Foto: Yunus Social Business

Saskia Bruysten: „Unsere Generation muss unbequem bleiben”

Saskia Bruysten hat gemeinsam mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ein Social Business gegründet, das den Kapitalismus neu denkt. Sie ist eine unserer „25 Frauen, die unsere Welt besser machen“. Wir haben mit ihr über soziale Business Ideen, ihren Werdegang und die Welt, in der wir leben wollen, gesprochen.

 

„Wir versuchen Geschäftsmodelle und soziale Hilfsbereitschaft zu verbinden”

Kapitalismus und Weltverbesserung passen nicht zusammen? Das sieht die Sozial-Unternehmerin Saskia Bruysten anders. Nach einem Business-Abschluss und mehrerer Jahren in einer Unternehmensberatung, hat sie, gemeinsam mit dem indischen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus und der deutschen Sophie Eisenmann, „Yunus Social Business” gegründet. Die Idee dahinter: Spenden in Investitionen, in Sozial-Unternehmen überall auf der Welt umzuwandeln – und sie profitabel zu machen, sodass sie ihre Region und ihre Bevölkerung langfristig unterstützen können. 

Saskia Bruysten ist Mitglied der EU-Expertengruppe zum Thema: Social Business und hält zum Thema überall auf der Welt Vorträge. Aber was heißt das eigentlich: Social Business? Über diese Frage, die Gründungsgeschichte von ihres Unternehmens und eine bessere Welt, haben wir mit ihr in Berlin gesprochen.

Vor der Gründung von „Yunus Social Business” bist du einen sehr klassischen Karriereweg gegangen: Du hast an einer renommierten Business School in Deutschland studiert und danach einige Jahre als Unternehmensberaterin gearbeitet. Wann hast du gemerkt, dass dieser Weg nicht mehr der richtige für dich ist?

„Es stimmt, ich hab erst mal einen sehr klassischen Weg eingeschlagen: Abi, direkt in die Universität, jeden Sommer ein Praktikum, nach dem Uni-Abschluss mehr oder weniger direkt in den Beruf. Zu der Zeit wollte ich einfach immer höher, immer weiter, hatte aber nie wirklich darüber nachgedacht, was ich eigentlich mit meinem Leben machen will. Irgendwann, nach ein paar Jahren im Beruf, kam dann aber doch dieser Moment, in dem ich mich gefragt habe: ,Okay, willst du das den Rest deines Lebens machen?`”

Warum dann etwas Soziales?

„Mit Mitte 20 habe ich das erste Mal wirklich aus meiner privilegierten Käseglocke, unter der ich als Halb-Kanadierin im Taunus aufgewachsen bin, hervorgelugt. Ich bin zu der Zeit viel gereist: war das erste Mal in Indien, im Nahen Osten, in Afrika. Ich wollte die Welt erkunden. Und was ich gesehen habe, hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich habe mir dann ein Jahr freigenommen, um einen Master in London zu machen. Und in dieser Zeit habe ich mich konkret begonnen mit der Frage zu beschäftigen, was ich tun kann, um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Es gab also keinen einzelnen Aha-Moment für mich, sondern eher einen längeren Prozess. Und irgendwann in diesem Prozess habe ich, mehr oder weniger durch Zufall, einen Vortrag des Friedens-Nobelpreisträgers Muhammed Yunus gehört und war total begeistert von seiner Idee der Mikrokredite und des Social Business’.” 

Heute führt ihr gemeinsam euer Unternehmen. Nach dem besagten Vortrag vor acht Jahren scheint also einiges passiert zu sein?

„Ich habe Yunus direkt nach dem Vortrag meine Karte gegeben und bin ihm dann mehr oder weniger hinterhergereist. Ein paar Monate später bin ich nach Bangladesch geflogen, um mir seine Idee in der Umsetzung anzuschauen. Das hat mich umgehauen und von da an ging es darum, wie man das, was ich kann und seine Idee sinnvoll zusammenbringen könnte. „Yunus Social Business – Global Initiatives“ ist das langfristige Ergebnis davon.”

Ihr fördert soziale Unternehmen. Dabei habt ihr eine besondere Definition, was ein Unternehmen sozial macht. Was genau versteht ihr also unter „Social Business” und was unterscheidet eure Definition von anderen Ansätzen?

„Im Endeffekt meinen wir mit „Social Business” eine Firma, die sich zu 100 Prozent darauf fokussiert, ein soziales Problem wirklich zu lösen. Deshalb muss sie eben, und das ist der Unterschied zu Hilfsorganisationen, auch finanziell nachhaltig funktionieren. Es gibt viele Firmen, die soziale Probleme quasi als Nebeneffekt lösen, aber bei uns fördern wir nur diejenigen, die sich hauptsächlich der Problemlösung eines sozialen Missstandes verschrieben haben.”

Wie findet ihr diese Sozial-Unternehmer?

„Bei unseren Projekten gibt es zwei Akteure: die sozialen Investoren, die das Geld zur Verfügung stellen, auf der einen Seite und die Entrepreneure, die die Arbeit machen, auf der anderen. Wir fungieren als Vermittler zwischen beiden. Die Sozial-Unternehmer finden wir über unsere lokalen Teams, die vor Ort Unternehmer suchen. Ein Beispiel: In Uganda haben wir ein Team von fünf Leuten, die den ganzen Tag im Prinzip nichts anderes machen als ihre Netzwerke zu bemühen, in ländliche Regionen zu fahren, auf Konferenzen zu gehen und dadurch tolle, förderungswürdige Projekte zu finden.

Wenn diese Teams jemanden gefunden haben, nehmen sie denjenigen genau unter die Lupe. Kommen sie zu dem Schluss, dass wir an den Unternehmer glauben, dass das Businessmodell funktioniert sowie finanzierbar ist, dass das soziale Problem, das von ihm oder ihr bekämpft wird, groß genug ist und, dass es skalierbar ist, es also irgendwann von selbst wachsen kann, kommen wir ins Spiel, stellen die schwierigen Fragen aus einer unabhängigen Perspektive und versuchen über unser global gesammeltes Wissen, Impulse zu geben. Wenn unsere Entscheidung im sogenannten ,Investment Committee’ dann positiv ausfällt, unterstützen wir das jeweilige Business mit einem langfristigen Kredit.”

Hast du eine „Lieblingsfirma”?

„Wir beginnen gerade in ein Unternehmen in Uganda zu investieren, das von einer Uganderin geführt wird, die ihren Doktor in England zu der Frage gemacht hat, wie man Frauen in Uganda ein höheres Einkommen ermöglichen kann. Ihre theoretische Arbeit hat sie dann in ihrem Heimatland praktisch umgesetzt. Im Norden von Uganda, wo lange Bürgerkrieg herrschte, arbeitet sie mittlerweile mit 10.000 Frauen zusammen, die Reis anbauen, ernten und auf dem ugandischen Markt verkaufen. Frauen, die vorher völlig von ihren Männern abhängig waren, haben nun ihr eigenes Einkommen, sind unabhängig und konnten sich teilweise sogar schon eigenes Land kaufen. Das führt auch zu einer Aufwertung ihrer Position innerhalb in der Familie. Und den Familien geht es insgesamt besser. Denn, auch das weiß man aus der Mikrofinanzierung, wenn Frauen mitverdienen, entwickeln sich Familien insgesamt positiv, weil sie in Ausbildung und Gesundheitsversorgung ihrer Kinder investieren. Eine tolle Frau, ein tolles Unternehmen.”

Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?

„Einen typischen Tag gibt es eigentlich nicht. In einem normalen Monat bin ich mindestens ein bis zwei Wochen in unseren Ländern unterwegs, um die Unternehmer kennenzulernen und die Projekte zu begleiten. Daneben bin ich auch mitverantwortlich dafür, soziale Investoren zu überzeugen. Deshalb spreche ich auf Konferenzen oder treffe mich mit den Investoren direkt. Außerdem führe ich Yunus strategisch und bereite die Investment-Committees vor und muss über jedes Projekt und jeweiligen Kontext gut informiert sein.”

Für viele Aktivisten ist der Kapitalismus der Grund für die soziale Ungerechtigkeit. Du siehst das anders. Warum? Wie kann der Kapitalismus helfen?

„Wir wollen den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern ergänzen, erweitern: In der Business School haben wir gelernt, dass die Grundannahme des Kapitalismus ist, dass jeder Mensch ein rationaler Akteur ist und sein finanzielles Kapital maximieren will.

Wie wir aber aus der Realität wissen, ist Geld nicht das einzige, was uns motiviert. Soziales Verständnis, Empathie, Interesse an meinem Gegenüber sind teilweise viel wichtigere Faktoren. Diese Motivationen werden aber im kapitalistischen System ausgeklammert, als gäbe es sie nicht. Kein Investor trifft nur rein rationale Entscheidungen. Wir glauben, dass wir Menschen auch anderen Menschen helfen wollen, aber dafür gibt es kein Business, dafür gibt es nur Hilfsorganisationen. Aber warum? Deshalb versuchen wir, Geschäftsmodelle und soziale Hilfsbereitschaft zu verbinden – Maximierung von sozialen Kapital.”

Lässt sich sozialer Fortschritt wirklich in Effizienz messen?

„Ich glaube, es gibt genügend Aspekte, die man messen kann. Nicht alle, aber viele. Die Seelsorge von Kriegsopfern ist vielleicht schwer in ein Business zu packen, aber die Lösung auf die Frage: ,Wie kann ich dafür sorgen, dass Kleinbauern höhere Einkommen haben?’ kann ich perfekt messen. Ich kann messen, wie viele Kleinbauern dank des Unternehmens ein Einkommen haben und wie viel höher dieses nun ist.”

In einem FAZ-Interview Anfang 2016 hast du gesagt, dass ihr für Yunus 2020 den „Break even” plant. Wie realistisch ist das?

„Das werden wir natürlich erst 2020 wirklich sicher wissen. Aber wir sind auf einem guten Weg. Unser brasilianisches Büro deckt zum Beispiel bereits seine eigenen Kosten. Langfristig soll jedes lokale Büro durch die Zinsen, die wir verlangen, seine eigenen Kosten decken. Und auch das globale Team arbeitet daran, indem wir zum Beispiel Beratung für Firmen, die im sozialen Sektor investieren wollen, anbieten. Ich bin also optimistisch, aber unser Bereich ist natürlich nicht der profitabelste, sonst würden ja auch andere dort investieren.”

Du warst gerade beim Weltwirtschaftsforum in Davos, hast schon vor der UN-Vollversammlung gesprochen und bist regelmäßig als Expertin in Brüssel. Hast du das Gefühl, dass du und euer Anliegen dort Gehör finden?

„Immer mehr. Ich würde sagen, dass sind sogar die Orte, an denen es eher leicht ist, Aufmerksamkeit zu bekommen, weil das erklärte Ziel dort eine bessere Welt ist. Klar nach Davos kommen die meisten natürlich, um Business zu machen, aber der soziale Aspekt ist vielen Teilnehmern auch immer wichtiger. Und in der UN, aber auch in Brüssel, sowieso. Die Frage ist viel mehr, wie man diese verschiedenen Akteure dazu bringen kann, der Idee von Social Business nicht nur Aufmerksamkeit zu schenken, sondern auch konkret etwas zu unternehmen. Organisationen wie die UN, EU, World Economic Forum sind natürlich tolle Multiplikatoren, um Social Business bekannt zu machen. Das ist der erste wichtige Schritt, um Unternehmer und Firmen davon zu überzeugen, ihre soziale Verantwortung zu übernehmen.” 

Welche Hindernisse musstest du überwinden?

„Als wir angefangen haben, kannte kaum jemand das Konzept von Social Business. Auch heute ist das immer noch ein Problem, vor allem in Deutschland. Die erste Hürde war und ist also auf jeden Fall die Unwissenheit. Außerdem gibt es keine automatischen Kapitalquellen, man muss jedes Mal aufs Neue überzeugen. Und es ist auch nicht immer einfach, tolle Unternehmer zu finden. Denn, in den Ländern, in denen unsere Partner arbeiten, ist es extrem schwierig zu gründen. Wir merken einfach, dass unsere Arbeit an allen Fronten Pionierarbeit ist. Aber dennoch sehen wir eine positive Entwicklung und es macht verdammt viel Spaß.”

Was siehst du als deinen größter Erfolg?

„All die individuellen Beispiele. Zu sehen, wie diese Unternehmen wachsen, profitabel werden und so vielen Menschen und ganzen Regionen helfen. Außerdem bin ich natürlich auch stolz, auf die Organisation die meine Partnerin Sophie Eisenmann, Yunus und ich innerhalb von fünf Jahren aufgebaut haben. Hätten wir Yunus Social Business nicht gegründet, gäbe es jetzt keine Organisation, die diesen sozialen Firmen ermöglicht zu existieren und zu wachsen. Vorher hätte ich nicht gedacht, dass ich Unternehmerin bin – aber offenbar bin ich es.”

In einem Vortrag an der Columbia Business School 2015 hast du erzählt, dass du dich relativ spät, als du mit 27 als Unternehmensberaterin in New York gearbeitet hast, eigentlich das erste Mal gefragt hast, was du in deinem Leben machen willst. Würdest du jungen Frauen raten, sich diese Frage früher zu stellen?

„Ich finde es wichtig, dass Kinder früher mit der Welt konfrontiert werden, dass man auch schon mit ihnen richtig reist und ihnen die realen Umstände näherbringt. Wenn wir dieses Bewusstsein schon als Kinder vermittelt bekommen, kann jeder von uns selbst entscheiden, ob und wann er sich engagieren möchte. Ich persönlich kann im Rückblick sagen, dass es für mich trotzdem gut war, für ein paar Jahre erst einmal einen ,normalen‘ Job zu haben und erst dann meinen eigenen Weg zu gehen. Mir hilft die Erfahrung immer noch in meiner täglichen Arbeit.”

In dem gleichen Vortrag hast du deine Zuhörer aufgefordert, die Augen zu schließen und sich die Welt vorzustellen, in der sie gerne leben wollen. Wie sieht deine Version aus?

„Das hört sich jetzt vielleicht ein wenig trocken an, aber meine Vorstellung hält sich da sehr strikt an die 17 ,Sustainable Development-Ziele‘ der UN. Ich finde es wichtig, dass wir gemeinsam, als Regierungen, als Großunternehmen, als NGO, als Individuen, an einem Strang ziehen. Wir fokussieren uns jetzt vor allem auf: keine Armut mehr bis 2030. Vielleicht ist das jetzt keine besonders inspirierende Antwort, aber die Konkretheit der Ziele macht sie für mich greifbar.”

Was können wir alle tun?

„Das ist keine einfache Frage. Es muss natürlich nicht jeder genau das tun, was wir machen. Das geht ja auch gar nicht. Aber dennoch helfen vielleicht auch hier die 17 Ziele der UN, die gelten schließlich auch für Deutschland. Auch wir können unser Konsumverhalten hinterfragen. Wir können unseren eigenen CO2-Ausstoß verringern. Außerdem hilft es schon, wenn wir jeden Tag nach links und rechts schauen und versuchen im Kleinen zu helfen.” 

Und haben wir, die vieldiskutierte „Generation Y” und „Millennials” eine besondere Verantwortung?

„Ich weiß nicht, ob wir eine besondere Verantwortung haben, aber wir nehmen eine besondere Verantwortung wahr. Wir wollen unser Leben mit einem gewissen Sinn füllen. Wir arbeiten nicht mehr für jeden Konzern, wir stellen Fragen. Das gibt mir total viel Hoffnung. Wir müssen einfach weiterhin unbequem sein.”


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