Foto: Montse PB | Flickr / CC by 2.0

Freiheit oder Zwang? Das Burka-Paradoxon

Ein neu erschienener Ganzkörperbadeanzug entfacht einmal mehr die internationale Debatte über Kopftuch und Co. Warum wir aber vorsichtig dabei sein sollten, Bevormundung mit Bevormundung zu bekämpfen, hat Amina Gall für aufgeschrieben.

 

Berechtigter Aufruhr oder falsche Diskussion?

Das Einzelhandelsunternehmen Marks & Spencer hat vor kurzem in England einen neuen
Badeanzug auf den Markt gebracht. Aber nicht irgendeinen Badeanzug – einen
Burkini. Was aus so einer Ankündigung resultiert, kann sich wohl jeder
vorstellen. Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass selbst grenzübergreifend
Menschen ihre Meinung zum neuen Angebot von M&S kundtun wollten. So auch
die französische Ministerin für Familie, Kinder und Frauen,
Laurence Rossignol. Ihrer Meinung nach bedrohen
solche Mode-Angebote die Kontrolle, die Frauen über ihre eigenen Körper haben
und sollten deshalb nicht verharmlost werden,
berichtet
der Telegraph
. Mit ihrer Äußerung tut sie genau das, was sie soll, nämlich, sich für die Rechte der Frauen stark zu machen. Oder etwa nicht?

Das Problem, das immer auftaucht, wenn sich
Politiker, Journalisten oder die Frau an der Supermarktkasse über Burka und Co.
echauffieren, ist immer dasselbe: Man meint, die Freiheit vieler Frauen zu
verteidigen, indem man die Freiheit einiger einschränkt. Das scheint allerdings
nur den wenigsten bewusst zu sein. Vielleicht ist diese Tatsache aber auch so
unbequem, dass man sie gerne verdrängt und hofft, dass es keiner merkt. Das
Problem bleibt aber weiterhin bestehen.

Verbot oder nicht? Wie stärken wir Frauen wirklich?

Es ist sicher wahr, dass es Frauen gibt, die von ihrer
Familie oder ihrem Umfeld unter Druck gesetzt werden, eine Burka, einen Hijab
oder ähnliches zu tragen. Es stimmt sicher auch, dass das einige allein durch
ihren kulturellen Hintergrund dazu getrieben werden. Aber es stimmt auch, dass
einige Frauen freiwillig, aus freiheitlicher Überzeugung entscheiden, ein
Kopftuch zu tragen. Können wir diesen Frauen verwehren, sich nach ihrer
Entscheidung zu kleiden? Wären wir dann besser als solche, die Frauen zwingen sich
in einer bestimmten Weise zu kleiden und zu verhalten?

Es wird schnell klar: Zwang ist immer falsch – egal ob die
Frau danach ihren Körper bedecken soll oder nicht. Aber Zwang – vor allem
kultureller Zwang – der die Entscheidungen was man anzuziehen und nicht
anzuziehen hat, ist kein Problem einer Welt fernab unserer westlichen Werte.
Das fängt beim Bodyshaming an und hört bei der Sexualisierung der Weiblichkeit
auf. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Auch Männer sind davor nicht gefeit. Aber
das ist ein Thema, das einen eigenen Artikel verdient.

Das Problem ist nicht die Kleidung, sondern das, was wir damit verbinden

Zurück zur Problematik der Burka-Frage. Oder der
Kopftuchfrage. Oder irgendeiner Frage, die vorgeschriebene Kleidung betriftt,
ob sie nun im religiösen Kontext steht
oder nicht. Der Kern der Verstörung und der Verstimmung ist nicht, dass sich
eine Frau bedeckt. Auch nicht, dass sie ein Kopftuch trägt. Oder überhaupt, wie
sie sich kleidet. Den Beweis dafür können wir täglich in deutschen Städten beobachten,
überall dort wo eine Nonne zu Fuß unterwegs ist, oder ein Mädchen trotz heißer
Temperaturen eine lange Jeans trägt.

Da es also nicht die Art der Kleidung ist,
die uns stört, kann es nur das sein, was wir dahinter vermuten: Bevormundung,
Zwang und das Fremde, das uns bedrohen könnte. Was, wenn ich morgen auch ein
Kopftuch tragen muss, nur weil sich manche durch meine Haare gestört fühlen
könnten? Klar ist, dass wir nicht wollen, dass uns irgendwer sagt, was wir
tragen sollen – jetzt und in Zukunft nicht. Das können wir aber nicht dadurch
verhindern, dass wir es anderen vorschreiben. Ob das Burka-Paradoxon aufgelöst
werden kann, ist fraglich. Sicher ist aber, dass wir umdenken müssen. Dann
stellen wir fest, dass es nicht das Textil, die Frisur oder sonstige Äußerlichkeiten
sind, die die Freiheit eines Menschen messbar und sichtbar machen. Nur dann
können wir unsere Freiheit und die jeder anderen Frau bewahren – egal wie viel
Haut und Haar sie zeigen möchte.

Artikelbild: Montse PB | Flickr | CC by 2.0

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