Foto: Daron Banderia

Nana Addison: „Ich wusste, dass die Türen nicht offen sein werden, sondern dass ich sie eintreten muss“

Die Gründerin Nana Addison stellt mit ihren Unternehmen die Bedürfnisse Schwarzer Menschen, insbesondere Frauen, in den Mittelpunkt. Im Interview spricht sie über Druck, Erfolg, Empowerment und Diskriminierung.

Nana kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland, wo sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in Essen-Steele aufwuchs. Davor lebte die Familie in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas, die Nana als ihr anderes Zuhause beschreibt. Trotz Dyslexie begann sie in Berlin Theologie und BWL zu studieren, brach das Studium jedoch ab, weil sie schon damals wusste, dass Tech, Internet und Popkultur die Zukunft sind. Also begann sie freiberuflich in der Kommunikations- und Eventbranche zu arbeiten und gründete gemeinsam mit ihrer besten Freundin 2013 in New York ihr erstes Unternehmen, die Kreativagentur Addison Green.

Fünf Jahre später gründete sie das Berliner Unternehmen Curl – eine Agentur mit Sitz in Berlin, die sich auf ethnisch und kulturell vielfältiges Brand Consulting, Empowerment und Eventproduktion spezialisiert hat. Zu Nanas Agentur gehört auch die „Curl Con” , Deutschlands führendes Afro-Haar-, Beauty- und Lifestyle-Festival.

Im Interview spricht Nana über Vorbilder, ermüdende Erfahrungen in vornehmlich weißen Räumen, den Druck der Community und ihr großes Anliegen, Menschen zu empowern.

Kemi Fatoba: Mein erster Eindruck von dir war: Okay, diese Frau ist selbstbewusst, ehrgeizig und alles andere als schüchtern. Was hat dich inspiriert, in die Selbständigkeit zu gehen, CURL zu gründen und generell dein eigenes Ding durchzuziehen?

Nana Addison: „Ich habe schon früh gespürt, dass angestellt zu sein nichts für mich ist. In meinen Jobs hatte ich oft Ideen, um Prozesse zu optimieren, wurde aber nicht gehört, was sehr frustrierend war. Da ich unter eher bescheidenen Umständen aufwuchs, war mir schon sehr früh schmerzlich bewusst, dass wir uns nicht viel leisten konnten. Meine alleinerziehende Mutter arbeitete aufgrund der großen Sprachbarriere als Putzfrau und hat wirklich ihr Bestes gegeben, um mir und meiner Schwester ein solides Leben zu ermöglichen. Rückblickend bewundere ich sie dafür, aber als Kind, besonders als Teenager, spürte ich nur eines: ‚Wir sind arm und die einzigen Schwarzen in der Siedlung.‘

Das hat mich geprägt und ich habe mir gesagt, dass der Struggle mit meiner Generation endet. Ich wollte ein Leben für mich und meine zukünftigen Kinder schaffen, wo es kein ‚Nein, das können wir uns nicht leisten‘ oder ‚Nein, das ist nicht möglich‘ mehr gibt. Ich wollte meiner Mama ein großes Haus kaufen, damit sie nie wieder putzen muss und sich endlich ausruhen kann. Mit den Jahren hat sich das weiterentwickelt zu der Vision, Schwarzen Menschen und People of Color in Deutschland, in den Industrien, in denen ich mich bewegte und auskannte, eine Plattform zu geben, um gesehen zu werden und gleichzeitig daraus wirtschaftlichen und finanziellen Mehrwert ziehen zu können.“

Wie sah es bei dir mit Vorbildern aus? Hattest du welche – und wenn ja, wen?

„Früher waren es viele weiße Männer. Damals sah ich auch Menschen wie Donald Trump als Vorbild, was mir heute peinlich ist. Und dann kamen durch US-amerikanische Popkultur endlich auch Schwarze Frauen in meine Welt. Beyoncés Weg verfolge ich seit meiner Teeniezeit mit Begeisterung. Sie nahm ganz selbstverständlich Räume ein und ich konnte mich auch mit ihrer Arbeitsethik gut identifizieren. Sie war für mich ein großes Vorbild. Nach ihr kamen Serena Williams, Tracee Ellis Ross, Oprah, Michelle Obama und ganz besonders wichtig für meine Reise ist heute Bozoma Saint John.

In Deutschland sah ich Nikeata Thompson als Vorbild, die ich mit 15 Jahren bei einem Konzert kennengelernt habe. Nikeata kam auf die Bühne und strahlte dieses Selbstbewusstsein aus, das mich beeindruckte. Ich durfte danach in den Backstage-Bereich und dort hat sie mir etwas Ermutigendes gesagt, das ich lange mit mir getragen habe. Als ich in Berlin war, habe ich sie dann wieder getroffen und sogar ein paar Monate für sie gearbeitet, was toll war.“ 

„Was ich mache, wurde von Männern oft wie ein Frauenthema behandelt und sie sagten dann Dinge wie ‚Ich frag mal meine Freundin‘. Die Freundin war aber nicht unbedingt Unternehmerin und hatte dementsprechend auch keine Expertise.“

Welche Erfahrungen machst du als Schwarze Gründerin? 

„Die Struggles sind so vielfältig. Einerseits ist es Sexismus von Männern, aber auch oft von Frauen, die ihn internalisiert haben. Ich erlebe Rassismus, dann Colorism innerhalb des Rassismus und dann noch Elitismus. Wenn du als Schwarze Frau in Deutschland groß wirst, bist du nicht so naiv zu glauben, dass im Gründer*innenspace alles anders sein wird. Ich wusste, dass die Türen nicht offen sein werden, sondern dass ich sie eintreten muss. Dennoch war ich erschüttert über das Misstrauen, das mir entgegengebracht wurde. Wenn ich über ein Geschäftsmodell spreche, ist alles, was die Leute hören: NGO. CURL ist zwar ein Impact-Business aber wir sind for profit.

Das ging mir für eine lange Zeit auf die Nerven und ich habe überlegt, ob ich mich kapitalistischer positionieren muss, damit die Leute nicht mehr sofort an NGOs denken, wenn wir uns unterhalten – bis ich realisiert habe, dass es nicht an meiner Positionierung lag. Was ich mache, wurde von Männern oft wie ein Frauenthema behandelt und sie sagten dann Dinge wie ‚Ich frag mal meine Freundin‘. Die Freundin war aber nicht unbedingt Unternehmerin und hatte dementsprechend auch keine Expertise.“

Foto: Philip Primus 

Um in Deutschland erfolgreich zu sein, bewegt man sich zwangsläufig viel in weißen Räumen. Wie gehst du damit um, die Einzige oder eine der wenigen Schwarzen Frauen in weißen Räumen zu sein? Hast du auch Momente des Zweifelns, in denen sich das Impostor-Syndrom bei dir meldet? 

„In weißen Räumen ist mein Impostor-Syndrom aufgrund von Elitismus und Klassismus ganz schlimm, denn die Menschen, denen ich begegne, kommen oft aus privilegierten Familien, haben studiert und vielleicht auch Ersparnisse von ihren Eltern mitbekommen. Wenn Sie weiß und/oder männlich sind, genießen sie oft einen Vertrauensvorsprung und bekommen auch nochmal eine zweite Chance, wenn sie etwas falsch machen, weil man eher an sie und ihr Potenzial glaubt. All das bekomme ich nicht.

In diesen Räumen fühlt es sich immer so an, als hätte ich nur eine einzige Chance, um zu performen und abzuliefern, so dass sich alle abgeholt fühlen, mich jeder versteht, sich niemand angegriffen fühlt und mich niemand als aggressiv oder zu sexy liest. All diese Sachen schwingen mit und es ist auf jeden Fall ermüdend und anstrengend. Ich zwinge mich da so ein bisschen rein und versuche, das Stück für Stück abzubauen.“

Du sprichst oft davon, Menschen mit einer ähnlichen Biografie wie deiner inspirieren zu wollen. Warum ist dir das so wichtig?

„Ich wünsche mir, dass andere Menschen, besonders Schwarze Frauen, eine Erfahrung machen, die anders ist als meine und eine Reise haben, die beflügelnder ist als meine. Sie sollen das Gefühl haben, begleitet zu werden und Ressourcen zu finden von Leuten, die wissen, was sie fühlen und wie es ist, wenn zum Beispiel deine Familie nach Deutschland eingewandert ist und bestimmte Erwartungen an dich hat. Wenn du auch noch Familienmitglieder in deinem anderen Zuhause hast und somit Bürden und eine Verantwortung trägst, die sonst keine*r versteht. Mir hat das sehr gefehlt, weil gefühlt sonst niemand in der Start-up-Szene meine Erfahrungen teilte. Deswegen versuche ich, so gut ich kann, während ich selbst noch auf der Reise bin, über diese Dinge zu sprechen und transparent zu sein. Das ist der Grund, warum mir das so wichtig ist.

Wir gründen gerade den CURL Vision e.V. – und das ist jetzt tatsächlich eine NGO (lacht). Damit wollen wir in Schwarze Talente in der Kreativbranche investieren, um durch Ausbildungen und Förderungen neue Zugänge zu schaffen. Und dann wollen wir noch dieses Jahr die CURL Academy launchen. Das soll ein Bootcamp für Schwarze, indigene Menschen und People of Color sein, die als Selbständige im Kreativbereich arbeiten wollen – denn wenn kein Nachschub kommt, bringt das, was ich mache, nichts. Ich will Nachhaltigkeit. Das ist das Wort der Stunde.“ 

Du hast vorhin von Erwartungshaltungen gesprochen. Wie gehst du sowohl mit deinen eigenen und denen von anderen um? 

„Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung, die ich noch nicht so richtig gemeistert habe. Ich habe riesige Erwartungen an mich selbst und große Träume, die ich umsetzen will. Dazu kommen Erwartungen aus meiner Community beziehungsweise meine Interpretation dieser Erwartungen. Wenn mir junge Schwarze Frauen schreiben, weiß ich: ,OK, die guckt mir zu’. Das fühlt sich gut an, setzt mich aber auch unter Druck. Wenn es um das politische Klima innerhalb der Community geht, ist das Jonglieren von Kapitalismus und Anti-Kapitalismus ein Stressfaktor, weil ich denke, dass ich oft falsch gelesen werde.

Ich bin dann in einem Erklärungskreisel und denke mir gleichzeitig: Das ist mein Geschäftsmodell, das ich eigentlich nicht erklären muss. Natürlich ist die Tatsache, dass ich in weißen Räumen oft als Einzelperson die Community repräsentiere, ein weiterer, riesiger Stressfaktor. Das versuche ich zu minimieren, indem ich Kund*innen immer wieder erkläre, wie heterogen wir sind.“ 

„Egal, ob du in weißen oder in Schwarzen Spaces groß geworden bist, es wird dich in beide Richtungen ausbremsen, frustrieren und behindern, wenn du ein Image aufbaust, das dir nicht entspricht.“

Wenn man dich kennenlernt, bekommt man schnell den Eindruck, dass du selbstbewusst bist und dich von nichts erschüttern lässt. Ist das tatsächlich so?

„Das mit dem Selbstbewusstsein ist auch ein Akt der Manifestierung. Ich habe begonnen, an mich selbst zu glauben und mittlerweile weiß ich, dass ich selbstbewusst über gewisse Themen sprechen kann. Aber das ist nicht alles, was ich bin. Diese Aufsplitterung meiner Person frustriert mich oft, denn eigentlich bin ich sehr sensibel, was die Gefühle von anderen betrifft – auch wenn das manche vielleicht nicht glauben. Ich brauche viel Zeit, um meine Akkus wieder aufzuladen und diese Seite von mir steht nicht unbedingt im Vordergrund, denn sie wird auch von der Community oder der Geschäftswelt nicht gebraucht.

Ich bin mir bewusst, dass ich auch eine Art Projektionsfläche bin. Nicht, dass ich eine Influencerin bin, aber in manchen Räumen wird von mir Stärke gebraucht. Einerseits ist es schön, weil dieser Teil von mir anderen etwas gibt, andererseits werde ich nie ganz gesehen. Wenn ich sage, dass ich total k.o. und kurz vor dem Burnout bin, wird das nicht ernst genommen. Wenn es nicht so anstrengend wäre, wäre es lustig. Es ist natürlich auch meine Schuld, denn ich habe für eine lange Zeit das ,Superwoman-Ding‘ reproduziert, indem ich Sachen sagte wie: ,Ich habe nicht viel geschlafen und ich habe Kopfschmerzen aber komm, wir machen das jetzt noch fertig.‘ Im vergangenen Jahr habe ich dann die Reißleine gezogen. Ich habe all meinen Kund*innen geschrieben: ,Leute, ich kann nicht mehr. Es tut mir leid, mein Team wird übernehmen, ich kann nicht mehr.‘ Meine Kund*innen sind überwiegend weiße Leute, in weißen Konzernen aber sie haben verstanden, dass ich eine Auszeit gebraucht habe.“ 

Was sind die bisherigen Highlights in deiner Karriere? Und was sind die Fails?

„Meine Privatinsolvenz war ein finanzieller Fail, aber ein persönlicher Erfolg, weil ich dadurch den Umgang mit Finanzen richtig gelernt habe und jetzt wirklich gut darin bin. Auch weil ich gelernt habe, dass es nach einem Fail weitergeht und besser werden kann. Mein zweiter Fail war, dass ich als CEO zu wenig Zeit für mein Team hatte, weil ich zu sehr mit Business Development beschäftigt war, damit die Firma weiterhin existieren kann und wir unsere Ziele erreichen konnten. Dazu gehörte auch, alle bezahlen zu können, denn anfangs hat mein Team pro bono gearbeitet. Da geht es auch um Verantwortung, denn ich kann nicht von Economic Empowerment sprechen und dann meine Mitarbeiterinnen nicht bezahlen.

Ich wollte so viel zahlen können, dass sie alle Vollzeit für CURL arbeiten konnten – und das, ohne Investor*innen zu haben. Das hat dazu geführt, dass ich mein Team in vielen Situationen alleine ließ und oft nicht sah, wie viel Unsicherheit das verursachte. Letztendlich haben deshalb auch zwei Mitarbeiterinnen die Firma verlassen. Das war ein Fail, aber auch ein Learning, denn ich will nicht, dass so eine Situation nochmal entsteht.“

Was empfiehlst du Schwarzen Frauen und Women of Colour, die auch gründen wollen?

„Bitte mach es! Sei dabei immer du selbst und versuche nicht, dich zu assimilieren. Das ist wirklich absolute Zeitverschwendung. Egal, ob du in weißen oder in Schwarzen Spaces groß geworden bist, es wird dich in beide Richtungen ausbremsen, frustrieren und behindern, wenn du ein Image aufbaust, das dir nicht entspricht. Sei wie du bist, mit allem, was dich ausmacht, denn genau diese Kombination ist das, was dich für deine Community oder ein Unternehmen so besonders macht. Wenn du eine Komponente rausnimmst oder verstellst, ist die Formel kaputt.

Das andere ist, lernfähig zu sein. Offen und neugierig für andere Wege zu sein, hat mir sehr geholfen. Das ist auch der Mehrwert, wenn man ein Team hat, das vielfältig ist, denn dadurch hat man vielfältige Lösungsansätze. Das Dritte: Versuche so schnell wie möglich ins Tun zu kommen und nicht zu lange auf einer Idee rumzusitzen und alle Eventualitäten theoretisch durchzuspielen. Du willst ein Eventbusiness starten? Dann beginne mit einem Dinner-Event für fünf deiner Freund*innen. Da hast du auch alle Stationen der Eventproduktion, spielst es einmal durch, hast den Blueprint und dann skalierst du das und machst alle Komponenten größer. Beginne so schnell wie möglich, um Erfahrungen zu sammeln.“


Anzeige