Foto: einhorn Pressefoto

Philip Siefer: „Einmal ausgesprochen, sind die Monster nicht mehr so unheimlich“

Philip Siefer, Mitgründer von Einhorn Kondome, hat öffentlich über seine Panikattacken gesprochen. Im Interview erzählt er uns, warum das für ihn ein guter Schritt war, wie alles anfing und welche Resonanz er dazu bekommen hat.

 

Wenn die Angst einen überrollt

Herzrasen, Atemnot, nasse Hände. Wir alle haben hin und wieder Angst – doch wenn sie kommt, dann meist aus einem akuten Grund. Es gibt aber auch Angstzustände, die scheinbar aus dem Nichts entstehen und damit haben immer mehr Menschen zu kämpfen. So geht es auch Philip Siefer, dem Mitgründer von Einhorn Kondome. Er wagte nun den Schritt, offen zu seiner Angst zu stehen und darüber zu reden – zunächst im Hotel Matze-Podcast von Mit Vergnügen-Mitgründer Matze Hielscher, später auch mit einem privaten Facebookpost. Die Resonanz war enorm.

Ein Interview über die Angst, was sein Gründerdasein damit zu tun hat und wie sein Umfeld auf seine offenen Worte reagierte.

Im Podcast „Hotel Matze“ hast du letztens das erste Mal öffentlich über deine Panikattacke gesprochen. Was hat dich dazu bewegt?

„Matze ist ein unglaublich netter Typ und unser Gespräch war sehr offen. Waldemar (Mitgründer von Einhorn Kondome) und ich haben bereits öfter über mein Problem gesprochen und gemeinsam überlegt was wohl passieren würde, wenn ich offen darüber spreche. Irgendwann habe ich gesagt: Ich probiere es einfach aus. Das war ungefähr drei Tage vor der Podcastaufzeichnung.

Im Gespräch sind wir immer persönlicher geworden und bei der Frage: ‚Hat es einen Preis Unternehmer zu sein?‘, hat es mich gepackt. Ich war deswegen echt aufgeregt. Matzes Reaktion war aber sehr relaxed und nett, das hat mir Mut gemacht.“

Hattest du Sorge, welche Resonanz das haben wird? Schließlich ist Angst zu haben nicht gerade populär und dann stehst du ja auch als Gründer und Unternehmer in der Öffentlichkeit.

„Ja klar, total! Genau deshalb habe ich es ja geteilt. Ängste sind ja meistens nur stark, wenn man ganz alleine mit ihnen ist und man denkt: ‚Wenn ich es erzähle, ist alles vorbei‘. Das macht das Angstgefühl ja so stark, die Isolation und noch mehr Angst vor ich weiß nicht was. Das wollte ich für mich und andere durchbrechen. Klar, bin ich in der Öffentlichkeit, aber ist es dann nicht gerade dann meine Verpflichtung ein Vorbild zu sein und zu meinen Fähigkeiten, aber eben auch meinen Ängsten zu stehen?

Mir ist aufgefallen, dass Gründer in einer Art Rolle leben. Wir sind die Starken, die alles schaffen, von Aktion zu Aktion rasen und nie schwach sind. Das ist recht oberflächlich und auch ein bisschen naiv. Gründer, die geradeaus sagen können, dass es ihnen gerade echt mies geht, finde ich persönlich hundertmal spannender.

Natürlich soll oder muss nicht immer die ganze Zeit darüber gesprochen
werden. Aber ich glaube, zu erkennen, dass nicht immer alles ‚geil‘ ist, kann helfen. Diese Fähigkeit möchte ich für mich entdecken und damit möchte ich auch andere Menschen inspirieren.“

Kannst du dich noch an deine erste Panikattacke erinnern? Hast du das sofort einordnen können?

„Ja, nein, richtig mies! Ich erinnere mich, als wenn es heute passiert wäre! Es war eine Woche nach meinem Halbmarathon in Berlin, wir haben ziemlich viel gearbeitet und gefeiert und wieder gearbeitet. Samstags haben wir gebruncht und Sekt getrunken, ich habe meine Schwester zur Bahn gebracht, bin in der Sonne nach Hause spaziert und war natürlich am Telefon. Plötzlich hatte ich total Herzklopfen, war außer Atem, mir wurde heiß und ich hatte richtig Schiss! Ich habe aufgelegt und einen Unbekannten angesprochen, dass ich jetzt einen Herzinfarkt bekommen würde. Er solle bitte einen Krankenwagen rufen. Der Unbekannte stellte sich als Arzt heraus, beruhigte mich und schickte mich nach Hause. Wie man sieht, konnte ich das Gefühl gar nicht einordnen und war vollkommen verwirrt. Inzwischen kenne ich meine Gefühle besser und habe ein paar Bücher über Panikattacken und Angst gelesen, zum Beispiel ‚Biologie der Angst‘, da wird ganz gut erklärt wie es zu so einer Überreaktion kommen kann.“

Bei den ersten Attacken weiß man wahrscheinlich nicht, wie man sich selbst da rausholen kann – was machst du heute, wenn du merkst, es geht wieder los?

„Immer schön atmen, schnell zum Yoga gehen und sich einen Tag Ruhe gönnen. Auf seinen Körper hören, so was eben. Etwas ganz Neues für mich: darüber reden, ein sehr gutes Rezept, zumindest für mich! Und früher bin ich dann häufiger mal zum Arzt gegangen.“

Gibt es bestimmte Situationen, die dich besonders triggern? Und wenn ja, versuchst du diese zu vermeiden oder gehst du da auch mal bewusst rein?

„Meistens fängt es mit einem kleinen Zwicken oder Stechen im Brustkorb oder
im linken Arm an. Ab diesem Moment kann ich mich total gehen lassen, je nachdem wie müde oder gestresst ich bin, versetze ich mich dann auch mal richtig in Angst und Panik. Wenn ich gut drauf bin, schüttel ich mich, schiebe es auf das schiefe Sitzen am Laptop und es ist vorbei. Wenn gar nichts mehr geht, dann denke ich: stirb doch! Mach doch einfach. Dann passiert gar nichts. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen und es wird besser.“

Panikattacken nehmen immer mehr zu. Warum glaubst du, ist das so? Sind wir überfordert?

„Echt? Ist das so? Ich weiß es nicht, aber kann schon sein oder? Andauernd klingelt was, wir wollen immer mehr, weiter, schneller, alles bewegt sich, 1000 Reize. Unser recht archaisches Gehirn ist immer noch auf ‚Kampf oder Flucht‘ programmiert. Unser Nervensystem ist für ein Leben in der Stadt nicht wirklich gemacht. Vielleicht ist Panik aber auch ein neuer Trend. Erst Burnout, dann ADHS, jetzt Panik. Auf jeden Fall habe ich sehr viele Mails und private Nachrichten bekommen, die zeigten wie weit verbreitet es ist und wie viele Facetten es hat.“ 

Würdest du gerne etwas an der Wahrnehmung von Außenstehenden zu Panikattacken ändern?

„Also die Wahrnehmung, die mir nach meinem Post entgegen gebracht wurde, war wunderbar. Sie war respektvoll, liebevoll, stolz und auch mutig, denn viele
haben mir ihre Geschichte erzählt. Vielleicht müssen sich nicht die Außenstehenden ändern, sondern die in Panik Lebenden akzeptieren, dass es nicht so schlimm ist. Das ist ja mit den meisten Ängsten so, einmal ausgesprochen und angegangen, sind die ganzen Monster nicht mehr so unheimlich.“



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