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Anka Wittenberg: „Niemandem ,danke‘ und ,bitte‘ sagen zu müssen: Das ist mir als Frau im Jahr 2018 extrem wichtig“

Anka Wittenberg war bei der SAP für „Diversity and Inclusion“ zuständig, macht jetzt gerade ein Social Sabbatical und wurde 2018 unter unsere „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“, gewählt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie Diversität wirklich funktioniert und warum Frauen endlich ihr schlechtes Gewissen in Bezug auf Karriere und Kinder überwinden sollten.

Wie funktioniert Vielfalt in einem Großkonzern?

Kurz vor unserem Gespräch ist Anka Wittenberg in Stockholm gewesen – wo sie zwei Dinge miteinander verbinden konnte: Zum einen ist Stockholm der Hauptsitz der Childhood Foundation, deren deutscher Stiftung sie seit fünf Jahren vorsteht – zum anderen lebt ihr Sohn in Stockholm, der gerade sein erstes Baby bekommen hat. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie Diversität und Inklusion wirklich funktionieren, warum Unternehmen endlich umdenken müssen – und warum es Kindern nicht schadet, wenn das Abendessen mal vom Imbiss kommt.

Sie sind gerade nicht bei SAP und machen ein längeres Social Sabbatical – erzählen Sie bitte, was Sie gerade machen.

„Ich bin schon seit fünf Jahren Vorstandsvorsitzende einer Stiftung, nämlich der Childhood Foundation. Ich leite hier die Stiftung in Deutschland, und berichte direkt an die Königin von Schweden. Bei der Stiftung geht es darum, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, oder, wenn sie sexuell missbraucht wurden, sie zu unterstützen, um ihnen später ein normales Leben zu ermöglichen. Wir haben 2018 das erste Childhood-Haus in Leipzig eröffnet. Wenn Kinder in Deutschland sexuell missbraucht wurden, müssen sie bis zu acht-, neunmal befragt werden, und werden dadurch möglicherweise immer wieder retraumatisiert. Wir haben entsprechend eines Vorbildes in Island zusammen mit der Universitätsklinik Leipzig dieses Haus eröffnet, wo die Kinder kindgerecht befragt werden können, hinter einer Glaswand sitzen gesammelt Anwält*innen, Richter*innen, Verteidiger*innen, so dass das Kind nicht mehr so oft befragt werden muss. Ich mache das seit fünf Jahren ehrenamtlich, und weil wir leider zu viel in dem Bereich zu tun haben, habe ich mich von SAP freistellen lassen.“

Sie wurden im vergangenen Jahr von uns ausgezeichnet als eine von „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“. Wenn Sie mal ganz unbescheiden an Ihre Arbeit bei SAP zurückdenken, was ist daran womöglich revolutionär?

„Zunächst: Ich bin Ökonomin, ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert, also die Kombination aus Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre. Mein Fokus lag immer auf mehr Nachhaltigkeit. Wir sehen im Moment absolut exponentielle Veränderungsprozesse durch die digitale Transformation. Täglich ändert sich die Art und Weise, wie wir einkaufen, wie wir kommunizieren, wie wir unsere Bankgeschäfte erledigen und so weiter. Und es gibt Studien, die zu dem Ergebnis kommen: Firmen oder Teams, die vielfältig und inklusiv sind, die alle neuen Gedanken integrieren, sind sechsmal mehr in der Lage, mit diesen Veränderungsprozessen umzugehen. Und das ist etwas, das mich als Ökonomin natürlich wahnsinnig interessiert. Und darum habe ich die vergangenen fünf Jahre bei SAP damit verbracht, das Thema ,Diversity and Inclusion‘ voranzubringen. Es gibt keine gute deutsche Übersetzung dafür, wir sagen im Deutschen zwar ,Vielfalt‘, aber wenn wir von Inklusion reden, beinhaltet das Menschen mit Behinderung, im englischen Sprachgebrauch ist das sehr viel weiter gefasst, steht der Begriff ,Inclusion‘ dafür, dass einfach alle unterschiedlichen Minderheiten berücksichtigt werden.“

Was genau haben Sie bei SAP angestoßen?

„Bei SAP war ich dafür zuständig, für 95.000 Menschen in 130 Ländern das Thema ,Diversity and Inclusion‘ nach vorne zu bringen. Das heißt zum einen: viel mehr Frauen in Entscheidungsrollen zu bringen, aber auch: Wir haben fünf unterschiedliche Generationen, die im Augenblick bei SAP zusammenarbeiten – wie schaffen wir es, die alle zusammenzubringen? Außerdem kümmere ich mich um den gesamten Bereich LGBT, und auch um ethnische Minderheiten und geflüchtete Menschen. Wir haben zum Beispiel große Projekte für Geflüchtete bei SAP gestartet. Und es geht darum, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsalltag zu integrieren. Hier haben wir zum Beispiel ein spezielles Programm für Autist*innen gebaut. Autist*innen haben so besondere Fähigkeiten, so dass wir sie gerade deshalb gerne bei SAP beschäftigen wollen. Und ich glaube, genau dieses Gedankengut ist ein enormer Vorteil, nämlich zu sagen: Wir fokussieren uns auf die Stärken des*der Einzelnen, und nicht, wie wir das früher oft gemacht haben und gerade in Deutschland gern machen, auf das, was nicht so gut läuft; man sieht einfach, dass wir innerhalb der vergangenen fünf Jahre riesige Fortschritte bei SAP gemacht haben. Dieses Gedankengut in einer Firma mit 95.000 Menschen zu verankern und das als ,best practise‘ zu etablieren, ich glaube das ist der Grund, warum ich unter die 25 Frauen gewählt wurde und wir viele weitere Awards bekommen haben, worauf ich auch sehr stolz bin. Ich zeige einfach, dass wir einen Wettbewerbsvorteil haben, dass wir nachhaltiger als Unternehmen und in der Wirtschaft insgesamt erfolgreicher sind, wenn wir Minderheiten integrieren und vielfältiger werden.“

Leider ist es ja so, dass Diversity in Deutschland bei weitem noch nicht so verbreitet ist, wie man sich das wünschen würde. Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass das Thema für viele Unternehmen entweder eine Art Aushängeschild oder lästige Pflicht ist, oder komplett ignoriert wird, und viele gar nicht verstehen, dass sie sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen würden?

„Ich glaube, weil wir es eben immer noch von der falschen Seite angehen: Wir diskutieren zu wenig über den Business Case dahinter. Dabei ist das Wichtigste, als Ökonom*in zu sehen: Wie sind die Auswirkungen von ,Diversity and Inclusion‘? Und das machen wir nicht oft genug. Wir diskutieren hier zu viel über Inklusionsklassen und und und, und bringen Menschen mit Behinderung eher in eine Opferrolle, anstatt zu sagen: Wir haben alle etwas davon, wenn wir das gemeinsam nach vorne treiben.“

Sie haben sich gerade auf Menschen mit Behinderung bezogen – würden Sie Ihre Kritik auch auf andere Gruppen anwenden?

„Ich glaube, das ist zu vielfältig, da gibt es nicht eine Antwort für alle Fälle. Wenn ich die unterschiedlichen Bereiche durchgehe, dann ist es so: Bei Frauen haben wir immer noch ein sehr traditionelles Familienbild, was sich ja allein durch das Ehegattensplitting widerspiegelt; wir haben in Deutschland einfach keine sauberen Prozesse, um zu sehen, wo wir vielleicht gewissen ,unconscious bias‘ haben. Und ich sehe gerade in Deutschland, dass uns Rollenmodelle fehlen. Wir haben wenig Beispiele von Frauen, die Kinder haben und Karriere gemacht haben; ich habe zum Beispiel drei Kinder, die sind mittlerweile alle aus dem Haus, weil ich sie während des Studiums bekommen habe, und leben ihre eigenen Leben. Es ist wunderbar machbar, aber hier fehlen uns oft noch die Vorbilder. Und es geht hier auch um Prozesse der Entscheidungsfindung, da müssen wir immer prüfen: Ist da vielleicht doch irgendwo ein Vorurteil drin? Ein Beispiel: Wenn Stellenanzeigen geschrieben werden, werden dafür oft Wörter benutzt wie ,durchsetzungsfähig‘, oder man sucht jemanden, der*die eine aggressive Verkaufsstrategie verfolgt, oder ähnliches. Das sind aber alles Wörter, die Frauen davon abhalten, sich überhaupt zu bewerben; das heißt, schon durch die Art und Weise, wie wir Stellen ausschreiben, bedienen wir Vorurteile , und durch diese Wortwahl schließen wir oft schon Frauen aus, einfach weil der Job nicht mehr attraktiv für sie klingt.“

„Kinder und Vollzeit arbeiten? Ich hatte überhaupt keine Wahlmöglichkeit, ob ich das nun schön finde oder mir das ,antue‘, ich musste einfach die Knete verdienen“

Sie sagten gerade in Bezug auf Karriere und Kinder und ihr eigenes Beispiel, es sei „wunderbar machbar“. Die Erfahrung zeigt aber nunmal leider, dass viele Frauen das nicht so sehen, Angst haben, beidem nicht gerecht zu werden, Opfer bringen zu müssen, im Gegensatz zu Männern ein größeres Problem damit haben, ihre Kinder kaum zu sehen, und am Ende sagen: Das tu ich mir nicht an. Können Sie nachvollziehen, dass es für „normale“ Frauen manchmal etwas fern oder abstrakt wirkt, wenn Frauen, die es geschafft haben, sagen, ist doch alles kein Problem? Im Alltag von weniger privilegierten Frauen gibt es womöglich doch jede Menge Hürden?

„Da sind Sie bei mir eher an der falschen Adresse: Ich bin auch noch alleinerziehend gewesen – als die jüngste Tochter vier war, ist der Vater der Kinder allein nach Amerika zurückgegangen und hat nie einen Pfennig Unterhalt gezahlt. Dadurch hatte ich überhaupt keine Wahlmöglichkeit, ob ich das nun schön finde oder mir das ,antue‘, ich musste einfach die Knete verdienen. Und ich glaube, ich habe damals auch sehr rigoros darauf geachtet: Was ist eigentlich meine Aufgabe und was ist zum Beispiel Aufgabe der Schule? Natürlich muss das Elternhaus eng mit der Schule zusammenarbeiten, aber ich habe bestimmt nicht vor Weihnachten Kekse gebacken, das habe ich nicht als meine Aufgabe gesehen. Und ich hab das auch von meinen Kindern gehört: ,Mama, du bist die einzige, die nicht mit Kekse backt vor Weihnachten‘; ich bin auch nicht zu allen Theatervorführungen hingekommen, was mir auch manchmal wehgetan hat; auf der anderen Seite muss ich sagen: Ich würde es immer wieder genauso machen; wir müssen mal damit aufhören, diesen wahnsinnigen Anspruch an uns selbst zu stellen, dass alles perfekt sein muss. Es ist nicht alles perfekt, die Welt ist nicht perfekt, das Leben ist nicht perfekt!

Aber jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, habe ich tolle Aufgaben, und ich kann nur sagen, dass ich mit meinen Kindern ein unglaublich schönes Verhältnis habe. Obwohl ich ihnen nie das Sportzeug hinterher geschleppt habe, auf die Idee bin ich überhaupt nicht gekommen. Dann saßen sie eben einmal auf der Bank, und entweder haben sie beim nächsten Mal dran gedacht oder sie haben das zweite Mal auf der Bank gesessen. Ich habe ihnen auch nie ein Schulbrot hinterher geschleppt. Aber die Konsequenz und die klaren Regeln, die man so in das Familienleben hineinbringt, haben uns allen geholfen. Und ich kann nur sagen: Alle drei Kinder leben in ganz stabilen Beziehungen, haben einen Master-Abschluss gemacht, es sieht nicht so aus, als hätten sie wahnsinnig darunter gelitten.“

Das heißt, dieses Gefühl, etwas im Leben der eigenen Kinder zu verpassen, gerade in den Jahren, wenn sie klein sind, kennen Sie nicht?

„Natürlich hätte ich mir manchmal gewünscht, das eine oder andere Mal früher da zu sein, aber ich habe schon geguckt, dass ich bei den wichtigen Terminen da war. Wenn Kindergeburtstag war, wenn die Zeugnisse am Sommeranfang verteilt wurden, da hatten wir immer unsere Rituale. Am Zeugnistag sind wir immer ins chinesische Restaurant zum Mittagessen gegangen, weil meine Kinder das so toll fanden, und haben die Zeugnisse in Ruhe angeguckt. Und ich habe dann eben jahrelang kein Fernsehen geguckt, das stimmt, ich war auch jahrelang nicht im Kino, das hat mich aber nun auch nicht wahnsinnig gestört, mal ganz ehrlich, das echte Leben ist besser als jeder Kinofilm.“

Wenn wir das auf eine gesellschaftliche Ebene heben wollen, interpretiere ich das richtig, dass Sie die Ansicht vertreten: Entweder machen sich Frauen den Druck selbst oder bekommen ihn von außen, so dass Frauen das schlechte Gewissen im Weg steht?

„Ja. Wenn ich nach Frankreich oder in andere Länder schaue: Dort arbeiten überall beide Elternteile. In Deutschland sind wir im Bereich Erwerbstätigkeit von Frauen auf einem Niveau mit Indien. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das finde ich hart.“

„Wenn beide Eltern etwa 75 oder 80 Prozent arbeiten, dann ist das eine sehr viel bessere Lösung, als wenn der Mann hundert Prozent arbeitet und die Frau vielleicht noch eine kleine Teilzeit auf 450 Euro-Basis beisteuert“

Ich persönlich fände es eher gut, wenn Männer und Frauen weniger arbeiten könnten. Es gibt ja mittlerweile genug Texte und Studien, die zeigen, dass in Frankreich keineswegs alles super läuft und sich auch dort die Frauen nicht wohl fühlen, dass sie sich entfremdet von ihren Kindern fühlen und darunter leiden, wenn sie ihr Baby wenige Wochen alt den ganzen Tag in die Krippe geben.

„Das finde ich auch überhaupt nicht schön. Das habe ich bei meinen Kindern auch nicht gemacht , die habe ich zu Hause betreut, bis sie drei Jahre alt waren. Das haben wir hingekriegt, indem ich teilweise zu Hause gearbeitet habe, teilweise mit Aupairs und so weiter. Mein Sohn, der in Stockholm lebt, hat vor acht Wochen sein erstes Kind bekommen, und seine Frau und er teilen sich sämtliche Aufgaben gemeinsam und 50:50 auf, und ich glaube, wenn wir nach einem Best-Practice-Beispiel im Bereich Aufteilung suchen, dann sollten wir eindeutig zu den skandinavischen Ländern blicken: Der Bereich Betreuung ist dort geklärt, es gibt für jedes Kind einen Kita-Platz, und die Eltern wissen auch beide ganz genau, dass es dort völlig normal ist, sich alle Aufgaben zu teilen. Ich war vor kurzem dort, und mein Sohn legt auch die Wäsche zusammen, kocht für die Familie, weiß sehr genau, wie eine Waschmaschine funktioniert. Ich denke, von den skandinavischen Ländern können wir eindeutig lernen, dass das funktioniert.

Und wenn am Ende beide etwa 75 oder 80 Prozent arbeiten, dann ist das, meine ich, eine sehr viel bessere Lösung, als wenn der Mann hundert Prozent arbeitet und die Frau vielleicht noch eine kleine Teilzeit auf 450 Euro-Basis besteuert. Das ist insgesamt auch bezüglich der finanziellen Unabhängigkeit viel, viel besser, gerade für die Frauen. Mir war es immer extrem wichtig, unabhängig zu sein, und es hat mir auch eine Freiheit gegeben. Vielleicht musste ich im Job immer ganz schnell nach Hause eilen, wenn ich fertig war, weil da drei Kinder auf mich gewartet haben, aber insgesamt hab ich doch eine unglaubliche Freiheit für mich gehabt. Und diese Freiheit möchte ich keinen einzigen Tag missen. Keinem danke und bitte sagen zu müssen, das ist mir als Frau im Jahr 2018 extrem wichtig.“

Sie haben Ihre drei Kinder im Studium bekommen. In einem Interview mit Ihnen las ich, dass es für Sie eine prägende Erfahrung war, dass Sie nach dem Studium in Deutschland keinen Job bekommen haben, das führten Sie damals auf die drei kleinen Kinder zurück. Soll man Ihrer Meinung nach Kinder im Lebenslauf besser nicht erwähnen?

„Es kommt auf den Job an. Ich habe natürlich eins gelernt: Frauen, die Kinder haben und arbeiten, sind relativ stresserprobt, und wissen sehr schnell Prioritäten zu setzen. Das kann aber bei Frauen, die keine Kinder haben, genau so gut sein, also würde ich das nicht unbedingt differenzieren. Ich glaube, hier muss jede*r für sich entscheiden, wie er*sie damit umgeht, da würde ich nicht sagen: Ja, die Kinder gehören in den Lebenslauf, oder kategorisch: nein. Es kommt einfach auf die Firma an, auf die Kultur, aber auch auf die Persönlichkeit des*der einzelnen, und für mich ist es so: Ich war immer unglaublich happy und stolz darauf, drei Kinder zu haben, und ich bin auch in Meetings aufgestanden und hab gesagt ,also, wir vergeuden gerade unsere Zeit, ich habe zu Hause drei Kinder sitzen, dann gehe ich lieber nach Hause‘.

Wenn die Meetings nicht strukturiert waren oder anderweitig nicht sinnvoll, wenn wir nicht genau wussten, was wir erreichen wollten im Team, dann bin ich viel kompromissloser geworden. Wenn man von der Ressource Zeit zu wenig hat, dann geht man damit vorsichtiger um, und kommuniziert das auch viel klarer. Mir hat das im Job geholfen, klar und präzise zu sein und auch meine Erwartungshaltung sehr viel präziser auszudrücken. Und ich kann nur eins sagen: Natürlich hilft es extrem, wenn man in der Karriereleiter so positioniert ist, dass man seinen Terminkalender zu einem gewissen Teil selbst kontrollieren kann und da gewisse Freiheiten hat.“

Wenn man noch nicht in der Position ist, traut man sich aber leider wahrscheinlich eher nicht, Meetings früher mit Verweis auf wartende Kinder zu verlassen…würden Sie auch einen selbstbewussten Umgang mit dem Thema empfehlen, wenn man hierarchisch nicht besonders weit oben steht?

„Ja. Es kommt darauf an, dass wir liefern, dass die Leute um uns herum uns vertrauen können, dass wir uns einsetzen, und dass wir Vereinbarungen einhalten, aber wenn wir das erfüllen, dann können wir selbstbewusst sein und durchaus einfordern und sagen: ,Ob ich in diesem Meeting dabei bin oder nicht, das macht wirklich keinen Unterschied‘. Wir sollten also sehr viel konsequenter hinterfragen, was wirklich nötig ist. Und ganz ehrlich, die Kinder haben mir das beigebracht. Mir blieb ja nichts anderes übrig, und ich glaube, oft haben wir zu viele Wahlmöglichkeiten. Wenn ich aber klargemacht habt: Ich muss jetzt in der Früh los, sonst können wir morgen keine Brötchen kaufen, dann haben die Kinder das mächtig gut verstanden, und haben auch nicht ihre Spielchen gemacht; Kinder sind hochintelligent, die wissen ganz genau, wann sie auf den Knopf drücken müssen (lacht), die wissen auch genau, wann die Tränen rauskommen müssen, nämlich genau dann, wenn Mami eigentlich losmuss, und die Kinder eigentlich noch keine Lust haben. Da das bei uns überhaupt nicht zur Diskussion stand, weil ich keine Wahlmöglichkeiten hatte, bin ich den Kindern gegenüber konsequenter aufgetreten. Kinder merken das.“

Sie erwähnten schon: Viel Engagement im Bereich Diversity führt zu mehr Erfolg. Sie erwähnten in einem früheren Interview, dass zum Beispiel die Steigerung der Mitarbeiter*innenzufriedenheit den Profit einer Firma um Millionenbeträge erhöhen könne. Wie lässt sich das in Zusammenhang bringen?

„Wir haben 2014 eine empirische Studie gemacht zur Mitarbeiter*innenzufriedenheit, das Ergebnis war: Wenn die Mitarbeiter*innenzufriedenheit hoch ist, ist der Krankenstand niedriger, und die Mitarbeiter*innen sind vor allem sehr viel produktiver; was ich auch extrem interessant finde: Die Innovationsfähigkeit eines diversen Teams ist sehr viel höher. Und die Innovation, die wir bringen, ist viel nachhaltiger. Ich gebe ihnen ein ganz anderes Beispiel aus Silicon Valley: Eine Firma dort hatte vor Jahren relativ schnell ein Produkt entwickelt, mit dem man Videos per Handy aufnehmen und über Nacht hochladen konnte. Die Entwickler*innen gingen abends zufrieden nach Hause, und als sie am nächsten Tag wiederkamen und sich anschauten, welche Videos hochgeladen wurden, stellten sie fest, dass 15 Prozent der hochgeladenen Handyvideos auf dem Kopf standen. Haben Sie eine Ahnung, woran das lag?

Sagen Sie es mir.

„Weil diese Filme von Linkshänder*innen hochgeladen worden waren. Das Beispiel bringe ich einfach immer wieder gern, weil es so schön unpolitisch ist: Ein gewisser Prozentsatz der Menschheit ist nun mal Linkshänder*in. Und die Entwickler*innen haben einfach nicht die Bedürfnisse oder die Art und Weise, wie Linkshänder*innen ein Mobiltelefon halten, berücksichtigt. Und damit haben sie in der Entwicklung einen gewissen Teil der Nutzer*innen von Handys diskriminiert oder einfach nicht berücksichtigt. Wenn man aber schon vorher in der Entwicklung eines Produktes die Bedürfnisse aller Gruppen berücksichtigt, weil man divers aufgestellt ist, dann spart man sich erhebliche Kosten. Das ist zum Beispiel ein klarer Business Case.“

Zum Abschluss: Ihr Ratschlag an jungen Frauen, die jetzt ihre Ausbildung beenden?

„Such dir gute, gemischte Netzwerke außerhalb von Universitäten und vom Job; Such dir eine*n Sponsor*in, weiblich oder männlich, egal. Es geht weiterhin darum, zu gucken: Was ist interessant, zu welchen Veranstaltungen sollte ich, wo wird mir eine Tür geöffnet? Und da sind Sponsor*innen immer bereit, jungen Frauen unter die Arme zu greifen. Das ist sehr wertvoll.“

Vielen Dank für das Gespräch!

„Danke auch. Das hat Spaß gemacht, das ist übrigens auch noch eine wichtige Sache: ein bisschen Spaß an den Dingen zu haben. Es nicht so hart und so eng zu sehen, wenn es abends mit den Kindern mal ein halbes Hähnchen vom Imbiss gibt; das hab ich früher natürlich auch manchmal gemacht, und dann gab es halt Reis mit Mais dazu, und das hat auch allen gut geschmeckt.“

Sogar besser als vieles andere, nehme ich stark an.

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