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Trotz Frustration: Nur wenige Deutsche wechseln ihren Job

Die meisten Deutschen sind im Job frustriert. Trotzdem wechseln nur die wenigsten ihren Arbeitsplatz, stellt eine neue Studie fest. Warum ist das so?

Ist es das hier noch?

Die Frage, ob man in seinem Job bleiben soll oder nicht stellt sich wahrscheinlich jeder an irgendeinem Punkt in der Karriere. Warum Arbeitnehmer sich dafür entscheiden, zu bleiben, obwohl der Job einem nicht mehr gefällt analysiert Tina Groll in ihrem Artikel bei unserem Partner Zeit Online.

Mit dem Job ist es wie mit der Liebe: Nach einer anfänglichen Phase der Verliebtheit stellt sich bei vielen irgendwann Ernüchterung ein. Gerade wer bei einem Arbeitgeber schon einige Jahre lang tätig ist, einen eigentlich sicheren Job, aber wenig neue Anregungen und Aufstiegschancen hat, stellt sich irgendwann die Frage: Ist es das hier noch?

Innerlich schon gekündigt

Der neue Engagement Index des Beratungsunternehmens Gallup kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt 70 Prozent der Beschäftigten hierzulande nicht mit vollem Herzen bei ihrem Job sind, viele sind sogar dauerhaft mit ihrem Arbeitgeber und ihrem Arbeitsplatz unzufrieden. Seit Jahren konstant ist auch die Zahl derjenigen, die so frustriert sind, dass sie innerlich gekündigt haben – knapp jedem fünften Arbeitnehmer geht es so. In einer Studie des Meinungsforschungsinstituts forsa vom Januar 2016, die im Auftrag des Onlinebusinessnetzwerks Xing erstellt wurde, gaben 35 Prozent der befragten Arbeitnehmer an, noch im gleichen Jahr den Job wechseln zu wollen. Laut einer Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wechseln pro Jahr aber nur 3,4 Prozent der Beschäftigten.

Jetzt stellt auch eine Befragung des Stellenmarkts meinestadt.de fest, dass die meisten Arbeitnehmer sich lieber mit dem alten Job arrangieren, statt zu wechseln. Hier wurden 5.000 Beschäftigte zu ihren Jobwechseln befragt. Immerhin 40 Prozent der Befragten sind seit sieben Jahren oder länger bei ihrem Arbeitgeber, knapp 30 Prozent der Umfrageteilnehmer sind bis zu sieben Jahre in ihrem Job und nur jeder Fünfte hat eine hohe Wechselbereitschaft und verbleibt im Schnitt nur ein Jahr an einem Arbeitsplatz.

Einmal im Erwerbsleben bleibt man beim Arbeitgeber

Zu unterscheiden ist dabei auch, ob jemand freiwillig den Job wechselt oder ob er wegen einer kurzen Befristung wechseln muss. Die Studie stellt hier einen deutlichen Zusammenhang mit dem Bildungsniveau fest. Am häufigsten wechseln demnach Menschen den Arbeitsplatz, die über keine Berufsausbildung verfügen. Sie haben oft nur einen befristeten Vertrag, der nicht verlängert wird. Am wenigsten Wechselbereitschaft haben den Umfrageergebnissen zufolge Menschen mit einem mittleren Bildungsabschluss und einer Berufsausbildung. Einmal im Erwerbsleben angekommen, bleiben die Fachkräfte häufig bei einem Arbeitgeber.

Das entspricht auch der Lage auf dem Arbeitsmarkt: Besonders im Handwerk und in klassischen dualen Ausbildungsberufen fehlen Fachkräfte. Allein im Jahr 2015 blieben 41.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, seit 2010 ist die Zahl der jährlich neu eingestellten Auszubildenden laut Handwerksverband um mehr als 70.000 zurückgegangen – schlicht, weil den klassischen Berufen der Nachwuchs fehlt. Die meisten Betriebe wissen, wie schwer es ist, Leute zu finden – gerade im Handwerk und im Mittelstand tun die Unternehmen daher viel dafür, ihre Leute auch zu halten.

Ungelernte und Akademiker wechseln häufiger

Anders dagegen sieht es bei den akademischen Berufen aus: Einerseits wechseln Akademiker häufiger den Arbeitsplatz und das Unternehmen aus eigenem Karriereantrieb heraus, andererseits gibt es auch in vielen akademischen Berufen abhängig nach Branche aber auch nur befristete Verträge. Die Hochgebildeten müssen also häufiger den Arbeitgeber wechseln. Nur ein Viertel der Befragten ist nach sieben Jahren noch im gleichen Unternehmen tätig. Ebenfalls jeder Vierte wechselt aus eigenem Antrieb bereits nach ein bis zwei Jahren.

Besonders loyal sind der Umfrage zufolge übrigens Beschäftigte im Gesundheitswesen. Hier bleibt fast jeder Zweite länger als sieben Jahre bei seinem Arbeitgeber.

Frust bei jedem zweiten Jobwechsel der Hauptgrund

Bei jenen, die freiwillig wechseln, ist vor allem Unzufriedenheit Grund für den Arbeitsplatzwechsel. Studien zufolge ist Frust bei jedem zweiten Jobwechsel die Hauptursache. Wie die diesjährige Gallup-Studie feststellt, tragen besonders die Führungskräfte einen erheblichen Anteil daran. Für die repräsentative Erhebung wurden 1.413 Arbeitnehmer über 18 Jahren befragt. Demnach gaben 70 Prozent der Befragten an, vor allem wegen ihres direkten Vorgesetzten unzufrieden zu sein und wegen fehlender Wertschätzung, unklarer Zielvorgaben und fehlenden Feedbacks nur noch Dienst nach Vorschrift zu verrichten. Den Studienautoren zufolge entsteht der deutschen Wirtschaft dadurch ein jährlicher Verlust von 105 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr – schlicht, weil sich die Beschäftigten in die innere Kündigung zurückziehen, sich kaum einbringen, Ideen zurückhalten oder auf Missstände und Fehler nicht mehr hinweisen.

Neben der Unzufriedenheit mit dem Chef ist der häufigste Grund, den Job zu wechseln, weiterhin die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zu starre Arbeitszeiten mit Präsenzpflicht, fehlende Unterstützung des Arbeitgebers bei der Vereinbarkeit, lange Anfahrts- und Pendelwege sowie unflexible Kitazeiten machen es besonders berufstätigen Eltern schwer. Wer zudem frustriert im Job ist und Alternativen hat, zieht die Reißleine – und sucht sich einen Arbeitsplatz, der besser mit dem Familienleben in Einklang zu bringen ist.

Wie gelingt ein erfolgreicher Wechsel?

Weitere Gründe für einen Arbeitsplatzwechsel sind bessere Einkommens- und Verdienstchancen – immerhin jeder Vierte sucht sich deshalb einen neuen Job –, attraktive Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten und schließlich auch die Lust, etwas Neues zu machen und in einem anderen Unternehmen zu arbeiten.

Und wie gelingt ein erfolgreicher Wechsel? Vor allem, wenn die Motivation stimmt. Wer einfach nur von einem ungeliebten Arbeitsplatz weg möchte, wird in einem Vorstellungsgespräch für eine ähnliche Tätigkeit die Personalverantwortlichen in der Regel schlechter überzeugen. Wichtig ist, genau zu wissen, warum man wechseln will, was man sich vom neuen Job verspricht und vom neuen Arbeitgeber erwartet – sowie den Jobwechsel mit einer Hin-zu-Motivation anzugehen und genau zu überlegen, warum man sich dafür entscheidet.

Sich wieder in den alten Job verlieben

Wer sich bei der Suche nach einer Alternative zum derzeitigen Job intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, stellt übrigens oft fest, was er an seinem vermeintlich unattraktiven Arbeitsplatz doch noch schätzt. Denn die Frage, warum man sich einmal für seinen alten Job entschieden hat und was man daran mochte, kann mitunter auch längst vergessene Leidenschaft wiedererwecken.

In den allermeisten Fällen stellt sich aber ein gewisser Realismus ein: Wer einen sicheren Arbeitsplatz hat und einfach nur über manche Bedingungen frustriert ist, schmeißt nicht sofort alles hin – oft überwiegt auch die Einsicht, dass nicht notwendigerweise ein Wechsel auch zu mehr Zufriedenheit führen wird. In der Regel ist ein Jobwechsel auch mit einem gewissen Risiko verbunden: Denn jeder zweite neue Arbeitsvertrag ist nur befristet. Und warum in der Lebensmitte einen sicheren Arbeitsplatz für eine befristete Beschäftigung riskieren? Zumal für die Mehrheit der Arbeitnehmer hierzulande der Arbeitsplatz am Ende des Tages eben doch nur Broterwerb ist. Da arrangieren sich viele lieber mit dem schnöden Joballtag. Und auch hier ist es wieder ganz ähnlich wie in der Liebe

Dieser Text ist zuerst auf Zeit Online erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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