Bei dem Reality-Format „Temptation Island“ verbringen Hetero-Paare getrennt voneinander zwei Wochen auf einer Insel, um ihre Beziehung auf die Probe zu stellen. Für einen endete das Experiment nun frühzeitig, weil er der Versuchung nicht widerstehen konnte. Und wie schon einst in der Bibel, ist natürlich nur eine schuld.
Für alle, die noch nie reingeschaut haben, „Temptation Island“ geht so: Die Männer ziehen in eine Villa, in der sie von Single-Frauen umgeben sind und die Frauen ziehen in eine Villa, in der sie von Single-Männern umgeben sind. Die Aufgabe der Singles ist es, die Vergebenen zu verführen. Sie flirten, feiern und fummeln, um herauszufinden, wer am Ende wirklich treu ist. Die Paare dürfen sich in der gesamten Zeit nicht sehen und sprechen, erhalten aber immer wieder bei einem Lagerfeuer (eingeleitet durch den Temptaaaation-Sound) Video-Einblicke in das Leben in der jeweils anderen Villa. Natürlich alles so geschnitten, dass das Kopfkino in Dauerschleife läuft und sämtliche Fragen unbeantwortet bleiben.
Nun fragt man sich vielleicht, wieso macht man als Paar bei einem solchen Format mit? Die Antwort der dort Anwesenden lautet: um herauszufinden, wie stark die Beziehung ist oder um dem*der Partner*in die Möglichkeit zu geben, (noch ein letztes Mal!) zu beweisen, dass er*sie treu sein und sich zusammenreißen kann. (Außerdem gibt es eine Aufwandsentschädigung und die Chance, danach erneut in einem TV-Format aufzutauchen: Wenns gut läuft, bei „Couple Challenge“, wenns schlecht läuft, bei „Ex on the Beach“.)
„Er hat mich geküsst, mir zwischen die Beine gefasst und dann gefragt, ob ich die Pille nehme. Weil es ja auffallen würde, wenn ein Kondom fehlt.“
Während die Männer in ihrer Villa für gewöhnlich gemeinsam mit den Singlefrauen ordentlich auf die Kacke hauen, Lapdances in Empfang nehmen, halloo! (Hände immer schön oben) und literweise Alkohol in sich rein schütten oder aus Bauchnäbeln schlürfen, werden in der Frauen-Villa deepe Gespräche geführt, die darauf hinauslaufen, dass ihnen klar wird, dass sie ihren Typen im Alltag ständig den Arsch abwischen und kaum Anerkennung bekommen. Aber natürlich gilt das nicht für alle. Manche der Frauen, wie Elli aus der aktuellen Staffel, führen eine Beziehung auf Augenhöhe, zumindest solange ihr Freund Credo sich nicht dafür schämt, dass sie vor ihrer Beziehung als Escort gearbeitet hat. Sie selbst ist mit sich und ihrer Vergangenheit komplett im Reinen und spricht offen und respektvoll über Sex und Sexarbeit (go, Elli!).
Nun befinden wir uns kurz vor dem Finale der aktuellen Staffel. Und das bedeutet: Die Temptation-Dates stehen an, auf denen die Vergebenen gemeinsam mit dem*der Verführer*in, mit dem*der sie am stärksten gebondet haben, eine gemeinsame Nacht auf einer Yacht oder in einem schicken Hotel verbringen, ehe sie dann ENDLICH zurück in ihr altes Leben dürfen, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Wobei einer den Schritt mit dem Date übersprungen hat: Abdu hat die Show abgebrochen, weil er es nicht länger ertragen konnte, am Lagerfeuer zu sitzen und zu beobachten, wie seine Jessy mit anderen Männern über die Zweifel an der gemeinsamen Beziehung spricht (nachdem er im Vollsuff nicht schnell genug den Kopf zurückziehen konnte, als seine Verführerin ihn im Pool küssen wollte). Und noch ein weiterer Mann musste die Insel vorzeitig verlassen: Marc Robin.
Der normalste Mann der Welt
Während die anderen Männer beim Feiern mit den Single-Ladys sich (und die Hüllen) gerne mal fallen ließen, stand Marc Robin immer brav daneben und sagte, er habe seiner Freundin versprochen, er würde mit keiner der Frauen körperlich intim werden. Das sei ja auch irgendwie billig, dieses Rumgetwerke, der Kontrollverlust. Schon allein Nackenkraullen sei ein absolutes Tabu, weil das eben nur seine Freundin dürfe. Nun ist es aber nicht seine Freundin, sondern Verführerin Laura, mit der er die zwei Wochen auf der Insel der Verführung verbringt. Und als Verführerin ist es Lauras Job, den wortkargen Polohemdträger aus der Reserve zu locken. Und da Twerken offensichtlich nicht zieht, wird sie halt sein „Bro“ – sie albert mit ihm herum, streicht ihm unauffällig über den Rücken, wackelt dann doch mal mit dem Hintern, um ihn aufzuziehen und spricht mit ihm über seine Beziehung. Dass es sich hierbei um eine Taktik handeln könnte, sieht Marc Robin nicht. Warum denn auch? Die würde bei ihm ja ohnehin nicht ziehen, schließlich lässt er sich nichts zu Schulden kommen.
„Wie sehr kann man es gewohnt sein, mit allem durchzukommen, weil man der langweilige Nice Guy ist?“
Und so wird Laura zu seiner engsten Bezugsperson in der Villa. Auf die zunehmend besorgten Fragen der anderen Männer, was das da zwischen ihnen sei, versichert Marc Robin (zunehmend gereizt), es sei einfach nur Freundschaft. Auf dem Plastik-Perlenarmband an seiner Hand, die sich dann irgendwann doch an Lauras Nacken verirrt, steht schließlich M-I-C-H-E-L-L-E. Der Name seiner Freundin, mit der er seit sechs Jahren zusammen ist.
Ich mache es kurz und spule vor: Bei einer feuchtfröhlichen Pyjama Party wagt Laura es, mit einem anderen Mann zu tanzen. Ein Mann, der nicht Marc Robin ist, woraufhin dieser ihr erklärt, dass sie besser aufpassen müsse, damit die Zuschauer*innen sie für keine Schlampe halten. Wenn sie mal bei dem einen und dann wieder bei dem anderen sei, das sähe nicht gut aus. Als sie ihm nicht gehorcht, nimmt er sie sich zur Seite und bittet sie, ihr Mikrofon abzunehmen. Wir hören dennoch laut und deutlich, wie er ihr sagt, dass er nun in sein Schlafzimmer hoch geht und sie nach einer Minuten nachkommen und klopfen soll. Marc Robin, das alte Schlitzohr, kennt nämlich einen toten Winkel, in den die Kamera nicht filmen kann. Wovon er jedoch nichts ahnt, ist die Tatsache, dass Laura im Einzelinterview mit der Produktion darüber spricht.
Was ist passiert?
„Er hat mich geküsst, mir zwischen die Beine gefasst und dann gefragt, ob ich die Pille nehme. Weil es ja auffallen würde, wenn ein Kondom fehlt.“ Ihr Ton ist nüchtern, ihre Mine angewidert, sie wirkt unendlich müde und abgeklärt. Während Marc Robin sich auch noch am nächsten Tag sicher ist, dass er mit Laura ein heißes Geheimnis teilt und sie verschwörerisch anschaut (und sich nochmal schnell vergewissert, dass sie mit niemandem gesprochen hat, weil ja auch wirklich nichts passiert ist!), ist Laura von nun an ruhig, distanziert, in sich gekehrt. Zwar hat sie ihren Job erfüllt, Verführung accomplished, aber es war (wie sie ebenfalls im Interview sagt) nicht ihre Absicht, Michelle zu verletzen. Sie wolle niemandem eins rein drücken oder den Mann ausspannen, sondern zeigen, wozu er offensichtlich imstande ist.
Sie wirkt ernüchtert darüber, dass sie so erfolgreich war. Wahrscheinlich hätte auch sie nicht gedacht, dass Normalo Marc Robin so weit gehen würde. Es folgt eine weitere Szene, in der man sieht, wie die beiden zusammen ins Badezimmer gehen. Wie sie später erzählt, habe er sie unter der Dusche wieder geküsst. Sie trug Unterwäsche, er war nackt. Das Bizarrste an der ganzen Situation ist nicht, dass Marc Robin nicht zu bemerken schien, dass Laura einfach nur ihren Job als Verführerin machte, er glaubte auch, dass die Aktion unbemerkt bleibt – obwohl er mehrfach im Fernsehen fremdgegangen ist. Wie sehr kann man es gewohnt sein, mit allem durchzukommen, weil man der langweilige Nice Guy ist?
Eva, Lilith, Kleopatra, Pandora, Mata Hari oder Madonna – Verführerinnen werden seit jeher als Frauen beschrieben, die ihren Körper einsetzen, um Männer um den Verstand zu bringen.
Als Michelle die Bilder und Aussagen von Laura beim nächsten Lagerfeuer zu sehen und hören bekommt, ist sie geschockt, bleibt aber beeindruckend gefasst. Es überrascht nicht, dass sie das Experiment für gescheitert erklärt und die Teilnahme abbrechen will. Der nichts ahnende Marc Robin wird daraufhin ebenfalls zum Lagerfeuer zitiert, um sich der Konfrontation zu stellen. Doch Marc Robin fragt beim Anblick seiner Freundin nur: „Was ist passiert?“ – Sowohl die Moderatorin als auch Michelle verdrehen in den darauffolgenden fünf Minuten ungefähr 30 Mal die Augen, schütteln den Kopf, ziehen die Augenbrauen hoch und schauen einander fassungslos an, denn der Mann streitet alles ab.
Ausrutscher können passieren. Es kann passieren, dass man andere Menschen attraktiv findet, dass man an seine Grenzen kommt und sie möglicherweise überschreitet. Aber dann sollte man spätestens, wenn ohnehin schon alle Bescheid wissen, wenigstens dazu stehen (meine Meinung).
Als er schließlich zum ersten Mal nach fünf Minuten seinen Kopf hebt und merkt, dass er trotz seiner camouflageartigen Ödnis doch irgendwie wahrgenommen wurde, schiebt er die Schuld auf wen? Natürlich auf Laura, seine Verführerin. Sie habe ihn unter die Dusche gelockt, sie habe ihn geküsst. Klar, er habe sich nicht sofort zurückgezogen, aber sie war es ja, die es drauf angelegt hat. Sie ist eine Verführerin.
Rauswurf aus dem Paradies
Eva, Lilith, Kleopatra, Pandora, Mata Hari oder Madonna – Verführerinnen werden seit jeher als Frauen beschrieben, die ihren Körper einsetzen, um Männer um den Verstand zu bringen, sie ihrer Kontrolle zu berauben, sie willenlos zu machen, sie wie Hexen zu verzaubern und ihnen ein Stück ihrer Macht (oder den Platz im Paradies) zu nehmen. Aber let’s face it, Marc Robin. Die Frau hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Es war ihr verdammter Job, die Verführerin zu spielen. Sie hat niemanden etwas vorgemacht. Das hast du ganz allein geschafft.
Sie zu bitten, ihr Mikrofon abzunehmen (was gegen die Regeln verstößt), daraufhin ungeschützten Sex zu risikieren, damit er nicht auffliegt und dann auch noch zu verlangen, die Klappe zu halten, um sie erst vor allen anderen in der Villa zu gaslighten und danach auch noch vor seiner Freundin zu beschuldigen, zeigt einfach, wie unfassbar weit Männer mit ihrem Verhalten für gewöhnlich kommen können, solange sie nicht wie Schwerverbrecher aussehen (also nicht wie Marc Robin). Als Credo und Co. nach Marc Robins Abgang von Laura erfahren, was ihr Kollege in den vergangenen Wochen quasi direkt vor ihren Augen getrieben hat, können sie es nicht glauben. Doch nicht Marc Robin.
Ich frage mich, wie viele Marc Robins wohl da draußen rumlaufen, ohne Mikrofon und Kamera, in den toten Winkeln, in die lieber niemand so genau hineinschaut.
Immerhin hat die Folge dann doch eine Art Happy End.
Michelle: „Hör auf, ihr die Schuld zu geben, sie hat damit absolut nichts zu tun.“
Marc Robin: „Gut, wenn du das denkst.“
Michelle: „Marc Robin, ich kann dir hier und jetzt sagen: Es wird kein Zurück mehr geben.“