mal den Kreislauf aus schlechten Arbeitsbedingungen und noch schlechteren Löhnen durchlaufen, unterschätzt den Markt, der hinter dem Handel mit der gebrauchten Kleidung steckt.
Kilos hieven
Wo nicht mit Kilos, sondern gleich mit Tonnen gehandelt wird, sind die Fabriken, in denen die alten Kleider wieder aufbereitet und sortiert werden: Hier werden Kilos gehievt. Ungefähr 1,7 Tonnen soll ein*e Arbeiter*in in einer Sortierfabrik am Tag schaffen.
Zu den großen Playern gehört das Unternehmen Remix in Bulgarien mit österreichischer Beteiligung, das Kleider aus Altkleidercontainern aufbereitet und weiterverkauft – auch nach Deutschland. Die Journalistin Diljana Lambreva hat vor Ort recherchiert und mit den Arbeiter*innen gesprochen, für die die Aufbereitung der getragenen Mode eine Qual ist. Das ständige Stehen, der Stress, die Wochenenddienste: „Was Marokko für das weltweite Krabben-Pulen-Business ist, ist Bulgarien für das ungewollte T-Shirt“, schreibt Lamberva in der Wochenzeitung „Die Zeit“ über die Arbeitsbedingungen in den Fabriken.
Eine Arbeiterin schildert im Gespräch mit der Journalistin die Folgen dieser Arbeitsbedingungen: In der Nacht wache sie von Hustenanfällen auf, der Staub der gebrauchten Kleidung hängt in der Luft der Fabriken, setzt sich auf Böden, Fensterscheiben und in die Lungen der Arbeiter*innen. Wer seine Arbeit unterbreche, um ein Wort mit Kolleg*innen zu wechseln oder auch nur Medikamente zu nehmen, dem*r drohen Geldstrafen, sagt sie. Öffentlich Kritik zu üben, trauen sich die Sortierer*innen kaum.
Gebrauchte Kleidung, aber nicht für alle
Bettina Barth ist Bloggerin und schreibt über mentale Gesundheit und nachhaltiges Leben. Vor der Wahl, diesen zweifelhaften Secondhand-Markt als Käuferin zu boykottieren, steht Bettina erst gar nicht und mit ihr alle mehrgewichtigen Menschen, ihnen wird die Entscheidung einfach abgenommen: „Ich brauche gar nicht in Secondhandläden zu gucken, in meiner Größe finde ich dort nichts.“ Um Secondhand-Mode in ihrer Größe zu finden, muss Bettina selbst zur Händlerin werden und sich auf Kleidertauschpartys oder Flohmärkten exklusiv für mehrgewichtige Menschen auf die Suche nach passender Kleidung machen: „Es ist super schwierig, da Perlen zu finden.“ Kleidergröße 42 sei für die meisten Secondhandläden, die Bettina kennt, die absolute Obergrenze.
Dafür, dass das ohnehin schon verschwindend kleine Angebot von Secondhand-Mode in größeren Größen aktuell noch etwas weiter schrumpft, sorgt ein neuer Vorher-Nachher-Trend aus der Do-it-Yourself-Community. Am zwölften März lädt Paige, Influencerin für selbstgemachte Kleidung, ein TikTok hoch: „Wie man ein T-Shirt in ein Kleid verwandelt (für Anfänger).“ 719.000 Menschen gefällt das. Thrift flipping nennt man diesen Trend, der bei TikTok seit einiger Zeit viral geht. Menschen mit kleineren Größen kaufen Secondhand-Kleidung in größeren Größen und nähen sie in kleinere Kleidungsstücke um. „Erster Schritt: klein genug sein, um ein T-Shirt als Kleid zu tragen“, kommentiert eine Userin und: „Günstige gebrauchte Kleidung in größeren Größen ist eh so schwer zu finden, kauf dir einfach Stoff.“
Wie geht es besser?
Wie also kann der Kauf von Secondhand-Mode fair und nachhaltig sein? Indem Kleidung als Teil eines Kreislaufs begriffen wird. Am Ende kommt es also darauf an, bewusst zu entscheiden, wo man die Secondhand-Mode kauft und sich zu fragen, ob wir die Kleidung, die wir konsumieren, wirklich noch brauchen oder jemand anderes sie zu diesem niedrigen Preis besser gebrauchen könnte. Bei der Kleidung, die wir schon besitzen, hilft jede bewusste Entscheidung darüber, wo ich die gebrauchte Kleidung hingebe, ob ich sie auf Kleidertauschpartys verschenke oder an Kleidersammlungen oder -container spende, die Menschen mit günstiger Kleidung versorgen wollen, statt aus ihr nur Profit zu schlagen. Klar ist, man darf den Kauf von Secondhand-Mode nicht als sozialen Akt begreifen, sondern als das, was es ist: Konsum wie jeder andere auch. Nur, dass die Lust auf Neues nicht mit Neuware befriedigt wird. Mit dem Kauf kommt also Verantwortung – ob gebraucht oder nicht.
Mode – Was wir anziehen wollen.
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