Foto: Julia Hoppen

Nadine Zins: „Ich will keine Revolution starten, sondern einfach fair sein“

Aus Prinzip übertarifliche Löhne: Das hat sich Friseurmeisterin Nadine Zins auf die Fahne geschrieben, als sie ihren eigenen Salon eröffnete. Denn es ist eben nicht in Stein gemeißelt, dass Friseure und Friseurinnen schlecht verdienen müssen.

 

Mit der Zeit kam der Idealismus

Eine Chefin, die sich zu Beginn ihrer Selbstständigkeit selbst kein fixes Gehalt auszahlt um ihre
Mitarbeiter einen fairen Lohn geben zu können? Da steigt das Lohnbüro
natürlich auf’s Dach. Aber das ist kein Grund für Nadine Zins, das nicht zu tun. Warum? Weil sie am eigenen
Leib erfahren hat, wie es sich anfühlt, wenn man sich als Friseurin tagtäglich
abrackert, nur um am Ende mit ein paar Groschen auf dem Konto dazustehen – und
damit der Arbeitsarmut entgegen arbeitet.

Also eröffnete sie ihren eigenen Salon „Zins“ in Berlin
Neukölln und beschloss, einige Dinge anders zu machen als sie es von ihren
ehemaligen Arbeitgebern kennt. Dabei will sie aber keine Revolution starten, wie sie sagt, sondern
einfach fair sein. Wie das alles kam und was genau bei ihr anders läuft, hat
sie uns erzählt.

Nadine, du hast im vergangenen Jahr deinen eigenen Salon
eröffnet, weil du vieles anders machen wolltest, als du es aus der Branche
kennst. Welche Dinge waren das im
Wesentlichen?

„Das fing im Kleinen an und wurde dann mit der Zeit immer
mehr. Zu Beginn war ich ja alleine im Laden, aber ich habe mir gesagt: Sobald
ich jemanden einstelle, will ich auch einen gerechten Lohn zahlen und versuchen,
die Arbeitsbedingungen so stressfrei wie möglich zu gestalten.“

Was heißt denn in diesem Fall gerechter Lohn? Und wieso kannst du dir das
leisten und die anderen nicht?

„Ich zahle übertariflich, fast das Doppelte. Ich will, dass
meine Mitarbeiter mit einem Anfangsgehalt von 15 Euro die Stunde rauskommen. Da
hat mein Lohnbüro natürlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und
gesagt: ,Das kannst du dir am Anfang gar nicht leisten!‘ Aber ich finde das
wichtig. Wie ich mir das leisten kann? Ich denke einfach nicht so profitorientiert,
wie das andere tun. Mir ist es wichtig, dass ich etwas investieren und die Kosten
decken kann, und dass ich selbst über die Runden komme – aber einen festen Lohn zahle
ich mir gerade nicht aus.“

Wie stellst du denn sicher, dass das irgendwann auch für
dich wirtschaftlich rentabel wird?

„Ich befinde mich noch in der Anfangsphase meiner
Selbstständigkeit. Aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass ich bald sehr
viel besser dastehen werde. Das hat natürlich auch damit zu tun, wie man
grundsätzlich mit dem vorhandenen Geld umgeht und ob man gut haushaltet. Das tue ich
– und trotzdem können wir mit hochwertigen Produkten arbeiten, ohne dass die
Löhne in Gefahr sind. In vielen Salons geht die Wirtschaftlichkeit alleine über
die Gehälter, Preise für Haarschnitte, sieht man kaum steigen. Eine Friseurin
mit Tarifvertrag bekommt dann rund 1.200 Euro – und das ist für die Branche
schon gut.“

Eine Friseurin? Was bekommen denn die Männer?

„Die Männer verdienen mehr. Aber darüber redet keiner.
Gerade in den großen Läden ist es so, dass man gar nicht über Gehälter reden darf –
das kenne ich aus eigener Erfahrung. Da weiß keiner konkrete Zahlen. Aber
während meiner Meisterausbildung habe ich mit einem Fachdozenten gesprochen und
der sagte, dass Männer im Durchschnitt gut 30 Prozent mehr Gehalt bekommen, ganz
einfach weil da kein Ausfall durch eine eventuelle Schwangerschaft stattfindet.“

Salon im Berliner Altbau: Der Laden von Nadine Zins. Quelle: Zins

Altersarmut ist in der Branche wahrscheinlich ein riesiges Thema, oder?

„Ja, auf jeden Fall. Wenn ich meinen Rentenbescheid bekomme,
zeigt sich das mehr als deutlich. Ich arbeite etwa 12-15 Jahre
länger als mein Mann und ich habe noch nicht einmal ein Viertel von dem, was er
bekommt. Es ist wirklich bitter.“

War denn die schlechte Bezahlung als angestellte Friseurin
für dich der Grund, in die Selbstständigkeit zu gehen?

„Nein, eigentlich nicht. Ich hatte nicht vor eine Revolution
zu starten, oder etwas in der Art. Ich habe meinen Meister gemacht, um mich selbst herauszufordern und
mir bewusst zu werden, was ich in Zukunft machen will. Dann habe ich meinen Job
gekündigt
und bin mit meinen Kindern auf Sinnsuche nach Australien gegangen. Danach wusste ich auf jeden Fall, was ich nicht mehr
möchte (lacht).  Aber ich bin jetzt nicht
direkt in die Selbstständigkeit, um alles anders und besser zu machen. Ich
mache auch Fehler, gerade jetzt zu Beginn. Aber dieses idealistische Denken kam
eben nach und nach, ganz einfach weil mir aufgefallen ist, was man anders gestalten
kann, wenn man Chefin ist. Neben dem Gehalt, kann man sich auch aktiv darum kümmern,
dass der Stress keine Überhand nimmt.“

Wie denn?

„Na, der Alltag einer Friseurin ist grundsätzlich schon sehr
stressig. Man muss den ganzen Tag top aussehen, muss zu allen freundlich sein,
muss jeden nett bedienen und hat immer im Nacken, dass der nächste Kunde schon
wartet und nach fünf Minuten ungeduldig wird – und dann klingelt das Telefon
und zeitgleich kommt jemand rein, der noch etwas wissen will. Zudem herrscht
meist eine laute Geräuschkulisse. Das
bedeutet alles Stress. Ich versuche das bei mir einzudämmen, indem wir
ausschließlich mit  Online-Buchungen
arbeiten, außerdem habe ich keine Waschmaschine und keinen Trockner, das
erledigt ein Wäscheservice. Darüber hinaus versuche ich immer einen ruhigen Ton
anzuschlagen, auch wenn mal was schief gegangen ist. Denn ich weiß, wie sehr es
stressen kann, wenn ein Chef unfreundlich ist. Das will ich definitiv anders
machen – auch wenn ich nichts versprechen kann (lacht).“

Du hast ja schon erzählt, dass du auch Familie hast. Wie
wichtig ist es für dich, dich auf dein Team verlassen zu können? Kannst du auch
mal wegbleiben – oder fällt dir das schwer?

„Ich habe gerade meine Zugtickets abgeholt, weil ich jetzt
für drei Wochen nach Thailand fliege – das ist quasi Premiere. Und ja, das
macht mich sehr sehr nervös. Aber klar, für einen Tag bin ich schon öfter mal
weggewesen. Und ich habe auch schon durch meine Kinder gelernt, dass man mal
abgeben muss. Das zu lernen, ist super wichtig.“

Hast du eigentlich einen Kredit aufgenommen, um den Laden eröffnen
zu können?

„Nein, ich wollte – habe aber keinen bekommen. Und das ohne
Schulden zu haben oder im Dispo zu sein. Ich bin am Anfang wirklich an viele
Grenzen gestoßen. Aber im Nachhinein bin ich stolz, denn letztlich habe ich es
ja trotzdem geschafft – weil mir Familie und Freunde geholfen haben. Es hat
mich sehr berührt, wie viele Menschen von sich aus ihre Unterstützung angeboten
haben. Denn dadurch zeigen sie mir auch, dass sie mir vertrauen. Das macht Mut!“

Was ist eigentlich das Wichtigste, dass du aus einem Jahr in
der Selbstständigkeit gelernt hast?

„Es gibt so vieles was man in dieser Zeit lernt (lacht).
Aber ganz wichtig: Buchhaltungstechnisch darf man nichts schleifen lassen, das
ist das A&O. Auch wenn der Tag noch so lange war, müssen diese Dinge abends
erledigt werden. Und ich würde jedem raten, immer sofort um Hilfe fragen, wenn man sie braucht. Das habe ich von Anfang an
gemacht und das hat sich sehr bewährt.“

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