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„Ich komme hier nicht an” – Wie es ist, für den Job in eine Stadt zu ziehen, die wir nicht wirklich mögen

Für eine tollen Job oder ein Studium müssen wir oft in eine andere Stadt ziehen. Was aber, wenn wir uns in dieser Stadt einfach nicht wohlfühlen?

 

Das wird nicht mein Zuhause

Neuer Job, neue Stadt, neues Leben – das klingt erst einmal total aufregenden. Was aber, wenn wir uns bereits kurze Zeit nach unserer Ankunft nach dem Tag sehnen, an dem wir dieser Stadt wieder den Rücken kehren dürfen? So eine Zeit kann uns sicher reifen lassen und der Selbstfindung dienen: Wie gehen wir damit um, dass wir plötzlich ganz alleine sind? Wie gut können wir uns auf etwas einlassen, dass uns nicht glücklich macht? Und vor allem, welche positiven Aspekte können wir aus so einer Situation ziehen? 

Ich möchte mit meinem Beitrag gerne zu einer Diskussion anregen. Nicht jede Stadt berührt unser Herz. Wie also gehen wir damit am besten um, wenn wir aus rein vernünftigen Gründen erstmal an eine Stadt gebunden sind, die Tausende andere mögen, die sich aber niemals richtig für uns selbst anfühlt?

Ein Neuanfang? 

Beruflich bedingt bin ich bereits mehr als zehn Mal umgezogen – privat viel gereist – und weiß und fühle darum schnell und bestimmt, was ich brauche, um mich in einer Großstadt, einer Kleinstadt, in Deutschland oder auch im Ausland glücklich und verbunden mit einem Platz zu fühlen. Und diese Stadt hier, in der ich gerade lebe, hat das einfach nicht – zumindest nicht für mich.

Beinahe alles zwickt, es klemmt, ich seufze und trotzdem ziehe ich hier seit gefühlten zehn Jahren dauerlächelnd durch Straßen, Geschäfte, Büros. Diese Stadt und deren Menschen können schließlich nichts dafür, dass sie so grottenfalsch für mich sind. Obwohl ich zwei Hände voll wirklich liebgewonnener Menschen, schöne Erlebnisse und Dinge, die ich hier in den vergangenen eineinhalb Jahren kennenlernen durfte, mit dieser Stadt verbinde, fühlen sich diese 18 Monate wie Jahre an.

Lernen, was man will – und was nicht 

Trotzdem ist diese Erfahrung sehr wichtig: Ich kann hier beispielsweise immer sicherer definieren, was ich eben nicht will. Das ist wichtig für meine persönliche Entwicklung. Ich empfinde das tatsächlich als Geschenk, das meine ich ernst. Es gibt das schlaue Zitat:

 „I am thankful for all those difficult people in my life. They have shown me exactly who I do not want to be.”

Und so geht’s mir hier. In einer Stadt, die mir mehrmals täglich – und das überdeutlich – zeigt, dass sie es für mich eben so gar nicht ist und dass ich wo ganz anders hingehöre. Ich bin aus Baden und bekanntlich „von der Sonne verwöhnt” wie ein Werbeslogan über den dortigen Wein verkündet. Früher mochte ich Regen tatsächlich sehr gern. Für mich gab es beispielsweise nicht schöneres als bei Regen zu joggen und danach heiß zu duschen. Hier aber kann ich es nicht ertragen, Regen auch nur in der Wettervorhersage zu sehen, geschweige denn ihn auf meiner Haut zu fühlen und überhaupt zu riechen. Regen riecht ganz unterschiedlich in Baden, Paris und Buxtehude.

Kein Liebeslied 

Nein, das hier ist wahrlich keine Liebeserklärung für diese wirtschaftsträchtige Stadt im Rheinland. Die überlasse ich anderen. In der gefühlt richtigen Stadt zu wohnen, ist nämlich wie die Sache mit dem „richtigen” Partner: Der richtige Partner kann nichts falsch machen und der falsche nichts richtig. Manche mögen nunmal Erdbeereiscreme lieber als Schokolade, ziehen Pasta, Pommes vor oder trinken lieber Selters als Sekt. Es ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Wir sind verschieden und meine Meinung über diese Stadt ist aus diesem Grund völlig subjektiv und allein mein Empfinden. Für jemand anderen gibt es eine andere Stadt, ein Dorf, über das er vielleicht kaum Positives zu berichten hat. Für jemand anderen mag es auch völlig unverständlich sein, wie sehr ich ein, zwei Städte in Baden so liebe. Es geht hier allein um das Gefühl, in irgendeiner Stadt oder an einem x-beliebigen Ort sein zu „müssen”, an dem wir nicht gerne sind. 

Hier gehöre ich nicht hin

Das Gefühl am falschen Ort zu sein, kennen sicher einige von uns. Und dieses Gefühl läßt sich auch nicht von anderen ausreden, diese Stadt sich einem nicht schön reden. Am falschen Ort zu wohnen ist auch ein bißchen so, wie in einer schlechten Beziehung festzustecken: Wir kennen den anderen, wissen ganz genau, dass es nicht (mehr) passt, aber bleiben dennoch, aus eher nüchternen Gründen. Da hilft auch kein „Aber ihr passt doch so toll zusammen!” von Bekannten. Wir fühlen was sein soll und was nicht und früher oder später gehen wir.

Immerhin spielen wir bei einem „am falschen Fleck sein und dennoch bleiben” nicht mit irgendwelchen Gefühlen. Dieser Stadt ist es nämlich völlig egal, ob ich da bin oder nicht. Es wird eines Tages ganz einfach ein Neuankömmling oder ein bereits Angekommener mit meiner süßen Wohnung hier bereichert und ich bin weg. Wer gerne nachvollziehen möchte, wie und für was mein Herz schlägt, macht eine Woche Urlaub in Baden-Baden oder er bucht ein Wochenende in einer romantischen Ecke in Paris.  

Ich mag meine Wohnung hier als mein gemütliches Zuhause. Und ich mag auch, dass ich die Stadt nicht mag und mich so voll und ganz auf mich, einige wenige Kontakte und vor allem meine Karriere und Zukunftsplanung konzentrieren kann. Um täglich glücklich von A nach B zu kommen, schwelge ich in meinen Erinnerungen an andere Städte, während ich über den Boden hier flaniere. Ja, genau, ich flaniere. Gerne in hohen Schuhen,  seltener in Ballerinas und niemals in Segelschuhen oder Sportschuhe, die so typisch für hier sind. Mein russisch- und tussig-inspiriertes Schuhwerk läuft also auf dem Asphalt einer sportiven westdeutschen Stadt und meine Gedanken hängen woanders. 

Über Paris sage ich, dass ich eine Fernbeziehung mit dieser Stadt führe. London als Stadt ist meine Affäre. Moskau ist im Winter wunderschön. Meine Freundin wohnt in Baden. Während ich also an all diese wundervollen Städte denke, sage ich mir, ganz erwachsen, dass ich hier reifen und das Gute mitnehmen kann.

Ich bin eigentlich schon gar nicht mehr richtig da 

Ein Problem gibt es aber: Ich lasse mich hier nicht mehr ein. Ich habe es eine längere Zeit versucht, aber dann verworfen. Mein zweiter Fuß – metaphorisch gesprochen – steht nicht mehr auf diesem Boden. Er steht mittlerweile wieder in meiner blumigen Vergangenheit, in Städten meiner Alltagsfluchten, oder auch bereits in meiner rosigen Zukunft, die ganz woanders sein wird.

Mein Lächeln ist trotzdem echt, denn es ist für die Menschen hier, die so gar nichts dafür können, dass ich mich wie ein Englishman in New York fühle. Ein Alien, der die falschen Schuhe trägt. Ein sonnenverwöhntes Geschöpf, das vom warmen Regen in die Traufe kam. Aber mein anderer Fuß, mein Herz, die fehlen eben leider und so quieke ich vergnügt, wenn ich an jedem einzelnen Abend weiß, dass wieder ein Tag weniger bleibt, den ich hier sein werde.

Wie gehen wir damit am besten um?

Denkt ihr eigentlich, dass wir uns mit einem Platz oder Menschen aussöhnen, wenn wir wissen, dass eine Situation bald der Vergangenheit angehört? Wie können wir uns eine Zeit an einem Ort noch gefühlt verkürzen, indem wir was genau sinnvoll damit anstellen? Ob ich je bereuen werde, diese Stadt in Monaten oder in einem Jahr verlassen zu haben?

Die Kündigungsfrist meiner Wohnung beträgt eine einzige Woche und das allein ist für mich ein Grund noch gut bleiben zu können. Allein das Wissen um die Freiheit, dass ich quasi von heute auf morgen gehen könnte, macht mich so zufrieden, dass ich noch nicht gegangen bin. Und vielleicht ist genau das  die Kunst?

Dieser Text ist zuerst auf Jojannas Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht. 

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