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Julia Wagner: „Die Selbstständigkeit war für mich als Mutter die Rettung“

Fünf Jahre bei Cornelsen, sieben Jahre bei Ullstein, und nun: der Schritt in die Selbstständigkeit. Mit deintextdeinbuch.de will die Lektorin Julia Wagner Autoren, Agenten und Verlage zusammenbringen und literarischen Newcomern eine Chance bieten.

 

Als Julia Wagner einen „Rappel“ bekam 

Zwölf Jahre in der Buchbranche hat Julia Wagner bereits in ihrem Lebenslauf stehen. Die ersten fünf Jahre arbeitete sie zu 50 Prozent als Schulbuchredakteurin bei Cornelsen, an den anderen Tagen studierte sie Literaturwissenschaft und Geschichte. Nach dem Abschluss des Studiums nahm sie eine Vollzeitstelle an: zunächst in einer Literaturagentur, die letzten sieben Jahre dann bei Ullstein. 

Bis sie im Angestellten-Dasein einen „Rappel“ bekam, diese Stationen hinter sich lassen und mit ihrer eigenen Idee durchstarten wollte: deintextdeinbuch.de, eine Plattform für Autoren, Agenten und Verlage. Warum sie ohne ihre Selbstständigkeit als bald zweimalige Mutter aufgeschmissen gewesen wäre, erzählt sie uns im Interview. 

Die Idee zu deintextdeinbuch.de kam dir nachts beim Stillen – ein Geistesblitz? 

„Ja, irgendwie war es ein Geistesblitz. Ich hatte vorher schon immer mal über das Thema ,unverlangt eingesandte Manuskripte‘ nachgedacht. Das sind die Texte, die Autoren auf gut Glück per Post an Verlage und Agenturen senden. Das Sichten dieser Papierstapel war immer ziemlich aufwendig, weil alles so ungeordnet ankam. Man hat gemerkt, dass Autoren nicht so recht wissen, wie sie was schicken sollen und an wen genau.“ 

Hattest du in deinem Bereich im Verlagswesen das Gefühl, dass genau so eine Plattform fehlte? 

„Sowohl bei der Agentur als auch im Verlag hat man sich wegen der schieren Menge und der ganzen Arbeit, die allein die erste Sichtung der Texte macht, nicht gerade darum gerissen, sich die Manuskripte anzusehen. Das fand ich schade. Denn ich war mir sicher, dass der ein oder andere Text einfach nur besser hätte präsentiert werden müssen. Und genau dabei will ich den Autoren mit meiner Plattform helfen.“

Man würde eigentlich denken, dass Verlage und Agenten eine solche Plattform nicht brauchen, weil sie ohnehin von engagierten Jung-Autoren mit Exposés und
Manuskripten überschüttet werden – warum ist die Plattform trotzdem für sie interessant?

„Verlage und Agenten brauchen immer neue Autoren. Und gerade jetzt sprießen so viele neue E-Book-Verlage aus dem Boden, das heißt die Nachfrage ist noch größer. Außerdem werden auch immer mehr deutsche Autoren gesucht – noch vor zehn Jahren sollten Thriller beispielsweise lieber von Amerikanern geschrieben werden. Seit Sebastian Fitzek zunehmend auch von deutschen Autoren.
Das Argument der vielen Lektoren und Agenten, die sich bereits registriert haben, zum jetzigen Zeitpunkt schon 107, ist: ,Hier kann ich gezielt in den Genres nach Autoren suchen, die ich auch betreue.‘ Man bekommt auf deintextdeinbuch.de als Lektor oder Agent eine schnelle Übersicht über die für einen persönlich relevanten Themen und Bücher und kann sie unverbindlich prüfen. Das geht schnell und ist super einfach.“ 

Wenn Verlage und Agenten doch so sehr davon profitieren – warum ist das Angebot für sie kostenlos? 

„Kostenlos ist es vor allem aus rein organisatorischen Gründen: Jeder einzelne Lektor müsste bei seinem Chef beantragen, einen Zugang zu bekommen und organisieren, dass die Firma diesen Zugang bezahlt. Das wäre viel zu aufwendig!
Außerdem ist es für Autoren so am besten. Denn: Je einfacher Lektoren und Agenten in unsere Datenbank reinkommen können, desto eher werden sie sie nutzen und neue Autoren entdecken.“

Werden die Leseproben von dir auf Qualität geprüft und gegebenenfalls wieder offline genommen, oder kann jeder sein Projekt dort vorstellen, so lange
es nicht gegen Sitten verstößt – auch wenn es in deinen Expertenaugen kein Potenzial hat?

„Jeder kann alles, das mit unseren AGB vereinbar ist, also nicht sittenwidrig, nicht gegen Gesetze verstoßend, nicht diskriminierend, einstellen. Geschmäcker sind ganz einfach verschieden. Und mancher Agent oder Lektor sieht trotz eines mittelmäßigen Textes vielleicht Potenzial in einem Autor oder einer Idee. Das ist durchaus schon passiert …“ 

Du hast Geld zusammengekratzt, um die Idee zu
verwirklichen, und hast dich komplett selbst finanziert – das
heißt, es steckt ausschließlich dein eigenes Geld drin?

„Ja. Da kommt mir zugute, dass ich da sehr preußisch veranlagt bin, und immer gerne etwas auf der hohen Kante hatte. Außerdem möchte ich so lange wie möglich unabhängig agieren können und nicht irgendwelchen Bankern Bilanzen vorlegen. Ob der Laden läuft oder nicht, kann ich selbst sehen. Da zahlt sich unter anderem mein nebenberufliches BWL-Studium aus.“

2016 willst du dein Angebot ausweiten – wie soll sich deintextdeinbuch.de weiterentwickeln? Ist es etwas, was du alleine stemmen kannst, oder planst du, Mitarbeiter einzustellen?

„Erstmal ist mein Ziel, dass deintextdeinbuch.de die eine Anlaufstelle für Autoren ist, wenn sie einen Verlag oder eine Agentur suchen. Und das ist viel Arbeit. Mitarbeiter möchte ich vorerst nicht einstellen, dafür aber mein Team von Freelancern erweitern. Die Ausweitung des Angebotes wird beispielsweise darin bestehen, auch Lektoratsdienste und Gutachten anzubieten. Die Nachfrage ist da und ich kenne einige gute freie Lektoren, die sich über Aufträge freuen würden. Auch ich selbst lektoriere noch sehr gerne und habe Spaß daran, Autoren bei der Entwicklung ihrer Idee zu helfen.“

Bislang hast du 15 von 160 Autoren untergebracht, deiner Meinung nach eine gute Quote – wie kommst du zu der Einschätzung? 

„Dass diese Quote gut ist, beruht allein auf meiner Erfahrung: In der Zeit bei Ullstein haben wir vielleicht fünf Autoren in den unverlangt eingesandten Manuskripten entdeckt. Es wären sicherlich viel mehr dabei gewesen, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen sind sie nie zur richtigen Zeit auf dem Schreibtisch des richtigen Lektors gelandet. Die Zahlen der unverlangt eingesandten Manuskripte ist bei allen größeren Verlagen ähnlich hoch: etwa zwischen 2.000 und 3.000 pro Jahr. Ich denke, dass es durch das Self Publishing weniger geworden ist, aber 20 Manuskripte pro Woche haben wir locker bei Ullstein bekommen. Ob sie alle gelesen wurden? Das weiß ich nicht. Jeder hat sich ein paar Manuskripte geschnappt. Ich habe mir nur solche angesehen, die für mich und meinen Bereich interessant waren.“

Du hast einen Überblick über die eingereichten Leseproben. Erkennst du Trends, welche Projekte oder Genres gerne gewählt werden?

„Überraschend viele Autoren schreiben Fantasy-Romane. Das scheint tatsächlich ein Trend zu sein, da auch immer mehr große Verlage in den kommenden zwei Jahren mit neuen Fantasy-Labeln an den Start gehen werden. Was bedeutet: Das Angebot ist schon da, jetzt folgt die größere Nachfrage auch auf Verlagsseite. Ansonsten bildet meine Website ganz gut den aktuellen Buchmarkt ab: Viele Krimis/Thriller, Frauenromane und eher wenige historische Romane. Das Kinder- und Jugendbuch ist auch sehr beliebt.“

Und welche Projekte kamen bisher so gut an, dass ein Buch daraus
wurde?

„Da meine Website erst im Mai als Alpha-Version live gegangen ist, weiß ich nur bei einem Autor von ganz konkreten Terminen. Die anderen Autoren werden gerade von Agenturen angeboten oder in das Verlagsprogramm eingeplant. Bei dem konkreten Buch handelt es sich um einen lustigen Männerroman, der im Frühjahr 2017 bei Goldmann erscheinen wird. An dem Termin sieht man schon: Es dauert, bis ein fertiges Buch im Laden liegt …“ 

Du wirst
bald zum zweiten Mal Mutter – spielte bei dir die Vereinbarkeitsfrage
eine Rolle bei der Entscheidung, dich selbstständig zu machen? Hast du das Gefühl, die Selbstständigkeit macht es euch einfacher oder
schwerer, alles unter einen Hut zu kriegen?

„Ja, die Vereinbarkeitsfrage stand und steht bei mir ganz oben. Und: Die Selbständigkeit war für mich in dieser Hinsicht die Rettung! Ich bin gerne Mutter. Und genauso gerne arbeite ich auch. Ich möchte keine Abstriche machen, nicht in Teilzeit arbeiten und ständig mit einem schlechten Gewissen herumlaufen. Mein Sohn war im ersten Kita-Jahr oft krank. Das wäre in meiner Festanstellung ein unglaublicher Kraftakt geworden. Ganz einfach, weil ich mich meinen Autoren und Kollegen gegenüber ständig schlecht gefühlt hätte.
So war es natürlich schwierig: Wer bleibt beim kranken Kind? Mein festangestellter Mann oder ich? Das war auch unglaublich anstrengend, aber so ist das nun mal. Ich genieße die Flexibilität meines Jobs. Die Umsatzsteuererklärung mache ich gerne auch mal nachts oder ab fünf Uhr morgens. Und ich finde es großartig, diese Freiheit zu haben.“


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