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IQ statt Zentimeter: Über die Emanzipation von Messe-Hostessen

Als Messe-Hostess zu arbeiten, heißt in erster Linie eins: kurze Röcke, lange Arbeitszeiten, gutes Aussehen, kein Fachwissen. Die Liste der Klischees über typische Jobs, die besonders in der Eventbranche gemeinhin Frauen übernehmen, ist lang.

 

Der Bunny-Faktor

Ein Blick auf die Berichterstattung zur Internationalen
Automobil-Ausstellung (IAA), einer der letzten besonders „männlichen“ Branchen,
lässt zuweilen daran zweifeln, was Frauen (und auch Männer!) in den vergangenen
Jahrzehnten an Gleichberechtigung errungen haben: Mit beeindruckender Ausdauer wird
zur IAA, die alle zwei Jahre in Frankfurt stattfindet, von den „
schönsten Fahrgestellen“ berichtet, so betitelte
beispielsweise das Herrenmagazin GQ seine IAA-Fotostrecke. Autos stehen dabei eher
weniger im Vordergrund.

Doch auch weniger vorhersehbare Branchen setzen noch
immer auf den Bunny-Faktor: Selbst bei Lebensmittelmessen werden Hostessen als
fesche Früchtchen verpackt, die – wenn nicht den Appetit – zumindest die
Aufmerksamkeit der Besucher anregen sollen. Diese Art der Darstellung trägt
nachhaltig dazu bei, dass sich die Vorurteile gegenüber Hostessen-Jobs in der
Öffentlichkeit hartnäckig halten – obwohl sich in der Messe-Branche selbst eine
ganz andere Entwicklung abzeichnet. Eine Entwicklung, die dem Bild junger
arbeitender Frauen mittlerweile eher gerecht wird.

Die Trendwende vor und hinter dem
Messestand

Zeitgleich zum anachronistischen
Herrenclub der Autofreunde wird die kritische Reflexion des Phänomens
Messe-Hostess in den Medien zum Ausdruck eines neuen Diskurses: Neben dem
schonungslosen CEBIT-Erfahrungsbericht „
Wir waren alle blond
und der nachdenklich bis empörten Spurensuche
IAA Frankfurt: Hüftknick und klick“, werden auch differenziertere Stimmen laut. Von einer Trendwende
zu „
mehr Kopffreiheit
berichtet Spiegel Online vom Genfer Autosalon, die zumindest bei einigen
Ausstellern auch auf der diesjährigen IAA Frankfurt zu finden war. In der
Branche spreche man inzwischen von „
Product Explainers“,
die zunehmend auch von männlichen Dienstleistern verkörpert werden und
familienfreundlichere Dienstkleidung tragen.  

Aber welche Version der
Geschichte hört man auf der anderen Seite des Messestandes, bei den Hostessen
selbst? Auch ich erlebe in meinem Agentur-Alltag, wie alte Vorurteile aufbrechen, wenn neue Ansichten ihren
Platz verlangen. Als Gründerin und Managerin einer Hostess- und Eventpersonalagentur
 sehe ich täglich beide Seiten des Geschäfts: die
Ansprüche, die Unternehmen an unsere Dienstleister stellen, aber auch die
Erwartungen der Bewerberinnen und Bewerber selbst verändern sich. Alle unsere
Hosts und Hostessen sind aktiv Studierende, die mit der Motivation zu uns
finden, mehr als einer monotonen Tätigkeit nachzugehen. Natürlich ist es vor
allem die terminliche Flexibilität, die von ihnen an Messejobs geschätzt wird.
Nicht jeder hat im Semester Zeit für eine regelmäßige Nebenbeschäftigung und
entscheidet sich daher für konzentrierte Aufträge über einen überschaubaren Zeitraum
während der Semesterferien.

Meine Team-Kollegen und ich beobachten aber auch,
dass die studentischen Bewerberinnen einen neuen Pragmatismus und ein neues Selbstbewusstsein
mitbringen: Aus ihrem straff organisierten Studium sind sie es gewohnt, effizient
und ergebnisorientiert zu arbeiten – immer häufiger mit einem klaren Fokus auf
die berufliche Laufbahn nach dem Studium. Viele von ihnen streben an, so viel
wie möglich aus ihrer relativ kurzen Studienzeit mitzunehmen, um sich innerhalb
der Regelstudienzeit zur vollen Berufsreife zu entfalten. Die künftigen
Akademikerinnen sind sich dabei inzwischen bestens bewusst, dass nicht nur
Praktika in namhaften Unternehmen bei der späteren Bewerbung um den Traumjob
zählen. Sie sehen notwendige Jobs zur Bezahlung des Lebensunterhalts als
willkommene Gelegenheit, gleichzeitig berufliche Erfahrungen zu sammeln, sich
auszuprobieren und vor allem die viel verlangten Soft Skills zu trainieren und
zu belegen – für soziale Kompetenzen vergeben Universitäten nämlich keine
Credit Points – leider!

Inhalt und Fokus trotz Nicken und
Lächeln

Vor
diesem Hintergrund erleben wir etwa Studentinnen, die Fremdsprachen studieren und die gezielt
nach solchen Nebenjobs suchen, die ihrem angestrebten beruflichen Profil
entsprechen. Sie sehen darin oft eine fachliche Ergänzung, die weit über den
eigentlichen Kern ihrer Studieninhalte hinausgeht. Als Fremdsprachen-Hostessen müssen
sie mehr als nur die Landessprache internationaler Kunden beherrschen – auch
inhaltlich müssen sie überzeugen. Auf Messen und Events reicht es heute vielen
Ausstellern nicht mehr, wenn ansehnliche Hostessen nette Giveaways verteilen
und die Produkte mit ihrer reinen Ausstrahlung zieren. Unsere Auftraggeber
legen zunehmend Wert auf ein umfassendes Briefing und vorhandenes beziehungsweise angeeignetes Grundwissen – Hosts und Hostessen repräsentieren schließlich das
Unternehmen gegenüber dem Messepublikum. Weil dazu nicht nur private Besucher
zählen, sondern auch Fachpublikum, müssen die gebuchten Dienstleister hohen Ansprüchen
gerecht werden. Auch hier geht der Trend eindeutig zum Content, der mit
Qualität überzeugt. Davon profitiert im selben Moment das dadurch gut geschulte
Messe-Personal: Ein Geben und Nehmen: Einarbeitungsmotivation gegen fachliches
Blitzcoaching. Nicht selten bekommen wir mittlerweile sogar mehrseitige
Dossiers, in die sich unsere Hostessen vor der Veranstaltung einarbeiten. Viele
unserer Hostessen suchen sich zudem gezielt Veranstaltungen aus, um Einsicht in
Innovationen, Trends und branchenrelevante Insights für ihre eigenen Zwecke zu erlangen.
So ergänzen BWL-Studentinnen ihr theoretisches Marketingwissen live und vor Ort
mit praktischen Erfahrungen der Event-Organisation und –Planung. Sie haben außerdem
erkannt, dass Messen und Branchenevents eine wunderbare Gelegenheit zur
Eigenpromotion sind, schließlich stehen sie mitunter im direkten Gespräch mit
Unternehmer-Größen, die sich sonst nur in Fachkreisen aufhalten. Mit der
richtigen Mischung aus
wachen Augen, offenen Ohren, einer
Portion Mut und dem richtigen Timing können sie hier
unter Umständen den vielzitierten Fuß in die Tür der Unternehmen bekommen.

Tatsächlich
kommt es immer wieder vor, dass besonders überzeugende Hostessen ein Praktikums-
oder sogar Einstiegsangebot vom jeweiligen Auftraggeber erhalten – natürlich
eine wunderbare Anerkennung ihrer Leistung. Wiederum spricht es für ein
vertrauensvolles Verhältnis und motivierende Erfahrungen als Agentur, wenn
unsere Hostessen die andere Seite des Geschäfts kennenlernen wollen und bei uns
als Praktikantin oder Werkstudentin arbeiten möchten. Für uns bringen sie
natürlich einen wertvollen Erfahrungshorizont beider Seiten mit, dank dem sie
zur Optimierung von Abläufen und Absprachen beitragen können.

Entwicklung
vom Messe-Bunny zum Product Explainer
 

Im
Austausch mit unseren Auftraggebern beobachten wir, dass sich die Gestaltung
von Events eher in Richtung Lifestyle und Gamification entwickelt. In jenem
Maße, wie sich die Zielgruppen von Event-Marketing diversifizieren (mehr
Familien, Singles und jugendliche Erwachsene), so werden auch neue Botschaften
in neuartiger Form an die Adressaten transportiert. Messebesucher wollen
heute ganzheitlich angesprochen und nicht nur durch Oberfläche angelockt
werden. Dementsprechend werden auch die Outfits und das Auftreten des
Service-Personals den neuen Bedürfnissen angepasst. Bei der Akquise unserer
Kunden legen wir großen Wert auf deren Integrität, wir wollen unseren Hostessen
schließlich garantieren, dass sie Respekt und Wertschätzung für ihre Arbeit
erfahren und auf Augenhöhe gesehen werden. Wiederum haben wir bei unseren
Dienstleister-Castings genaue Vorstellungen über deren Kompetenzen und
Erwartungen
. Wir stellen niemanden ein, dessen einzige Motivation für den Job
die Bezahlung ist. Damit die Aufgaben zur Zufriedenheit des Kunden erfüllt
werden, müssen die Hosts und Hostessen den Job auch wirklich machen wollen, also
die richtige Portion Leidenschaft mitbringen. Als Agentur stellen wir daher
sicher, dass sie fair behandelt und auch bezahlt werden. Auch wenn
eine gepflegte Erscheinung und sympathisches Auftreten die Grundlagen für eine
Einstellung – nicht nur als Messe-Hostess – sind, mit dem Trend zu mehr Qualität
statt nur Optik wird die alte Vorstellung der Messe-Hostess zum Auslaufmodell
zugunsten einer kompetenten Ansprechpartnerin auf Augenhöhe. Mag es immer noch
Events geben, auf denen knapp bekleidete Damen üppig ausgestattete Fahrzeuge
bewerben – mit jedem Messejahr werden die Röcke merklich länger und die
Beratungskompetenz der Dienstleisterinnen höher.


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