Foto: Schröder und Schömbs

Julia Römer: „Unsere Erfindung kann in stromlosen Gebieten buchstäblich Leben retten“

Viele arme Regionen dieser Welt müssen ohne Strom auskommen und können dadurch Nahrung und Medikamente nicht ausreichend kühlen. Die junge Klimatechnikerin Julia Römer kann das ändern – mit stromlosen Kühlschränken.

 

Eine junge Frau für eine bessere Welt

Der allmorgendliche Gang zum Kühlschrank um die gekühlte Milch für den Kaffee zu greifen, ist für mich das Normalste der Welt. Der Kühlschrank war schon immer da, die kühle Milch auch. Ich hätte Kühlschränke nie als Luxusprodukt beschrieben – bis zu meinem Interview mit Julia Römer. Die junge Klimatechnikerin hat eine Lösung für ein Problem entwickelt, von dem in Deutschland kaum jemand betroffen ist, das aber in armen Regionen auf der ganzen Welt für große Probleme sorgt, denn dort haben die Menschen oft keinen Zugang zu Strom. Dadurch können sie weder Nahrung, noch lebenswichtige Medikamente richtig kühlen. 75 Prozent der Medikamente in diesen Regionen gegen dadurch kaputt, Bauern müssen oft große Anteile ihrer Ernten wegschmeißen – und das in Regionen, wo die Ernte sowieso knapp und die medizinische Versorgung quasi nicht vorhanden ist. Bislang gab es nur sehr teure, strombenötigende Kühlungssysteme. Das wollte Julia Römer nicht hinnehmen und griff zu einer erst einmal paradox klingenden Methode: Wärme, die Kälte erzeugt. Dadurch ist es ihr gelungen einen Kühlschrank zu entwickeln, der ohne jegliche Stromversorgung funktioniert, günstiger ist als alle bisher da gewesenen Produkte und zusätzlich auch noch die Umwelt schont. 

Sie kam, sah und setzte um

Sie entwickelte die Idee, prüfte die technische Umsetzung, schrieb einen Businessplan und gründete das Social-Startup Coolar, um mit ihren Kühlschränken die Welt zu verbessern. Mit uns hat sie über ihre bahnbrechende Idee, ihre Erfahrungen als weibliche Gründerin in der männerdominierten Klimatech-Branche und den Wunsch mehr Frauen für das Feld zu begeistern, gesprochen. 

Kühlschränke sind seit jeher auf eine externe Stromversorgung angewiesen. Das stellt viele arme Regionen vor große Schwierigkeiten. Wie kamst du auf die Idee, dass es auch ohne Strom gehen könnte?

Ich habe im Studium eine Technologie kennengelernt, nach der es möglich ist, mit Wärme zu kühlen. Das hörte sich erst einmal kontraintuitiv für mich an und hat deshalb meine Neugier geweckt. Daraufhin habe ich mir genauer anschaut, wie diese Technik, die mit Adsorptionskälte arbeitet, funktioniert.  Dann habe ich meine Bachelorarbeit in einem Unternehmen geschrieben, das diese Technik anwendet, um durch Wärme Kühlungssysteme zu produzieren, zum Beispiel für
Serverräume. Da hat sich bei mir die Frage entwickelt, ob man dieses Kühlungssystem nicht auf etwas anwenden könnte, das eigentlich alle Menschen benötigen, zum Beispiel Kühlschränke. 
Wärme gibt es schließlich fast überall.
Der Geschäftsführer des Unternehmens, in dem ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe, hat dann gesagt, er glaube nicht, dass das geht. Da habe ich gedacht: ,Ich glaube, das geht doch!Seitdem hatte ich diese fixe Idee im Kopf.

Und wie ist aus der Idee das Projekt Coolar geworden?

Die Idee geisterte seit meiner Bachelorarbeit in meinem Kopf herum. Im Masterstudium bot sich mir dann die Gelegenheit, an einer Summerschool für Klimainnovationen teilzunehmen, bei der man fünf Wochen lang wegfährt, mit ein paar spannenden Ideen im Kopf und daraus ein Businessmodell entwickelt. Dort hat meine Idee der stromlosen Kühlschränke großen Anklang gefunden –und der erste Businessplan für Coolar entstand. Für das Konzept haben wir den Jurypreis der Summerschool gewonnen und insgesamt sehr viel Zuspruch
erhalten. Daraufhin habe ich in meiner Masterarbeit die theoretische Auslegung erarbeitet. Von dem Moment an stand fest: ,Ok, dann probieren wir es jetzt einfach.

Wann ging es mit Coolar so richtig los?

Das war vor gut zwei Jahren, im Frühjahr 2014. Da habe ich gemeinsam mit Arno Zimmermann aus dem theoretischen Konzept das technische Startup Coolar gegründet. Arno ist mein ehemaliger Kommilitone, der wie ich schon bei der Initiative Climate-KIC aktiv war. Es war also klar, dass wir den gleichen Antrieb hatten: Wir wollten unser Fachwissen klimainnovativ einsetzen und damit etwas bewirken.

Ein sehr ehrenswerter Ansatz, aber sicherlich nicht einfach umzusetzen. Welche Hindernisse haben sich euch in den Weg gestellt?

Ja, das stimmt. Die größten Hindernisse waren: Zeit, Raum und vor allem Geld. Uns war von Anfang an klar, dass es nicht einfach werden würde. Ein stromloser Kühlschrank ist eben kein Produkt, dass man innerhalb eines Jahres als Ergebnis präsentieren könnte. Zu unserem Glück sind wir schnell in Accelerator Programme, die Startups mit Mentoring, Co-Working-Spaces und Investitionen unterstützen, aufgenommen worden, weil unsere Idee sehr gut ankam. Da wurde unser größtes Problem erneut deutlich: In diesen Programmen gibt es oft viele digitale Startups, die in ihrer Entwicklung deutlich schneller sein können. Im Vergleich fiel dann auf, dass unser Projekt viel mehr Zeit, viel mehr Geld für das Material und einen gut ausgestatteten Arbeitsraum in Form einer Werkstatt brauchte. Diese Sachen zur Verfügung gestellt beziehungsweise finanziert zu bekommen, das war eine große Hürde. Schwierig war auch, dass wir am Anfang nur zu zweit waren, beide technische Chemiker. Uns fehlten also Experten aus anderen Gebieten. Arno und ich allein sind irgendwann zwangsläufig an unsere Grenzen gestoßen. Wir brauchten also ein größeres Team. Und so ein Team muss man erst einmal finden. Mittlerweile haben wir zum Glück ein tolles Team.

Was ist aktuell euer größtes Problem?

Die Finanzierung ist nach wie vor das Schwierigste für uns. Mittlerweile sind wir zum Glück auf einem Stand, auf dem es uns deutlich leichter fällt mit Leuten über Finanzierung zu sprechen. Unser funktionsfähiger Prototyp ist unser bestes Argument. Aber wir sind trotzdem immer noch intensiv auf der Suche nach Finanzierungshilfen. Deshalb ist die „The Venture“-Kampagne gerade
unglaublich wichtig für uns. Dort haben wir die Möglichkeit innerhalb von fünf
Wochen insgesamt 250.000 Euro durch öffentliche Abstimmungen zu erhalten.

Coolar ist dein „Baby“. Du hast die Idee entwickelt, die theoretische Umsetzbarkeit erarbeitet, die Technologie entwickelt und das ganze Projekt ins Rollen gebracht. Wie genau sieht deine Rolle in eurem Startup aktuell aus?

„Mittlerweile repräsentiere ich Coolar vor allem nach außen. Wie du sagst, ich hatte die Idee, ich hab das ganze Projekt initiiert. Dementsprechend fahre ich viel durch die Gegend, erzähle die Geschichte von Coolar, versuche Investoren für unsere Idee zu gewinnen. Darüber hinaus bin ich mehr oder weniger in alle Prozesse involviert. Oder einfach gesagt: Ich bin die Geschäftsführerin. Bei mir laufen alle Fäden zusammen und ich sorge dafür, dass alles läuft.“

In welcher Entwicklungsphase befindet ihr euch mit eurem Produkt?

Unser erster Prototyp ist schon eine ganze Weile fertig und läuft im Labor einwandfrei. Gerade haben wir unsere neuen Kühlschrankkörper bekommen, auf die haben wir sehr lange gewartet. Jetzt bauen wir unsere neuen Prototypen dort ein. Der erste Prototyp war noch ein kleiner Minibar-Kühlschrank. Die neuen sind schon richtig große Geräte, die 180 Liter fassen können. Die Hauptaufgabe in der Produktion gerade ist also diese Prototypen betriebsbereit zu machen und in Testprojekten laufen zu lassen. Unsere zwei großen Baustellen momentan lauten also: Finanzierung und Testprojekte.

Coolar ist ein Social Startup. Wem genau kann euer Produkt helfen?

Wir konzentrieren uns gerade sehr auf Regionen ohne Stromzugang. In diesen Gebieten ist die Kühlung von Medikamenten und Impfstoffen bislang sehr schwierig. Alle Konzepte die es bislang dazu gibt, sind viel zu unsicher. Das führt dazu, dass immer noch bis zu 75 Prozent der Impfstoffe durch unzureichende Kühlung  in diesen Gebieten ihre Wirkung verlieren. Da setzen wir
an: Wir haben ein unabhängiges Produkt entwickelt, das mit einem Solarthermie-System und einem Wassertank funktioniert und so Sonnenenergie in nutzbare thermische Energie verwandelt. Das System ist sehr robust und verlässlich, weil die Einzelteile nicht regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Es gibt zum Beispiel keine Batterie, die regelmäßig gewechselt werden muss. Bei uns läuft alles mit Warmwasser, das sich sehr leicht speichern lässt. Damit
können wir, unseres Erachtens nach, die beste Alternative zu den bereits
bestehenden Lösungen bieten, um Medikamente und Impfstoffe, in den Regionen, wo sie oft am dringendsten gebraucht werden, sicher zu kühlen. Unser System kann in 
stromlosen Gebieten buchstäblich Leben retten.
Aber wir wollen natürlich auch weitergehen in Richtung Lebensmittel: Farmen in entlegenen Regionen, die eigene Tiere halten, aber nicht in der Lage sind ihr erwirtschaftetes  Fleisch oder Milchprodukte zu kühlen. Diese Farmen haben oft große Verluste. Das gleiche gilt für Obstbauern. Da geht auch viel Ernte dadurch verloren, dass sie nicht richtig gekühlt werden kann. Und das in Regionen, die sowieso schon Versorgungsschwierigkeiten haben.“

Klingt nach einem super Konzept. Aber ist das nicht viel zu teuer für solche Regionen? 

Es stimmt, dass die aktuell bereits existierenden Systeme sehr teuer sind. Unser Produkt wird aber deutlich billiger sein, als alles was bis jetzt auf dem Markt ist. Heutige vergleichbare Systeme für den Impfstoffmarkt kosten durchschnittlich 4000 Euro. Mit Coolar könne wir selbst bei Stückzahl eins schon unter diesem Preis liegen. Und je höher wir in der Stückzahl gehen, desto günstiger können wir dann noch werden. Damit könnten wir in diesen Regionen wirklich etwas bewirken.“

Wo könnte der stromlose Kühlschrank noch gebraucht werden?

Irgendwann hoffentlich in jedem Haushalt. Dort steht, über Solarthermie, Kraft-Wärme-Kopplung oder Fernwärme so viel Energie zur Verfügung, die noch ungenutzt ist und die eingesetzt werden könnte, um klimafreundlich zu kühlen, ohne Extrastrom zu verbrauchen.“

Frauen sind in deiner Branche ja leider noch sehr selten. Hattest du Probleme, ernst genommen zu werden?

Bei Coolar selbst auf keinen Fall. Coolar habe ich ja selbst gegründet und ich arbeite grundsätzlich nur mit Menschen im Team, für die sich die Geschlechterfrage nicht stellt. Aber auf Veranstaltungen zum Beispiel ist es oft sehr auffällig, dass man eigentlich fast nur auf Männer trifft, vor allem im Energiesektor. Obwohl diese Männerdominanz ja nichts Neues für mich ist. Das kenne ich schon aus dem Ingenieurstudium, bei dem der Frauenanteil bei gerade einmal 20 Prozent lag.

Aber im Startup-Geschäft ist es noch eine Spur auffälliger geworden. Da merkt man dann, dass wir ein technisches Startup sind. Als wir noch im Social Impact Lab untergebracht waren, hatten wir viel mit sozialen Startups zu tun und da gibt es viele tolle, starke Frauen, die ihre Projekte machen. Aber wenn es in Richtung Cleantech- und Energiebereich geht, da sind es plötzlich sehr, sehr
wenige Frauen.“

Warum, glaubst du, gibt es so wenige Frauen im klimatechnischen Sektor?

Darauf wurde ich oft angesprochen und gefragt, woran das liege und wie man das ändern könnte. Das ist aber aus meiner Perspektive schwer zu beantworten, weil ich selber ja da bin. Für mich war es nie ein Thema, dass ich irgendetwas nicht tun können sollte, weil ich eine Frau bin. Meine Eltern sind beide Ingenieure. Und ich habe mich einfach schon immer für technische Mathematik und Chemie interessiert. Deswegen war es weder in der Schule noch
im Studium ein Thema für mich. Aber jetzt, wo ich hier angekommen bin, wird
immer präsenter, dass kaum eine Frau um mich herum ist. Das macht mich schon traurig. Ich würde mich gerne mit anderen Frauen austauschen können über bestimmte Problematiken, die sich für Frauen in dieser Branche ergeben. Mehr Frauen würden dieser Branche definitiv gut tun.“


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