Diana Henniges und Christiane Beckmann sind zwei unserer „25 Frauen, die unsere Welt besser machen„ – sie haben den Verein „Moabit hilft!” gegründet und setzten sich damit aktiv für Flüchtlinge in Deutschland ein.
Moabit hilft!: lockere Stimmung, ernste Themen
Das Treffen mit den beiden Gründerinnen von „Moabit hilft!” findet an einem warmen Sommertag im Garten des Vereins statt. Ein schöner grüner Fleck, mitten in Berlin, an dem es sehr bunt zugeht. Es ist viel Besuch da, ständig gehen Leute ein und aus. Es herrscht eine lockere, freundschaftliche Stimmung. Doch es wird ernster, sobald es um die Leute geht, für die Diana und Christine jeden Tag kämpfen.
Geflüchtete Menschen, die nach Deutschland kommen. Menschen, mit tragischen Geschichten. Menschen, die von vielen Leuten in Deutschland nicht akzeptiert werden und die nach deren Meinung wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollten.
Im Interview mit EDITION Fsprechen Diana und Christine darüber, warum genau das der falsche Ansatz ist, wieso die Politik schnellstens aktiv werden muss und sie berichten von einschneidenden Erlebnissen, die sie wohl ihr Leben lang nicht vergessen werden.
Könnt ihr euch noch an eure erste Begegnung mit Geflüchteten erinnern?
Diana: „Ich kann es ehrlich gesagt nicht sagen – weil ich da keinen Unterschied zwischen Menschen mache. Ich kann also nicht beurteilen, ob derjenige migrantischer Herkunft war, ob er schon 20 Jahre hier ist, 40 Jahre oder erst vorgestern gekommen ist. Doch im direkten Bezug auf das Hilfsangebot war das mit einer Sinti und Romafamilie im Jahr 2012.”
Christiane: „Für mich ist es eher schlimm, dass wir überhaupt aufteilen und eine Gruppe bilden, die wir Flüchtlinge nennen. Die Politik muss viel mehr aufklären, dass es hier um Menschen geht, die vor dem Krieg flüchten müssen. Die Flüchtlinge werden nicht als Individuum gesehen, sondern einfach in eine Schublade gesteckt.”
Nach einem Jahr jetzt der Blick zurück: Hättet ihr etwas anders gemacht?
Diana: „Ich glaube, dass auch wenn ich häufig unangenehm aufgefallen bin und teilweise als aggressiv betitelt wurde, dass das genau das ist, was diese Stadt im Moment braucht. Jemanden, der die Leute an den Schultern packt, einmal durchschüttelt und ihnen klar macht, dass es so nicht weitergehen kann. Ich würde heute nichts anders machen.”
„Man muss zwischen Angst haben und Arschloch sein unterscheiden.”
Könnt ihr es verstehen, wenn jemand Angst vor den Flüchtlingen hat und sie hier nicht haben will?
Diana: „Man muss zwischen Angst haben und Arschloch sein unterscheiden. Das sind zwei verschiedene Anhaltspunkte. Hinsichtlich der letzten Jahrhunderte hatte sich ja immer wieder gezeigt, dass sowas wie Antisemitismus oder Ausländerfeindlichkeit gerade in Regionen vorherrscht, wo eigentlich gar keine Ausländer sind. Das resultiert natürlich aus Fehlinformationen und daraus, dass Menschen sich in ihren sozialen Strukturen benachteiligt fühlen und Angst um ihre Ressourcen haben. Ich glaube allerdings, dass ein Großteil, der Leute, die im Moment rechtspopulistische Politik oder national ausgerichtete Politik machen, nicht aus Angst heraus handeln, sondern tatsächlich aus Aggression. Meiner Meinung nach hatten wir es viel zu lange viel zu bequem. Viele Menschen haben überhaupt kein empathisches Denken mehr, weil sie einfach nicht in der Lage sind nachzuempfinden, wie es ist, nichts zu essen zu haben oder obdachlos zu sein. Es heißt auch immer ,unsere‘ Obdachlose oder ,unsere‘ sozial Benachteiligten. Ich glaube nicht, dass es hier ein ,unser‘ gibt, ich glaube das Wort Nation ist in der Situation, die wir grade haben, wirklich fehl am Platz. Es muss hier um Humanität gehen.”
„Da kann man nicht auf der einen Seite nach Ägypten in den Urlaub fahren und dann aber vor den Ägyptern, die hier her kommen, Angst haben.”
Christiane: „Ich glaube nicht, dass es um Angst geht, ich glaube es ist Rassismus. Wenn jemand Angst oder Sorge hat, hat er auch die Verpflichtung sich zu informieren. Sonst müsste man ja vor allem Fremden Angst haben. Da kann man nicht auf der einen Seite nach Ägypten in den Urlaub fahren und dann aber vor den Ägyptern, die hier her kommen, Angst haben. Das passt für mich nicht zusammen.”
Wie kann man Flüchtlingsgegnern am besten begegnen?
„Wir haben genauso unter Hartz IV-Empfängern faule Säue und Schwerverbrecher wie unter Geflüchteten, die Asylbewerberleistungsgelder bekommen.”
Diana: „Für uns ist es schwierig Leuten mit derlei Einstellung zu begegnen, weil sie uns auch in den letzten Monaten gefährlich geworden sind. Der direkte Diskurs mit Leuten, die immer wieder sagen ,Geflüchteten wird der Arsch gepudert, sie bekommen viel zu viel, wenn sie in unser Land kommen‘, das ist noch etwas, das wir mit Fakten wiederlegen können. Es ist einfach nicht alles wahr, was in der BZ oder in der Bild steht. Boulevard Journalismus darf keine Quelle sein und der Kopp-Verlag ist auch keine sichere Informationsquelle. Es gibt bestimmte Dinge, die die Grundlagen der Humanität und die Grundlagen der Empathie und des Zusammenlebens in einer gesellschaftlichen Sozialstruktur sind. Wir haben genauso unter Hartz IV-Empfängern faule Säue und Schwerverbrecher wie unter Geflüchteten, die Asylbewerberleistungsgelder bekommen.”
Christiane: „Die Frage ist, wie begegnet man Menschen mit rassistischem Gedankengut? Egal, wie stark es ist. Um ein Gespräch führen zu können ist es natürlich wichtig, dass jemand nicht nur redet sondern auch zuhört und darüber nachdenkt. Nach meinem Empfinden, ist das aber nur ein ganz kleiner Teil, der dazu bereit ist. Wenn aber jemand versucht polemische Behauptungen als Meinungen zu verkaufen und gar nicht auf Fakten eingeht, dann spare ich mir die Energie. Da versuche ich nicht dagegen anzukämpfen, ich kann da nicht diskutieren.”
In der deutschen Bevölkerung ist die Stimmung oft sehr anti-Flüchtlinge. Was müsste eurer Meinung nach von Seiten der Politik aus gemacht werden, um dem entgegenzuwirken? Kann die anstehende Wahl hier etwas verändern?
„Eine Frau, die kurz vor der Entbindung steht, darf nicht abgeschoben werden.”
Diana: „Ich glaube, dass es sehr sehr wichtig ist, dass in Berlin rot-schwarz abgestraft wird. Die große Koalition muss bei den Wahlen an die Wand gestellt werden. Ich hoffe allerdings, dass das nicht durch die AfD geschieht, sondern durch die anderen Oppositionsparteien, sodass soziale Gerechtigkeit hier wirklich wieder einen Namen bekommt. Die Sozialdemokraten haben über die letzten Jahre vergessen, was es heißt Sozialdemokrat zu sein. Sie haben vergessen, was gerechte Verteilung bedeutet. Eine Woche vor den Bundes- oder Landtagswahlen sein Schirmchen vor den Supermarkt zu stellen, ist keine Wahlperiode. Meines Erachtens haben viele Menschen einfach den Sinn für Demokratie verloren, weil sie, egal wen sie wählen, bei allen Parteien das gleiche Ergebnis erzielen. Wenn ein Herr Sigmar Gabriel sich mit seinen Aussagen ähnlich anhört, wie ein Horst Seehofer, frage ich mich, wo da die soziale Mitte ist.
Was sich auf jeden Fall auf Landesebene ändern muss ist, dass Geflüchtete ihre Asylbewerberleistungsgesetzte adäquat ausgezahlt bekommen, dass die Unterbringungsleistung den humanitären Grundprinzipien entsprechen, dass die Genfer Konvention eingehalten wird und dass Geflüchtete ihre Würde zurückbekommen. Eine Frau, die kurz vor der Entbindung steht, darf nicht abgeschoben werden. Es muss klar sein, dass unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge ihre Versorgung bekommen und relativ schnell Unterlagen, sodass der Familiennachzug stattfinden kann. Es muss definitiv ein Konsens darüber gefunden werden, dass besonders Schutzbedürftige eine entsprechende Unterkunft bekommen. Jemand mit Rollstuhl darf nicht in der dritten Etage wohnen. Das sind Dinge, die wir schon seit Monaten konzipieren und immer wieder protokollieren. Allerdings erhalten wir wenig Echo. Ich hoffe sehr darauf, dass es mit einer neuen Landesregierung besser wird – glaube aber nicht dran.”
„Wir haben das Glück, dass wir hier in einer Demokratie leben und wir nicht fliehen müssen. Das ist doch auch genau der Grund, warum andere Menschen hier her fliehen.”
Christiane: „SPD und CDU sind auch in meinen Augen absolut unwählbar. Letztendlich sind sie Interessenvertreter und ich habe sehr oft das Gefühl, dass die Menschen das vergessen. Meistens geht es um Facing, sodass derjenige viele Stimmen bekommt, der auf den Plakaten am sympathischsten aussieht. Der Inhalt wird dabei völlig vergessen. Oder es geht nur um das, was versprochen wird und nicht um das, was geleistet wurde. Für mich ist es absolut unverständlich, warum Menschen, die Protest wählen wollen, Menschenfeinde wählen, anstatt die zu wählen, die sich für andere Menschen einsetzen. Das ist doch bei weitem besser, als jemanden zu wählen, der sagt: ,wir schießen Menschen an der Grenze tot.‘ Meine große Hoffnung ist, dass so viele Menschen wie möglich wählen gehen. Wir haben das Glück, dass wir hier in einer Demokratie leben und wir nicht fliehen müssen. Das ist doch auch genau der Grund, warum andere Menschen hier her fliehen. Generationen vor uns haben dafür Blut gelassen, dass wir die Möglichkeit haben, so zu leben wie wir es heute tun. Es wird gar nicht mehr anerkannt oder honoriert, was wir hier für großes Glück und Möglichkeiten haben. Ein gutes Outcome aus dem letzten Jahr ist für mich, dass man gesehen hat, dass Bürger, wenn sie sich umorganisieren, auch eine Kraft sind. Menschen müssen sich weiter engagieren. Wir müssen die Augen aufmachen und weiter mitmischen.”
Wer müsste denn gewählt werden, damit sich die Situation bessert?
Diana: „Ich glaube nicht, dass man das personifizieren kann. Es ist ein demokratischer Prozess. Wir haben eine parlamentarische Demokratie in Deutschland und ich finde dieses Facing, welches in den letzten Jahren immer mehr zunimmt, nicht gut. Jeder schreit nur: ‚Frau Merkel ist an allem schuld oder Herr Schäuble oder Herr Seehofer.‘ Ein Horst Seehofer kann nichts im Namen der CSU entschieden, ohne dass das vorher abgesegnet wird. Eine Frau Merkel kann eine Entscheidung, wie zum Beispiel die Grenzöffnung, nicht treffen ohne die Koalition zu fragen. Da kann sich Herr Gabriel auf den Kopf stellen, doch er hat damals sein ,Go‘ gegeben, als die Grenzen geöffnet wurden. Das sind alles Dinge über die offen gesprochen werden muss. Es ist kein personelles Problem, sondern ein parteiliches. Die Parteien müssen wieder Konzepte bringen, die schlüssig und transparent sind und vor allem auch im gemeinschaftlichen Sinn, im sozialen Kontext.”
Was haltet ihr von dem Mantra: „Wir schaffen das”?
Diana: „Aus humanitärer Sicht ist da nichts dagegen einzuwenden. Es muss ein großes Wir geben um alles funktionell zu machen. Integration ist ja nicht etwas, was nur durch Behörden stattfinden kann. Ich verlange der Politik auch nicht ab, das komplett alleine zu wuppen. Ich erwarte aber, dass die Gesellschaft sich im Klaren wird, dass Humanität eins der höchsten Güter ist. Uns in Mitteleuropa geht es doch viel zu gut und davon müssen wir ein Stück abgeben. Dieses ,Wir schaffen das‘ ist ein Schritt in die richtige Richtung und auch sehr sehr wichtig, dass man damit agiert.
Allerdings wurde es letzten halben Jahr bzw. dreiviertel Jahr stark zu ,Ihr schafft das schon‘. Damit haben auch wir immer wieder Probleme. Es ist ein völlig unterfinanziertes, marodes Verwaltungssystem und es herrscht eine unglaublich schlechte Umverteilung. Schon alleine der Grundgedanke, den die AfD prophezeiht, Großverdiener zu begünstigen und schlechter Verdienende auch schlechter zu besteuern, das ist wirklich absurd. Das Integrationsgesetz und das Asylpaket 2, widersprechen dem Satz ,Wir schaffen das‘. Es kommuniziert viel mehr dem AfD-Wähler oder den Oppositionen, dass wir das nur schaffen, wenn wir genug Leute wieder ausweisen – weil sie sonst unsere Arbeitsplätze wegnehmen und dass wir dafür sorgen müssen, dass wieder alle in ihre Herkunftsländer kommen, die hier illegal eingereist sind. ,Die Invasoren müssen raus‘ ist der Duktus. Diese Invasoren sind Leute aus Afghanistan mit kleinen Kindern. Wir reden da von dem Land, in das Sigmar Gabriel mit einem Helm fährt, hinter ihm explodieren Dinge und er sagt dann: ,ja, hier hin können wir ruhig abschieben.‘ Deshalb ist dieses ,Wir schaffen das‘ schon lange nicht mehr das, worüber ich mich eigentlich in den letzten Jahren gefreut habe, obwohl es eine CDU-Kandidatin gesagt hat.”
Christiane: „Ich finde es eigentlich schlimm, dass wir überhaupt so etwas sagen müssen. Alleine schon wegen unserer Geschichte. Das zu sagen, war richtig – aber, dass es überhaupt erforderlich ist zu sagen: ,ja, wir müssen Menschen, die aus dem Krieg fliehen und denen es schlecht geht aufnehmen‘, das finde ich schlimm. Es war richtig, aber dieses ,wir‘ ist viel zu kryptisch.”
„Es kann nicht sein, dass wir mehrköpfige Familien obdachlos auf der Straße haben.”
Diana: „Was sich politisch noch ändern muss wäre auf jeden Fall der angespannte Wohnungsmarkt, der in Berlin einer der engsten landesweit ist. Es gab dieses Ferienwohnungsgesetzt, das erlassen wurde. Doch absurderweise wurde in zweiter Instanz dagegen geklagt und dann entschieden, dass wenn jemand Wohnungen nicht selbst bewohnt, er die auch selbst untervermieten darf. Das bedeutet natürlich, dass gerade die Investoren, die sich hier massenhaft Wohnungen gekauft haben, sie einfach selbst über vermieten können – zum Beispiel über Airbnb. Das sind alleine in Berlin bis zu 200.000 Schlafplätze. Es kann auch nicht sein, dass wir in Berlin einen sozialen Wohnungsbau hinstellen, der aber über die Kategoriegrenze geht, was das SGB2 bezahlen würde. Das heißt, die Jobcenter bezahlen nicht, weil die Miete das übersteigt, was einem Geflüchteten oder einem Obdachlosen zusteht. Wozu bauen wir dann? Ist das Dekoration? Das sind Dinge, die müssen sich ganz knallhart ändern, denn es kann nicht sein, dass wir mehrköpfige Familien obdachlos auf der Straße haben, auch deutschsprachige, nicht nur Geflüchtete. Da muss es viel mehr Kontrolle von Seiten der Politik geben.”
Christiane: „Letztendlich ist es, gerade was die Wohnungsproblematik angeht, einfach nur lauter geworden und hat uns nur gezeigt, wie desolat die Situation ist, weil eben die Geflüchteten gekommen sind. Das war zwar die ganze Zeit schon so, aber es hat eigentlich keinen Verantwortlichen interessiert, wenn eine ALG2 Familie nicht weiß wo sie hin soll, wenn jetzt noch mal ein Kind gekommen ist. Auch da ist ja die Stimmung eher gegen die Menschen, die nochmal ein Kind bekommen haben, obwohl sie doch gar nicht so viel Geld haben. In allen Bereichen ist es so, dass die Menschen, die jetzt zu uns gekommen sind, uns den Spiegel vorhalten haben, wie desolat unser soziales System ist.
Wenn ihr Angela Merkel eine Frage stellen dürftet, wie würde sie lauten?
Diana: „Haben Sie ernsthaft vor, sich noch einmal mit der CSU aufstellen zu lassen?”
Christiane: „Wie können Sie es als jemand, der selbst aus einem Land kommt, um das eine Mauer führte, es mit Ihrem Gewissen verantworten, mit Geldleistung eines Herr Erdogan eine Mauer aufzubauen?”
Wenn ihr eine Minute hättet, in der euch alle AfD-Mitglieder zuhören müssten. Was würdet ihr sagen?
„Da sind einfach zu viele Pappnasen darunter als dass sich ein vernünftiges Netzwerk bilden könnte.”
Diana: „Wir sprechen uns in vier Jahren nochmal. Natürlich ist es eine fatale Entwicklung, der wir entgegenwirken müssen – aber ich glaube die zersägen sich selbst. Wenn man sich mal mit Leuten auseinandersetzt, die sich lokal oder überregional aufstellen lassen, dann sieht man, dass da einfach zu viele Pappnasen darunter sind als dass sich da ein vernünftiges Netzwerk bilden könnte.”
Christiane: „Es gibt ja zum einen die Ideologen, mit den brauche ich nicht reden, denn die kann man meiner Meinung nach nur bekämpfen. Und dann gibt es die, die es einfach nicht begriffen haben. Meistens prallt es an denen dann sowieso ab, wenn man etwas sagt. Ich glaube, ich würde sie fragen, worin sich eine syrische Familie mit einem 5-jährigen Kind von ihrer eigenen Familie mit einem 5-jährigen Kind unterscheidet.”
Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. „Wir sprechen uns in vier Jahren nochmal” ist ja dann zu spät.
Diana: „Nach den neuesten Umfragen wird die AfD auf Landesebene mindestes zehn Prozent bekommen und ich glaube, wenn die Bundesregierung so weiter macht wie bisher, dann wird das noch schlimmer. Sie wird immer profilloser und bei diesem ständigem Hin und Her weiß keiner mehr, wer eigentlich zu wem gehört. Die CSU Aussagen könnten genauso gut zu denen der AfD passen. Das Problem ist, dass der Otto-Normalverbraucher immer das Original und nicht die Kopie wählt. Wenn die SPD und die CDU anfangen die AfD in ihren Aussagen zu kopieren, werden wir bei der nächsten Wahl noch unser blaues Wunder erleben. Das wird dann ein großes Problem, weil sich in den nächsten vier Jahren natürlich viel tun muss im Integrationsprozess. Es muss wahnsinnig viel Geld in die Hand genommen werden, damit der Integrationsprozess gelingt, sonst haben wir eine neue Form der Apartheit und damit bestätigen wir dann alle Formen des Rassismus. Wenn wir die Menschen hier nicht vernünftig unterstützen, dann gehen sie uns verloren.”
Man hört ja immer wieder von Flüchtlingskindern, die einfach verschwinden. Wie kann so etwas passieren?
Diana: „Ich weiß es leider nicht. Es gibt zwar so ein paar Fälle, bei denen Geflüchtete Jugendliche nicht bei ihren Eltern wohnen, sondern bei anderen Verwandten und das wird dann in der Registrierung quasi als verschwunden eingetragen. Aber ich glaube auch, dass wir ein großes Problem mit der Sexualisierung von Kindern in Deutschland haben.”
Was bedeutet für euch gelungene Integration?
„Im Moment sind wir nur ein Haufen Looser, die in Mecklenburg-Vorpommern, in manchen Orten, 48 Prozent AfD gewählt haben.”
Diana: „Ich finde ja zum Beispiel, dass ein Horst Seehofer überhaupt nicht in unsere Gesellschaft integriert ist. Für mich ist das keine gute Integration, weil er kein Hochdeutsch spricht und sich mit seinem Wahlkampf fast nur in Bierzelten befindet. Außerdem hat er Ansichten wie im tiefsten muslimischen Land: Frauen an den Herd und Schwule raus. Wohin raus, das wissen wir auch noch nicht so ganz. Ich frage mich ,was in Gottes Namen ist Integration?‘ Bin ich gut integriert? Ich bin Ungarin, bin größtenteils hier aufgewachsen, aber wenn man mich fragt wo ich zu Hause bin, sage ich ,ich weiß es nicht, ich bin Europäerin.‘ Wenn mich jemand fragt, ob ich Deutsche bin, dann antworte ich kategorisch mit einem Nein. Ich finde, wer 50 Jahre in einem Land gelebt hat und es abgöttisch liebt – ob Afghanistan, der Iran oder der Irak, das ist völlig egal – dem sollte man auch zugestehen weiter Iraker oder Afghane zu sein. Muss jetzt jeder anfangen Hochdeutsch zu sprechen und sich Weißwürste ins Gesicht zu stopfen? Was ist Integration? Außerdem finde ich es auch anmaßend zu sagen, dass wir eine Leitkultur haben. Im Moment sind wir nur ein Haufen Loser, die in Mecklenburg-Vorpommern, in manchen Orten, 48 Prozent AfD gewählt haben.”
Christiane: „Ich habe schon Schwierigkeiten mit dem Wort an sich. Integrieren? In was? Das würde ja bedeuten, dass es eine homogene Masse gibt, bei der alle gleich sind und an die muss ich mich dann anpassen. So funktioniert aber Gesellschaft nicht. Wir sind keine homogene Masse. Auch wir Deutschen nicht. Ich glaube, dass eine Gesellschaft immer in einem steten Wandel ist. Ob nun ein Spanier hier her kommt oder wir nach Spanien gehen oder man sich in der Mitte trifft. Als ich ein kleines Kind war, war kein Knoblauch in unserem Essen, es gab keine schöne Soße und Aubergine, Zucchini oder Kiwi kannten wir auch nicht. Das sind alles Ding, die andere Menschen aus anderen Ländern uns mitgebracht haben und ich danke demjenigen dafür, der uns den Knoblauch gebracht hat.
Genauso ist das jetzt auch. Man sieht, dass das Essen sich ändert und an jeder Straßenecke macht ein neues Restaurant auf. Der eine isst lieber das und der andere lieber das andere. Der eine findet diese Redewendung schön, der andere findet diese Geste schön und so kommen Menschen zusammen. Der eine sieht es da ein bisschen entspannter mit dem Pünktlichsein, der andere lernt ein bisschen pünktlicher zu werden. Wir Deutschen sind zwar pünktlich, aber auch sehr verbohrt was das angeht. Da stressen wir uns immer selbst. Wir müssten einfach mal ein bisschen entspannter sein und das kann man ganz gut von anderen Kulturen lernen. Es geht hier nicht um Anpassung, es geht ums Ankommen. Darum, ein Teil der Gesellschaft zu werden, aber sich selbst nicht darin zu verlieren.”
Gibt es in Bezug zu eurer Arbeit ein Erlebnis, das euch besonders im Gedächtnis geblieben ist?
„Ich werde auch nie vergessen wie eine Frau apathisch ihren Kopf tagelang blutig an die Wand geschlagen hat, und das LaGeSo jegliche Form der regulären Unterbringung oder psychiatrischen Behandlung abgelehnt hat, weil sie gesagt haben, sie wären überfordert.”
Diana: „Ja, es gibt viele negativer Art, die mich in Mark und Bein erschüttert haben. Ich kann nur immer wieder die alte Dame erwähnen, die mit neun Personen in ihrer Heimat losgefahren ist und alleine bei uns ankam. Weil die anderen acht auf dem Mittelmeer gestorben sind. Dazu gehörte ihre Tochter, deren Mann, ihre Enkelkinder und ihr Ehemann. Ich werde auch nie vergessen wie eine Frau apathisch ihren Kopf tagelang blutig an die Wand geschlagen hat, und das LaGeSo jegliche Form der regulären Unterbringung oder psychiatrischen Behandlung abgelehnt hat, weil sie gesagt haben, sie wären überfordert. Was mich aber wohl bis ans Ende meines Lebens prägen wird ist, dass es keine beständige Demokratie oder Gerechtigkeit in Deutschalnd gibt, wie ich es mir eigentlich vorgestellt habe. Dass sowohl unsere Exekutive als auch unsere Legislative durchzogen von Rassismus ist. Dass ganz viel Korruption und Bestechlichkeit vorherrscht und dass dadurch Missständen hervorgerufen werden. Was mir im Gedächtnis bleiben wird ist, dass politische Mächte versuchen mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben – dazu gehört leider auch lügen und betrügen. Da möchte ich in allererster Linie die Senatsverwaltung erwähnen, ob es nun Herr Langenbach, Herr Czaja oder Herr Gerstle ist – wer offen in die Kamera lügt, und Dinge auf Landesebene behauptet, die so nicht stimmen, hat sich schon selbst verraten.”
„Ich habe in diesem Moment verstanden, dass der Krieg für die Menschen nicht aufhört, nur weil ihre Körper hier sind.”
Christiane: „Ich glaube, ich werde nie vergessen, wie ein junger Mann bei uns vor dem Haus einen Nervenzusammenbruch gekriegt hat. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden so schreien hören, weil er erfahren hat, dass zu Hause sein Bruder getötet wurde. Er hat minutenlang geschrien, sich übergeben, ist dann ohnmächtig geworden, ist dann wieder zu sich gekommen, hatte dann vergessen, dass sein Bruder tot ist, hat wieder zu Hause angerufen, wieder die Nachricht von seinem Bruder gehört, hat wieder geschrien, ist wieder zusammen gebrochen, und wollte sich dann vor unserem Haus die Pulsadern aufschneiden. Das werde ich nie vergessen. Das war noch ganz am Anfang von Moabit hilft und ich habe in diesem Moment verstanden, dass der Krieg für die Menschen nicht aufhört, nur weil ihre Körper hier sind.
Ihre Familien sind noch zu Hause, müssen weiterhin hungern, werden weiterhin bombardiert, werden weiterhin erschossen, sitzen weiterhin im Gefängnis, werden weiterhin gefoltert – und sie sind hier und sollen einen Deutschkurs machen, sollen ordentlich sein und zuhören und lernen und sollen so viele Dinge machen, während zu Hause weiter gestorben wird. Aber ich habe auch oft positive Situationen, die mir im Gedächtnis bleiben werden. Nie vergessen werde ich, wie Leute im Winter eine Schneeballschlacht gemacht haben. Da war Monique dabei, die vollverschleiert ist und Jungs, von denen man weiß, was sie alles erlebt haben. Deren Verwandten sind in ihrem Schoss gestorben und sie haben alle ein Trauma, weil sie die letzten Meter im Mittelmeer geschwommen sind. Sie haben gesehen, wie jemand anderem der Kopf weggeschossen wurde und haben sich dann hier mit einem Lachen gegenseitig eingeseift. Da habe ich jedes Mal unglaubliche Hochachtung, dass sie die Kraft haben hier zu sein und immer noch zu lächeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich selbst so eine Kraft hätte.
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