Foto: flickr I Francisco Carbajal I CC BY-ND 2.0

Darf ich meinem Kind von meinen eigenen Schulhof-Schlägereien berichten?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Was soll ich von früher erzählen?

Ich war vor langer Zeit doch auch mal jung!

In schlauen Ratgebern, die mir teils freiwillig, teils eher zufällig in die Hände fallen, habe ich schon sehr oft den Tipp gelesen, man solle seinen Kindern so oft wie möglich aus der eigenen Kindheit erzählen. Kinder würden das ganz toll finden, von wegen „Mama und Papa waren auch mal klein und sind auch nur Menschen“, und dadurch in Empathie geschult. Und man selbst sei so auch besser in der Lage, vermeintliches Fehlverhalten als das zu sehen, was es ist: Nämlich das Verhalten von Kindern und nicht von kleinen Erwachsenen. Mir fällt das zugegebenermaßen oft schwer. Ich bin eben eher so der rationale Typ.

Bei manchen Kindheitserinnerungen bin ich unsicher, wie pädagogisch wert- oder zumindest sinnvoll es ist, sie an meine Kinder weiterzugeben, aber allein an sie zu denken, hat mir in den letzten Tagen durchaus weitergeholfen: Rund um Weihnachten gab es durchaus die ein oder andere Situation, zu der ich was von früher beizusteuern hatte.

Doofe DVD! Buhuuuu!

Also: Das älteste Kind fing während der Bescherung, unterm Weihnachtsbaum, zu weinen an. Die Geschenke seien alle sehr doof, es habe viel zu wenig  Spielzeug bekommen und die neue DVD sei bescheuert, es würde sich über diese DVD „wirklich überhaupt gar nicht“ freuen, denn viel lieber hätte es eine DVD bekommen, die es schon kenne. Also, wie reagiert man da am besten? Erster Impuls, natürlich: Undankbares, grässliches Kind, anderswo sind die Kinder froh über sauberes Trinkwasser und du führst dich auf, weil du nicht „Minions 3“ auf DVD bekommen hast? Pfui!

In diesem Fall war es tatsächlich hilfreich, dass ich mich an eine sehr ähnliche Begebenheit aus meiner Kindheit erinnern konnte: Ich war wahrscheinlich sieben oder acht, und besuchte an einem der Weihnachtsfeiertage meine beste Dorffreundin ein paar Häuser weiter. Ich erinnere mich noch, dass ich bis dahin bezüglich meiner Weihnachtsgeschenke noch keinen Grund zur Beschwerde gesehen hatte. Im Hause meiner Freundin allerdings wurde ich überwältigt angesichts der in meiner Erinnerung sich bis unter die Decke stapelnden, prächtigen Geschenkeberge. Das neue Puppenhaus war mindestens so groß wie ein Mittelklasse-PKW.

Zu Hause weinte ich stark und teilte meiner Mutter mit, dass meine Freundin viel mehr und viel tollere Sachen geschenkt bekommen habe. Und an was ich mich auch erinnere: Die entzückende Reaktion meiner Mutter – nicht sauer, eher ein bisschen hilflos und gerührt – denn natürlich sagt man als Mutter dann nicht „Oh, das ist ja wirklich doof, komm wir gehen nachher zu Karstadt und kaufen noch mehr“, sie versuchte einfach, mich zu trösten, ohne mir unter die Nase zu reiben, dass ich mich gefälligst über das zu freuen hätte, was ich bekommen hatte.

Jedenfalls, daran musste ich denken und konnte mir so den „undankbares Stück“-Ausfall sparen. Eine weitere Situation, mit der ich dieser Tage ganz schwer klarkam: Wenn das Kind einen schon wieder überredet hat, mit ihm eine Partie „Deutschlandreise“ zu spielen, indem es hoch und heilig versprochen hat, im Falle einer Niederlage nicht um sich tretend und brüllend durchs Zimmer zu rollen und die Verbrennung von „Deutschlandreise“ auf dem Scheiterhaufen zu
fordern, und dann aber natürlich ebendies passiert.

Geschummelt? Prügelei!

Auch hier half mir tatsächlich die Visualisierung meiner eigenen kindlichen Brettspiel-Erfahrungen – glasklar vor meinem geistigen Auge: eine aus dem Ruder gelaufene Schachpartie mit meiner eben erwähnten Freundin (die mit dem Puppenhaus in Autogröße). Verlieren mochten wir beide nicht so gern. Ich weiß nicht mehr genau, wie es passierte, wahrscheinlich hatte meine Freundin geschummelt, aber ich führte einen der klassischen Moves des kindlichen Brettspiels aus, nämlich „Sauer alle Spielfiguren mit einem Wisch vom Spielfeld fegen“, meine Freundin knallte mir daraufhin eine, ich wollte mich auf sie stürzen, sie flüchtete ins Badezimmer und verbarrikadierte sich, ich lungerte eine gefühlte Ewigkeit davor, bis sie sich nach draußen traute und wir uns endlich eine ordentliche Prügelei liefern konnten, ehe ich nach Hause zurückkehrte. Die Geschichte erzählte ich dem wütenden Kind, seine Reaktion konnte ich allerdings schwer einschätzen, es nahm die Erzählung schweigend zur Kenntnis.

Und noch ein weiterer Klassiker, zu dem ich was von früher beizusteuern hätte: Was soll man dem eigenen Kind raten, das auf dem Schulhof körperlich drangsaliert wird, zwei der „goldenen Regeln“ der Schule allerdings Gewaltverzicht und „nicht ärgern“ lauten? Darf man raten, das Gewaltverbot kurzzeitig außer Kraft zu setzen? Und darf ich von meinem Grundschulkollegen Daniel erzählen, der den Mädchen im Sommer ständig die Röcke hochzog, damit man ihre Unterhose sehen konnte, bis ich ihm die Hose samt Unterhose runterzog und er mit nacktem Hintern auf dem Schulhof stand? An die sehr heftige Ohrfeige, die folgte, erinnere ich mich zwar auch noch genau, aber das war es definitiv wert.

Bild: flickr I Francisco Carbajal I CC BY-ND 2.0

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