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Wie ich aus meiner Depression zurück ins Leben gefunden habe

In den letzten Jahren musste ich auf Grund meiner psychischen Erkrankung immer wieder Kliniken aufsuchen. Ich litt an Depressionen und einer Psychose – aber ich habe einen Weg zurück ins Leben gefunden.

 

Jahrzehnte lang keine Diagnose

Ich leide schon sehr lange an Morbus Crohn. Wegen dieser chronischen Darmkrankheit suchte ich im Laufe meines Lebens schon fünf psychosomatische Kliniken auf. Nach den ersten vier Aufenthalten ging es mir psychisch kurzfristig besser. Ich lernte einen besseren Umgang mit meiner ErkrankungLeider litt ich darüber hinaus schon Jahrzehnte lang an einer bipolaren Störung, die kein Arzt diagnostizierte. 2012 ging es mir psychisch zum wiederholten Mal so schlecht, dass ich zum fünften Mal in eine psychosomatische Klinik ging. Ich wurde dort mit mittelschweren
Depressionen eingewiesen. Da ich die Jahre zuvor noch funktionierte und meinen Alltag irgendwie bewältigen konnte, merkte ich gar nicht, dass ich depressiv war. 

Im Allgemeinen empfand
ich eine sehr starke Unzufriedenheit und spürte eine große Verbitterung. Außerdem konnte ich nicht mehr herzhaft lachen. Das Lachen war gespielt und aufgesetzt. Ich hatte eine Maske auf. Immer wieder redete ich mir ein,
dass das Leben halt nicht einfach sei. In der psychosomatischen Klinik 2012 hatte ich, das erste Mal in meinem Leben, einen Verhaltenstherapeuten. In den zehn Wochen Klinikaufenthalt wurden mir viele erlernte und nie überdachte Verhaltensmuster aus meiner Kindheit bewusst, die mir gar nicht gut taten. Der Therapeut zeigte mir andere Verhaltensmuster auf, die sehr viel besser für mich waren. In dieser Klinik lernte ich sehr viel über mich und mein Leben.

Als ich aus der Klinik entlassen wurde, übte ich, die neuen Verhaltensmuster zu Hause umzusetzen und zu verinnerlichen – das war ein harter Weg. Ich fiel
sehr oft in die alten Verhaltensmuster zurück, darüber war ich traurig und weinte oft. Aber mit einer ambulanten Therapie und mit meinem starken Willen, wurde es immer besser. Es gab aber immer noch Tage, an denen ich es gar
nicht schaffte. Trotzdem war ich stolz auf mich. Endlich hatte ich den Mut mir neue Aufgaben zu suchen. Ich nahm ein Ehrenamt an, was mir noch heute sehr viel Spaß bereitet. Außerdem ging ich in eine Selbsthilfegruppe für
Depressionen. Ich knüpfte neue soziale Kontakte. Jetzt übernahm ich die Verantwortung für mich selbst. Ich verließ die Opferrolle.

Und dann drehte ich völlig ab

Im Juni 2013 geschah für mich etwas unfassbares. Ich wurde zunächst manisch und dann psychotisch. Das erste Mal in meinen Leben erkrankte ich an einer
Psychose.
Ich hörte Stimmen, hatte Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Tatsächlich dachte ich, ich sei von dem Morbus Crohn geheilt, setzte alle Medikamente ab (auch das Kortison). Außerdem konnte ich nicht mehr schlafen. Mein Mann brachte mich nach vier Tagen in die geschlossene Psychiatrie. Dort wurde ich zwangseingewiesen, da ich nicht einsah, wie krank ich war und wieder
nach Hause wollte. Die Ärzte diagnostizierten eine schizoaffektive Störung. Ich bekam einen richterlichen Beschluss von vier Wochen. 

Als ich mich damit abfand, in der Klinik zu bleiben, ging es mir dort sehr gut. Ich nahm brav alle
Medikamente, die ich bekam. Nach 14 Tagen verschwand die Psychose so langsam. Ich nahm wahr, wie psychotisch die anderen Patienten waren. Dort war es nicht mehr schön. Da mein Mann und ich Urlaub gebucht hatten, waren
meine Tochter und mein Mann in dieser Zeit auf Gran Canaria. Diese letzten 14 Tage in der Psychiatrie waren für mich die Hölle.

Der Fall in ein tiefes, schwarzes Loch

Irgendwie merkte ich, dass sich in mir etwas veränderte, aber ich konnte es erst gar nicht greifen. Immer häufiger wurde ich lustlos, antriebslos und
so langsam stiller. Die Psychologin meinte, das es durchaus möglich sei, dass nach einer Psychose eine starke Depression folgen könne. Sie gab mir aber keine Medikamente dagegen. Sie sprach mit mir nur darüber, wie ich
mich verhalten solle. Z. B. Wenn ich keine Lust zu etwas hätte, dann solle ich es trotzdem machen. 

Das habe ich versucht, aber auf einmal war alles so schwer zu bewältigen. Als mein Mann und meine Tochter aus dem Urlaub zurück kamen, waren die vier Wochen auf Beschluss auch vorbei. Sofort ließ ich mich aus der Psychiatrie entlassen. Inzwischen hatte ich sogar Schwierigkeiten meinen Koffer alleine zu packen. Ich war kraftlos und fühlte mich überfordert. Die Aufregung war sehr groß, wusste
ich doch nicht, wie ich zu Hause zurecht kommen sollte. Trotzdem dachte ich, dass es mir zu Hause viel besser gehen würde. Aber da hatte ich mich grundlegend getäuscht.

Als ich zu Hause war, hatte ich erst mal einen schweren Entzug des Tavors hinter mich zubringen. Es war einfach nur furchtbar – aber ich habe es geschafft.
Außerdem hatte ich plötzlich keine Gedanken mehr in meinem Kopf. Ich wurde ganz still, fühlte mich in mir gefangen, fühlte nichts mehr. Ich hatte eine Körperstarre und keine Gesichtsmimik mehr. Es war nur noch eine leere Hülle von mir übrig. Alles lief
wie ein Film an mir vorbei. Es war, als sei ich lebendig begraben.
Ich wollte alles und konnte nichts mehr. Selbst das duschen war ein Berg, den ich nur schwer bewältigen konnte. Da ich mich nicht mehr entscheiden konnte,
wusste ich nicht, was ich morgens anziehen sollte. Eine Stunde saß ich auf auf meinem Bett und starrte in meinen Kleiderschrank, bis ich endlich irgendetwas aus dem Schrank holte. Den ganzen Tag lag ich auf der Couch und
starrte Löcher in die Luft. Da ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren konnte, war es für mich nicht möglich etwas zu lesen oder einen Film zu verfolgen.
Ich war wie gelähmt, der reinste Horror. So stellte ich mir die Hölle vor.

Zurück in die Psychiatrie

Nach sechs Wochen zu Hause wollte ich Suizid begehen. Ich hielt diese Leere nicht mehr aus. Der Leidensdruck war einfach zu groß. Ich sah keinen Sinn mehr, so weiter
zu leben. Ich war hoffnungslos und verzweifelt, spürte eine große Angst in mir, nie mehr gesund zu werden.
Eigentlich wollte ich leben, aber nicht so. Der Tod wäre für mich eine Erlösung gewesen. Es gab für mich nur noch zwei Wege: Entweder ich brachte mich um oder ich ging in die geschlossenen Psychiatrie (dort wollte ich in meinem ganzen Leben
nicht mehr hin). Heute bin ich dankbar dafür, das ich den zweiten Weg gewählt habe. Ich ging zurück in die Klinik.

Dort war es noch schlimmer, als das erste mal. Die Menschen waren noch psychotischer als das letzte Mal. Ich saß mit meinen Depressionen mitten drin. Die
Ärzte gaben mir ein Antidepressiva. Das gab mir ein wenig Hoffnung, aber besser ging es mir noch lange nicht.
Nach 14 Tagen geschlossene Psychiatrie wurde ich auf die Depressionenstation verlegt. Das tat mir gut. Die Mitpatienten dort waren ganz anders. Auf dieser Station wurde mir ein anderes Neuroleptika verabreicht. Dadurch verlor ich etwas die Körperstarre. Anschließend wurde mir angeboten, eine Elektro-Krampf-Therapie
zu machen. Mit einer Heilungschance von 80 Prozent. Dies wurde mir angeboten, weil ich Morbus Crohn habe und die Ärzte den Verdauungstrakt umgehen wollten. Ich musste eine Entscheidung treffen. Es dauerte drei Tage bis ich mich
dagegen entschied.
Ich versuchte es mit einem Antidepressiva. Auf dieser Station verbrachte ich acht Wochen. Es war immer noch die Hölle. Ich hatte keine Kraft irgendetwas zu machen. In der Ergotherapie saß ich nur
da und schaute meinen Mitpatienten zu, wie sie schöne Dinge bastelten. Die Interessenslosigkeit war zu groß, ich konnte einfach nicht´s tun …

Ich begann langsam wieder etwas zu spüren

So langsam kamen die Tränen zurück, ich konnte wieder weinen. Das war die erste Veränderung, aber ich fand sie nicht schön. Jeder Tag war für mich
ein Berg. Abends, wenn ich ins Bett ging, hoffte ich am nächsten morgen nicht mehr aufzuwachen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, weiter zu machen. Ich war so lebensmüde im wörtlichen Sinne.

Hätte ich mein Kind nicht gehabt, würde ich diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Ich dachte immer, es ist das schlimmste für ein Kind, wenn die
Mutter den Freitod wählt. Irgendwie habe ich so immer weiter gemacht und viel geweint.

Zu den Mitpatienten habe ich keine Beziehung aufbauen können. Es war mir alles egal. Die Interessenslosigkeit raubte mir bald wieder den Verstand. Viele Menschen wollten mir irgendwie helfen. Ich sah die Hilflosigkeit in ihren Augen. Bildlich gesprochen lag ich auf dem Boden, die Menschen wollten mich hochziehen, aber immer wieder rutschten sie an meinen Händen und Armen ab. Keiner hatte eine Chance mich aufzuheben. Immer wieder fiel ich zurück auf den Beton. Keiner konnte mir helfen.

Plötzlich wollte ich wieder leben 

Als ich aus der Klinik, auf eigenen Wunsch entlassen wurde, ging es mir nur geringfügig besser. Aber ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie und wollte
einfach mal wieder nach Hause. Von Beginn an 
konnte ich wieder häusliche Tätigkeiten – sehr langsam und mit vielen Pausen – bewältigen. Eine Woche nachdem ich zu Hause war, geschah ein Wunder. Ich war von jetzt auf gleich wieder die „Alte“. Alle Gedanken und Gefühle waren wieder in mir.
Es war phänomenal. Ich denke, das Antidepressiva hatte seine Wirkung entfaltet.
Nach vier Monaten Leidensdruck wurde ich wieder „gesund“.

Ich habe die Hölle gesehen und bin durch sie hindurch gegangen. Es war einfach nur grausam, aber durch diese Krise lebe ich heute viel bewusster. Ich genieße jeden Tag, denn es könnte der letzte sein. Und ich weiß heute, egal was passiert, schlimmer geht es immer.

Mir geht es mit Medikamenten aktuell sehr gut

Inzwischen bin ich so motiviert und selbstbewusst, dass ich sogar eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depressionen leite. Außerdem engagiere ich mich ehrenamtlich bei dem Projekt „Verrückt Na und“ als persönlicher Experte. Ich gründete eine Selbsthilfegruppe für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Auch mein Ehrenamt in einer Grundschule (Bücherei) macht mir noch sehr viel Spaß. Außerdem habe ich die Leidenschaft zum Schreiben in mir entdeckt. Um diese Krise verarbeiten zu können, schrieb ich ein Buch und habe es sogar veröffentlicht.
Darauf bin ich sehr stolz.

Heute geht es der Autorin gut. Quelle: privat


Hinweis der Redaktion

Wenn du dich in einer schweren Krise befindest, ist es wichtig, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Eine erste Anlaufstelle kann zum Beispiel deine Hausärztin sein oder der Krisendienst. Eine Liste mit Anlaufstellen gibt es unter anderem bei der Deutschen Depressionshilfe.

Unter der bundesweit einheitlichen Rufnummer 116 117 erreichst du den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. In Notfällen wende dich bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112. Eine Übersicht über die sozialpsychiatrischen Dienste nach Postleitzahl geordnet findest du bei der Deutschen Depressionshilfe. Auch die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter der Nummer 0800/1110111. 

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