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40 Jahre IVF: Wie Frauen heute eine Kinderwunschbehandlung erleben

Am 25. Juli 1978 wurde in Großbritannien Louise Joy Brown geboren, das erste Retortenbaby der Welt, gezeugt außerhalb des Körpers. Mittlerweile gibt es Millionen Kinder, die so entstanden sind – doch für jedes Paar, jede Frau ist eine Kinderwunschbehandlung bis heute eine Zeit voller körperlicher und seelischer Herausforderungen. Und von politischer Seite wird vielen Paaren bis heute die Unterstützung verweigert.

 

Eine medizinische Sensation

Die Geburt von Louise Brown vor 40 Jahren war eine medizinische Sensation, begleitet von Panikmache und Sorgen, eine schiefe Ebene sei betreten und man würde nun mit der massenhaften Produktion von Frankenstein-Babys beginnen.

In-vitro-Fertilisation, das bedeutet heute vor allem, zumindest im medizinischen Sinne: absolute Normalität. In Deutschland ist etwa jedes sechste Paar auf medizinische Hilfe bei der Erfüllung seines Kinderwunsches angewiesen, jede*r wird im Freund*innen- oder Bekanntenkreis Leute kennen, die sich ihren Kinderwunsch durch medizinische Hilfe erfüllt haben oder das versuchen. Im Jahr 2015 wurden in Deutschland laut deutschem IVF-Register 20.949 Kinder nach künstlicher Befruchtung geboren; das entspricht rund 3 Prozent aller in Deutschland geborenen Kinder.

Die Möglichkeiten heute sind atemberaubend. In den USA beispielsweise bieten Kinderwunschkliniken mittlerweile IVF-Flatrates an: So viele Versuche, wie man will, bis es klappt – oder aufgibt. In Deutschland sorgt das Embryonenschutzgesetz dafür, dass etwa die Eizellspende, Leihmutterschaft und die Selektion und Forschung an Embryonen verboten sind. In anderen Ländern, etwa den USA, ist sogar die Selektion der befruchteten Eizelle nach Geschlecht des Kindes erlaubt.

Unbegrenzte Möglichkeiten?

Die In-vitro-Fertilisation (IVF) wird angewendet, wenn eine reine Hormonbehandlung oder die Insemination, also das Einspritzen der aufbereiteten Spermien in die Gebärmutter, nicht zum gewünschten Erfolg führt. Oder aber wenn die medizinische Ausgangslage sofort eine IVF nötig macht, etwa wenn die Eierstöcke der Frau nicht oder nicht ausreichend funktionieren oder das Sperma des Mannes von so schlechter Qualität ist, dass sofort eine ICSI gemacht wird, also ein Spermium direkt in die Eizelle gespritzt wird, um die Wahrscheinlichkeit für die Befruchtung zu erhöhen. Bei der IVF werden die aufbereiteten Spermien und die Eizellen in der Petrischale zusammengebracht. Vorher hat die Frau sich etwa zwei Wochen lang Medikamente gespritzt, um eine große Zahl von Eizellen reifen zu lassen, die dann bei einem Eingriff unter Sedierung oder Vollnarkose, der so genannten Punktion, entnommen werden. Dabei wird eine Nadel über die Vagina in die Eierstöcke eingeführt und die Follikel, in denen sich die Eizellen befinden, abgesaugt.

Werden in der Petrischale eine oder mehrere Eizellen befruchtet, werden diese befruchteten Eizellen der Frau nach wenigen Tagen über einen dünnen Schlauch in die Gebärmutter eingesetzt, nach zwei Wochen kann festgestellt werden, ob eine Schwangerschaft zustande gekommen ist. In Deutschland ist der Transfer von maximal drei befruchteten Eizellen erlaubt, um das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften zu deckeln. Nicht benötigte befruchtete Eizellen können für spätere Versuche eingefroren werden.

Ein Protokoll aus der EDITION F-Serie

 
„Manchmal ist da diese schiere existentielle Angst: Was ist, wenn es nie klappt?“ 
Sophie* sagt nach vielen erfolglosen Versuchen: Ich mache so lange weiter, bis mir jemand sagt, dass es keinen Sinn mehr macht. Weiterlesen

Zweifellos sind die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin ein Segen für alle Menschen, deren Kinderwunsch sonst unerfüllt bleiben würde (und die, nebenbei, die finanziellen Möglichkeiten haben, sich diese Behandlungen leisten zu können).

Moderne Technik versus Schicksal

Eine Kinderwunschbehandlung ist aber auch fast immer eine Zeit voller psychischer und körperlicher Belastungen – mit ungewissem Ausgang. Denn während die moderne Fortpflanzungsmedizin uns heute suggeriert, beinahe alles sei möglich, geht es mittlerweile vor allem auch darum, auszuloten: Wo liegen meine persönlichen Grenzen? Wie weit wollen, wie weit können wir gehen? Und auch nicht zuletzt: Wie geht es weiter, wenn es trotzdem nicht klappt mit einem Kind? Wie können Menschen sich von ihrem Kinderwunsch verabschieden, wenn irgendwo tief drinnen der Gedanke festsitzt, dank moderner Technik müsste es doch irgendwie, irgendwann noch klappen? Dass auch Schicksal eine Rolle spielt, wird heute oft verdrängt – oder es fällt schwer, diesen Gedanken zu akzeptieren.

Gerade auch, wenn Geschichten durch die Boulevardmedien geistern wie die der Moderatorin Caroline Beil, die mit 50 schwanger wurde und gut gelaunt über das kleine Töchterchen plaudert.

Wie hoch ist die Baby-Take-Home-Rate?

Die Zahlen sehen nüchtern betrachtet in etwa so aus: Mit steigendem Alter der Frau sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft, egal ob auf natürlichem Weg oder mithilfe künstlicher Befruchtung, und zwar deutlich ab Mitte dreißig, noch stärker ab 40. Die so genannte „Baby-Take-Home-Quote“ durch künstliche Befruchtung ist nicht so hoch, wie viele anfangs womöglich glauben. Ob am Ende der Kinderwunschbehandlung ein Baby entstanden ist, hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur das Alter der Frau, auch der Grund der ungewollten Kinderlosigkeit spielt eine Rolle – und auch das Durchhaltevermögen, psychisch, körperlich und finanziell.

Für die deutschen IVF-Zentren liegt die Schwangerschaftsrate nach Embryotransfer bei etwa 30 Prozent, im internationalen Vergleich aller IVF-Zentren liegt diese Rate im Durchschnitt bei 25 Prozent.

Die natürliche Konzeptionsrate eines gesunden Paares liegt bei etwa 20 Prozent, das heißt, dass unter natürlichen Umständen ungefähr jeder vierte oder fünfte Eisprung zu einer Schwangerschaft führt (sollte man zum geeigneten Zeitpunkt Sex gehabt haben). Manche Kinderwunschkliniken geben auf ihren Websites auch Raten über 50 Prozent pro Embryotransfer an – das kann mit besonders innovativer Labortechnik zu tun habe, aber natürlich auch mit der Patient*innenzusammensetzung.

Mit der Erfolgsrate ist aber erstmal nur die Feststellung einer Schwangerschaft zwei Wochen nach dem Embryotransfer gemeint und nicht die Geburt eines lebenden Kindes – Abgänge und Fehlgeburten sind also nicht mit eingerechnet. Von 100 Geburten sind laut deutschem IVF-Register 75 Prozent Einlinge, 23 Prozent Zwillingsgeburten und 2 Prozent Drillingsgeburten.

Wenn der Lebensentwurf auf dem Spiel steht

Die psychische Belastung von Menschen, die sich für eine Kinderwunschbehandlung entscheiden, kann enorm sein, schließlich steht nicht weniger als der eigene Lebensentwurf auf dem Spiel – um die Psyche der Patient*innen kümmert sich aber in der Regel kaum jemand, auch wenn die meisten Kinderwunschzentren mittlerweile die Vermittlung psychologischer Beratung anbieten – die dann allerdings zusätzlich privat bezahlt werden muss.

Ein Protokoll aus der EDITION F-Serie

 

„Heiraten für die Kinderwunschbehandlung? Ich habe mich so ausgeliefert gefühlt“
Franziska war erstaunt, dass ungewollte Kinderlosigkeit immer noch ein solches Tabu zu sein scheint – und hat gemeinsam mit ihrem Mann entschieden, offen mit ihrer Situation umzugehen. Weiterlesen

Und nicht zuletzt gibt es eine Reihe von Fragen, denen sich die Politik endlich stellen muss: Es ist schlichtweg schon längst nicht mehr zeitgemäß und nicht nachvollziehbar, dass nur verheiratete hetereosexuelle Paare von den Krankenkassen bei der Kinderwunschbehandlung finanziell unterstützt werden – und das auch nur, wenn es sich um eine homologe künstliche Befruchtung handelt, also Eizellen und Spermien der jeweiligen Partner*innen benutzt werden. Verheiratete lesbische Paare, die immer auf Spendersamen angewiesen sind, sind also genau so außen vor wie Paare, die in einer festen Partnerschaft leben, aber nicht verheiratet sind. Die Grünen haben nun einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der alle Familienkonstellationen vor dem Gesetz gleichstellen soll. In dem Entwurf heißt es, niemand habe ein Recht auf Elternschaft, aber alle Menschen hätten sehr wohl das Recht, bei der Chance auf Elternschaft nicht benachteiligt zu werden.

Auf die Anfrage von EDITION F, ob eine gesetzliche Änderung geplant sei, antwortet die Pressestelle des Gesundheitsministeriums verschwurbelt mit der Darstellung der aktuellen (und bekannten) Gesetzeslage, und weist darauf hin: „Die Beschränkung des Leistungsanspruchs auf Ehepaare wird als durch die Pflicht des Staates zur Förderung der Ehe und Familie (Artikel 6 Grundgesetz) gerechtfertigt angesehen.“ Das ist Familienpolitik aus den 1950er-Jahren.

Eine Möglichkeit der finanziellen Unterstützung haben zumindest manche unverheiratete (heterosexuelle) Paare: Seit 2012 gibt es Bundesprogramm „Bundesinitiative zur Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“, das beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt ist. Bund und Länder beteiligen sich gemeinsam finanziell, zurzeit nehmen sechs Bundesländer teil, in jedem Bundesland gelten unterschiedliche Bedingungen, auch die Höhe der finanziellen Unterstützung ist unterschiedlich. Seit 2016 jedenfalls können auch unverheiratete Paare finanzielle Unterstützung in manchen Bundesländern beantragen.

Künstliche Befruchtung nur für Privilegierte?

Die finanzielle Belastung liegt, je nach Dauer und Intensität der Behandlung, im übrigen trotz Zuschuss durch die Krankenkassen in der Regel noch bei mehreren tausend Euro. Die Kinderwunschbehandlung bleibt also ein Privileg von Menschen, die es sich leisten können – kann das richtig sein? Warum übernehmen die Krankenkassen nicht komplett die Kosten für künstliche Befruchtung? Etwas zynisch könnte man anmerken: Ständig über die zu geringe Geburtenrate in Deutschland jammern, aber nicht bereit sein, etwas Sinnvolles dafür zu tun.

Viele offene Fragen

Die Bundesärztekammer, die ihre Richtlinien zur künstlichen Befruchtung komplett erneuert hat, kritisiert die Bundesregierung dafür, dass weiter viele wichtige Fragen offen bleiben: „Am dringlichsten erscheint mir eine politische Diskussion über die Eizellspende“, sagt zum Bespiel Jan-Steffen Krüssel, einer der federführenden Ärzte des Arbeitskreises des Wissenschaftlichen Beirates der Bundes­ärzte­kammer. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die die Eizellspende gesetzlich verbieten. „Damit müssen sich betroffene Paare zur Behandlung ins Ausland begeben. Dort wird aber vielfach die Eizellspende anonym vorgenommen, sodass die Kinder keine Möglichkeit haben, Informationen zu ihrer genetischen Herkunft zu erfahren“, sagt er.

Immerhin hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass homosexuelle Paare die Kosten für künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend machen können. Jenseits von Kostenübernahme und außergewöhnerlicher Belastung für die Steuererklärung ist die Zeit der Kinderwunschbehandlung für viele Frauen (und Männer) aber eine Ausnahmesituation, die sie nicht selten an ihre Grenzen bringt. Wie umgehen mit den ständigen Ängsten, dem ständigen Warten, den Zweifeln, der dauernden Hoffnung, die womöglich immer wieder zerstört wird?

Wir haben mit Frauen gesprochen, die ihren Weg durch die Kinderwunschbehandlung gegangen sind – oder noch auf dem Weg sind. Mit Frauen, für die sich ihr Wunsch nach einem Kind erfüllt hat, mit Frauen, die diesen Wunsch noch festhalten – und mit Frauen, die sich verabschieden mussten – von einem eigenen Kind, von einem Lebensentwurf. 

All diese Frauen erzählen auf EDITION F ihre Geschichte.

Wir hoffen, so ein Panorama dessen zu zeigen, was die Fortpflanzungsmedizin heute für die Betroffenen bedeutet: Große Hoffnung, großes Glück, große Trauer – und die Herausforderung, nach einem neuen Weg zu suchen, wenn ein anderer zu Ende ist.

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Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei

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