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Lisa: „Die Rolle der frustrierten Kinderwunschpatientin fand ich schlimm“

Vor 40 Jahren kam das erste Baby zur Welt, das außerhalb des Körpers gezeugt wurde. Auf EDITION F erzählen Frauen von ihrem Weg durch die Kinderwunschbehandlung. Lisa spricht über die jahrelange Angst, dass die eigene Lebensplanung womöglich komplett über den Haufen geworfen wird.

 

Vor 40 Jahren kam das erste Baby zur Welt, das außerhalb des Körpers gezeugt wurde. Auf EDITION F erzählen Frauen von ihrem Weg durch die Kinderwunschbehandlung. Lisa spricht über die jahrelange Angst, dass die eigene Lebensplanung womöglich komplett über den Haufen geworfen wird.

Lisa, 39, drei Kinder:

„Ich war es gewohnt, die Dinge in meinem Leben anzupacken – und sie dann schnell zu erledigen. Klappte auch immer alles so, wie ich mir das vorstellte. Schlechteste Voraussetzungen also für das seelische Management einer Kinderwunschbehandlung.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich mich zum ersten Mal bei unserer Kinderwunschpraxis meldete, widerwillig den Rat meiner Frauenärztin befolgend. Ich rief da an, als würde ich eine Pizza bestellen: „Ja, hallo, also ich hätte gern einen Termin für eine künstliche Befruchtung, gerne möglichst nächste Woche …“ – die Person am anderen Ende rollte wahrscheinlich mit den Augen – und bot einen ersten Beratungstermin in zwei Monaten an.

Zweieinhalb Jahre, zwei Fehlgeburten, eine Gebärmutterspiegelung, langwierige Untersuchungen auf genetische Defekte und natürlich diverse erfolglose Versuche später, und um etwa 12.000 Euro ärmer – war ich natürlich schlauer.

Wenn ich jemandem etwas empfehlen sollte, dann wären es: Geduld – und Offenheit. Mit beidem bin ich damals grandios gescheitert und ich glaube, es hätte alles ein bisschen leichter gemacht. Wem es irgendwie gelingt, die Zeit der Kinderwunschbehandlung als eine Art Projekt mit offenem Ausgang zu sehen, dessen Zeitraum man möglichst großzügig ansetzen sollte, macht es sich schon eine Spur einfacher. Ich konnte das nicht. Das Projekt sollte einfach so schnell wie möglich wieder vorbei sein, Scheitern und Rückschläge nicht vorgesehen. Die Gefahr, sich auf eine Kinderwunschbehandlung zu fixieren, ist enorm.

Kein Zyklus, kein Baby

Ich hatte nie einen funktionierenden Zyklus gehabt, mit 19 begonnen, die Pille zu nehmen, und als ich sie mit Ende Zwanzig wieder absetzte, passierte: gar nichts. Kein Zyklus, keine Schwangerschaft auf natürlichem Weg. Die Kinderwunschärztin empfahl erstmal Hormonstimulation, dann ein paar Inseminationen, haute dann aber irgendwann auf den Tisch und meinte, jetzt solle man mal endlich Nägel mit Köpfen machen und empfahl uns, mit IVF weiterzumachen.

Ich bin eher so der hartgesottene Typ, die täglichen Hormonspritzen in den Bauch machten mir nichts aus, ich vertrug die Medikamente gut, aber das quälendste für mich, das sollte ich bald feststellen, war das ständige Warten. Immer auf irgendetwas warten: Zwei Wochen medikamentöses Hinarbeiten auf die Eizellentnahme;  dazwischen ständig Ultraschall-Kontrolluntersuchungen; dann der Eingriff unter Vollnarkose; darauf warten, mitgeteilt zu bekommen, wie viele Eizellen entnommen werden konnten; warten, bis man ein paar Tage später anrufen darf, um zu fragen, ob und wie viele Eizellen befruchtet werden konnten; dann wieder warten, um zu erfahren, wie sich die Eizellen bis zum Tag des Transfers entwickelt hatten (Schön? Nicht so schön?)

Der Start der EDITION F-Serie

40 Jahre IVF: Wie Frauen heute eine Kinderwunschbehandlung erleben
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Und immer diese ständigen Bewertungen dessen, was der Körper zu produzieren hat: Wie ist die Qualität der Eizellen? Wie beweglich sind die Spermien? Gibt es genug Spermien? Baut sich die Gebärmutterschleimhaut gut genug auf (mindestens 5 Millimeter!) Sind genug Follikel sichtbar? Ist die Gebärmutterschleimhaut denn auch „kissenartig“ aufgebaut, was auch immer das bedeuten sollte?

Ständige Bewertungen

Der Körper produziert Rohmaterial, das ständig bewertet und optimiert wird: Sollen wir vielleicht noch das „assisted hatching“ dazu buchen für ein paar hundert Euro? Das  übernimmt die Kasse natürlich nicht, aber die Eizelle wird mit einem Laser ganz fein eingeritzt, so dass es dem fünf Tage alten Embryo leichter fällt, die Außenhaut der Eizelle zu verlassen, zu schlüpfen und sich in der Gebärmutterschleimheit einzunisten … die Außenhaut kann nämlich zu hart oder zu dick sein und es dem Embryo unmöglich machen, sie zu verlassen.. Irgendwann hatte ich das Gefühl, das Zustandekommen einer Schwangerschaft sei schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, dass es allen Ernstes Leute gibt, bei denen das einfach durch Sex funktioniert? Ein Wunder, dass die Menschheit überhaupt noch existiert, wenn die Fortpflanzung ein derart komplexes Unterfangen ist!

Nach dem der Embryotransfer dann das schlimmste Warten, zwei Wochen, bis ich morgens zur Blutabnahme in die Praxis musste, um am Abend anzurufen und nach dem Ergebnis zu fragen.

Dieses Warten in den letzten Tagen war besonders unerträglich; jedes Mal, wenn du auf die Toilette gehst, betest du, dass kein Blut zu sehen ist; jedes Ziehen im Bauch grauenvoller Vorbote der nahenden Menstruation; du stocherst so beharrlich in dir rum, um sicherzugehen, dass da kein Blut kommt, dass dann natürlich irgendwann Blut kommt, und du völlig verzweifelt überlegst, ob das nun deine Regel ist oder ob du dich beim Rumstochern selbst verletzt hast. Immerhin noch eine letzte Hoffnung, an die es sich bis zum Anruf um 18 Uhr klammern lässt.

Ein völlig neues Level der Nervosität

Ich frage mich, wie Frauen, die Vollzeit angestellt arbeiten, die ganze Prozedur hinkriegen; ich war damals freiberuflich und konnte meine Zeit frei einteilen, das heißt, ich konnte nach dem Bluttest zitternd und mit nervösen Hitzewallungen den restlichen Tag unter einer Decke auf dem Sofa liegen. Zehnmal Führerscheinprüfung, mündliche Masterarbeitverteidigung, erstes Date und ein Vortrag vor 500 Menschen zu einem vorher unbekannten Thema sind in Sachen Nervositätslevel ein Witz. Dieses Warten auf diesen einen Anruf, „Ich habe heute leider kein Baby für dich“, dieser Anruf, von dem alles abhängt – deine Lebensplanung, und ob du nochmal ein paar Tausend Euro investieren musst.

Und w­­­enn es schon wieder nicht geklappt hat: Warten, bis die Regelblutung einsetzt, damit man wieder mit dem Spritzen beginnen kann. Immer weiter, bloß nicht stehenbleiben.

Und das ständige Warten ist ja nicht vorbei, bloß weil der Schwangerschaftstest positiv ist. Als ich gleich beim ersten IVF-Versuch schwanger wurde, hätte ich platzen können vor Glück, ich hätte es am liebsten in die ganze Welt herausgebrüllt, ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich bei H&M schon eine Woche später durch die Umstandsabteilung schlich und mit mir haderte, ob ich schon etwas kaufen sollte, oder ob das ein schlechtes Omen sein könnte. Ich ließ es bleiben, und hatte trotzdem kurze Zeit später eine Fehlgeburt.

Und immer wieder diese Ungeduld: Während die Fehlgeburt an einem Samstag ins Klo blutete (Hurra! Das Problem erledigt sich von selbst! Keine Ausschabung und danach drei Monate Zwangspause!), und nebenbei unser Umzug in eine neue Wohnung im vollen Gange war, rief ich die Notfallhotline der Kinderwunschpraxis an, um sicherzugehen, dass ich sofort wieder anfangen durfte, mir die Hormone in den Bauch zu spritzen – um nur ja keinen Zyklus zu verschwenden.

Schwanger – und die Angst wird größer

Ab diesem Zeitpunkt war ein positiver Schwangerschaftstest nichts mehr, was mich vom Hocker reißen konnte, sondern vielmehr eine Nachricht, durch die die Angst noch größer wurde. Als ich zum zweiten Mal schwanger wurde, machte ich eine Woche lang bis zum nächsten Termin bei der Ärztin jeden Tag einen Schwangerschaftstest, obwohl jede*r Frauenärzt*in die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, um zu vergleichen, ob der Strich schwächer oder stärker wurde. Was natürlich einfach nur völlig unsinnig war, denn die Hormonkonzentration im Urin schwankt ständig – aber an irgendwas muss man sich ja klammern.

Um dann eine Woche später die Ärztin zu beobachten, wie sie nervös und zu lange mit dem Ultraschallgerät in mir herumfuhrwerkt – und nicht das sieht, was man eigentlich sehen sollte. Auch die zweite Schwangerschaft endete nach wenigen Wochen.

Nach vier erfolglosen Versuchen wurde ich zum dritten Mal schwanger.

In der Nacht vor dem Bluttest saß ich um vier Uhr nachts auf dem Klo, um selbst einen Schwangerschaftstest zu machen, und meine Arme und Beine zitterten unkontrolliert vor Nervosität.

Ich weiß im Nachhinein nicht, wie es mir bei meinem ersten Kind gelungen ist, eine so entspannte und glückliche Schwangerschaft zu erleben; vielleicht war da einfach irgendwann der Glaube: Jetzt hab ich es einfach verdient? Das ist natürlich Quatsch. Ich habe einfach ganz großes Glück gehabt: beim zweiten Kind, als es gleich beim ersten Mal klappte, klatschte die Ärztin vor Freude in die Hände und rief: „Das funktioniert ja wie Brezelnbacken!” Ich denke mal, sie war vor allem froh, dass sie was Gutes für die Erfolgsquote ihrer Praxis getan hatte.

Keine Lust auf die Rolle der frustrierten Kinderwunschpatientin

Was ich wirklich jeder*m empfehlen würde: so offen wie möglich mit der Situation umgehen. Ich kann es mir Jahre später nicht mehr erklären, warum ich außer mit einer engen Freundin mit niemandem über die Behandlungen gesprochen habe. Was dann immer wieder zu Situationen führte,  die ich mir besser erspart hätte; etwa auf einer Hochzeitsparty herumzustehen, mit kaputtem und deshalb nicht mehr weiterwachsendem Zellhaufen im Bauch, mal wieder darauf hoffend, dass Blutungen einsetzen, damit sich die Fehlgeburt von selbst erledigt, und mir mit eingefrorenen Gesichtszügen anhören, wie eine gute Freundin übermütig vor Freude in der Runde von ihrer frischen Schwangerschaft erzählt. Ich weiß, es ist schwierig, denn man hat schließlich genau so wenig Lust, die Rolle der frustrierten Kinderwunschpatientin zu übernehmen, wegen der man freudige Nachrichten lieber nicht zu groß herausposaunt. Ist einfach beides scheiße.

Drei Jahre nach der letzten IFV war ich plötzlich mit dem dritten Kind schwanger. Einfach so. Bis heute scheint es mir absolut rätselhaft und eigentlich nicht zu fassen, dass der Körper zu so etwas in der Lage ist.“

Protokoll: Lisa Seelig

Titelbild: Depositphotos.com

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