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Produkte von kleinen Betrieben sind angesagt – aber nicht jede Marke hält der Nachfrage stand

Die Nachfrage nach Produkte mit Tradition sind enorm. Häufig wissen die kleinen Betriebe dahinter nicht, wie ihnen geschieht. Das kann eine Chance sein, aber auch eine Gefahr.

Immer noch von Hand montiert

Nachhaltige Produkte von kleinen Unternehmen zeichnen sich deutlich als neuer Trend ab. Zacharias Zacharakis geht den Hintergründen dafür bei Zeit Online auf den Grund und zeigt, dass das nicht nur eine Chance, sondern auch eine enorme Herausforderung sein kann. Warum, zeigt sich etwa am Beispiel der Firma Kaweco:

Die Spitze wird in einer Werkshalle am Nürnberger Stadtrand immer noch von Hand montiert. Das kleine Metallplättchen, blank poliert und fein graviert, ist das Herzstück eines jeden Füllers. Über die Feder, besetzt mit einem winzigen Iridiumkorn an der Spitze, soll die Tinte weich aufs Papier gleiten. Eine Arbeiterin schraubt den Füllfederhalter auf ein Gehäuse aus Kunststoff – fertig ist der Kaweco Sport, Farbe Grau, ein Objekt der Begierde von Tokio bis San Francisco. Verkaufspreis: 17,95 Euro.

„Wir exportieren inzwischen in 47 Länder“

Es sieht hier fast aus wie in einem Medizinlabor, clean und geordnet ist alles in den Produktionsräumen der Firma Kaweco. Tausende Füller und Kugelschreiber werden täglich an den wenigen Tischen des Traditionsbetriebs gefertigt, der sich auf eine mehr als 130-jährige Geschichte beruft. Doch was in jüngster Zeit mit diesem mittelständischen Unternehmen geschehen ist, können sich die 30 Mitarbeiter und ihre Chefs nur schwerlich erklären.

Neben der Werkbank steht Sebastian Gutberlet, 34, Marketing- und Vertriebsleiter von Kaweco und Vertreter der jüngsten von drei Generationen im Familienbetrieb. Sein Vater Michael hatte in den neunziger Jahren den Markennamen des 1883 gegründeten Füllerherstellers gekauft, als wenig Interesse an Schreibwarenartikeln wie diesen bestand. „Wir exportieren inzwischen in 45 Länder“, sagt Gutberlet, fränkisch breit, während er durch die Hallen des Unternehmens schlendert. Das schwarze Sakko lässig über ein T-Shirt geworfen, dazu Turnschuhe und Jeans. „Im Moment ist Korea nach Deutschland für uns der am stärksten wachsende Markt, an dritter Stelle stehen die USA.“ Allein im vergangenen Jahr sei der Umsatz um gut ein Drittel gewachsen auf nunmehr vier Millionen Euro.

Von der Rückbesinnung profitieren

In Zeiten, da alle Welt am Computer arbeitet, kaum jemand mehr einen Brief von Hand schreibt, sind Füllfederhalter aus Nürnberg gefragt wie nie zuvor. Und das in einem Design, das aus Vorkriegstagen stammt. Wie kann das sein? Das Konsumverhalten der Menschen nimmt seit jeher die eigenartigsten Wendungen, doch ein Muster, das haben Soziologen und Historiker schon häufiger gezeigt, tritt immer wieder auf: die Renaissance oder Rückbesinnung.

Je kürzer die Lebensdauer so profaner Dinge wie Föhn, T-Shirt und Telefon, desto größer scheint das Verlangen zu sein, nach Beständigkeit und Qualität, nach Tradition und Wertigkeit. Ein Bedürfnis übrigens, das in der Natur des Menschen wohl tief verankert ist, wie schon vor Jahrhunderten nach der Verbreitung des Buchdrucks offenkundig wurde. Damals, so haben Kulturwissenschaftler herausgestellt, verkauften sich Schreibfedern und handgeschriebene Bücher wieder stärker, weil sich die Menschen nach dem Vergangenen sehnten.

Kleine Betriebe profitieren

Von der jüngsten Rückbesinnung auf das Früher profitieren gerade kleine Familienbetriebe und mittelständische Unternehmen wie Kaweco, ohne so recht darauf eingestellt gewesen zu sein. Wir sind in einem Besprechungsraum der Firma, an den Wänden hängen Bilder historischer Modelle, aktuelle Ausstellungsstücke liegen in Vitrinen. „Schon irre“, sagt Gutberlet, als er einen Artikel der New York Times aus dem Jahr 2011 in der Hand hält. “Wir wussten erst gar nicht, warum plötzlich in den USA die Verkäufe so sprunghaft anstiegen.” Dann aber fand die Familie heraus, dass die Zeitung einen prominenten Autor interviewt hatte, der von seinem Kaweco Sport schwärmte: als die „günstige Version eines Mercedes“ fürs Papier, wie es in dem Artikel heißt.

Solche Entwicklungen stellen deutsche Familienbetriebe vor ganz neue Herausforderungen. Ob die Brauerei aus Schwaben, deren Bier in den Großstädten plötzlich beliebt ist, oder Modeunternehmen und Fahrradhersteller aus den tiefsten Teilen der Provinz – für den Markenentwickler Jon Christoph Berndt aus München gibt es immer wieder Parallelen. Er berät mittelständische Unternehmen in solchen Situationen. Manche „wittern schnell Morgenluft“, sagt Berndt. „Dann werden Hallen aus Beton und Aluminium, gesichtslose Bauten, auf die grüne Wiese gestellt, um möglichst schnell die Kapazitäten zu erweitern. Doch so kann man sich eine manchmal über Jahrhunderte aufgebaute Marke ganz schnell verderben.“

Je länger die Wartezeit, desto beliebter das Produkt

Nur wie soll man reagieren, wenn die Kunden nach dem Produkt verlangen und ein Unternehmen nicht mit der Herstellung hinterherkommt? „Das ist das Beste“, sagt Berndt. „Wenn die Begehrlichkeit groß genug ist, wenden sich die Kunden nicht ab, sondern werden immer noch wilder auf das Produkt.“ Das habe man jahrelang beobachten können bei Mercedes, als es lange Wartezeiten gab. „Die Kunden haben dann nicht einen Audi oder BMW gekauft, sondern der Auslieferung geradezu entgegengefiebert.“

Der Markenentwickler empfiehlt Unternehmen, sich zunächst auf den Kern der eigenen Identität zu konzentrieren: „Warum gibt es uns? Wie heben wir uns ab?“ Erst wenn sich in der Marke widerspiegele, was das Unternehmen und seine Mitarbeiter ausmache, könne die Botschaft nach außen formuliert werden, über Social Media, Website, Anzeigen oder TV-Spots. „Innerhalb dieser Leitplanken kann man dann wachsen, und die Leute nehmen es einem ab. Als Brauerei sollte man nicht der Versuchung verfallen, dann die Marke zu überdehnen und auch noch Szenedrinks und Schnaps zu verkaufen.“ Wer hingegen geplant und evolutionär wachse, könne auch überleben, wenn ein Hype wieder abflacht. Bisher jedoch scheint die neue Liebe zu alten Dingen kaum nachzulassen, eher im Gegenteil.  

Natürlich handgeschmiedet

Davon konnte man sich auf der Münchner Praterinsel am vergangenen Wochenende selbst überzeugen. Draußen umfließt klares Isarwasser das Gelände einer historischen Spirituosenfabrik, drinnen haben sich Dutzende Aussteller unter Gewölbebögen zum ersten „Festival für Zeitloses“ eingefunden, zur Messe„New Heritage“, die – wie der Name sagt – wiederentdeckten Traditionen huldigt. Die Unternehmen heißen hier meistens Manufakturen, sie bieten ihre handgefertigte Ware an Messeständen aus viel grobem Holz und rostigem Eisen an, zwischen abgewetzten Ledersofas und beleuchtet von alten Industrielampen.

Wilma Peelen aus Holland wiegt einen ihrer Bestseller in der Hand: eine kleine Gartenschaufel, natürlich handgeschmiedet aus Edelstahl und mit einem Griff aus massivem Eschenholz. „Die Leute sparen mittlerweile lieber und kaufen einmal ein gutes Gerät, anstatt sich jedes Jahr eine günstige Schaufel anzuschaffen“, sagt die Inhaberin von Sneeboer, einem kleinen Betrieb aus der Nähe von Amsterdam. Zahl der Mitarbeiter: 15. Gründungsjahr: 1913. Preis der Schaufel: 37,80 Euro.

Peelen berichtet stolz, dass ihr Unternehmen immer noch von derselben Gründerfamilie geführt werde. Seit einigen Jahren interessierten sich allerdings Menschen in Russland, Japan und Australien für ihr archaisches Gartenwerkzeug, die Spaten und Forken, Harken und Rechen. Darauf habe man sich nach und nach eingestellt. Und das sieht man dem Stand und dem gesamten Auftritt des Unternehmens an. Der Katalog beschränkt sich auf das Nötigste: Werkzeuge auf weißem Holzgrund. Minimalismus ist Grundgesetz in dieser Szene.

„Zu arm für Schund“

Es geht vorbei an einem Stand mit Feinrippware von Schiesser: Modell Karl-Heinz läuft derzeit am besten, neu aufgelegt aus dem Jahr 1923. Auch die Allgäuer Haferl-Schnürschuhe wenige Meter weiter scheinen die Messebesucher zu interessieren, alles doppelt genäht und aus bestem Rindsleder. Im Innenhof parken mehrere Imbissbuden auf Rädern, heute besser bekannt als Foodtrucks. Herr Krause etwa bietet aus seinem wellblechernen Citroën-Kastenwagen „Gezupfte Sau in der Semmel mit Krautsalat“ – für 5,80 Euro.

Man fragt sich bei all dieser einfachen Extravaganz: Fühlen sich die Menschen besser, wenn sie ihre Konsumlust verklären zu einem Kult um Langlebigkeit? Und langweilen sie sich nicht schon nach einer Saison mit ihren superrobusten Lederstiefeln wieder? Zwischen den Essensständen hockt Moritz Fuchs auf einem Bierkasten in der Sonne, der Macher der „New Heritage“. Sein langer Vollbart ist akkurat in Form gebracht, das Retroshirt blütenweiß. Fuchs denkt nach. Er versucht zu erklären, warum an diesem Wochenende bei bestem Frühlingswetter die Menschen zu seiner Messe strömen. „Meine Mama hat immer gesagt:‚Bub, wir sind zu arm, um uns Schund zu kaufen.‘“ Vielleicht erinnerten sich viele nun an solche Prinzipien.

Man müsse ja nur mal durch die eigene Wohnung schauen und sich fragen, was sich von den Möbeln irgendwann mal vererben lasse. Fuchs sagt: „Am Anfang war Bioessen auch nur ein Trend für Reiche, daraus ist aber ein Massenphänomen geworden.“ Die Lust an Qualität und Beständigkeit könne sich zu einer ähnlichen Bewegung auswachsen. Für kleine Unternehmen und Familienbetriebe wie Kaweco wären das sicher nicht die schlechtesten Aussichten.

Dieser Text ist zuerst auf Zeit Online erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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